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  • · Fachbeitrag · Verordnungen

    Besteht eine Prüfpflicht beim ICD-10-Code?

    von Rechtsanwalt Ralph Jürgen Bährle, Bährle & Partner, Nothweiler

    | ICD-10-GM dient der Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung, auch um die Abrechnung mit den Kostenträgern zu erleichtern. Seit 1. Juli 2014 sind Ärzte grundsätzlich verpflichtet, den ICD-10-Code für die therapierelevante Diagnose auf der Heilmittelverordnung anzugeben. In Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Hausbesuchen, kann von dieser Verpflichtung abgewichen werden. |

    Der Status quo

    Widersprüchliche Aussagen von Verbänden und Krankenkassen gibt es zur Frage, ob und in welchem Umfang für Therapeuten eine Prüfpflicht in Bezug auf die ICD-10-Codes besteht:

     

    • Einige Krankenkassen beanstanden es nicht, wenn die ärztliche Verordnung nur die Klartextdiagnose enthält, und zahlen dem Therapeuten die Vergütung ungekürzt - andere Kassen aber nicht.
    • Gemeinsame Empfehlungen der Spitzenverbände für Zweifelsfälle gibt es derzeit noch nicht.
    • Die Rahmenverträge und die Heilmittelrichtlinien (HMR) enthalten (bislang) keine Regelungen zur Prüfpflicht von Therapeuten in Bezug auf ICD-10-Codes. Therapeuten sind daher vertraglich nicht zur Prüfung von ICD-10-Codes verpflichtet. Es ist aber denkbar, dass die Rechtsprechung eine Prüfpflicht als Nebenpflicht aus dem Vertragsverhältnis Therapeut - Krankenkasse ableitet.

     

    Kurz: Die Auswirkungen von fehlenden ICD-10-Codes oder Widersprüchen zwischen Code und Klartextdiagnose für Therapeuten (und deren Vergütung) sind derzeit noch nicht abschließend geklärt.

    BSG-Urteil aus dem Jahr 2011 gibt klare Hinweise

    Eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob und in welchem Umfang für Therapeuten eine Prüfpflicht beim ICD-10-Code besteht, gibt es bislang noch nicht, da die Eintragungspflicht für Ärzte ja erst seit 1. Juli 2014 besteht. Aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. September 2011 (Az. B 1 KR 23/10 R) lassen sich jedoch Rückschlüsse zur Prüfpflicht für Therapeuten in Bezug auf den ICD-10-Code ziehen.

     

    Grundsätzlich gilt: Die für Therapeuten bestehende Prüfpflicht dient nicht allein der Achtung des Wirtschaftlichkeitsgebots, sondern auch dem Schutz des Patienten. Die ärztliche Verordnung ist die Grundlage dafür, dass ein Versicherter mit dem Heilmittel als Naturalleistung der gesetzlichen Krankenversicherung auf Kosten der Krankenkasse versorgt wird. Nur eine ordnungsgemäße vertragsärztliche Verordnung berechtigt den Versicherten, die Therapie in Anspruch zu nehmen und den Therapeuten, die erbrachte Leistung abzurechnen. Nach dem genannten Urteil sind Therapeuten daher verpflichtet, die folgenden Prüfschritte zu unternehmen:

     

    • Ist die ärztliche Verordnung vollständig? Enthält sie eine Diagnose?
    • Ist sie plausibel?
    • Sind die verordneten Leistungen notwendig?
    • Sind die verordneten Leistungen wirtschaftlich?
    • Entspricht die verordnete Menge den HMR?

     

    MERKE | Da die Leistung des Therapeuten durch die ärztliche Verordnung veranlasst wird, hat der Therapeut jede Verordnung auf aus seiner professionellen Sicht zumutbar erkennbare Fehler zu überprüfen.

     

    Klartext-Diagnose und ICD-10-Code

    Zu prüfen ist aufgrund des genannten BSG-Urteils auf jeden Fall, ob eine Klartextdiagnose und/oder ein ICD-10-Code auf der ärztlichen Verordnung angegeben ist oder nicht. Im Folgenden alle denkbaren Konstellationen:

     

    • Wenn sowohl ICD-10-Code als auch Klartextdiagnose fehlen, ist das Rezept fehlerhaft, der Therapeut darf mit der Therapie nicht beginnen. Tut er dies gleichwohl, riskiert er den Verlust der Vergütung.

