· Fachbeitrag · Spezielle Patientengruppen
Patienten mit Demenzerkrankung: So wird die Behandlung für alle leichter
von Dr. Doortje Cramer-Scharnagl, Edewecht
| Senioren sind heute eine wichtige Patientengruppe in Zahnarztpraxen - Tendenz steigend. Leider entspricht das Bild der agilen Rentner, das die Werbung zeichnet, nicht immer der Wirklichkeit. Eine der gefürchtetsten Alterserkrankungen ist die Demenz. Schon heute sind in Deutschland 1,4 Mio. Menschen betroffen, für das Jahr 2050 rechnet man mit 3 Mio. Damit bilden Demenzkranke eine Patientengruppe, mit der Sie sich beschäftigen sollten. |
Demenz - was ist das eigentlich?
Demenz ist der Sammelbegriff für unheilbare Erkrankungen des Gehirns, durch die es seine Aufgaben immer schlechter erfüllen kann. Die Krankheit beginnt häufig mit leichten Symptomen und wird zunächst oft nicht richtig bemerkt - im Endstadium führt sie zu schwerster Pflegebedürftigkeit. Von der Krankheit betroffen sind nicht nur Gedächtnis, Urteilsvermögen, Sprache und Bewegungsabläufe, sondern auch Gefühlsleben und Persönlichkeit.
Frühstadium
Im Frühstadium sind Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und der Wortfindung typisch. Menschen mit beginnender Demenz können durchaus noch allein in die Praxis kommen, doch werden vereinbarte Termine leicht vergessen und Fragen häufiger wiederholt. Es wird Betroffenen bereits jetzt schwerfallen, eine umfangreichere Behandlung zu verstehen.
Mittleres Stadium
Im mittleren Stadium werden auch einfache Alltagsaufgaben immer schwieriger. Die Orientierung fällt schwerer und Personen werden manchmal nicht mehr erkannt. Die sprachlichen Möglichkeiten sind deutlich eingeschränkt. Oft nehmen die Erkrankten ihre Krankheit nicht mehr so deutlich wahr wie zu Beginn. Menschen in diesem Stadium werden vor allem in Begleitung in die Praxis kommen. Sie werden Ihren Erläuterungen und Aufforderungen nur noch unter Schwierigkeiten nachkommen können. Auch wenn Sie ihnen den Behandlungsraum vom Wartezimmer aus zeigen, finden sie eventuell nicht allein dorthin.
Spätstadium
Patienten im Spätstadium werden oft Hausbesuche in Anspruch nehmen müssen, weil ihnen der Weg in die Praxis auch in Begleitung nicht mehr möglich ist.
MERKE | Demenzkranke Patienten haben ein Anrecht auf die bestmögliche Versorgung und Beratung. Hausbesuche sind im fortgeschrittenen Stadium unabdingbar - auch wenn die Patienten noch „laufen können“. Die Behandlung selbst muss zusammen mit den Angehörigen sorgfältig abgewogen werden und kann durchaus auch ein unkonventionelles Vorgehen erfordern. Unterstützen Sie die Patienten und deren Pflegepersonen mit Tipps und Hilfe bei der Mundhygiene, die in den meisten Fällen krankheitsbedingt sehr erschwert ist. |
Ihr Auftrag: Sicherheit geben
Demenzkranke sind nicht „verrückt“ oder „aggressiv“, sondern in ihren mentalen Funktionen gehandicapt. Beim Zahnarzt reden in ihrer Wahrnehmung fremde Leute auf sie ein und sagen Dinge, die sie tun müssen, von denen sie aber nicht wissen, was gemeint ist. Zudem verstehen sie Aktionen ihrer Umwelt oft falsch als Angriff. Für diese Patienten ist es eine ernste Aggressionshandlung, wenn Sie sich zum Beispiel mit dem Sauger ihrem Mund nähern. Dann „retten“ sie sich, indem sie vielleicht den Kopf wegdrehen oder die Zähne zusammenbeißen. Dieses Problem nimmt im Verlauf der Demenz zu.
PRAXISHINWEIS | Spezifische Veränderungen im Gehirn bewirken, dass Menschen mit fortgeschrittener Demenz ernste bis negative Gesichtsausdrücke (zum Beispiel neutral, traurig, ärgerlich, überrascht) nicht mehr unterscheiden können. Sie interpretieren sie alle als negativ und bedrohlich. Nur noch lächelnde Gesichter werden klar positiv besetzt. Daraus folgt die wichtigste und einfachste Verhaltensregel gegenüber Demenzkranken: Lächeln Sie häufig und herzlich! |
Die Behandlung erleichtern
Viele Demenzkranke scheuen vor Menschengruppen zurück. Der spontanen Flucht aus der Praxis können Sie vorbeugen, indem Sie einen Termin vergeben, an dem nicht so viel los ist, oder Sie bitten Ihren Patienten zum Warten in einen ruhigeren Nebenraum. Ideal ist es, für möglichst kurze Wartezeiten zu sorgen. Die meisten Mitpatienten haben viel Verständnis, wenn man ihnen die Umstände kurz erläutert. Der Behandlungsraum sollte ruhig sein. Bildschirme und Töne, die sonst der Ablenkung der Patienten dienen, bleiben ausgeschaltet. Vermeiden Sie häufiges Betreten oder Verlassen des Raums durch Personen. Etwas Vertrautes oder ein Handschmeichler bieten Entspannung. Auch Düfte können gute Stimmung verbreiten.
