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04.09.2014 · IWW-Abrufnummer 142605

Landgericht Münster: Urteil vom 20.02.2014 – 111 O 45/11

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landgericht Münster

111 O 45/11

Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.500,00 Euro (sechstausendfünfhundert Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.05.2011 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen weiteren immateriellen Schaden sowie sämtliche materiellen Schäden aus der Implantationsbehandlung vom 03.09.2010 zu ersetzen, materielle Schäden vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 661,16 Euro (sechshunderteinundsechzig 16/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.05.2011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Beklagte zu 60 % und der Kläger zu 40 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, jedoch für den Kläger nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 25 %.

Von dem Kläger kann die Zwangsvollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils insgesamt gegen den Kläger zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 25 % abgewendet werden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 25 % leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der weiteren Ersatzpflicht wegen einer angeblich fehlerhaften Zahnbehandlung sowie unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Aufklärungspflicht. Streitgegenständlich ist ein Eingriff vom 03.09.2010.

Bei dem vorgenannten Eingriff ist es unstreitig im Zusammenhang mit einer Implantatbehandlung bei regio 36 zu einer Nervschädigung gekommen.

Der Kläger behauptet, die Behandlung sei nicht lege artis durchgeführt worden. Auch sei er u.a. nicht über das Risiko einer Nervverletzung vom Beklagten aufgeklärt worden. Für den Fall einer solchen Aufklärung hätte er sich – so der Kläger – vor der Durchführung der Behandlung für eine 3-D-Diagnostik entschieden.

Die Nervschädigung habe zu Sensibilitätsstörungen geführt. Jedes Rasieren schmerze, er beiße sich ständig auf die Lippe. Es sei zu Reizungen und – von ihm als besonders störend empfunden – zu Rötungen mit leichten Schmerzen im Bereich der linken Seite des Unterkiefers und der Lippe gekommen. Hierbei handele es sich um Folgen der Nervverletzung.

Der Kläger meint, ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000,00 € sei angemessen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.03.2011 hat der Kläger den Beklagten erfolglos zur Anerkennung der Haftung aufgefordert. Er beansprucht vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.236,17 € nach 1,8-fachem Satz, ausgehend von einem Streitwert in Höhe von 16.000,00 €.

Der Kläger beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 12.000,00 Euro, nebst gesetzlichen Zinsen zu zahlen;

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm allen weiteren immateriellen Schaden sowie sämtliche materiellen Schäden aus der Implantationsbehandlung vom 03.09.2010 zu ersetzen, materielle Schäden vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs;

3. den Beklagten zu verurteilen, an ihn vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.236,17 € nebst gesetzlichen Zinsen ab Klagezustellung zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, die Behandlung sei lege artis erfolgt. Der Kläger sei anhand eines Aufklärungsbogens (Anlage B 1, Bl. 44 d.A.), von dem er ein Exemplar mit nach Hause genommen habe, über sämtliche Risiken aufgeklärt worden – insbesondere auch über das Nervverletzungsrisiko. Weiter behauptet der Beklagte, dass der Kläger bei unterstelltem Aufklärungsdefizit für den Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung wegen seines Grundleidens in die Behandlung eingewilligt hätte. An dem tatsächlichen Verlauf hätte sich – so der Beklagte – im Übrigen nichts geändert, wenn er dem Kläger eine 3-D-Diagnostik angeboten hätte bzw. eine solche durchgeführt worden wäre. Der Beklagte meint, das beanspruchte Schmerzensgeld sei übersetzt.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Krankenunterlagen und durch Einholung zweier schriftlicher Sachverständigengutachten (Bl. 88 ff. und 112 ff. d.A.), welche von den Sachverständigen N und T mündlich erläutert wurden. Die Parteien wurden persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle über die mündliche Verhandlung vom 20.12.2013 (Bl. 155 ff. d.A.) und vom 20.02.2014 (Bl. 199 ff. d.A.) verwiesen.

