· Fachbeitrag · Prophylaxe-Betreuung
Vorbehalte erschweren die Prophylaxe-Betreuung:So räumen Sie häufige Patientenirrtümer aus
von Beate Schulz-Brewing, Zahnmedizinische Fachassistentin, Kiel
| Es ist allgemein bekannt, dass regelmäßige zahnärztliche Untersuchungen und Kontrollen sowie eine sorgfältige Mundhygiene in Kombination mit Professionellen Zahnreinigungen Zahn- und Zahnbetterkrankungen und somit Zahnschmerzen vorbeugen. Leider ist dieses Wissen noch längst nicht bei allen Patienten angekommen. Einige Irrtümer und Vorbehalte halten sich hartnäckig ‒ und Teammitglieder müssen sich regelmäßig damit auseinandersetzen. Lesen Sie, welche Irrtümer das sind, wo mögliche Ursachen liegen, und wie Sie beraten können, um die Vorbehalte auszuräumen. |
„Vererbte“ Zahnarztangst
Immer wieder geschieht es, dass Patienten mit akuten Schmerzen kommen, die sonst nie zum Zahnarzt gehen. Das zahnärztliche Team muss dann aufwendige ‒ oft unangenehme ‒ Notfallversorgungen vornehmen, die die Angst des Patienten noch bestätigen. Was sind die Gründe für dieses Verhalten?
Stress und Zeitmangel können wichtige Ursachen sein. Auch können „Horrorgeschichten“ aus dem Familien- und Bekanntenkreis nicht glücklich verlaufenen Zahn-Behandlungen ängstigen, die gern übertrieben und ausgeschmückt erzählt werden. Dies geschieht oft auch in Anwesenheit von Kindern, die dann wiederum Ängste entwickeln. In manchen Familien wird die Angst vor dem Zahnarzt von einer Generation auf die nächste regelrecht „vererbt“.
Einige klassische Vorurteile
In unserem Beruf sollte man niemals müde werden, Irrtümer richtigzustellen und im Sinne der Zahngesundheit sachlich aufzuklären, auch wenn dies Geduld und Zeit erfordert. Wir kennen die klassischen Vorurteile, die offensichtlich schwer auszumerzen sind. Hier nur einige davon:
- Zahnarztbesuche sind immer schmerzhaft.
- Mundgeruch kommt aus dem Magen.
- Jedes Kind kostet die Mutter einen Zahn.
- Milchzähne haben keine Wurzeln.
- Zahnstein stützt die Zähne.
- Professionelle Zahnreinigungen sind überflüssig und nur Geldschneiderei.
Die 8 häufigsten Irrtümer unserer Prophylaxe-Patienten
Gerade auch in der Prophylaxe-Sprechstunde werden wir immer wieder mit Unwissen und Vorbehalten konfrontiert, die die Arbeit erschweren oder manchmal auch ganz verhindern. Folgende acht Vorurteile bekommt man regelmäßig zu hören:
Irrtum 1: „Prophylaxe-Behandlungen sind schmerzhaft“
Es gibt Patienten, die irgendwann einmal eine Zahnreinigung als sehr schmerzhaft empfunden haben. Diese Patienten sollten nun so vorsichtig und schonend wie nur möglich behandelt werden. Mit den neuen modernen Geräten und Instrumenten sowie einer gut ausgebildeten Fachkraft sollte diese Behandlung eigentlich kein Problem mehr darstellen.
Waren die Zähne schon vor der Behandlung stark schmerz- und kälteempfindlich, empfiehlt es sich, mit speziellen schmerzstillenden Pasten erst einmal vorzupolieren (z. B. Elmex professionell) und zunächst nur vorsichtig mit Handinstrumenten zu arbeiten. Lässt die Empfindlichkeit nach, kann dann später auch mit einem modernen vorgewärmten Pulver-Wasserstrahlgerät und den dafür gedachten schonenden feinen Pulvern (Perio plus) gearbeitet werden. Im Anschluss empfiehlt sich das Auftragen schmerzstillender Lacke, Gele und Pasten (Cervitec Fluor Protector, Tooth mousse). Man sollte in kleinen Schritten Sextant für Sextant beginnen.
