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09.10.2015 · IWW-Abrufnummer 145539

Landessozialgericht Baden-Württemberg: Beschluss vom 16.07.2015 – L 11 KR 211/15

Der Anspruch auf künftige Gewährung professioneller Zahnreinigung ist mit der allgemeinen Leistungsklage geltend zu machen. Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung haben auch bei Vorliegen einer Parodontitis neben dem als Sachleistung gewährten Entfernen harter Beläge keinen (weitergehenden) Anspruch auf Durchführungen einer professionellen Zahnreinigung.


Landessozialgericht Baden-Württemberg
Beschl. v. 16.07.2015
Az.: L 11 KR 211/15
Der 11. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart hat durch Beschluss vom 16.07.2015 für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 09.12.2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten für professionelle Zahnreinigungen am 08.07.2013 und 18.08.2014 sowie die Übernahme zukünftig hierfür anfallender Kosten.
Der 1969 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger beantragte am 12.07.2013 die Übernahme der Kosten für eine am 08.07.2013 im U.-Klinikum F. durchgeführte professionelle Zahnreinigung, für die ihm mit Privatliquidation vom 09.07.2013 31,50 € berechnet worden sind. Er machte geltend, bei ihm sei zur Behandlung einer Parodontitis ergänzend zu der als Kassenleistung erbrachten Entfernung harter und weicher Beläge eine professionelle Zahnreinigung notwendig gewesen, da sich andernfalls die Zahnfleischentzündung verschlimmert hätte.
Mit Bescheid vom 17.07.2013 lehnte die Beklagte die Kostenerstattung ab, da es sich um eine vorbeugende Maßnahme handele, die nicht abrechenbar sei. Mit Schreiben vom 22.07.2013 erhob der Kläger Widerspruch und führte aus, bei ihm habe eine entzündliche Zahnbetterkrankung vorgelegen, deren Behandlung unaufschiebbar gewesen sei. Es habe sich um eine medizinisch allgemein anerkannte notwendige zahnärztliche Behandlung gehandelt, nicht um eine Maßnahme der Individualprophylaxe.
Die Beklagte zog die Behandlungsunterlagen der U.-Klinik F. bei und veranlasste eine sozialmedizinische Begutachtung nach Aktenlage beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Im Gutachten vom 02.10.2013 führte Dr. S. aus, dass bei dem Versicherten auf Grund der vorhandenen Parodontitis Maßnahmen zur Sicherung des Behandlungserfolgs notwendig seien. Jährlich stehe einmal eine Zahnsteinentfernung (Entfernung harter Beläge) zur Verfügung, im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung könnten daneben lokale Maßnahmen an den Parodontien durchgeführt werden. Bei Erschöpfung der vertragsärztlichen Möglichkeiten sei die Durchführung einer professionellen Zahnreinigung im Einzelfall aus medizinischer Sicht zu befürworten, um die Vorgaben der Behandlungsrichtlinie zur Sicherung des Behandlungserfolgs zu gewährleisten. Rein formal sei die Abrechnung einer professionellen Zahnreinigung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (Bema-Z) nicht beschrieben und sei diese Leistung daher keine Vertragsleistung; sie könne nicht zu Lasten der GKV abgerechnet werden. Professionelle Zahnreinigungen fielen grundsätzlich und ohne Ausnahmen in den Bereich der Eigenvorsorge. Auch könne die professionelle Zahnreinigung die täglich mehrfach durchzuführende eigene Mundpflege nicht ersetzen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach den Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (BehandlRl-ZÄ) unter III.1 umfasse die Vorbeugung und Behandlung der Gingivitis, Parodontitis und Karies bei Patienten, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, insbesondere die Anleitung des Patienten zu effektiver Mundhygiene und Hinweise zur Reduktion von Risikofaktoren sowie ggf die Entfernung harter Beläge und iatrogener Reizfaktoren. Nach der Gebühren-Nr 107 Bema-Z sei das Entfernen von harten Zahnbelägen einmal pro Kalenderjahr abrechnungsfähig.
