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05.02.2014 · IWW-Abrufnummer 140363

Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 25.11.2013 – 5 U 1202/13

Hat der Zahnarzt eine falsche Bezugsebene für die Längenbestimmung gewählt und ein zu großes Implantat eingebracht, was zu 6 - tägigen starken Nervenschmerzen und hiernach zu einer dauerhaften Gefühlsbeeinträchtigung im Behandlungsbereich führt, ist ein Schmerzensgeld von 5.000 € angemessen.


In dem Rechtsstreit

des Dr. med. dent.

- Beklagter und Berufungskläger -

Prozessbevollmächtigte:

gegen

- Kläger und Berufungsbeklagter -

Prozessbevollmächtigte:

wegen Schmerzensgeldbemessung bei fehlerhafter Implantatversorgung

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaltenbach, den Richter am Oberlandesgericht Weller und den Richter am Oberlandesgericht Goebel am 25.11.2013

beschlossen:
Tenor:

1.

Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 23.08.2013, Az. 9 O 170/11, einstimmig gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2.

Der Beklagte erhält Gelegenheit, zu den Hinweisen des Senates bis zum 16.12.2013 Stellung zu nehmen. Die Rücknahme der Berufung wird empfohlen.

Gründe

I. Der Kläger befand sich in zahnärztlicher Behandlung des Beklagten und beanstandet die fehlerhafte Behandlung bei der Setzung dreier Implantate und eine unzureichende Aufklärung. Hieraus leitet er Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadensersatz ab.

Das sachverständig beratene Landgericht hat nach der Vernehmung einer Zeugin den Beklagten zum Ausgleich des materiellen Schadens von 383,47 € und eines immateriellen Schadensersatzes von 5.000 € verurteilt. Die Insertion des Implantates 3.7. am 17.08.2010 sei fehlerhaft erfolgt, weil der Beklagte eine falsche Bezugsebene für die Längenbestimmung gewählt habe und das Implantat so zu groß ausgefallen sei. Dies habe in der Folge zu einer Nervenschädigung geführt. Zwar habe durch das Zurückdrehen des Implantates eine Dekompression stattgefunden, noch immer sei es aber leicht in den Nervenkanal hinein projiziert. Ob ein Dauerschaden verbleibe, sei noch nicht sicher abzusehen. Ein Schmerzensgeld von 5.000 € sei angemessen, weil der Kläger vom 17.08. bis zum 23.08.2010 unter starken Nervenschmerzen und anschließend fortdauernd unter Gefühlsbeeinträchtigungen leiden musste. Nicht mehr korrigieren lasse sich auch der Umstand, dass das Implantat zu groß sei.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung und begehrt die Klageabweisung, soweit er zu einem 2.500 € übersteigenden Schmerzensgeld verurteilt wurde. Er hält die Höhe des Schmerzensgeldes für nicht angemessen und für nicht vertretbar. In der Rechtsprechung sei nur für viel schwerere Verletzungen ein Schmerzensgeld in dieser Höhe zuerkannt worden bzw. ein sehr viel niedrigeres Schmerzensgeld für die tatsächlich zu beklagenden Verletzungen.

Der Beklagte beantragt,

unter teilweiser Änderung des Urteils des Landgerichtes Mainz vom 23.08.2012 die Klage abzuweisen, soweit dem Kläger ein Schmerzensgeldanspruch zugesprochen wurde, der 2.500 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.07.2011 übersteigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie die Berufungsbegründung verwiesen.

II.

Der Senat ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand einstimmig der Überzeugung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 ZPO erfordern keine Entscheidung durch Urteil nach mündlicher Verhandlung, die auch nicht nach

§ 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten ist. Von ihr sind keine neuen Erkenntnisse zu erwarten. Der Beklagte hat keine Gründe aufgezeigt, die eine mündliche Verhandlung ansonsten geboten erscheinen lassen.

Das Landgericht hat den Beklagten ohne Fehler zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 5.000 € an den Kläger verurteilt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidung des Landgerichts Bezug genommen. Die dagegen erhobenen Angriffe der Berufung überzeugen den Senat nicht. Hierzu Folgendes:

1. Der Beklagte greift die Feststellungen des Landgerichtes zu der fehlerhaften Behandlung ebenso wenig an, wie die Tatsachen, dass der Kläger vom 17.08. bis zum 23.08.2010 unter starken Nervenschmerzen und anschließend fortdauernd unter Gefühlsbeeinträchtigungen leiden musste und der weitere Verlauf ungewiss ist.

2. Ausgehend von diesem Sachverhalt ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht dem Kläger ein Schmerzensgeld von 5.000 € zuerkannt hat. Dem Gericht kommt bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ein Ermessen zu, da es ein "angemessenes" Schmerzensgeld festzusetzen hat. Der Ermessensspielraum ist auch im Berufungsverfahren zu respektieren. Ziel des Berufungsverfahrens ist es, Fehler des erstinstanzlichen Gerichtes zu korrigieren, nicht aber, sein Ermessen an die Stelle des Ermessens des Erstgerichts zu setzen. Es entspricht deshalb ständiger Rechtsprechung des Senates, dass eine Korrektur des zuerkannten immateriellen Schadensersatzes nur dann in Betracht kommt, wenn ein "Fehlgriff in der Oktave" vorliegt. Das ist indes nicht der Fall. Die, wenn auch nur kurzzeitige, Intensität der Schmerzen sowie die Dauer der - wenn auch geringfügigeren - Beeinträchtigungen durch Gefühlsstörungen bei fortbestehender Ungewissheit über deren Ende begründen die Angemessenheit des Schmerzensgeldes auch nach Ansicht des Senates.

Die dagegen vom Beklagten herangezogenen Entscheidungen aus der Rechtsprechung begründen keine andere Sicht der Dinge.

