16.03.2022 · IWW-Abrufnummer 228066
Finanzgericht Münster: Urteil vom 17.01.2022 – 9 K 1471/20 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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T a t b e s t a n d
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Die Beteiligten streiten darüber, ob diverse Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen sind.
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Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren 2017 und 2018 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.
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Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung 2017 machten die Kläger Aufwendungen in Höhe von insgesamt 21.166 € (19.561,99 € für die Klägerin und 1.305,92 € für den Kläger) geltend. Darin enthalten waren u.a. Aufwendungen für Klinikbesuche in A und B in Höhe von 3.479,05 € sowie Aufwendungen für ein Rückenmuskeltraining (Ortho-Training) des Klägers in Höhe von 891,00 €. Der Beklagte berücksichtigte diese (und weitere Aufwendungen) im Einkommensteuerbescheid vom 18.02.2019 nicht als außergewöhnliche Belastungen an. Er berücksichtigte nur außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 3.072 €, unter Abzug einer zumutbaren Eigenbelastung in Höhe von 2.374 € ergab sich ein nach § 33 EStG abzugsfähiger Betrag in Höhe von 698 €.
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Hiergegen legten die Kläger m 03.03.2019 Einspruch ein. Der Einspruch richtete sich gegen die Nichtberücksichtigung von Aufwendungen in Höhe von 3.479,05 € für die Klägerin (Klinikaufenthalte) und in Höhe von 891 € für den Kläger (Ortho-Training). Aufwendungen in Höhe von 13.068 € basierten auf einem Übertragungsfehler des Steuerberaters und seien zu Unrecht geltend gemacht worden. Mit Änderungsbescheid vom 16.05.2019, der Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde, erkannte der Beklagte weitere Aufwendungen in Höhe von 2.446,00 € (Erhöhung der außergewöhnlichen Belastungen von 3.072 € auf 5.518 €) für die Klinikaufenthalte in A und B als außergewöhnliche Belastungen an. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens erließ der Beklagte einen weiteren nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Änderungsbescheid vom 17.01.2020, der jedoch keine Änderungen in Bezug auf die außergewöhnlichen Belastungen zum Gegenstand hatte.
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Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung 2018 machten die Kläger neben Reise- und Behandlungskosten für Krankenhausaufenthalte, Reha-Maßnahmen und Fahrtkosten zu Arztterminen in Höhe von insgesamt 7.890 € (1.777,18 € für den Kläger, 6.111,17 € für die Klägerin) als außergewöhnliche Belastungen geltend. Darin enthalten waren u.a. Aufwendungen für Arzneimittel, Kontaktlinsen und Hilfsmittel in Höhe von insgesamt 760,22 € für die Klägerin sowie Aufwendungen für ein Rückenmuskeltraining (Ortho-Training) des Klägers in Höhe von 760,00 € (Beitrag und Fahrtkosten), ferner Rechtsanwaltskosten sowie Kosten für die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises für die Klägerin.
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Der Beklagte erkannte u.a. die Aufwendungen für das Ortho-Training des Klägers (760,00 €), Ausgaben für die Rheuma-Liga (87,00 €) sowie Aufwendungen für Medikamente der Ehefrau (477,22 €) mangels entsprechender ärztlicher Verordnungen im Einkommensteuerbescheid 2018 vom 17.01.2020 nicht als außergewöhnliche Belastungen an. Ferner berücksichtigte der Beklagte Rechtsanwaltskosten in Höhe von 999,30 € und die Aufwendungen (Gebühr in Höhe von 80 € und Passbild in Höhe von 19 €) im Zusammenhang mit der Ausstellung des Schwerbehindertenausweises für die Klägerin nicht. Aufwendungen in Höhe von 5.465 € erkannte der Beklagte als außergewöhnliche Belastungen an, nach Abzug der zumutbaren Eigenbelastung in Höhe von 2.032 € ergab sich ein nach § 33 EStG abziehbarer Betrag in Höhe von 3.433 €.