Die Klage ist dem Beklagten am 18.05.2011 zugestellt worden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist teilweise begründet.

I.

Der Beklagte haftet unter dem Gesichtspunkt eines Aufklärungsdefizits, §§ 823 Abs. 1, 253 BGB.

Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger über das Risiko einer dauerhaften Nervverletzung infolge einer Implantatbehandlung im Unterkiefer aufgeklärt worden ist. Die Behandlung vom 03.09.2010 war daher rechtswidrig.

1.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen N ist das Risiko für einen dauerhaften Nervschaden bei Behandlungen der streitgegenständlichen Art mit 5 bis 15 % zu beziffern. Bezüglich dieses typischen Risikos bestand daher eine Aufklärungspflicht. Die Aufklärungspflicht entfiel hier auch nicht ausnahmsweise aus dem Grund, dass der Kläger selber als Arzt tätig ist. Der Kläger ist nicht Zahnarzt, sondern Chirurg mit Schwerpunkt Proktologie. Er verfügte demnach nicht schon von Berufs wegen über Kenntnis von Risiken einer Implantatbehandlung im Unterkiefer.

Der Beklagte ist für die Vornahme der gebotenen Aufklärung beweisfällig geblieben.

Gemäß seinen persönlichen Angaben sei dem Kläger am 17.08.2010 ein Aufklärungsbogen (entsprechend Bl. 44 d.A.) von der Empfangsdame mitgegeben worden, den der Kläger am Operationstag ohne Unterschrift wieder mitgebracht habe. Auf einen entsprechenden Hinweis der Empfangsdame auf die fehlende Unterschrift habe er, der Beklagte, gesagt, dies sei nicht nötig, da sie sich kennen würden. Ferner sei durch ihn am 31.08.2010 eine allgemeine Aufklärung des Klägers erfolgt. Das Aufklärungsblatt bzw. dessen Inhalt seien nicht mehr angesprochen worden. Der Kläger habe anfangs wohl davon gesprochen, dass er Sorge um seinen Nerv habe. Daraufhin habe er ihm gesagt, dass man das Implantat mit dem Sicherheitsabstand so setze, dass man eigentlich vom Nerv genügend Abstand habe.

Nach den persönlichen Angaben des Klägers sei ihm dagegen kein Merkblatt bzw. Aufklärungsbogen übergeben worden. Auch habe er den Beklagten nicht darauf angesprochen, dass er Sorge wegen einer potenziellen Nervverletzung habe. Diese sei erst thematisiert worden, nachdem es hierzu bereits gekommen war.

Die Kammer vermochte nicht, der Schilderung des Beklagten gegenüber derjenigen des Klägers den Vorzug zu gegeben, weshalb schon nicht mit einer hierfür erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden konnte, dass das Risiko einer Nervschädigung überhaupt ansatzweise vom Beklagten angesprochen worden ist. Die Angaben der Parteien waren gleichermaßen nachvollziehbar, widerspruchslos und insgesamt glaubhaft. Möglicherweise hat der Beklagte deshalb von einer Aufklärung über das Nervschädigungsrisiko abgesehen, weil er meinte, der Kläger wisse als Arzt hierüber ohnehin Bescheid. Dass er ein solches Wissen vorausgesetzt hat, folgt jedenfalls aus seinen persönlichen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 20.02.2014. Möglicherweise hat aber auch der Kläger gerade wegen seiner Profession kein gesondertes Augenmerk auf eine Aufklärung gelegt und eine solche schlicht nicht zur Kenntnis genommen, zumal beide Parteien sich zum Zeitpunkt der Behandlung schon seit Jahren kannten (und sich nach wie vor duzen).

