· Fachbeitrag · Sozialrecht
Wie müssen Praxisräume gestaltet und eingerichtet sein?
von Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Ernst Boxberg, München
| Es dürfte hinreichend bekannt sein, dass es für therapeutische Praxen, in denen Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen behandelt werden, genau festgelegte, aber auch unterschiedliche Einrichtungs- und Ausstattungspflichten gibt. Die Annahme, dass Behandlungen von privatversicherten Personen oder Selbstzahlern im Gegensatz dazu quasi im Wohnzimmer erbracht werden können, ist dennoch unzutreffend. |
Anforderungen bei privat Versicherten
Gesetzliche Vorschriften, die die Anforderungen an Praxen von Physiotherapeuten, Masseuren und med. Bademeistern, Ergotherapeuten etc. regeln, gibt es in Bezug auf privat Versicherte nicht. Auskunft über die Erstattungsfähigkeit therapeutischer Leistungen gibt hier nur der Vertrag zwischen dem Patienten und seiner Krankenversicherungsgesellschaft. In vielen Fällen bestimmen diese Versicherungsverträge, dass solche Leistungen vergütet werden, die vom Therapeuten in eigener Praxis erbracht wurden. Wie diese Praxis beschaffen sein muss, ist nicht geregelt. Es sind auch nur wenige gerichtliche Entscheidungen hierzu gefällt worden. Beispielhaft sei das Amtsgericht Regensburg genannt, das in seiner Entscheidung vom 21. März 2012 gefordert hat, dass eine vom Wohnraum unterscheidbare Praxis gegeben sein muss (Az. 8 C 3048/11). Danach galt die Behandlung im Wohnzimmer des Therapeuten als nicht in einer Praxis ausgeführt. Ein eingerichteter Praxisraum musste für die Vergütung durch die private Krankenversicherungsgesellschaft aber gegeben sein. Von der Versicherung wurden jedoch keine näheren Angaben über die Einrichtung gemacht. Größe, lichte Raumhöhe, Belichtung und Belüftung, die Ausstattung mit Geräten - nichts ist beschrieben bzw. wurde gefordert; auch kein zweiter Eingang, keine Patiententoiletten und keine Parkplätze vor dem Haus. Das Hinweisschild auf eine Praxis in der Nähe des Eingangs ohne nachweisbaren Praxisraum hat im untersuchten Fall nicht den Anforderungen entsprochen.
Anforderungen bei gesetzlich Versicherten
Ganz anders sieht es bei von Krankenkassen zugelassenen Praxisräumen aus. Hier existiert eine gesetzliche Vorgabe in § 124 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V:
„Zuzulassen ist, wer über eine Praxisausstattung verfügt, die eine zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung gewährleistet“. Allerdings sind „zweckmäßig“ und „wirtschaftlich“ unbestimmte Rechtsbegriffe. Ob diese geforderten Voraussetzungen vorliegen oder nicht, kann folglich nicht für alle denkbaren Fälle und Verhältnisse einheitlich verbindlich festgelegt werden. Nur eine am Einzelfall orientierte Feststellung der jeweiligen Voraussetzungen in Praxisräumen kann über die Möglichkeit einer zweckmäßigen und wirtschaftlichen Leistungserbringung Auskunft geben.
Der Gesetzgeber ist daher in § 124 Abs. 4 SGB V noch einen Schritt weiter gegangen. Er beauftragte die gesetzlichen Krankenkassen, „Empfehlungen für die einheitliche Anwendung der Zulassungsbedingungen“ auszugeben. Dieser Aufforderung sind die Krankenkassen auch nachgekommen: Die Einrichtungsrichtlinien sind Anhang der Versorgungsverträge (Rahmenverträge) nach § 125 Abs. 2 SGB V, zu deren Beachtung sich ein jeder Leistungserbringer „durch Anerkennung der Verträge“ (§ 124 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB V)verpflichtet hat. Zum besseren Verständnis hier Auszüge aus den Einrichtungsrichtlinien:
- Die Praxis muss eine lichte Höhe von 2,50 m haben und auf einer Grundfläche von mindestens 50 m² errichtet sein.
- Sie darf nicht für andere gewerbliche oder private Zwecke genutzt werden.
- Sie muss einen eigenen selbstständigen Eingang haben.
Wenn eine Praxis die hier beispielhaft genannten Voraussetzungen nicht erfüllt und beispielsweise nur eine lichte Höhe von 2,48 m hat oder einen gemeinsamen Eingang mit einer Arztpraxis, darf dem antragstellenden Inhaber sodann die Zulassung zur Abgabe von Leistungen an gesetzlich versicherte Personen verweigert werden.
Sind die Einrichtungsrichtlinien verbindlich?