PRAXISTIPP | Bei besonders empfindlichen Patienten kann es auch sinnvoll sein, einmal eine Behandlung in zwei oder mehr Sitzungen durchzuführen. Ein solcher Vorschlag stößt durchaus auf offene Ohren. |
Irrtum 2: „Instrumente zerkratzen den Zahnschmelz“
Auf Fotos von rasterelektronischen Untersuchungen der Zahnoberflächen sind durchaus Spuren von Instrumentierungen und Polituren zu sehen. Auch kennt jede Prophylaxeassistentin aus ihrer Ausbildung die Fotos von schmal abgetragenen Wurzelbereichen nach zahlreichen Scaling-Behandlungen.
In der Regel jedoch sind heutige Zahnreinigungen durch die ständige Weiterentwicklung der Instrumente, Geräte und Poliermittel sehr schonend. Weiche und harte Zahnbeläge sowie Konkremente schädigen die Zähne und den Zahnhalteapparat weit mehr, sodass der Nutzen der Zahnreinigungen eindeutig überwiegt.
Irrtum 3: „Karies ist normal, jeder bekommt doch einmal eine Prothese“
Früher war dies sicherlich einmal so. Einige Patienten vertreten allerdings heute immer noch die Meinung, Karies sei schicksalhaft vorbestimmt und man könne sowieso nichts dagegen tun. Diese Feststellung ist schon lange widerlegt. Zwar können Kariesbakterien von einem auf den anderen übertragen werden. Jedoch gibt es zuverlässige Methoden, Kariesbakterien in Schach zu halten ‒ und zwar vor allem durch eine gute Mundhygiene, gesunde Ernährung und Vorsorge. Die moderne Zahnmedizin ‒ gepaart mit einer geschulten systematischen Zahnputztechnik und einer sorgfältigen Reinigung der Zahnzwischenräume ‒ können ein Gebiss lange gesund erhalten und vor Karies bewahren.
Irrtum 4: „Zähneputzen ist einfach“
Dies ist ein ganz großer Irrtum. Der Aufwand für eine Zahnreinigung wird von Groß und Klein unterschätzt. Tatsächlich erfordert die Zahnreinigung einige Konzentration und Zeit.
Das Zähnebürsten sollte immer mit Blick in einen Spiegel erfolgen und nicht blind über dem Waschbecken! Unkoordiniertes Durchschrubben der Kauflächen oder das Ziehen einer elektrischen Bürste nur über die Kauflächen beseitigen keine Plaque, schon gar nicht aus den Prädilektionsstellen. Eine effektive Mundhygiene kann zwar nicht immer jeden Zahn vor Krankheit bewahren, jedoch hält sie den Großteil des Gebisses gesund und wendet Schäden ab. Die individuelle Mundhygiene sollte immer wieder verbessert und geschult werden.
PRAXISTIPP | Die Zahncreme spielt eine untergeordnete Rolle und ist lediglich ein Hilfsmittel zur Zahnreinigung. Sie schäumt, erfrischt, glättet und fluoridiert. Auch wenn die Werbung das Gegenteil behauptet, ein Wundermittel ist sie nicht und wirkt nur im Zusammenspiel mit einer ausgefeilten umfassenden Zahnputztechnik und der richtigen Bürste. |
Irrtum 5: „Milchzähne muss man nicht putzen, sie fallen aus“
Die immer noch kursierende Fehlinformation, Milchzähne müsse man nicht putzen, hat Kindern schon viel Kummer und Schmerzen bereitet. Gerade das Milchgebiss kann durch seine spezielle Anatomie bei mangelnder Pflege und zuckerhaltiger Ernährung (Eistees, Säfte) sehr schnell kariös werden. Das hat gravierende Folgen im Milchgebiss (Entzündungen, Pulpitis, Fisteln, Abszesse) und auch für das bleibende Gebiss. Bitte klären Sie die Eltern darüber auf. Bis alle Milchzähne ausgefallen sind, ist ein Kind etwa zwölf Jahre alt ist.
Irrtum 6: „Zahnseide ist überflüssig“
Das tägliche sorgfältige Reinigen der Zahnzwischenräume ist für die Erhaltung der Zahngesundheit unerlässlich. Auch die beste Zahnbürste kann keine Bakterien zwischen den Zähnen erreichen. Dies gilt auch und gerade für die Milchzähne und für die Parodontal-Prophylaxe. Hier sind Zahnzwischenraumbürsten oder die neuen Soft Pics oft effektiver.
