· Krisenmanagement
Meine Exit-Strategie aus dem Coronastillstand
von Sebastian Knop, Zahnarzt mit Hypnosezertifikat (DGH), Dortmund
| Das öffentliche Leben startet langsam wieder: Schule und Friseure stehen in den Startlöchern, kleinere Geschäfte haben wieder geöffnet. Und was ist mit den Zahnarztpraxen? Die Empfehlung der Zahnärztekammern, planbare Behandlungen auf später zu verschieben, ist noch nicht aufgehoben worden, aber was heißt „später“? Da die zahnärztliche Tätigkeit nie verboten wurde, gibt es hier keine gesetzlichen Vorgaben. Mit dem Wiederbeginn des öffentlichen Lebens sollte jeder sich aber Gedanken machen, wie es in seiner Praxis weitergeht. Meine aktuellen Planungen zum Exit aus dem Coronastillstand möchte ich im Folgenden darstellen. |
Abschätzung des Gesundheitsrisikos
Realistisch gesehen ist die Gesundheitsgefährdung für das Praxisteam kaum geringer als vor dem Stillstand des öffentlichen Lebens. Weder ist ein Impfstoff entwickelt worden noch besteht eine „Herdenimmunität“, also eine verringerte Infektionsgefahr, weil weite Teile der Bevölkerung bereits an COVID-19 erkrankt, geheilt und somit immun wären. Jedoch ist durch den Stillstand ein anderes Hygiene-Bewusstsein entstanden: So ist z. B. Abstand halten selbstverständlicher geworden, das Tragen von Masken ist zurzeit Vorschrift. Verhaltensänderungen bemerken wir auch in unseren Praxen: Abstand zur Anmeldung, Warten auf der Straße statt im Wartezimmer, pünktliche Einhaltung der Termine, der Verzicht auf Begleitpersonen in der Praxis sind zwar noch nicht normal, finden aber zumindest eine höhere Akzeptanz.
Dass die Krankheitsausbreitung zurzeit leicht zurückgeht, ist eine positive Tendenz. Bundeskanzlerin Merkel sprach aber zu Recht von einem „zerbrechlichen Zwischenerfolg“: Ein Nachlassen bei den Abstandsregeln kann die Zahl der Neuinfektionen in kürzester Zeit wieder nach oben schnellen lassen. Dies gilt insbesondere, wenn jetzt Schulen und einige Dienstleister wieder öffnen.
Leeres Terminbuch als Folge von Corona
Krankenhäuser warnen, dass zurzeit relativ wenige Notfälle mit Herzinfarkt und Schlaganfall eingeliefert würden und vermuten, dass Patienten aus Angst vor Corona nicht ins Krankenhaus wollen. In einer Zahnarztpraxis ist zwar die Wahrscheinlichkeit, Kontakt zu einem COVID-19-Patienten zu bekommen, deutlich geringer. Das Verinnerlichen der Abstandsregeln hat aber zur Folge, dass die Bereitschaft von Patienten, sich jetzt in zahnärztliche Behandlung zu begeben, eher gering ist.
Als ich meine Praxistätigkeit coronabedingt heruntergefahren hatte (siehe PPZ 04/2020, Seite 2 ff.), hatten wir die bestehenden Termine abgesagt. Wer nach einem Termin fragte, bekam einen Termin im Juni. Und jetzt? Das Terminbuch ist leer: Bis auf die Resttermine, die noch nicht abgesagt worden sind, befindet die Praxis sich noch im Stillstand.
All diese Vorüberlegungen müssen bei der Planung eines Exits aus dem Coronastillstand berücksichtigt werden. Sofern kein Impfstoff entwickelt wird, müssen wir mit dem Coronavirus noch einige Zeit leben. Manche sagen bis zum Ende dieses Jahres, andere reden von 18 Monaten, das wäre dann bis Herbst 2021. Wieder andere gehen noch von einem Coronainfektionsrisiko bis 2022 aus. So lange kann keine Praxis geschlossen bleiben, sodass wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben.
Infektionsrisiko minimieren
Der Praxisalltag muss entsprechend darauf angepasst werden. Allererste Priorität hat dabei, das Infektionsrisiko gering zu halten.
Neue Gesichtsvisiere und Trennscheibe am Empfang
Bisher hatte ich zwei Gesichtsvisiere, aber das reicht nur für meine Assistenz und für mich. Sobald weitere Mitarbeiterinnen wieder delegierbare Leistungen erbringen (Abdrucknahme, Prophylaxe, Provisorien etc.), reichen die beiden nicht mehr aus. Ich benötige also weitere Gesichtsvisiere. Außerdem soll eine Scheibe am Anmeldungstresen den Schutz verstärken, der zurzeit nur durch die Abstandsmarkierung gewährleistet wird.
Das Wartezimmer bleibt geschlossen
Das Wartezimmer hatte ich während der Notfallbehandlungen bereits geschlossen, das soll auch so bleiben. Das bedeutet: Termine werden zunächst so vergeben, dass ausreichend Zeit für die Aufbereitung des Behandlungszimmers besteht und der jeweilige Patient direkt ins Sprechzimmer gesetzt werden kann. Dabei hoffe ich auch auf einen positiven Nebeneffekt: Die Patienten lernen, ihre Termine pünktlich einhalten zu müssen. Sollte eine Behandlung trotzdem länger dauern oder ein Patient zu früh kommen, muss er einen Moment draußen warten und wird angerufen, sobald er die Praxis betreten darf.