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Hiergegen legten die Kläger am 18.02.2020 Einspruch. Bei den Kosten für Medikamente handele es sich auch ohne Vorliegen entsprechender ärztlicher Verordnungen um ständig erforderliche Einkäufe, die nicht nur gelegentlich anfielen. Allein diese Tatsache sei Indiz für die Zwangsläufigkeit. Die Aufwendungen für das „Ortho-Training“ seien ebenfalls zwangsläufig, dies ergebe sich aus dem vorgelegten fachärztlichen Gutachten aus dem Jahr 2008 sowie der ebenfalls vorgelegten amtsärztlichen Bescheinigung vom 05.07.2019.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 23.04.2020 änderte der Beklagte die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2017 und 2018 dahingehend ab, dass er die Einkommen-steuer nunmehr wie folgt festsetzte:
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Steuer Jahr HöheEinkommensteuer 2017 5.156,00 €
Ev. Kirchensteuer 2017 464,04 €
Solidaritätszuschlag 2017 284,57 €
Einkommensteuer 2018 2.340,00 €
Ev. Kirchensteuer 2018 210,60 €
Solidaritätszuschlag 2018 79,20 €
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Übernachtungs- und Fahrtkosten für den Aufenthalt in der Uniklinik B seien insoweit als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, als dass diese im Zusammenhang mit dem Klinikaufenthalt stünden (423,60 €). Die Aufwendungen für die Ferienwohnung in Höhe von 610,00 € seien hingegen nicht berücksichtigungsfähig. Der Mitgliedsbeitrag für die Deutsche Rheuma-Liga wurde im Wege des § 10b EStG berücksichtigt. Im Übrigen wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Aufwendungen für den Besuch eines Fitnessstudios zur Durchführung Rückenmuskulatur stärkender Übungen könnten als Hilfsmittel i.S.v. § 64 Abs. 1 Satz 1 EStG zu berücksichtigen sein, wenn dieser Sport gemäß einer genauen Einzelverordnung und unter Aufsicht einer zur Ausübung der Heilkunde zugelassenen Person erfolge. Ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten müsse die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme klar ergeben und es müsse eine ausreichend detaillierte Programmierung des Übungsprogramms durch einen Arzt bzw. eine vergleichbare zur Ausübung der Heilkunde zugelassene Person nachgewiesen werden. Hieran fehle es im Streitfall. Durch die Instruktionen eines Trainers, die zu den üblichen Leistungen eines Sportstudios gehörten, werde diese Programmierung nicht ersetzt. Es liege ferner kein amtsärztliches Gutachten, sondern lediglich eine amtsärztliche Bescheinigung vor, die darüber hinaus auch nicht ‒ wie von der Rechtsprechung gefordert ‒ vor der Behandlung erstellt worden sei. Zudem sei die im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2017 vorgelegte Rechnung ausweislich des handschriftlichen Vermerks am 24.10.2016 bezahlt worden, eine Berücksichtigung der Aufwendungen könne daher mangels Leistung im Streitjahr 2017 nicht erfolgen.
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Eine Berücksichtigung der Arznei-, Heil- und Hilfsmittel komme nicht in Betracht, da sich anhand der geltend gemachten Aufwendungen weder eine Außergewöhnlichkeit noch eine Zwangsläufigkeit der Aufwendungen erkennen lasse. Dies gelte insbesondere für im Drogeriemarkt bezogene Hygieneartikel sowie Kontaktlinsen. Für den Großteil der Apothekenzahlungen lägen darüber hinaus keine ärztlichen Verordnungen vor. Prozesskosten könnten nach § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG ab dem Jahr 2013 nur noch dann als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige ohne diese Aufwendungen „Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren“ und „seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können“. Entscheidend sei insoweit, dass der Rechtsgrund des Prozesses die Existenzgrundlage des Steuerpflichtigen gefährde. Nicht ausreichend sei eine durch die Höhe der Prozesskosten ausgelöste wirtschaftliche Situation, in der der Steuerpflichtige die Aufwendungen für sein Verfahren nicht mehr aus seinem laufenden Einkommen bestreiten könne.
