· Fachbeitrag · Heilmittelverordnung
WIdO-Bericht 2018: mehr Therapeuten, weniger Behandlungen
von Alexandra Buba M. A., Wirtschaftsjournalistin, Fuchsmühl
| Der Anteil von Heilmitteln an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenkassen liegt bei etwa drei Prozent. Das ist im Vergleich zu anderen Posten wie Krankenhaus- und Arztbehandlungen oder Arzneimitteln, die zusammen etwa die Hälfte aller Kosten ausmachen, wenig. Die Bedeutung von Physiotherapie & Co. für Patienten schlägt sich so gesehen in den Zahlen nicht nieder. Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass im vergangenen Jahr rund vier Mio. Behandlungen weniger durchgeführt wurden als im Jahr 2016. Das offenbart der aktuelle WIdO-Bericht der AOK. |
AOK sparsamer als der GKV-Durchschnitt
Im Jahr 2017 gab die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) insgesamt 6,8 Mrd. Euro für Heilmittel aus. Die AOK bezahlte 2,43 Mrd. Euro für ihre Versicherten und damit rein rechnerisch etwas weniger pro Versicherten als der GKV-Durchschnitt: Denn verteilt auf alle GKV-Versicherten kostete die Versorgung mit Heilmitteln 94,45 Euro pro Versicherten, bei der AOK nur 92,09 Euro.
MERKE | Insgesamt bekamen im Jahr 2017 rund 5,05 Mio. AOK-Versicherte mindestens eine Heilmittelleistung verordnet. Das entspricht einem Anteil von 19,1 Prozent der Versicherten. Physiotherapeutische Leistungen nahmen 4,4 Mio. AOK-Versicherte in Anspruch. Sie erhielten im Durchschnitt jeweils 2,9 Leistungen mit zusammen 20,11 Behandlungen. Die jährlichen Kosten pro Patient betrugen 381 Euro. Im Jahr 2016 hatten noch mehr als 4,46 Mio. Patienten im Durchschnitt jeweils 2,9 Leistungen mit zusammen 20,14 Behandlungen erhalten. Die Ausgaben dafür hatten pro Patient 365 Euro betragen. |
Bezogen auf die GKV insgesamt stellten die Ärzte im Jahr 2017 rund 200.000 weniger Rezepte für Heilmittelbehandlungen aus als im Jahr 2016. Auch die Zahl der Leistungen ist gesunken: von 44,9 Mio. im Jahr 2016 auf 44,1 Mio. im Jahr 2017. Dieser Trend betrifft auch die AOK-Versicherten. Sie erhielten 2017 insgesamt 15,6 Mio. Leistungen und damit 0,2 Mio. weniger als im Jahr zuvor. Auch die Gesamtzahl der Behandlungen ist sowohl in der GKV insgesamt als auch bei der AOK gesunken: von 310 auf 306 Mio. Sitzungen in der GKV und von 109 auf 107,6 Mio. bei der AOK.
Dennoch sind die Gesamtkosten für Heilmittel in der GKV gestiegen, und zwar von 6,5 auf 6,8 Mrd. Euro. Gemessen an den Gesamtausgaben der GKV, die laut GKV-Spitzenverband im Jahr bei 218 Mrd. Euro lagen und den Netto-Verwaltungskosten der GKV aus demselben Jahr (10,9 Mrd. Euro), ist dies ein vergleichsweise bescheidener Betrag. Da das Ausgabenvolumen gewachsen, die Anzahl der Behandlungen aber gesunken ist, lässt sich diese Entwicklung im Wesentlichen auf gestiegene Honorare zurückführen.
Physiotherapie ‒ häufig und günstig
Der Löwenanteil der Heilmittelausgaben entfällt traditionell auf die Physiotherapie: Ihr Beitrag zum Heilmittelumsatz betrug im Jahr 2017 rund 71,4 Prozent, der Verordnungsanteil 83,8 Prozent. Der vergleichsweise große Unterschied zwischen Umsatz- und Verordnungsanteil erklärt sich dadurch, dass einige Leistungen in der Physiotherapie deutlich günstiger sind als solche in anderen Segmenten, insbesondere etwa Wärme- und Kälteanwendungen.
Der kleine Bereich der Podologie beteiligte sich mit 3,4 Prozent an den Verordnungen und mit 2,9 Prozent am Heilmittelumsatz. Ergotherapie und Sprachtherapie bilden mit einem Anteil von 7,07 Prozent (AOK: 7,2) bzw. 5,05 Prozent (AOK: 5,0) ebenfalls kleine Segmente mit einem Umsatzanteil von 14,8 Prozent bzw. 10,8 Prozent (AOK: 15,1 bzw. 12,9).
Insgesamt ist neben den Ausgaben auch die Zahl der Dienstleister angestiegen: So rechneten im Jahr 2017 exakt 66.740 Anbieter mit den Kassen ab; physiotherapeutische Leistungen boten 42.285 Bademeister, Masseure, Krankenhäuser und Physiotherapeuten an.
Über die Hälfte erhielt normale Krankengymnastik
Den größten Anteil bei den erbrachten Leistungen hatte mit großem Abstand die normale Krankengymnastik: Sie wurde im Jahr 2017 insgesamt 6,1 Mio. Mal von Physiotherapeuten erbracht und von mehr als 2,8 Mio. AOK-Versicherten in Anspruch genommen.
