24.07.2014 · IWW-Abrufnummer 142188
Oberlandesgericht Koblenz: Urteil vom 25.09.2013 – 5 U 542/13
Rückforderung des Eigenanteils des Patienten nach Kündigung des zahnärztlichen Behandlungsvertrages
1. Kommt es innerhalb einer kurzen Zeitspanne an einer Zahnbrücke wiederholt zu Keramikschäden und letztlich zu deren Lockerung, kann die daran anknüpfende Vertragskündigung auch zu einem Anspruch auf Rückerstattung des gezahlten Eigenanteils führen, wenn das Interesse des Patienten entfallen ist.
2. Beruhen Beeinträchtigungen und Schmerzen des Patienten nicht auf einem Behandlungsfehler, sondern auf Materialschwächen, schuldet der Zahnarzt insoweit kein Schmerzensgeld. Die einmalig schmerzhafte Entfernung einer instabilen Brücke kann ein Schmerzensgeld von 500 € rechtfertigen.
In dem Rechtsstreit
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaltenbach, den Richter am Oberlandesgericht Goebel und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Menzel auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2013
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 20.3.2013 sowie das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Wittlich vom 11.05.2011 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels dahin geändert, dass die Beklagte bei Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt wird, an die Klägerin 1.751,09 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.251,09 € seit dem 21.5.2010 und aus 500 € seit dem 20.2.2013 zu zahlen.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
I. Der Klägerin wurde am 11.10.2006 in der Praxis der beklagten Zahnärztegemeinschaft eine keramikverblendete Oberkieferbrücke eingegliedert. Dem lag ein Heil- und Kostenplan zugrunde, der einen Eigenanteil von 1.251,09 € vorsah. Der Betrag wurde von der Klägerin entrichtet.
Nach Keramikabplatzungen bereitete die Beklagte am 24.8.2007 einen Austausch der Prothetik vor. Die neue Brücke wurde am 7.9.2007 eingesetzt. Wenig später erhielt die Klägerin erstmals eine Knirschschiene, die ihrem Bruxismus entgegenwirken sollte.
Erneute Frakturen in der Verblendung führten weniger als ein Jahr später zur Vorbereitung einer weiteren Brücke. Sie wurde von der Beklagten am 28.11.2008 angebracht.
Ende 2009 beklagte sich die Klägerin über einen lockeren Brückensitz, Keramikbrüche und einen Inzisalkantenverlust, die gutachterlich attestiert worden waren. Die Beklagte bot Nachbesserung an. Die Klägerin begab sich indessen in anderweitige zahnärztliche Behandlung.
Im vorliegenden Rechtsstreit hat sie die Beklagte, gestützt auf den Vorwurf einer anhaltend mangelhaften und damit letztlich unbrauchbaren prothetischen Versorgung, die zu erheb- lichen Belastungen für ihre Person geführt habe, zur Rückgewähr des an sie geleisteten Eigenanteils von 1.251,69 € und zur Zahlung eines mit mindestens 4.000 € zu beziffernden Schmerzensgelds in Anspruch genommen. Dieses Verlangen hat das Landgericht, an- knüpfend an die Darlegungen eines von ihm befragten Sachverständigen, abgewiesen, weil die streitige Prothetik für die Klägerin nicht unbrauchbar gewesen sei.
Diese Entscheidung greift die Klägerin mit der Berufung in Erneuerung ihres erstinstanz- lichen Verlangens an. Sie meint, dass die Mangelhaftigkeit der Leistung der Beklagten hinlänglich belegt sei. Insoweit sei auch von Gewicht, dass es zahlreiche Lücken in der zahnärztlichen Dokumentation gebe.
II. Das Rechtsmittel hat einen Teilerfolg. Die Beklagte ist zur Auskehr des von der Klägerin im Jahr 2006 erbrachten Eigenanteils von 1.251,09 € und zur Zahlung eines Schmerzensgelds von 500 € zu verurteilen. Der darüber hinaus von der Klägerin erhobene Schmerzensgeldanspruch unterliegt der Abweisung.
1. Die Honorarrückgewährforderung, die mit der Klage verfolgt wird, ist gerechtfertigt. Die Auffassung des Landgerichts, der Beklagten könne die zahnärztliche Vergütung erst streitig gemacht werden, wenn ihre Leistungen als unbrauchbar einzustufen seien, greift zu kurz. Allerdings ist zu sehen, dass zwischen den Parteien ein Dienstvertragsverhältnis bestand:
Die Beklagte war - anders als ein Zahntechniker - nicht mit der bloßen Anfertigung eines Zahnersatzes nach einem vorgegebenen Abdruck beauftragt, sondern mit der Herstellung einer Prothese betraut, die nach der individuellen Situation der Klägerin konzipiert und in Würdigung eben dieser Situation eingepasst werden musste. Insofern wurde eine Leistung geschuldet, die nur bedingt objektivierbar und deshalb dienstvertraglich einzuordnen ist (BGH, NJW 2011, 1674 [BGH 29.03.2011 - VI ZR 133/10]; Senat, Urteil vom 21.10.2010 - 5 U 548/10; Senat, MDR 2011, 1278; OLG Naumburg, NJW-RR 2008, 1056; OLG Oldenburg, MDR 2008, 553).