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Mit ihrer am 22.05.2020 beim Finanzgericht eingegangenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren gerichtlich weiter. Sie tragen vor, dass der Kläger mit einem Grad von 60% als schwerbehindert anerkannt worden sei. Sein Schwerbehindertenausweis sei unbefristet gültig, so dass mit einer Besserung der Behinderung nicht zu rechnen sei. Grundlage der Behinderung seien die Diagnosen bzw. Erkrankungen „HWS-Distorsion“, „rechtskonvexe Thorakalskoliose mit Dese“, „rechtskonvexe Thorakalskoliose 34 Grad“, „chronisches HWS-Syndrom mit Reizung der cervikalen Bandstrukturen“, „colitis ulcerosa“, „Fraktur Dornfortsatz HWK6“. Aufgrund der Thorakalskoliose sei die Wirbelsäule des Klägers vor Jahren durch einen sog. Harringtonstab vom 3. Brustwirbel bis zum 1. Lendenwirbel versteift. Aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen führe der Kläger seit Jahren in ärztlich verordneter Weise ein regelmäßiges Kraftwiderstandstraining zur muskulären Stabilisierung seiner Körperrumpfsstruktur sowie auch der von den Beeinträchtigungen betroffenen Gelenke im Ortho-Training in C durch. Das Training sei ärztlich verordnet, die zugehörige ärztliche Verordnung sei vor Jahren erfolgt und müsse nicht laufend wiederholt werden, weil die gesetzliche Krankenkasse die Kostenübernahme abgelehnt habe. Das Muskeltraining sei, wie in den fachärztlichen Bescheinigungen vom 14.10.2008, 23.05.2019 und vom 08.06.2020 bestätigt, orthopädisch indiziert, medizinisch notwendig und zur Stabilisierung der körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers essentiell notwendig. Es sei für den Kläger unumgänglich, eine laufende Muskelstärkung durch ein krankengymnastisches Training, das die Stützfunktion der Rücken- und Körpermuskulatur aufzubauen bzw. zu bewahren helfe, herbeizuführen. Nur durch regelmäßig medizinisch indiziertes und durchgeführtes Krafttraining könne insoweit die Funktionsfähigkeit des beim Kläger schwer beeinträchtigten Wirbelsäulensystems mit dem zugehörigen Training des Muskelkorsetts gewährleistet werden. Dies werde auch durch die amtsärztliche Bescheinigung vom 05.07.2019 bestätigt. Aus den Bescheinigungen sei zu entnehmen, dass die zwangsläufige muskuläre Dysbalance aufgrund der Vorerkrankungen des Klägers nur durch gezieltes und von Fachkräften durchgeführtes Einzeltraining behoben und damit eine halbwegs passable Beweglichkeit gewährleistet werden könne. Beim Ortho-Training handele es sich nicht um ein Fitness- oder Sportstudio. Das Training im Ortho-Training werde nur durch ausgebildete Fachkräfte (Sportlehrer, Physiotherapeuten etc.) durchgeführt. Es handele sich um ärztlich verordnete krankengymnastische Maßnahmen.
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Durch die ärztliche Bescheinigung vom 10.02.2020 sei nachgewiesen, dass es sich bei den Aufwendungen der Klägerin für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel für 2018 um Medikamente handele, auf deren Einnahme die Klägerin laufend angewiesen sei, so dass eine laufende Neuverordnung nicht erforderlich sei.
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Auch die Klägerin leide unter diversen schweren Behinderungen. Mit Bescheid vom 04.11.2014 habe das Amt für soziale Leistungen (Sozialamt) der Stadt C der Klägerin einen Grad der Behinderung von 70% zuerkannt. Die Feststellung weiterer Merkzeichen (G, aG, B, usw.) sei abgelehnt worden. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren habe die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht D erhoben, mit dem Ziel einen Grad der Behinderung von mehr als 70% sowie die Zuerkennung der Merkzeichen B, G und aG zu erreichen. Die Klage sei ‒ mit Ausnahme der Zuerkennung der gesundheitlichen Vor-aussetzungen für die Merkzeichen B und G ‒ abgewiesen worden. Das Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht E sei durch einen gerichtlichen Vergleich dahingehend abgeschlossen worden, dass der Klägerin mit Wirkung ab dem 01.04.2019 ein Grad der Behinderung von 100% sowie das Merkzeichen aG zuerkannt worden sei. In Höhe von 999,30 € seien die Aufwendungen der Klägerin für Anwaltskosten nicht von der Rechtsschutzversicherung getragen worden. Diese Aufwendungen seien als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, da sie dazu gedient hätten, die von der Klägerin zu tragenden Heilbehandlungskosten auf ein notwendiges und angemessenes Maß zu reduzieren. Denn durch den Erfolg im Klageverfahren sei es möglich, andere Kostenträger in einem weitergehenden Umfang zur tatsächlichen Übernahme der anfallenden Heilbehandlungskosten zu zwingen. Auch die Kosten für den Schwerbehindertenausweis stellten aus den gleichen Gründen außergewöhnliche Belastungen dar.