Hiergegen richtet sich die am 16.05.2014 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage. Der Kläger ist der Auffassung, bei ihm sei die als Vorbehandlung zur notwendigen Parodontitisbehandlung erforderliche professionelle Zahnreinigung ein Teil der notwendigen zahnärztlichen Krankenbehandlung iSd Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), auf die jeder erkrankte gesetzlich Versicherte einen unbedingten Anspruch habe. Professionelle Zahnreinigung umfasse ua das Entfernen harter und weicher Zahnbeläge, das Polieren aller Zahnflächen und aller erreichbaren Wurzeloberflächen mit Polierinstrumenten und Pasten sowie das Fluoridieren. Da Vertragsärzte die Leistung nicht als Sachleistung abrechnen könnten, habe er sich diese Leistung privat beschaffen müssen. Eine weitere professionelle Zahnreinigung sei am 18.08.2014 erfolgt mit Kosten iHv 35,28 €. Sie habe der Behandlung der Parodontitis gedient. Professionelle Zahnreinigung werde auch weiterhin bei ihm erforderlich sein, die Entfernung harter Zahnbeläge reiche nicht aus.
Mit Urteil vom 09.12.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die auf Kostenerstattung für die durchgeführten Zahnreinigungen und Übernahme künftig anfallender Kosten für professionelle Zahnreinigung gerichtete Klage sei zulässig, denn im Widerspruchsbescheid habe die Beklagte auch über die Übernahme zukünftiger Zahnreinigungen ablehnend entschieden. Die Klage sei jedoch unbegründet, denn seit 01.01.2004 zähle nach Nr 107 Bema-Z nur das Entfernen harter Zahnbeläge zu den vertragszahnärztlichen Leistungen. Für einen weitergehenden Anspruch fehle es an einer Rechtsgrundlage. Nicht alles, was medizinisch notwendig sei, falle in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Bundessozialgericht weise ausdrücklich darauf hin, dass mit der Begrenzung der Abrechenbarkeit auf die Entfernung harter Zahnbeläge die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bewusst begrenzt worden seien, weshalb die professionelle Zahnreinigung nicht abrechenbar sei (unter Hinweis auf BSG 21.06.2011, B 1 KR 17/10 R). Auch eine grundrechtsorientierte Leistungsausweitung komme nicht in Betracht, da zwar eine chronische Parodontitis vorliege, diese jedoch keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche oder wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung darstelle. Soweit der Kläger geltend mache, professionelle Zahnreinigung sei in seinem Fall notwendiger Bestandteil der Parodontitisbehandlung und keine bloße Prophylaxe, werde darauf hingewiesen, dass der Zahnarzt nach B.V.5.a BehandlRL-ZÄ bei Zahnfleischtaschen mit einer Sondentiefe mit 3,5 mm und mehr im Rahmen eines geschlossenen Vorgehens die Möglichkeit habe, alle supragingivalen und klinisch erreichbaren subgingivalen weichen und harten Beläge, nämlich Biofilm und Zahnstein, zu entfernen. Eine professionelle Zahnreinigung umfasse jedoch auch das Polieren, Fluoridieren und eine gesonderte Beratung über die häusliche Zahnreinigung. Eine derartige Beratung habe der behandelnde Zahnarzt schon im Rahmen der systematischen Parodontitistherapie vorzunehmen nach den BehandlRL-ZÄ vorzunehmen. Hinsichtlich der am 08.07.2013 durchgeführten Zahnreinigung komme eine Erstattung zudem bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger den erforderlichen Antrag nicht vor der Behandlung gestellt habe. Dass die professionelle Zahnreinigung unaufschiebbar gewesen sei, könne die Kammer nicht erkennen.
Gegen das ihm am 17.12.2014 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 19.01.2015 (Montag) fristwahrend Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und die Nachreichung der Antragstellung und Begründung angekündigt. Am 17.02.2015 hat er die beantragte Akteneinsicht beim SG genommen, sich danach jedoch trotz Erinnerungen vom 14.04. und 15.05.2015 nicht mehr zum Verfahren geäußert.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 09.12.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 17.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.04.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten der Behandlungen der U.-Klinik F. vom 08.07.2013 iHv 31.50 € zzgl Zinsen und vom 18.08.2014 iHv 35,28 € zzgl Zinsen zu erstatten,
ihm die Kosten aller weiteren während des laufenden Klageverfahrens erforderlichen Parodontalbehandlungen einschließlich der professionellen Zahnreinigungen zzgl Zinsen zu erstatten,
ihm die Kosten aller zukünftigen Parodontalbehandlungen einschließlich der professionellen Zahnreinigungen zzgl Zinsen zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Schreiben vom 16.06.2015 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen, da der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 14.07.2015 gegeben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden, haben sich jedoch nicht geäußert.
Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 17.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.04.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder Anspruch auf Erstattung der Kosten wegen der bereits durchgeführten professionellen Zahnreinigungen, noch auf Übernahme dieser Kosten in der Zukunft. Da der Kläger sich im Berufungsverfahren nicht geäußert hat, legt der Senat die bereits im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 02.09.2014 gestellten Klageanträge zugrunde. Dabei geht der Senat davon aus, dass es dem Kläger nicht um die generelle Behandlung der Parodontitis als solcher geht, die von der Beklagten als Sachleistung zur Verfügung gestellt und vom Kläger auch entsprechend in Anspruch genommen wird, sondern nur um die professionelle Zahnreinigung, die der Kläger als Teil der Parodontitisbehandlung ansieht. So verstanden ist auch der in die Zukunft gerichtete Leistungsantrag zulässig.
Der Zulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage für die Zukunft steht nicht entgegen, dass die Beklagte über die Leistungsansprüche grundsätzlich durch Verwaltungsakt zu entscheiden hat und sie in dem angefochtenen Bescheid nur eine Entscheidung für die Zahnreinigung vom 08.07.2013 getroffen hat. Für die Zukunft ist nur über eine grundsätzliche Leistungspflicht der Beklagten hinsichtlich der Gewährung von professionellen Zahnreinigungen zu entscheiden. Verwaltungsentscheidungen zu Leistungsansprüchen für die Zukunft kann es naturgemäß noch nicht geben (vgl BSG 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R, SozR 4-2500 § 37 Nr 6). Der Antrag auf Verurteilung zur künftigen Gewährung von professioneller Zahnreinigung ist sachdienlich (§ 106 Abs 1 SGG) und genügt dem Erfordernis der Bestimmtheit (§ 92 SGG). Zwar muss die Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers so weit wie möglich konkretisiert werden, um den Streitgegenstand zu kennzeichnen und die Zwangsvollstreckung zu ermöglichen bzw zu erleichtern (vgl BSG 30.04.1986, 2 RU 15/85, BSGE 60, 87, 90 = SozR 1200 § 53 Nr 6). Von diesem Grundsatz kann jedoch im Einzelfall abgewichen werden, wenn eine nähere Konkretisierung entweder objektiv unmöglich ist, weil sich die Einzelheiten der Leistungspflicht erst aus den nicht exakt vorhersehbaren Gegebenheiten einer aktuellen Situation ergeben, oder wenn sich die Beteiligten nur über die Leistungspflicht dem Grunde nach streiten, jedoch kein Streit über die Einzelheiten der zu erbringenden Leistung besteht (so BSG 17.01.1996, 3 RK 39/94, BSGE 77, 209, 2010 = SozR 3-2500 § 33 Nr 19). So liegt der Fall hier.
Als Anspruchsgrundlage für den Kostenerstattungsantrag kommt allein § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V (idF vom 26.03.2007, BGBl I 378) in Betracht, da der Kläger keine Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V gewählt hatte. Danach sind die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alt 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alt 2) und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V gibt demnach einen Kostenerstattungsanspruch für den Fall, dass der Versicherte wegen eines Systemversagens gezwungen ist, sich eine Behandlung, die ihm die Krankenkasse an sich als Sachleistung schuldet, außerhalb des für Sachleistungen vorgesehenen Weges selbst zu beschaffen.
Der Kläger hat schon wegen der Nichteinhaltung des gesetzlich vorgesehenen Beschaffungsweges keinen Anspruch auf Kostenerstattung der am 08.07.2013 durchgeführten professionellen Zahnreinigung. Insoweit wird auf die Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 153 Abs 2 SGG). Weitere Ausführungen zum Beschaffungsweg sind jedoch auch insoweit entbehrlich, als der Kläger schon grundsätzlich keinen Anspruch auf die Gewährung professioneller Zahnreinigung hat.
Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 9 stRspr). Das ist hier nicht der Fall, weshalb weder der Kostenerstattungsanspruch noch der Anspruch auf Erbringung der Leistung als Sachleistung in der Zukunft besteht.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V (idF vom 21.07.2012, BGBl I 1601) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua zahnärztliche Behandlung (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V). Die zahnärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend- chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden (§ 28 Abs 2 Satz 1 SGB V). Welche Tätigkeiten des Zahnarztes iS des § 28 Abs 2 Satz 1 SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sind, konkretisieren Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) auf der Grundlage des § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V, nämlich die Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (BehandlRL-ZÄ idF vom 04.06./24.09.2003, BAnz Nr 226 vom 03.12.2003 S 24966, zuletzt geändert durch Beschluss vom 01.03.2006, BAnz Nr 111 vom 17.06.2006 S 4466). Nach B.VI.1. BehandlRL-ZÄ gehören zur vertragszahnärztlichen Versorgung das Entfernen von harten verkalkten Belägen und die Behandlung von Erkrankungen der Mundschleimhaut (sonstige Behandlungsmaßnahmen). Dem Naturalleistungsanspruch entspricht es und steht nicht entgegen, dass vertragszahnärztlich Nr 107 Bema-Z idF ab 1.1.2004 als Leistung nur das Entfernen harter Zahnbeläge vorsieht (BSG 21.06.2011, B 1 KR 17/10 R, SozR 4-2500 § 28 Nr 4).