Abweichend vom Werkvertragsrecht kennt das Dienstvertragsrecht keine Mängelhaftung (BGH, NJW 1963, 1301 [BGH 29.04.1963 - III ZR 211/61]; BGH, NJW 1981, 1211; Richardi/Fischinger in Staudinger, BGB 2011, § 611 Rn. 716). Der Dienstleistende schuldet eine Tätigkeit, nicht aber einen bestimmten Arbeitserfolg. Deshalb kann der Vergütungsanspruch bei einer unzureichenden oder pflichtwidrigen Leistung grundsätzlich nicht gekürzt werden oder in Fortfall geraten (BGH, NJW 2004, 2817 [BGH 15.07.2004 - IX ZR 256/03]; Richardi/Fischinger, a.a.O. Rn. 718; zu Sondersituationen vgl. Senat, MDR 2011, 1278; OLG Hamm, Urteil vom 4.1.2008 - 26 U 33/07; OLG-R Karlsruhe 2007, 654; OLG Zweibrücken, MedR 2002, 201 [OLG Zweibrücken 20.11.2001 - 5 U 20/01]).
Das heißt aber nicht, dass Schlechtleistungen eines Zahnarztes stets ohne Sanktion bleiben und vollauf entgolten werden. Dauert das Behandlungsverhältnis noch an und kündigt der Patient vor dessen Ende, wozu er gemäß § 627 BGB nahezu uneingeschränkt befugt ist, zieht § 628 BGB eine Grenze: Der Vergütungsanspruch des Zahnarztes entfällt dann insoweit, als seine bisherigen Arbeiten infolge der Kündigung kein Interesse mehr für den Patienten haben (§ 628 Abs. 1 Satz 2 BGB). Voraussetzung ist freilich, dass eine mehr als nur geringfügige Schlechtleistung des Zahnarztes vorgelegen hat (BGH, NJW 2011, 1674 [BGH 29.03.2011 - VI ZR 133/10]). Hat der Patient das nicht geschuldete Honorar bereits entrichtet, steht ihm ein Kondiktionsanspruch (§ 812 Abs. 1 BGB) zu (Senat, VersR 2008, 537 [OLG Koblenz 19.06.2007 - 5 U 467/07]). Darüber hinaus kann er Schadensersatz für die Aufwendungen verlangen, die für eine Ersatzvornahme durch einen anderen Zahnarzt erforderlich werden (Preis in Staudinger, BGB 2012, § 628 Rn. 49). Allerdings muss beides im Zusammenhang gesehen werden: Insofern ist den Aufwendungen für die Ersatzvornahme die Honorarersparnis bei der Erstbehandlung gegenzurechnen, so dass es regelmäßig an einer ausgleichsfähigen finanziellen Belastung fehlen wird (Schellenberg, VersR 2007, 1343).
Die Anwendung von § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB führt für die Klägerin zu einem Rückforderungsrecht hinsichtlich des von ihr an die Beklagte geleisteten Eigenanteils. Sie hat die seinerzeit noch nicht abgeschlossene Versorgung ihres Oberkiefers, die die Beklagte auf Betreiben der Krankenkasse durch eine Nachbesserung fortsetzen wollte, zu Beginn des Jahres 2010 gekündigt, indem sie sich der dafür vorgesehenen Behandlung verweigerte und anderweit Hilfe in Anspruch nahm. Dem waren Unzulänglichkeiten in der Arbeit der Beklagten vorausgegangen, die die Klägerin nicht hinzunehmen brauchte:
Das Attest des Medizinischen Dienstes vom 7.12.2009, das die Krankenkasse an die Beklagte herantreten ließ und in seinem Ergebnis von dieser "akzeptiert" wurde (Schreiben vom 16.12.2009), bescheinigte Keramikfrakturen und einen Inzisalkantenverlust an der mittlerweile dritten von der Beklagten eingesetzten Brücke. Keramikschäden hatte es auch schon an den beiden Vorgängerbrücken gegeben, die deswegen ausgetauscht worden waren. Angesichts der außergewöhnlichen Kürze der Zeit, in der sie auftraten, waren sie trotz des Bruxismus der Klägerin indikativ für eine Mangelhaftigkeit (Gutachten des Sachverständigen Dr. M. S. 7), auch wenn sich hier letztlich eine zweifelsfreie Feststellung nicht treffen lässt (Gutachten Dr. M. S. 9f. ).