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Die Kläger beantragen,
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den Einkommensteuerbescheid 2017 vom 17.01.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.04.2020 dahingehend zu ändern, dass weitere Aufwendungen in Höhe von 891 € als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden,
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den Einkommensteuerbescheid 2018 vom 17.01.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.04.2020 dahingehend zu ändern, dass weitere Aufwendungen in Höhe von 2.335,52 € als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden;
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hilfsweise für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Bei den von den Klägern vorgelegten Unterlagen zum Ortho-Training handele es sich lediglich um pauschale ärztliche Bescheinigungen, die keine konkreten und individuellen Therapiemaßnahmen mit Festlegung einer konkreten und individuellen Leistung nach Art, Inhalt, Anzahl und Dauer der Handlung enthielten. Diese Unterlagen genügten daher den für Heilmittel geltenden Anforderungen des § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV nicht. Auch hinsichtlich der Aufwendungen der Ehefrau für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel sei nicht der gem. § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV erforderliche Nachweis der Verordnung jedes einzelnen Präparates geführt worden. Die vorgelegten pauschalen Bescheinigungen seien nicht ausreichend. Im Übrigen verweist der Beklagte auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
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Mit Beschluss vom 02.09.2021 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (Bl. 103 der Gerichtsakte).
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Mit Schreiben vom 02.09.2021 (Bl. 118 der Gerichtsakte), zugestellt am 04.09.2021, hat der Einzelrichter die Kläger gem. § 79b Abs. 2 FGO aufgefordert, bis zum 08.10.2021 den Nachweis der Krankheitsaufwendungen der Kläger (Aufwendungen für Fitness-Studio Besuche sowie für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel) gem. § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu erbringen.
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Mit Schreiben vom 05.10.2021, beim Gericht eingegangen am 06.10.2021, haben die Kläger vorgetragen, dass hinsichtlich der Aufwendungen des Klägers für das Ortho-Training keine Einzelverordnungen vorgelegt werden könnten. Sofern dem Gericht die bereits vorgelegten Bescheinigungen nicht ausreichten, so sei Beweis durch Zeugenvernehmung des Arztes F bzw. durch Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens zu erheben. Ein Nachweis der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen der Klägerin für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel der Klägerin im Jahr 2018 ergebe sich aus der fachärztlichen Bescheinigung der Orthopädiepraxis F vom 07.03.2012. Sofern dem Gericht diese Bescheinigung nicht ausreiche, so sei Beweis ebenfalls durch Zeugenvernehmung des Arztes F bzw. durch Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens zu erheben.
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In der Sache hat am 17.01.2022 eine mündliche Verhandlung vor dem Einzelrichter stattgefunden, auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2017 und 2018 vom 17.01.2020, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.04.2020, sind nicht rechtswidrig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
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Der Beklagte hat die im Klageverfahren noch geltend gemachten (weiteren) Aufwendungen in Höhe von 891 € (2017) und 2.335,52 € (2018) zu Recht nicht als außergewöhnliche Belastungen i.S.d. § 33 EStG steuermindernd berücksichtigt.
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1. Im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer ist der Gesamtbetrag der Einkünfte unter anderem um die außergewöhnlichen Belastungen zu vermindern (§ 2 Abs. 4 EStG). Außergewöhnliche Belastungen liegen gem. § 33 Abs. 1 EStG vor, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen. Aufwendungen erwachsen gem. § 33 Abs. 2 S. 1 EStG einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
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Der BFH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zweck der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen. Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf (BFH, Urteil vom 25.04.2017 - VIII R 52/13, BStBl II 2017, 949, Rdn. 52 m.w.N.).
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Jedoch hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall in einer Reihe von Fällen formalisiert nachzuweisen (BFH, Urt. vom 19.11.2015 ‒ VI R 42/14, BFH/NV 2016, 739, Rdn. 34). So hat der Steuerpflichtige gem. § 33 Abs. 4 EStG i.V.m. § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 SGB V) durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu erbringen (BFH, Urt. vom 19.11.2015 ‒ VI R 42/14, BFH/NV 2016, 739, Rdn. 34). Eine Verordnung i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV ist ein formalisierter Nachweis, der für jedes einzelne Arznei-, Heil- oder Hilfsmittel geführt werden muss. Eine ärztliche Bescheinigung, die sich nicht zu konkret bezogenen Präparaten äußert, sondern lediglich bestätigt, dass die erworbenen Präparate generell entweder ärztlich verordnet oder ärztlich empfohlen wurden, fehlt der in § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV verlangte konkrete Bezug zu den im Einzelnen erworbenen Präparaten (BFH, Urteil vom 25.04.2017 - VIII R 52/13, BStBl. II 2017, 949, Rdn. 56).