Begleitpersonen müssen in der Regel draußen warten
Begleitpersonen haben grundsätzlich keinen Zugang zur Praxis und müssen ggf. draußen warten. Ausnahmen gelten natürlich für Eltern, die ihre Kinder ins Sprechzimmer begleiten und für Begleitungen, die helfen müssen, z. B. beim Übersetzen. Auch bei Neupatienten mit großer Angst, die eine Begleitung zur moralischen Unterstützung brauchen, sollte man eine Ausnahme machen. Dass eine zugelassene Begleitperson während ihres Aufenthaltes in der Praxis einen Mund- und Nasenschutz trägt, muss vorausgesetzt werden. Wer keinen dabei hat, kann an der Anmeldung für 1 Euro einen solchen Schutz erwerben.
Behandlungen planen
Angesichts des zu erwartenden Anstiegs der Infektionszahlen, sobald Schulen und Geschäfte wieder öffnen, sollte das Behandlungsspektrum zunächst dem Infektionsrisiko angepasst sein. Behandlungen ohne Aerosolbildung ist zunächst der Vorzug zu geben. Bei Kontrolluntersuchungen, Beratungen, Wurzelbehandlungen (nach erfolgter Trepanation), Zahnersatz ohne Aerosolbildung (Totalprothesen, Unterfütterungen, Reparaturen o. ä.), Schienentherapien, Parodontalbehandlungen mit Handinstrumenten und dergleichen ist das Infektionsrisiko geringer, da keine Wasserkühlung benötigt wird.
Auch professionelle Zahnreinigungen und Bleachings, die bisher wegen ihrer Aufschiebbarkeit umstritten waren, erfüllen das Kriterium der Aerosolvermeidung, sofern bei der PZR weder Ultraschall noch Airflow verwendet werden. Bei diesen Therapien ist aber der zuvor erwähnte Schutz für die Prophylaxemitarbeiterin Voraussetzung (insbesondere Gesichtsvisier).
Aber selbst bei einem sanften Einstieg in den Praxisalltag werden sich aerosolbildende Arbeiten nicht verhindern lassen. Lassen sich Präparationen für Zahnersatz in der Anfangszeit sicherlich noch vermeiden, sind Trepanationen und Füllungen schon allein im Rahmen der Notfallbehandlung, aber auch um weitergehende kariöse Schäden zu vermeiden, unumgänglich. Zu diesem Zweck habe ich mir vorgenommen, aerosolbildende Behandlungen zunächst möglichst auf den Tag vor dem Wochenende zu legen. Die wenigen FFP2-Masken, die ich habe, kann ich dann an diesem Tag tragen und anschließend zur Wiederverwendung „aushängen“. Über das Wochenende ist dann auch die Gefahr geringer, dass sich jemand an der gebrauchten Maske infiziert.
Terminbuch füllen
Die größte Unbekannte in der Planung ist die Frage, wie das Terminbuch gefüllt werden kann. Dabei stellen sich vor allem zwei Fragen: Welche Patienten sind bereit, trotz Abstandsgebots zum Zahnarzt zu gehen? Und: Wie gebe ich bekannt, dass die Praxis wieder geöffnet ist? Die erste Frage kann im Voraus nicht beantwortet werden. Die Erfahrung wird zeigen, wie viele Patienten meine Praxis in nächster Zeit aufsuchen werden.
Aber ich konnte zumindest einen vorsichtigen Wiedereinstieg gestalten. Zu diesem Zweck hatte ich folgende Exit-Stufen vorgesehen: Bis zum 24.04. war ich nur für dringende, nicht aufschiebbare Fälle von 9:00 bis 11:00 Uhr in der Praxis erreichbar. Vom 27.04 bis zum 30.04. habe ich eine reguläre Sprechstunde von 9:00 bis 14:00 Uhr angeboten. Durch die überschaubare Sprechstunde im erweiterten Vormittagsbereich konnte ich das Risiko der vollen Personalkosten bei wahrscheinlich größeren Leerläufen gering halten und beobachten, wie meine Sprechstunde angenommen wird. Da der Start eher verhalten war, starte ich jetzt (am 04.05.2020 = Redaktionsschluss von PPZ) erst einmal an einem Nachmittag die Woche. Bei der Terminplanung achte ich darauf, dass zwischen zwei Terminen genug Zeit zur Aufbereitung und zum Lüften des Sprechzimmers freigehalten wird. Auch sollte der eine Patient gegangen sein, bevor der nächste Patient kommt.
Begleitend informiere ich regelmäßig über meine Homepage, über soziale Medien und über den Anrufbeantworter der Praxis darüber, wie es in meiner Praxis in der nächsten Zeit weitergeht.
FAZIT | Auf eine „Nach-Corona-Zeit“ zu hoffen, macht keinen Sinn, da uns diese Bedrohung noch lange begleiten wird. Wir brauchen daher Strategien, wie wir mit dem Virus leben und arbeiten können. Mein Konzept berücksichtigt den Infektionsschutz und die Möglichkeit, dass sich Patienten zunächst nur zögerlich wieder in meine Praxis begeben werden. Deswegen habe ich einen behutsamen Wiederbeginn geplant, der mir die Möglichkeit gibt, flexibel zu reagieren. |