PRAXISTIPP | Bei Kindern wird das Reinigen der Interdentalräume von den Eltern durchgeführt. Nach den neuesten Untersuchungen soll die Reinigung der Zwischenräume immer vor dem Zähneputzen stattfinden, damit die Zahncreme anschließend beim Zähneputzen die gereinigten Zwischenräume fluoridieren kann. |
Irrtum 7: „Fluorid ist giftig“
Immer wieder steht das Fluorid in dem Ruf, giftig zu sein, und besorgte Patienten fragen nach. Aus zahnmedizinischer Sicht schützt Fluorid in Zahnpasten vor Karies. Dies wurde wiederholt und aktuell untersucht und in Studien bewiesen. Häufig wird das hochgiftige Element „Fluor“ mit dem Mineralsalz „Fluorid“ verwechselt.
Neu sind Zahncremes ohne Fluorid, jedoch mit einem hohen Anteil von Hydroxylapatit ‒ einem schmelzähnlichen Bestandteil, der aufgebürstet werden soll. Ob diese Technik zuverlässig wirkt, ist noch nicht abschließend nachgewiesen. Es besteht zusätzlich die Sorge, dass das Weglassen des bewährten Fluorids bei der Benutzung dieser Zahnpasten die dmft/DMFT-Werte wieder hochschnellen lässt. Zahncremes mit Fluorid sind ein nach wie vor empfehlenswerter Kariesschutz.
Irrtum 8: „Zahnfleischbluten ist harmlos“
Unter Zahnfleischbluten leiden viele Menschen. Dies ist nicht normal und ein Hinweis auf einen Entzündungsvorgang der Gingiva durch eine unzureichende Mundhygiene, die den Zahnfleischsaum auslässt. Bleibt der gefährliche Biofilm am Zahnfleischsaum liegen, reizt dies die körpereigene Abwehr und es kommt zu vermehrtem Bluten, der Bildung von Zahnfleischtaschen und einem Knochenabbau. Weiche Zahnbeläge können verhärten und in den Zahnfleischsaum eindringen, was zu einer Parodontitis führen kann ‒ mit möglichem Zahnverlust als Folge.
Die richtige Zahnputztechnik schafft es, den marginalen Saum (Sulcus) mit zu reinigen. Eine erhöhte Frequenz der professionellen Zahnreinigungen unterstützt die Vorbeugung vor Entzündungen.
PRAXISTIPP | Das zahnärztliche Team kann mithilfe von geeigneten Indices und Medien (z. B. intraorale Kamera) die Erfolge der Bemühungen anschaulich machen und dokumentieren (Paro-Pass). |
Vorbehalte richtigstellen und Vorteile anschaulich machen
Erkundigen Sie sich vor der Behandlung danach, mit welchen Sorgen und Vorbehalten der Patient in die Prophylaxe-Sitzung kommt. Nur so kann man sich richtig auf den Patienten einstellen, Vertrauen schaffen und Missverständnisse ausräumen.
Neben einem fundierten Fachwissen benötigt man zum Veranschaulichen Bilder, Tafeln, Zeichnungen und Informationsblätter. Und ganz wichtig: Ruhe und genügend Zeit. Vielleicht wurde in der Vergangenheit einfach nur versäumt, sachlich aufzuklären? Wissen schafft Sicherheit. Machen Sie Ihrem unsicheren Patienten klar, wie wichtig regelmäßige Professionelle Zahnreinigungen und ein intensives individuelles Mundhygiene-Training sind. Die Wertschätzung, die Patienten dem Gut Gesundheit allgemein entgegenbringen, sollte man nutzen. Merzen Sie Irrtümer aus!
FAZIT | Sind Ängste und Vorbehalte ausgeräumt, gewinnen wir wertvolle Stammpatienten. Das Richtigstellen von Vorurteilen und Irrtümern unterstützt alle unsere Patienten. Eine gute Gesundheitsaufklärung, gepaart mit Prophylaxe-Maßnahmen, schützt nicht nur das Gebiss, sondern auch den gesamten Organismus, denn Zahn- und Zahnbetterkrankungen sind nachweislich mitverantwortlich für schwerwiegende Gesundheitsrisiken des ganzen Körpers wie chronischen Entzündungen, Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall, Rheuma oder auch Fehlgeburten. Die Mühe, Vorbehalte und Ängste auszuräumen, lohnt sich, denn 70 bis 80 Prozent der Zahnerkrankungen können durch regelmäßig geplante Zahnarztbesuche und Prophylaxe vermieden werden. |