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Hingegen gehören mit einer Krankheit verbundene Folgekosten ebenso wie die Kosten für vorbeugende oder der Gesundheit ganz allgemein dienende Maßnahmen, die nicht gezielt der Heilung oder Linderung von Krankheiten dienen, nicht zu den Krankheitskosten (BFH, Urt. vom 03.12.1998 ‒ III R 5/98, BStBl. II 1999, 227).
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2. Nach diesen Grundsätzen, denen der Einzelrichter folgt, stellen die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen keine außergewöhnlichen Belastungen dar.
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a) Die Aufwendungen (Mitgliedsbeiträge) für den Besuch des Fitness-Studios „Ortho-Training“ sowie die damit zusammenhängenden Fahrtkosten (2017: 891 €; 2018; 760 €) sind dem Kläger nicht zwangsläufig erwachsen.
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aa) Der Einzelrichter ist bereits der Auffassung, dass es sich bei den Mitgliedsbeiträgen für das Fitnessstudio „Ortho-Training“ sowie die mit den Fitnessstudiobesuchen zusammenhängenden Fahrtkosten nicht um unmittelbare Krankheitskosten, sondern um Kosten für vorbeugende oder allgemein gesundheitsfördernde Maßnahmen handelt, die zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung nach § 12 Nr. 1 EStG gehören.
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Zwar handelt es sich beim dem Studio Ortho-Training nicht um ein klassisches Fitnessstudio, weil dort das Rückentraining im Vordergrund steht. Neben dem (Rücken-)Training an Fitnessgeräten, die auch in „klassischen“ Fitnessstudios zur Verfügung stehen, und den Präventionskursen „Rückentraining“ werden im Studio „Ortho-Training“ jedoch auch weitere Präventionskurse wie „Faszientraining“, „Qigong“ und „Gesund Abnehmen“ angeboten (siehe www…..de unter Präventionskurse). Die vom Studio angebotenen Leistungen gehen damit weit über die Rückentherapie hinaus.
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Zusätzlich zu den genannten Sportkursen ist auch ein eigenständiges Training (Geräte-training) innerhalb der Öffnungszeiten (laut Internetseite derzeit Montag bis Freitag von 07.30 bis 22 Uhr und Samstag und Sonntag von 09.00 Uhr bis 18 Uhr) möglich. Der Kläger konnte das Studio innerhalb der Öffnungszeiten jederzeit und auch ohne vorherige Anmeldung und ohne Terminvereinbarung mit einem Trainer nutzen. Das Konzept des Studios selbst sieht nur vier persönlich betreute Trainingstermine von jeweils 45 Minuten vor, in denen die Geräte/Übungen erklärt werden und ein Trainingsprogramm konzipiert wird. Danach erfolgt ein selbständiges Training, wobei jede 12. Trainingseinheit als Kontrolltermin dient (https://www.....).
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Derartige Leistungen werden ihrer Art nach nicht nur von kranken, sondern auch gesunden Menschen in Anspruch genommen, um die Gesundheit zu erhalten, das Wohlbefinden zu steigern oder die Freizeit sinnvoll zu gestalten und gehören grds. nicht zu den nach § 33 EStG abziehbaren Krankheitskosten, sondern zu den nach § 12 Nr. 1 EStG nicht abziehbaren Lebenshaltungskosten (FG Köln, Urt. vom 30.01.2019 - 7 K 2297/17, EFG 2019, 1451 unter Verweis auf BFH, Urt. vom 15.10.1971 ‒ VI R 80/68, BStBl. II 1972, 14).
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bb) Jedenfalls aber hat der Kläger den Nachweis der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise erbracht.