Aussagekräftige objektive Anhaltspunkte, welche die jeweiligen Angaben der Parteien stützen könnten, existieren nicht. Unter dem 17.08.2010 ist in der Karteikarte zwar vermerkt, „Dem Patienten Merkblätter, Tabletten etc. mitgeben“. Rein sprachlich deutet dies aber schon lediglich auf eine entsprechende Absicht und nicht auf eine tatsächliche Aushändigung hin. Im Übrigen bleibt auch unklar, um welche Merkblätter es sich überhaupt gehandelt haben soll und ob gerade ein Exemplar des Merkblatts „zum Aufklärungsgespräch und Einverständniserklärung zur Implantationa“ enthalten war.

Zeugen für ein entsprechendes Aufklärungsgespräch hat der Beklagte nicht benannt. Seinen Angaben nach konnten die geladenen Zeuginnen nur etwas über den Eingriff selbst sagen. Die Empfangsdame, welche das maßgebliche Merkblatt ausgehändigt haben soll, ist vom Beklagten ebenfalls nicht als Zeugin benannt worden.

2.

Der von dem Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung greift nicht durch. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger dem Eingriff vom 03.09.2010 unterzogen hätte, wenn er über das Risiko einer dauerhaften Nervschädigung aufgeklärt worden wäre. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass er sich in Kenntnis eines Verletzungsrisiko von bis zu 15 % zunächst für eine 3-D-Diagnostik entschieden hätte, welches nach den Ausführungen des Sachverständigen N das Risiko einer Nervschädigung deutlich reduziert hätte. Gerade angesichts des vergleichsweise doch recht hohen Verletzungsrisikos hält die Kammer die entsprechende Erklärung des Klägers für gut nachvollziehbar.

Dass es auch nach Durchführung einer 3-D-Diagnostik bei einer entsprechenden Implantatbehandlung zu einem anderen Zeitpunkt ebenfalls zu einer dauerhaften Nervschädigung gekommen wäre, hat der Beklagte weder substantiiert vorgetragen noch bewiesen.

3.

Folge der Behandlung vom 03.09.2010 ist unstreitig eine geringe Schädigung des Nervus alveolaris inferior in der Endverzweigung des Nervus mentalis, wobei es sich um einen Dauerzustand handelt. Diese Schädigung hat nach den übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen N und T zu einer reduzierten Sensibilität im linken Unterkiefer, respektive Unterlippenbereich (linkes Kinn) geführt, auch wenn es hierfür keinen elektrophysiologischen Beleg gibt. Die Kammer hat unter Berücksichtigung der Ausführungen der Sachverständigen keinerlei Zweifel am tatsächlichen Vorliegen der vom Kläger geschilderten Beschwerden, insbesondere in Form von partiellen Taubheitsgefühlen und von Schmerzen beim Rasieren im linken Lippenbereich. Die Kammer ist aufgrund der persönlichen Angaben des Klägers auch davon überzeugt, dass er sich nach der Behandlung vom 03.09.2010 wiederholt auf die Lippe gebissen hat, wenn auch dies jedenfalls nicht so häufig vorkommt, dass der Kläger permanent hieraus resultierende Verletzungen aufweist.

Angesichts dieser Folgen hält die Kammer unter Berücksichtigung sämtlicher weiteren Umstände die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 6.500,00 € für erforderlich, aber auch ausreichend.

II.

Der zugesprochene Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 288 Abs. 1 S. 1, 291 BGB. Ferner hat der Kläger auch einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 BGB nebst Zinsen, wobei zu berücksichtigen war, dass eine berechtigte Forderung nur in Höhe von insgesamt 8.000,00 € besteht (6.500,00 Schmerzensgeld, 1.500,00 € Feststellungsantrag) und lediglich ein 1,3-facher Gebührensatz gerechtfertigt ist, da die Sache weder einen überdurchschnittlichen Umfang noch eine überdurchschnittliche Schwierigkeit aufweist. Schließlich war dem Feststellungsbegehren zu entsprechen. Bei der eingetretenen Nervverletzung handelt es sich um einen Dauerschaden, weshalb das Eintreten (weiterer) materieller Schäden zu besorgen ist.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.