Leistungen können Versicherten als Naturalleistungen nur dann von einem Vertragszahnarzt zu Lasten der GKV erbracht und abgerechnet werden, wenn sie zum Zeitpunkt der Behandlung im Bema-Z aufgeführt sind. Besteht allerdings ausnahmsweise die Pflicht, Leistungen in den Bema-Z aufzunehmen, weil ohne die Aufnahme eine umfassende ambulante Versorgung der Versicherten nicht möglich ist oder ein anderer Verstoß gegen höherrangiges Recht vorliegt und ist die Aufnahme der Position(en) in den Bema-Z unterblieben, gibt § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V - beim Fehlen systemnäherer Korrekturmöglichkeiten - dem Versicherten das Recht, sich unaufschiebbare Leistungen auf Kosten der Krankenkasse selbst zu beschaffen oder von ihr zu verlangen, die Kosten vorab zu übernehmen und unmittelbar mit dem Leistungserbringer abzurechnen (BSG 21.06.2011, aaO mwN). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es gibt keine Rechtsgrundlage für die Gewährung der hier streitigen professionellen Zahnreinigung. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass nicht alles, was medizinisch notwendig ist, der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterfällt. Die Vorgaben des gesetzlichen und untergesetzlichen Rechts müssen beachtet werden, denn die gesetzliche Krankenversicherung stellt den Versicherten Leistungen nur nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/08, BVerfGE 115, 25, 46 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).
Leistungen, die zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab enthalten sind, stellen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden iSv § 135 SGB V dar (BSG 27.09.2005, B 1 KR 28/03 R, [...]). Sie dürfen in der ambulanten Versorgung nur dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch diese Richtlinien wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4 stRspr). Eine derartige Empfehlung liegt für die professionelle Zahnreinigung bei Parodontitis nicht vor.
Es besteht auch kein Ausnahmefall, in dem es keiner Empfehlung des GBA bedarf. Weder für einen Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von diesem Erfordernis erwogen werden könnte (dazu BSG 19.10.2004, B 1 KR 27/02 R, BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1) noch für ein Systemversagen (dazu BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12) sind Anhaltspunkte ersichtlich. Danach kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (Systemversagen). Ein derartiger Systemmangel wird angenommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R, [...]). Auf Antrag der Patientenvertretung vom 22.07.2013 hat der GBA mit Beschluss vom 17.10.2013 das Bewertungsverfahren begonnen. Mit weiterem Beschluss vom 19.03.2015 hat er das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit der Bewertung der Systemischen Behandlung von Parodontopathien gemäß § 135 Abs 1 SGB V beauftragt. Zum Auftragsgegenstand gehört insbesondere die Bewertung des patientenrelevanten Nutzens von Interventionen der geschlossenen Behandlung mit mechanischen Instrumenten als Ergänzung und im Vergleich zu keiner bzw anderen Behandlungen unter besonderer Berücksichtigung von Effektmodifikationen (unter Ziffer I.2.). Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass dieses Bewertungsverfahren nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt wird.
Der Kläger kann sich auch nicht auf § 2 Abs 1a SGB V, eingefügt durch Art 1 Nr 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) vom 22.12.2011 (BGBl. I, S. 2983), mit Wirkung vom 01.01.2012, berufen. Diese Vorschrift setzt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (zB BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R; 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, alle in [...]) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden, die Untersuchungsmethoden einschließen würden, in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung um. Der vom BVerfG entwickelte Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden, die durch den zuständigen GBA bisher nicht anerkannt sind, setzt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung voraus (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R; 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, aaO).
Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist. Gerechtfertigt ist hiernach eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen ua nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb überschaubaren Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird; Ähnliches kann für den nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Einen solchen Schweregrad erreicht die Erkrankung des Klägers durch die Parodontitis offensichtlich nicht. Abgesehen davon stehen zur Behandlung der Parodontitis allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungen erfolgsversprechend zur Verfügung. Insoweit wird ebenfalls auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 153 Abs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).