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Unterstellt man zugunsten des Klägers, dass das durch ausgebildete Fachkräfte angeleitete bzw. begleitete Rückentraining im Fitnessstudio „Ortho-Training“ nicht lediglich eine vorbeugende oder allgemein gesundheitsfördernde Maßnahme darstellt, sondern geht zugunsten des Klägers von Krankheitskosten aus, so kann allenfalls ein Heilmittel im Sinne einer Bewegungstherapie gem. §§ 32 SGB V, 92 SGB V i.V.m. § 19 Heilmittel-Richtlinie vorliegen. Ein Heilmittel ist eine ärztlich verordnete Dienstleistung, die einem Heilzweck dient oder einen Heilerfolg sichern soll und nur von entsprechend ausgebildeten, berufspraktisch erfahrenen Personen erbracht werden darf (BFH-Urteil vom 26.02.2014 ‒ VI R 27/13, BFHE 245, 18, BStBl. II 2014, 824, Rdn. 14).
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Insoweit sind jedoch die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.V.m. § 33 Abs. 4 EStG nicht erfüllt, es fehlt an der erforderlichen konkreten Einzelverordnung. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen vom 14.10.2008 (erneuert am 27.02.2018) und vom 23.05.2019, wonach die Muskeltrainingsform im Ortho-Training C orthopädisch indiziert und zur Stabilisierung der körperlichen Leistungsfähigkeit essentiell notwendig ist, genügen den Anforderungen der BFH-Rechtsprechung nicht. Auch die amtsärztliche Bescheinigung vom 05.07.2019 über die medizinische Notwendigkeit eines angeleiteten Muskeltrainings stellt keine konkrete Einzelverordnung dar.
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Es fehlt insoweit an einer konkreten und individuellen Therapiemaßnahme mit Festlegung einer konkreten und individuellen Leistung etwa nach Art, Inhalt, Anzahl und Dauer der Handlung (FG Köln, Urt. vom 30.01.2019 ‒ 7 K 2297/17, EFG 2019, 1451). Auch tatsächlich konnte der Kläger, wie bereits unter Buchstabe a) dargelegt, das „Ortho-Training“ mit all seinen Angeboten jederzeit auch ohne fachliche Betreuung nutzen, so dass sich das dortige Training deutlich von verordneten physiotherapeutischen Maßnahmen unterscheidet.
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Soweit die Kläger schriftsätzlich der Auffassung sind, dass über die Frage der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen durch andere als die in § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV vorgeschriebenen Beweismittel (insbesondere ein Sachverständigengutachten) Beweis zu erheben sei, so folgt dem der Einzelrichter nicht. § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV regelt abschließend die Nachweiserfordernisse für die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall (FG Köln, Urt. vom 30.01.2019 ‒ 7 K 2297/17, EFG 2019, 1451; FG Köln, Urt. vom 21.03.2018 -3 K 544/17, EFG 2018, 1904; FG Baden-Württemberg, Urt. vom 4.2.2013 ‒ 10 K 542/12, juris), so dass grundsätzlich nur der Urkundsbeweis in Frage kommt. Ferner ist der Nachweis gem. § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStDV durchzuführen (Heger in Brandis/Heuermann, EStG, § 33 Rdn. 161a), so dass der Nachweis in Form der Verordnung vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestellt worden sein muss. Eine nachträgliche Zeugenaussage oder ein nachträglich in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten stellt daher auch aus diesem Grund ein untaugliches Beweismittel dar. Auch die amtsärztliche Bescheinigung sowie die Verordnung über 10x Krankengymnastik-Training am Gerät vom 08.06.2020 (Bl. 41 der Gerichtsakte) sind erst nach Ende des Streitzeitraums erstellt worden.
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Die geltend gemachten Fahrtkosten teilen das Schicksal der Behandlungskosten. Da die Zwangsläufigkeit der unmittelbaren Aufwendungen für den Besuch des Fitnessstudios nicht feststellbar ist, sind auch die damit zusammenhängenden Wegekosten nicht nach § 33 EStG berücksichtigungsfähig. (FG Köln, Urt. vom 30.01.2019 ‒ 7 K 2297/17, EFG 2019, 1451).
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Hinsichtlich der für das Jahr 2017 geltend gemachten Aufwendungen (Mitgliedsbeiträge) für das „Ortho-Training“ fehlt es überdies am erforderlichen Nachweis des Abflusses der Aufwendungen im Streitjahr. Nach der mit der Einkommensteuererklärung 2017 vorgelegten Rechnung R-2016-… über 495 € für den Trainingszeitraum 04.11.2016 bis 03.12.2017 vom 16.09.2016 ist diese bereits am 24.10.2016 überwiesen worden. Hier-auf hatte der Beklagte bereits im Einspruchsverfahren zu Recht hingewiesen.
