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15.06.2012 · IWW-Abrufnummer 121812

Verwaltungsgericht Gießen: Urteil vom 26.04.2012 – 5 K 5449/10 Gi

In Hessen fehlt es derzeit an einer normativen Regelung, die eine Kürzung der Beihilfe auf den Gebührenrahmen für die ärztliche Behandlung von Versicherten im Basistarif ermöglicht.(Rn.13).


5 K 5449/10.GI

Tenor
1. Der Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums B-Stadt vom 17.08.2010 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 13.10.2010 verpflichtet, dem Kläger für die mit seinem Formblattantrag vom 31.07.2010 eingereichten Arztrechnungen betreffend seine Ehefrau (Nummern 22 bis 27 der Anlage zum Beihilfebescheid vom 17.08.2010) eine weitere Beihilfe ohne Berücksichtigung des jeweils zugrunde gelegten Kürzungsfaktors zu gewähren.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger gehört als Ruhestandsbeamter des Beklagten zu dem beihilfeberechtigten Personenkreis. Die Ehefrau des Klägers ist seit dem 01.03.2010 im Basistarif einer Privatkrankenkasse versichert.

Mit Formblatt vom 31.07.2010 beantragte der Kläger unter anderem für insgesamt sechs Arztrechnungen betreffend seine Ehefrau eine Beihilfe. Mit Bescheid vom 17.08.2010 gewährte das B. dem Kläger eine Beihilfe, wobei die Behörde die Rechnungsbeträge für die ärztlichen Behandlungen der Ehefrau jeweils auf den für den Basistarif geltenden Leistungsumfang kürzte. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das B. mit dem Kläger am 15.10.2010 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 13.10.2010 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, die Kürzung der Aufwendungen auf die Gebührenordnungssätze des Basistarifes der privaten Krankenversicherung beruhe auf gesetzlichen Vorgaben.

Mit bei Gericht am 03.11.2010 eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Klage erhoben.

Er trägt vor, nach § 5 Abs. 1 Sätze 3 und 4 Hessische Beihilfenverordnung (HBeihVO) ende die Angemessenheit der beihilfefähigen Aufwendungen beim Schwellenwert. Abzüge und Kürzungen seien in der HBeihVO enumerativ normiert. Eine Kürzungsvorschrift für den beihilfekonformen Basistarif fehle. Es gebe auch keine Rechtsgrundlage dafür, dem Selbstzahler bzw. Beihilfeberechtigten das Risiko der Weigerung eines Arztes aufzubürden, nach den PKV-Höchstfaktoren abzurechnen.

Der Kläger beantragt bei sachgerechter Auslegung,

den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums B-Stadt vom 17.08.2010 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 13.10.2010 zu verpflichten, dem Kläger für die mit seinem Formblattantrag vom 31.07.2010 eingereichten Arztrechnungen betreffend seine Ehefrau (Nrn. 22 bis 27 der Anlage zum Beihilfebescheid vom 17.08.2010) eine weitere Beihilfe ohne Berücksichtigung des jeweils zu Grunde gelegten Kürzungsfaktors zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, im Bereich des Beklagten gebe es durch die am 01.04.2010 in Kraft getretene Vergütungsvereinbarung eine spezialgesetzliche Grundlage für Gebührensätze nach § 75 Abs. 3 a Satz 2 SGB V. Diese sehe für Leistungen des Abschnittes M der GOÄ eine Vergütung mit dem Faktor 0,9, für die Abschnitte A, E und O mit dem Faktor 1,0 sowie für die übrigen Leistungen mit dem Faktor 1,2 vor. Diese Vereinbarung gehe den Bestimmungen der GOÄ vor. Die Verweisung in § 5 Abs. 3 HBeihVO auf den Gebührenrahmen der GOÄ sei nicht abschließend, sondern lasse über § 1 Abs. 1 GOÄ die Anwendung spezieller bundesgesetzlicher Regelungen zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakte (1 Hefter) Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist als Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) statthaft, auch im Übrigen zulässig und begründet.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe für die mit seinem Formblattantrag vom 31.07.2010 eingereichten Arztrechnungen betreffend seine Ehefrau (Nummern 22 bis 27 der Anlage zum Beihilfebescheid vom 17.08.2010) zu. Soweit der Bescheid des Regierungspräsidiums B-Stadt vom 17.08.2010 und der Widerspruchsbescheid derselben Behörde vom 13.10.2010 diesen Anspruch verneint haben, erweisen sie sich als rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO). Für die von der Beihilfestelle vorgenommene Kürzung der Beihilfe auf die Sätze des Basistarifs fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.

Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfen verlangt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.2005 – 2 C 35.04 -, ZBR 2006, 195). Hinsichtlich der hier anzuwendenden Bestimmungen hat der Beklagte keine abweichenden Regelungen getroffen. Danach ist die HBeihVO in der Fassung vom 05.12.2001 (GVBl. I S. 482), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.03.2010 (GVBl. I S. 114) anzuwenden. Nach deren § 5 Abs. 1 Satz 1 sind beihilfefähig nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Aufwendungen, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Entgegen der Auffassung des Beklagten deckt diese Vorschrift nicht die beihilferechtliche Beschränkung auf den Gebührenrahmen für die ärztliche Behandlung von Versicherten im Basistarif.