Krankengymnastik-Patienten machten mit 65 Prozent fast zwei Drittel der physiotherapeutischen Patienten aus; Im Vorjahr hatte der Anteil der Krankengymnastik ebenfalls bereits bei 63,4 Prozent gelegen. Gut ein Viertel der Patienten (1,17 Mio. AOK-Versicherte) nahm daneben rund 1,93 Mio. Leistungen der Manuellen Therapie in Anspruch. Die Manuelle Therapie hatte damit einen Anteil von 15,2 Prozent an den Leistungen. Diese Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr leicht angestiegen (2016 hatte sie 14,8 Prozent betragen).
„M54 Rückenschmerzen“ weiter wichtigstes Einsatzfeld
Die mengenmäßig bedeutendste Diagnose war wie auch im Vorjahr „M54 Rückenschmerzen" (PP 02/2018, Seite 3). Mehr als 1,3 Mio. AOK-Versicherte waren 2017 davon betroffen. Obwohl die eher allgemeine Diagnose die weitaus häufigste war, die zu einer Behandlung führte, wurde mit 1,8 Leistungen je Patient im Durchschnitt eher kurzzeitig behandelt. Die Autoren des WIdO-Berichts führen dies darauf zurück, dass die Patienten anschließend möglicherweise in spezifischere Diagnosekategorien gewechselt haben. Am intensivsten behandelt (mit 3,4 Leistungen) wurde nach chirurgischen Eingriffen und bei Lähmungen.
Im Vergleich zum Vorjahr lässt sich konstatieren, dass die Anzahl der Versicherten, die eine physiotherapeutische Leistung aufgrund einer unspezifischen Rückenschmerzdiagnose erhalten haben, aber deutlich gesunken ist: von 1,4 auf 1,3 Mio. Fest steht daneben außerdem, dass rund die Hälfte aller Massagen aufgrund der Diagnose „M54 Rückenschmerzen“ verordnet wurde, bei der Manuellen Therapie lag der Wert bei gut einem Drittel der Therapien. Auch bei der normalen Krankengymnastik ist der Rückenschmerz ebenfalls mit einem Anteil von 17,6 Prozent der Leistungen das häufigste Krankheitsbild.
Regionale Unterschiede bleiben bestehen
Krankenkassen nennen regionale Unterschiede bei der Inanspruchnahme von Leistungen häufig als Indiz für eine unregelmäßige Verordnungspraxis. Solche Unterschiede zeigten sich auch 2017 im Bundesgebiet: Z. B. wurden in Sachsen mit einem Schnitt von 5,3 Behandlungen pro Versichertem überdurchschnittlich viele Physiotherapien in Anspruch genommen. Westfalen-Lippe zeigte dagegen eine weitaus geringere Inanspruchnahme (durchschnittlich 2,5 Behandlungen). Der bundesweite Mittelwert liegt bei 3,5 Behandlungen.
Frauen als wichtige Patientengruppe
Dass im Jahr 2017 rund 4,4 Mio. AOK-Versicherte physiotherapeutische Leistungen bekamen, entspricht einer Rate von 16,7 Prozent der Versicherten. Wie schon in den Vorjahren hing die Behandlungsaktivität stark vom Geschlecht und vom Lebensalter der Versicherten ab.
So lag der Anteil der Männer, die eine Physiotherapie in Anspruch genommen haben, bei 12,7 Prozent, während er bei den weiblichen Versicherten 20,6 Prozent betrug. Fast zwei Drittel (62,6 Prozent) der physiotherapeutischen Patienten waren Frauen. Sie erhielten 2017 im Durchschnitt 3 Leistungen, Männer nur 2,7. Die Ursache für diesen Unterschied klärt der Bericht nicht auf; ein Blick auf die Diagnosen offenbart aber, dass Brustkrebs anteilsmäßig eine wichtige Indikation etwa für Lymphdrainagen ist; außerdem erreichen Frauen ein höheres Lebensalter.
Neben dem Geschlecht hat insbesondere auch das Lebensalter entscheidenden Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit einer Behandlung: So werden physiotherapeutische Maßnahmen ‒ abgesehen vom ersten Lebensjahr ‒ von Kindern und Jugendlichen wenig in Anspruch genommen. Mit wachsendem Alter ändert sich dies: So stieg die Anzahl der Leistungen je Patient von 1,9 bei Kleinkindern auf 3,5 bei hochbetagten Patienten. In der Gruppe 45 bis 49 Jahre nahm 2017 ein Viertel der Frauen mindestens eine Leistung in Anspruch (Männer: 14 Prozent). Mit einer Patientenrate von 32,7 Prozent lag die höchste Behandlungsrate bei der Altersgruppe der 75- bis 79-jährigen Frauen. Rein rechnerisch bekam 2017 jede Frau ab 70 Jahren eine Therapie.
Weiterführender Hinweis
- Wissenschaftliches Institut der AOK, WIdO (Hrsg.): Heilmittelbericht 2018. Ergotherapie. Sprachtherapie. Physiotherapie. Podologie. Berlin, Dezember 2018, als PDF online unter www.iww.de/s2321