Die Entscheidung des OLG Nürnberg vom 06.09.1999 (5 U 1739/99) führt bei einer Indexanpassung zu einem damals zuerkannten Schmerzensgeld von 4.307 €. Schon insoweit liegt kein Ermessensfehler vor, weil sich diese Abweichung noch in einem akzeptablen Toleranzbereich bewegt. Ungeachtet dessen fehlt es in dem dort entschiedenen Fall an der hohen Intensität der Schmerzen über einen Zeitraum von 6 Tagen und der Ungewissheit über den weiteren Verlauf der Beeinträchtigung. Der Frage der Fläche der Gefühlsbeeinträchtigung misst der Senat keine entscheidende Bedeutung zu. Mit dem Gesicht und insbesondere der Mundpartie ist jedenfalls eine wesentliche und sensible Körperregion betroffen.

Der vom LG Bonn am 11.10.1988 (13 O 419/87 = VersR 1989, 811 = ZfS 1989, 192) entschiedene Fall führt bei einer Indexanpassung bereits zu einem Schmerzensgeld von 5.163 € und damit einem das hier zuerkannte Schmerzensgeld übersteigenden Betrag. Dabei muss gesehen werden, dass die dortigen Folgen nicht auf einem Behandlungsfehler beruhten, sondern schicksalshaft waren und die Haftung lediglich auf einen Aufklärungsfehler zurückging. Wegen des Umfangs der Gefühlsbeeinträchtigung kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.

Die letztlich angeführte Entscheidung des OLG Oldenburg vom 14.10.1997 (5 U 45/97 = ArztR 1998, 207 = NdsRpfl 1998, 48 = OLGR 1998, 49) führt bei der Indexanpassung zu einem Schmerzensgeld von 6.250 €, welches schon deutlich über dem hier zuerkannten Betrag und 2 1/2 mal so hoch wie der vom Beklagten zugestandene immaterielle Schadensersatz liegt. Bei einer etwas höheren Intensität der Anfangsbeeinträchtigungen, was das höhere Schmerzensgeld rechtfertigt, verblieben auch in diesem Fall noch nach 2 1/2 Jahren Sensibilitätsstörungen im Unterlippenbereich, was vergleichbar zum vorliegenden Fall ist. Hier blieb aber unstreitig, dass der weitere Verlauf ungewiss ist. In der Gesamtschau kann deshalb auch aus dieser Entscheidung kein Ermessensfehler hergeleitet werden.

Weitere Entscheidungen belegen, dass sich das Urteil in die Rechtsprechung ʺeinordnet".

Das Landgericht Marburg (v. 12.05.2004, 5 O 47/01) hat ein Schmerzensgeld von 10.000 DM, angepasst auf den hiesigen Entscheidungszeitpunkt von 5.839 €, zuerkannt. Grundlage war eine vergleichbare Fallkonstellation nach einem Aufklärungs- und Befunderhebungsfehler.

Obwohl kein Behandlungsfehler, sondern lediglich eine schicksalshafte Nervverletzung nach mangelnder Aufklärung vorlag, hat das OLG Düsseldorf (v. 20.10.1988, 8 U 261/87 = NJW 1989, 2334 = ZfS 1989, 157) ein auf den heutigen Zeitpunkt angepasstes Schmerzensgeld von 7.943 € ausgeurteilt. Auch wenn dort die Folgen etwas schwerwiegender waren, weil die dortige Klägerin nicht merkte, wenn ihr unbeabsichtigt Essensreste aus dem Mund glitten, zeigt die Entscheidung doch, dass bei einem um fast 3.000 € niedriger liegenden Schmerzensgeld der von der Rechtsprechung eröffnete Rahmen nicht verlassen wurde.

Der Senat (v. 6.12.2007, 5 U 709/07 = GesR 2008, 537 = OLGR 2008, 922) erkannte 2007 einem Patienten, wenn auch nach einem groben Behandlungsfehler, bei einer Läsion des nervus alveolaris ein Schmerzensgeld von angepassten 6.496 € zu. War dort eine Besserung ausgeschlossen, ist sie vorliegend zwar nur unwahrscheinlich. Nach Ablauf von 3 Jahren begründet dies aber keinen Abschlag auf das Schmerzensgeld, der der Berufung zum Erfolg verhelfen könnte.

Nach Überzeugung des Senates hat das Landgericht seine nach § 253 BGB zu treffende Ermessensentscheidung nachvollziehbar und vertretbar begründet. Alle erheblichen Aspekte wurden berücksichtigt. Sie hält sich auch im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung.

3. Obwohl der Berufungsantrag auch die Aufhebung des angefochtenen Urteils wegen der Verurteilung zu materiellem Schadensersatz erfasst, wird nicht begründet, weshalb die Entscheidung des Landgerichtes insoweit mit erheblichen Fehlern behaftet sein soll. Mangels Begründung bedarf es deshalb keiner Hinweise des Senates um die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung zu rechtfertigen. Ein Gebührensprung ist mit der Zuvielforderung allerdings nicht verbunden, weil die Berufung erst nach dem 01.08.2013 eingelegt wurde (vgl. § 60 RVG i.V.m. den neuen Streitwertgrenzen nach § 13 RVG).

III. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen bietet die Berufung offensichtlich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Auch unter Berücksichtigung des neu gefassten § 522 Abs. 2 ZPO ist eine mündliche Verhandlung aus den Eingangs genannten Gründen nicht geboten. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 S. 1, Nr. 2 und 3 ZPO liegen vor.

Dem Beklagten wird empfohlen, die Berufung kostensparend zurückzunehmen.

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 2.883,47 € € festzusetzen.

VorschriftenBGB § 249 BGB § 253 BGB § 276 BGB § 611 BGB § 823