Zwischen den Beteiligten besteht allein Streit über die beihilferechtliche Angemessenheit der geltend gemachten Aufwendungen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 HBeihVO bestimmt sich die Angemessenheit der Aufwendungen für ärztliche Leistungen nach dem Gebührenrahme der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) in der jeweils geltenden Fassung. Der in der GOÄ festgelegte Gebührenrahmen enthält keine Begrenzung der Gebührenhöhe für die Behandlung von Patienten, die wie die Ehefrau der Klägerin privat im brancheneinheitlichen Basistarif nach § 12 Abs. 1a VAG krankenversichert sind. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 GOÄ bemisst sich die Höhe der einzelnen Gebühr des Arztes, soweit in den Absätzen 3 bis 5 nichts anderes bestimmt ist, nach dem Einfachen bis Dreieinhalbfachen des Gebührensatzes. Ebenso wie diese Vorschrift treffen auch die Absätze 3 bis 5 keine Aussage zum Basistarif. Eine Begrenzung des Gebührenrahmens sieht § 5b GOÄ nur für Leistungen vor, die in einem brancheneinheitlichen Standardtarif nach § 257 Abs. 2a SGB V versichert sind. Eine entsprechende Regelung für die in dem brancheneinheitlichen Basistarif versicherten Leistungen fehlt hingegen.

Nach Auffassung des Gerichts ist die in § 75a Abs. 3a, Abs. 3b SGB V normierte Beschränkung des Gebührenrahmens für die ärztliche Behandlung von Versicherten im Basistarif, wie es der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 07.11.2011 (- 2 S 2353/11 -, juris) für den Geltungsbereich des baden-württembergischen Beihilferechts entschieden hat, auch im Geltungsbereich des hessischen Beihilferechts nicht anwendbar. Nach § 75a Abs. 3a Satz 2 SGB V ist der Gebührenrahmen für die ärztliche Behandlung von Versicherten im Basistarif auf die dort im Einzelnen genannten Gebührensätze beschränkt, so lange und soweit keine abweichende Vergütungsvereinbarung im Sinne von § 75a Abs. 3b Satz 2 SGB V zwischen dem Verband der privaten Krankenversicherer im Einvernehmen mit den Trägern der Beihilfe und den kassenärztlichen Vereinigungen zustande gekommen ist. Ausweislich des Erlasses des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 24.03.2010 (Staatsanzeiger 2010, 1120) gilt seit 01.04.2010 in Hessen eine auf der Grundlage des § 75a Abs. 3b SGB V geschlossene Vergütungsvereinbarung. Diese wird jedoch von der dynamischen Verweisung in § 5 Abs. 1 Satz 3 HBeihVO nicht erfasst.

Nach deren eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut richtet sich die beihilferechtliche Angemessenheit der entstandenen Aufwendungen allein nach dem Gebührenrahmen der jeweils geltenden GOÄ. Wie bereits dargelegt, ist dieser Gebührenrahmen in dem hier interessierenden Zusammenhang in den §§ 5 und 5b GOÄ abgesteckt. Der Gebührenrahmen für die Behandlung von im Basistarif versicherten Patienten ist hingegen außerhalb der GOÄ im SGB V geregelt.

Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, anders als das baden-württembergische Beihilferecht lasse § 5 Abs. 1 Satz 3 HBeihVO durch das Fehlen des Wortes „ausschließlich“ über § 1 Abs. 1 GOÄ die Anwendung spezieller bundesgesetzlicher Regelungen wie des § 75 Abs. 3a Satz 2 SGB V zu, teilt das Gericht diese Auffassung nicht. Die Verweisung in § 5 Abs. 1 Satz 3 HBeihVO auf den „Gebührenrahmen der GOÄ“ ist eindeutig. Sie enthält gerade keine Bezugnahme auf außerhalb der GOÄ stehende Gebührenregelungen. Eine solche ist beispielsweise in § 6 Abs. 5 BBhV enthalten. Danach beurteilt sich die wirtschaftliche Angemessenheit der Aufwendungen von Beihilfeberechtigten und berücksichtigungsfähigen Angehörigen, die in einem Basistarif nach § 12 Abs. 1a VAG versichert sind, nach den in den Verträgen nach § 75 Abs. 3b Satz 1 SGB V vereinbarten Gebührenregelungen und in Ermangelung solcher Regelungen nach den Maßgaben des § 75 Abs. 3a Sätze 2 und 3 SGB V. Es obliegt dem hessischen Verordnungsgeber, die diesbezügliche Lücke in der HBeihVO bei deren anstehender Novellierung zu schließen.

Als unterliegender Teil hat der Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung ist gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Es bedarf grundsätzlicher Klärung, ob die in § 75a Abs. 3a, Abs. 3b SGB V vorgesehene Beschränkung des Gebührenrahmens für die ärztliche Behandlung von Versicherten im Basistarif im Geltungsbereich des hessischen Beihilferechts anwendbar ist.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 129,45 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).

RechtsgebieteBeihV HE, SGB 5Vorschriften§ 5 Abs 1 S 3 BeihV HE, § 5b BeihV HE, § 75a Abs 3a S 2 SGB 5, § 75a Abs 3b S 2 SGB 5