Des Weiteren wurde von Seiten des Medizinischen Dienstes eine Lockerung der Brücke beanstandet. Sie hing augenscheinlich damit zusammen, dass der - als Trägerzahn prädestinierte - Zahn 23 nicht mit in den Verband einbezogen worden war. Dasselbe Manko musste bereits für die 2008 implantierte Brücke vermutet werden, weil die Dokumentation der Beklagten nichts Abweichendes zu erkennen gibt (BGHZ 129, 6; Sprau in Palandt, BGB, 72. Aufl., § 823 Rn. 161). Die Aussparung des Zahns 23 ist von dem Sachverständigen Dr. M. grundsätzlich kritisiert worden. Daran vermag der Parteistreit darüber, welche Wurzellänge der stattdessen als Pfeiler ausgewählte Zahn 22 konkret hat, nichts zu ändern. Sollte die Wurzellänge so gering sein, wie das die vorliegenden Zahnfilme suggerieren, wäre der Fehler um so gravierender (Gutachten Dr. M. S. 8 ).
Dass die Klägerin, wie die Beklagte behauptet, eine Erstreckung der Brücke bis hin zum Zahn 23 nicht wünschte, räumt den Mangel nicht aus. Unter derartigen Umständen war die Beklagte nämlich gehalten, auf die anatomischen Gegebenheiten hinzuweisen. Dass sich die Klägerin dann einer Ausweitung der Brücke versagt hätte, ist weder behauptet noch sonst ersichtlich. Die Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens spricht für das Gegenteil.
Damit ist die Beklagte des von der Klägerin aufgebrachten Honoraranteils verlustig. Ihre prothetischen Leistungen hatten für diese am Ende kein Interesse, weil die Brücke nicht funktionstüchtig war und schließlich neu angefertigt werden musste (Untersuchungsbefund des Medizinischen Dienstes vom 7.12.2009).
2. Der Schmerzensgeldanspruch der Klägerin ist auf 500 € begrenzt. Er hat seine Grundlage in §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB und setzt damit ein der Beklagten individuell vorwerfbares Fehlverhalten voraus, durch das die Klägerin an ihrem Körper oder ihrer Gesundheit geschädigt wurde. Deren Vortrag dazu hat sich darin erschöpft, dass sich die wiederholte Herausnahme der ihr eingesetzten Brücken jedesmal als "Gewaltakt" gestaltet habe. Die Mundwinkel seien eingerissen, das Zahnfleisch entzündet und die Zähne gelockert gewesen; sie habe dann nur noch flüssige Nahrung zu sich nehmen können.
Das kann der Beklagte haftungsrechtlich nur insoweit angelastet werden, als es um die Herausnahme der dritten, 2008 implantierten Brücke geht, die Instabilitäten aufwies. Demgegenüber beruhte der Austausch der beiden ersten Brücken auf Keramikschäden, die nach den Erkenntnissen des Sachverständigen Dr. M. nicht sicher auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen sind, sondern stattdessen durch eine Materialschwäche bedingt und zudem durch den Bruxismus der Klägerin begünstigt worden sein können. Im Hinblick darauf steht ein schadensersatzrechtlich relevanter Pflichtverstoß der Beklagten nicht fest; darüber hilft die Beweiserleichterung des § 280 Abs. 1 S. 2 nicht hinweg (Grüneberg in Palandt, BGB, 72. Aufl., § 280 Rn. 36 f.).
Die geschilderten Beschwerden der Klägerin rechtfertigen das ausgeurteilte Schmerzensgeld von 500 €. Für eine weitergehende Entschädigung ist kein Raum. Die Beeinträchtigungen sind in ihrer Intensität und Dauer nicht näher substantiiert worden. Insofern ist nicht greifbar, dass sie ein erhebliches Ausmaß gehabt hätten.
3. Die der Klägerin zustehenden Ansprüche sind gemäß § 288 Abs. 1 S. 2 BGB in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Die - für die Zeit ab dem 21.05.2010 beantragte (§ 308 Abs. 1 ZPO) - Verzinsung der Honorarrückgewährforderung wurde durch die Mahnschreiben vom 1.02. und 10.05.2010 in Gang gesetzt (§ 286 Abs. 1 S. 1 BGB), für das Schmerzensgeld beginnt sie - ebenfalls antragsgemäß - mangels Zu- stellung des Schriftsatzes der Klägerin vom 29.07.2011 mit der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 20.02.2013 (§ 291 BGB, § 261 Abs. 2 ZPO).
4. Der Kostenausspruch ergibt sich aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision fehlen.
Rechtsmittelstreitwert: 5.251,09 €