Sind diese Einrichtungsrichtlinien für alle Beteiligten - also Krankenkassen, Leistungsanbieter, andere Behörden und Gerichte - aber überhaupt verbindlich und müssen sie von jedem, der etwas über die Zulassung und die Voraussetzungen hierfür zu sagen hat, beachtet werden? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Es sind hierbei verschiedene Gesichtspunkte zu beachten:
- Wir haben gesehen, dass die Einrichtungsrichtlinien Anhang der Versorgungsverträge (Rahmenverträge) nach § 125 Abs. 2 SGB V sind. Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat jedoch festgestellt, dass die Zulassungsvoraussetzungen in diesem Paragrafen gar nicht erwähnt werden, Vereinbarungen darüber also unwirksam sind. Eine Konkretisierung der gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen könne nur im Wege der in § 124 Abs. 4 Satz 1 SGB V genannten Empfehlungen erfolgen (Beschluss vom 9.8.1996, Az. S 10 KR 3288/96 eA).
- Es wäre weiter zu untersuchen, ob die im gesetzgeberischen Auftrag von den Krankenkassen ausgearbeiteten und von den Verbänden der Leistungserbringer als Vertragsanhang anerkannten Einrichtungsrichtlinien überhaupt verbindliches Recht darstellen. Es wäre denkbar, dass diese Richtlinien, ebenso wie die Bestimmungen des gemeinsamen Bundesausschusses, die sogenannten Heilmittelrichtlinien, in unmittelbare Verbindlichkeit für alle beteiligten Personen, wie Patienten, Leistungserbringer, Krankenkassen, etc. erwachsen. Auch die Heilmittelrichtlinien stammen von einer Behörde und nicht vom Gesetzgeber. Einer solchen Vermutung wurde jedoch durch das Bundessozialgericht (BSG) eine endgültige Absage erteilt. Der dritte Senat hat es als naheliegend angesehen, dass es sich bei diesen Regelungen um „Verwaltungsbinnenrecht“ handelt, das die Behörden anderer Träger - hier die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen -, nicht aber die Leistungserbringer und die Gerichte bindet (Urteil vom 27.3.1996, Az. 3 RK 25/95). Und das SG Itzehoe entschied, dass den Empfehlungen eine Ermächtigung zur Normsetzung fehlt - dies insbesondere vor dem Hintergrund des einschlägigen Schutzbereichs des Artikels 12 Grundgesetz (Schutz der Berufswahl und der Berufsausübung) (Urteil vom 14.12.2005, Az. S 1 KR 219/03). Beide Gerichte sehen also keine verbindliche Anerkennungspflicht der Einrichtungsrichtlinien.
Die Einrichtungsrichtlinien: ein Papiertiger ohne Bedeutung?
Sind die Einrichtungsrichtlinien also bloß ein Papiertiger ohne Bedeutung? Das ist nicht der Fall. Soweit sie nicht über die vom Gesetzgeber festgestellten Zulassungsvoraussetzungen hinausgehen, das Zulassungsgeschehen also nicht durch weitere geforderte Voraussetzungen verengen und sich ausschließlich auf die Praxisausstattung im Interesse der Wirtschaftlichkeit beschränken, werden diese Regeln auch eine gerichtliche Akzeptanz finden. Wenn sie hingegen verallgemeinernde, aber konkrete Regelungsinhalte aussprechen, wird aufgrund der Verschiedenheit der sachlichen Voraussetzungen bei unterschiedlichen Praxen eine solche Regelung nicht die Billigung der zuständigen Gerichte finden.
So haben sowohl das SG Itzehoe in oben genanntem Urteil als auch das SG Stuttgart (Beschluss vom 9.8.1996, Az. S 10 K3288/96 eA) bekräftigt, dass die fehlende Abgeschlossenheit der Praxis sowie die fehlende räumliche Trennung von anderen Praxen/gewerblichen Bereichen den Anspruch auf Zulassung nicht vernichten kann, wenn eine zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung gewährleistet ist.
Merke | Diese Entscheidungen eröffnen keinen ungehinderten Zulassungsanspruch für alle Räume, zeigen aber, dass es keiner starren Regeln, sondern individueller Einschätzung und Bewertung bedarf.
FAZIT | Hier und dort hört man von unverständlichen Zulassungsverweigerungen, welche ausgesprochen werden, weil die hier genannten rechtlichen Voraussetzungen nicht beachtet oder anders ausgelegt werden. Fühlt sich hierdurch ein Leistungserbringer nachteilig betroffen, so kann er das für ihn zuständige Sozialgericht anrufen.
Er kann sogar zur Verfahrensbeschleunigung einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen, wenn die fehlende Zulassung zu einer erheblichen Ertragsminderung führt. Hierbei sind die erzielbaren Erträge aus Behandlungen von Privatpatienten und Selbstzahlern den korrekt geschätzten Einnahmen aus der Behandlung von gesetzlich versicherten Patienten gegenüberzustellen. Es muss sich im Ergebnis ein gewichtiger möglicher Ertragsvorteil aus der Behandlung von gesetzlich versicherten Patienten ergeben.
Die Erfolgsaussichten eines Gerichtsverfahrens lassen sich nicht abschätzen, weil niemand voraussehen kann, ob der Richter am Sozialgericht die zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung noch als gegeben ansieht, wenn beispielsweise die Praxis statt der geforderten 50 m² nur 49,48 m² oder 49,47 m² aufweist. |