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b) Auch hinsichtlich der vom Beklagten nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigten Aufwendungen der Klägerin für Arzneimittel, Kontaktlinsen und Hilfsmittel (477,22 € in 2018) fehlt es ebenfalls an der Vorlage von Einzelverordnungen, die die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV erfüllen.
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Die Klägerin hat derartige Einzelverordnungen trotz der gesetzten Ausschlussfrist nicht vorgelegt. Die von der Klägerin vorgelegte pauschale Bescheinigung vom 10.02.2020 (G), wonach die Klägerin seit Jahren chronisch und unheilbar krank (Motoneuronerkrankung) und daher auf die ständige Einnahme von teilweise nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten (u.a. Magnesium-Präparate, Ibuprofen, Aspirin, Vigantoletten), angewiesen sei, genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht. Gleiches gilt für die vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 07.03.2012 (F), wonach der Klägerin für ihre Gelenkerkrankungen Präparate mit Glucosamin und Chondoitinsulfat als Dauermedikation empfohlen werden sowie darüber hinaus Wobenzym P, Vigantoletten 1000, Magnesium und Aspirin mit Coffein.
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Der Einzelrichter weist ferner darauf hin, dass ausweislich der vorgelegten Belege auch Aufwendungen für solche Medikamente als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden, die selbst von den vorgenannten (unzureichenden) pauschalen Bescheinigungen nicht erfasst werden wie z.B. Sinupret (Rechnung der H Apotheke vom 19.11.2018, Gelomyrtol und Nasenspray (Apotheke J vom 20.11.2018 und Augentropen (Apotheke K vom 09.03.1018).
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Soweit die Kläger schriftsätzlich der Auffassung sind, dass über die Frage der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen durch andere als die in § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV vorgeschriebenen Beweismittel Beweis zu erheben ist, so folgt dem der Einzelrichter aus den unter a) bb) genannten Gründen nicht.
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c) Auch die von der Klägerin getragenen Prozesskosten (999,30 € in 2018) stellen keine außergewöhnlichen Belastungen dar.
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Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) sind gem. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG vom Abzug ausgeschlossen, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen, ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können.
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Die Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, besteht, wenn der Steuerpflichtige infolge einer unerlaubten Handlung oder einer Vertragsverletzung in seiner Erwerbsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist und er daher eine Erwerbsunfähigkeitsrente einklagt oder er so schwere gesundheitliche Schäden davongetragen hat, dass er ohne den Rechtsstreit Gefahr liefe, künftig seine (erhöhten) lebensnotwendigen Bedürfnisse (§ 843 Abs. 1 BGB) in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können (Heger in Brandis/Heuermann, EStG, § 33 Rdn. 221 m.w.N.). Auch für Kosten eines verwaltungsgerichtlichen Prozesses, zu denen auch das Verfahren vor den Sozialgerichten als besonderen Verwaltungsgerichten gehört, gelten die gleichen Grundsätze wie für Zivilprozesse (Heger in Brandis/Heuermann, EStG, § 33 Rdn. 248).
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Die Voraussetzungen der gesetzlichen Ausnahme liegen im Streitfall nicht vor. Die Klägerin hat lediglich abstrakt dargelegt, dass durch die Anerkennung eines höheren Grades der Behinderung sowie der weiteren Merkmale andere Kostenträger in einem weitergehenden Umfang zur tatsächlichen Übernahme ihrer anfallenden Heilbehandlungskosten verpflichtet seien. Sie hat weder dargelegt, wie hoch diese finanzielle Entlastung ist noch hat sie dargetan, dass sie ohne die im Klagewege angestrebte Entlastung ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr in dem üblichen Rahmen hätte befriedigen können. Auch nach Aktenlage ergeben sich hierfür keine Anhaltspunkte.
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d) Die Kosten für die Ausstellung des Schwerbehindertenausweises (Gebühr und Foto, insgesamt 99 € in 2018) sind nach Auffassung des Einzelrichters als typische Mehraufwendungen eines Schwerbehinderten (jeder Schwerbehinderte benötigt zum Nachweis einen Schwerbehindertenausweis) vom Schwerbehindertenpauschbetrag gem. § 33b Abs. 3 EStG umfasst und deshalb nicht zusätzlich als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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4. Die Revision war nicht gem. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen. Die Entscheidung folgt den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung und beruht im Übrigen auf den tatsächlichen Feststellungen des Einzelfalles.