Das überraschende Auftauchen einer neuen Person löst bei Demenzkranken Stress aus. Schlecht wäre es daher zum Beispiel, sich dem Patienten von hinten zu nähern und „plötzlich“ von der Seite die Serviette umzulegen. Gehen Sie innerhalb seines Blickfeldes auf Ihren Patienten zu. Handschuhe und Mundschutz schon bei der Begrüßung zu tragen, wirkt beängstigend. Soweit es vertretbar ist, sollten Sie auch bei der Behandlung auf den Mundschutz verzichten. Eine weitere Bedrohungssituation ist das Eindringen in das engste persönliche Umfeld, wie bei der Untersuchung der Mundhöhle. Hier sind einleitend leichte Berührungen an der Hand sinnvoll, um eine Annäherung zu vermitteln.
Während der Behandlung setzen Sie eindeutige und eher langsame Impulse. Lassen Sie keinen Zeitdruck aufkommen und planen Sie Pausen ein. Verwenden Sie schnell abbindende Abformmaterialien. Mit individuellen Mundspreizern können sich Patienten während der Behandlung ein wenig „ausruhen“.
PRAXISHINWEIS | Beziehen Sie die Angehörigen mit ein - sie geben Ihnen aus ihrer reichlichen Erfahrung mit dem Patienten gerne Tipps zu Vorlieben, besonderen Ängsten oder anderen Dingen, die beachtet werden sollten. |
Do’s and Don’ts in der Kommunikation
- Loben und ermutigen Sie. Stellen Sie eine Beziehung her, zum Beispiel indem Sie die Kleidung bewundern. Zuwendung ist immens wichtig.
- Geben Sie einfache, höfliche Anweisungen. Erläutern Sie Ihr Vorgehen Schritt für Schritt vor. Gesten wirken unterstützend.
- Wiederholen Sie das Gesagte gegebenenfalls mehrmals und lassen Sie sich von den nötigen Wiederholungen nicht nerven. Ihr Patient kann Dinge tatsächlich „von jetzt auf gleich“ komplett vergessen.
- Übergehen Sie eventuelle Missgeschicke und Fehlleistungen. Ermöglichen Sie es Ihrem Patienten stets, seine Würde zu bewahren.
- Nehmen Sie Befürchtungen ernst und reagieren Sie entsprechend, auch wenn Ihnen deren Gründe nicht ganz klar sind.
- Halten Sie Zusatzerinnerungen bereit. Geben Sie Informationsmaterial in größerer Schrift mit, das gut verständlich formuliert ist. Rufen Sie Termine noch einmal extra ins Gedächtnis.
- Achten Sie auf eine respektvolle und freundliche Ansprache, die Erwachsenen angemessen ist. Verniedlichungen, „Omi“-Anreden, Satzfragmente etc. lösen nicht nur bei Demenzkranken Aggressionen und Abwehr aus.
- Kritik, Schimpfen, Vorhaltungen etc. sind strikt verboten.
- Stellen Sie nicht immer weiter Fragen, wenn Sie merken, dass Ihr Patient damit überfordert ist. Sie können in diesem Fall die Angehörigen oder den Betreuer fragen. Beziehen Sie den Patienten aber durch Blickkontakt unbedingt weiter mit in das Gespräch ein.
Was tun bei „Verweigerung“?
Wenn sich Ihr Patient trotz allem gegen Ihre Bemühungen sperrt oder Angst zeigt, erzwingen Sie nichts. Halten Sie ihn auf gar keinen Fall fest, engen ihn ein oder versuchen gar, den Mund mit sanfter Gewalt zu öffnen. Bitten Sie eine Kollegin, sich weiter um ihn zu kümmern. Sie können sich von Ihrer Kollegin sogar regelrecht „aus dem Zimmer schicken lassen“. Damit ist ein klarer Schlussstrich hinter die als negativ empfundene Situation gesetzt - und die neue Kollegin hat beim Patienten gleich einen guten Start.
MERKE | Bedenken Sie im Umgang mit „schwierigen“ Demenzkranken grundsätzlich: Der oder die Erkrankte kann nichts dafür und ist den Veränderungen durch die Krankheit selbst weitgehend hilflos ausgeliefert. Daher lauten die drei Zauberworte im Umgang mit Demenzkranken: Lächeln, Gelassenheit und Geduld. |
Weiterführende Hinweise
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Gesellschaft und Demenz: www.wegweiser-demenz.de/gesellschaft-und-demenz.html
- Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. (2012) Leben mit Demenzkranken. Hilfen für schwierige Verhaltensweisen und Situationen im Alltag. Praxisreihe Bd. 5, 6. Aufl. Dt. Alzheimer Gesellschaft e.V., Berlin
- Sellmann H (2011) Die Senioren-Praxis. Die Zahnmedizinische Fachangestellte 10: 8-17