     

    • Ist ein ICD-10-Code vorhanden, müssen Sie prüfen, welche Diagnose er verschlüsselt. Wenn zusätzlich die Klartextdiagnose notiert ist, müssen Sie prüfen, ob Code und Klartextdiagnose übereinstimmen. Tun sie dies nicht, ist die ärztliche Verordnung nicht plausibel und also fehlerhaft. Für den Therapeuten muss sich in einem solchen Fall die Frage aufdrängen, welche der Diagnosen die Grundlage für die verordnete Therapie ist. Allein um eine Antwort auf diese Frage zu erlangen, muss er mit dem verordnenden Arzt sprechen. Dessen Antwort ist dann entscheidend dafür, welche der Angaben für die Therapieentscheidung maßgeblich sind. Um dem Therapeuten Schwierigkeiten mit der Abrechnung zu ersparen, sollte der Arzt die Verordnung berichtigen - und zwar so, dass Klartextdiagnose und ICD-10-Code übereinstimmen.

     

    MERKE | Einige Krankenkassen vertreten hierzu den Standpunkt, dass in diesem Fall die Klartextdiagnose gilt, andere Krankenkassen, dass der ICD-10-Code gilt. Im eigenen (Vergütungs-)Interesse sollten Sie für Ihre Praxis die Regel aufstellen, dass Unstimmigkeiten zwischen ICD-10-Code und Klartextdiagnose immer mit dem Arzt geklärt werden und das Rezept vom Arzt berichtigt werden muss.

     
    • Enthält die ärztliche Verordnung nur den ICD-10-Code, ist die Verordnung gültig. Der ICD-10-Code ersetzt die Klartextdiagnose. Sie als Therapeut müssen die durch den ICD-10-Code verschlüsselte Diagnose und die verordnete Therapie auf Plausibilität prüfen.

     

    • Fehlt der ICD-10-Code, muss die ärztliche Verordnung auf jeden Fall eine Klartextdiagnose enthalten. Vorerst beanstanden die meisten Krankenkassen ärztliche Verordnungen, die eine Klartextdiagnose, aber keinen ICD-10-Code enthalten, nicht als fehlerhaft und zahlen dem Therapeuten die Vergütung für erbrachte Therapien ungekürzt aus. Der Therapeut hat in diesem Fall aber trotzdem die Plausibilität von Klartextdiagnose und verordneter Therapie zu prüfen.

     

    • Unter dem Blickwinkel des BSG-Urteils sieht es so aus: Ein Rezept ohne ICD-10-Code ist nicht vollständig. Dies gilt rein formal auch dann, wenn die Klartext-Diagnose auf der ärztlichen Verordnung steht. Da der Arzt aber in begründeten Ausnahmefällen die Eintragung des ICD-10-Codes unterlassen darf, muss der Therapeut nicht hinterfragen, warum der ICD-10-Code nicht eingetragen wurde. Er muss den Arzt daher auch nicht um Korrektur der ärztlichen Verordnung ersuchen.

     

    PRAXISHINWEIS | Wenn Ihnen von einer Krankenkasse die Vergütung verweigert wird, weil der ICD-10-Code fehlt, die ärztliche Verordnung aber eine Klartextdiagnose enthält, widersprechen Sie der Kürzung schriftlich. Fordern Sie die Zahlung des einbehaltenen Betrags mit der Begründung, dass es für Ärzte keine Pflicht gibt, den ICD-10-Code in jedem Fall einzutragen.

     
    • Die Angabe von mehreren ICD-10-Codes auf der ärztlichen Verordnung macht diese nicht fehlerhaft. Sie als Therapeut müssen in diesen Fällen prüfen, welcher der ICD-10-Codes zur Klartextdiagnose passt und ob keine Widersprüche vorliegen. Solange der therapierelevante ICD-10-Code eindeutig identifizierbar ist (gegebenenfalls anhand der Klartextdiagnose) und sonst keine Fehler in der Verordnung erkennbar sind, besteht kein Anlass, mit dem Arzt wegen einer Berichtigung des Rezepts Kontakt aufzunehmen. Die Krankenkasse darf Ihnen in diesem Fall auch die Vergütung nicht kürzen.

     

    • Ist der therapierelevante ICD-10-Code nicht eindeutig erkennbar, ist das Rezept nicht plausibel. Sie müssen mit dem Arzt Kontakt aufnehmen.

     

    • Sind mehrere Diagnosen und ICD-10-Codes auf der ärztlichen Verordnung eingetragen, richtet sich Ihre Therapie an allen genannten Diagnosen aus.

    Langfristverordnungen

    Sie als Therapeut müssen und können nicht prüfen, ob es sich um eine Langfristverordnung handelt, wenn der Arzt auf der Verordnung nichts Entsprechendes vermerkt hat. Ausnahmefälle regeln Ärzte und Krankenkassen vertraglich. Diese Verträge haben keine rechtlich bindenden Auswirkungen auf Sie als Therapeut. Praxisbesonderheiten können zwar im ICD-10-Code verschlüsselt werden, die Prüfung und Zuordnung erfolgt jedoch durch die Krankenkasse und nicht durch Sie als Therapeut. Mehr zum Thema „Langfristverordnungen“ finden Sie im Archiv von PP unter www.pp.iww.de.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2014 | Seite 3 | ID 42819282