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· Nachricht · Aktuelle Rechtsprechung

OLG Hamm: Schmerzensgeld und Schadenersatz wegen verfrühter prothetischer Versorgung

von RA/FA Medizinrecht Norman Langhoff, RBS RoeverBroennerSusat, Berlin

| Wird provisorischer Zahnersatz nach einer Therapie mit Protrusionsschienen zu früh eingegliedert, kann dies nach einem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm einen schweren Behandlungsfehler begründen. |

Die Entscheidung

In dem der Entscheidung des OLG Hamm vom 6. Juni 2014 (Az. 26 U 14/13, Abruf-Nr. 142152) zugrunde liegenden Sachverhalt verlangte die Patientin vor allem Schmerzensgeld (5.000 Euro) und den Ersatz materieller Schäden (1.651 Euro). Das Gericht hat das vorangehende Urteil des Landgerichts Bielefeld bis auf einen geringen Differenzbetrag nahezu vollständig bestätigt und die Berufung des erstinstanzlich unterlegenen Zahnarztes zurückgewiesen.

 

Der Zahnarzt hatte die Patientin im Juli 2003 mit einer Protrusionsschiene versorgt, um eine Kieferfehlstellung zu korrigieren. Nachdem die Beschwerden zunächst nicht nachließen, entfernte er im Oktober 2003 die vorhandenen Amalgamfüllungen, schliff die Zähne für den geplanten Einsatz von Interimszahnersatz ab und setzte Interimsbrücken ein. Danach verstärkten sich die - inzwischen chronifizierten - Schmerzen der Patientin, die im November 2003 stationär wegen einer Knochenentzündung im OK behandelt wurde.

 

Der Senat ging unter Anschluss an das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten davon aus, dass es behandlungsfehlerhaft war, im Oktober eine Interimsversorgung einzugliedern, obwohl die Position des Unterkiefers durch die Schienentherapie noch nicht ausreichend gesichert war. Da der Einheilzeitraum deutlich unterschritten wurde, stufte der Senat das als schweren Behandlungsfehler ein. Die Sachverständige hatte eine sechsmonatige Beschwerdefreiheit gefordert. Der Behandler hätte daher den Beweis führen müssen, dass die eingetretenen Schäden nicht auf dem fehlerhaften Vorgehen beruhen. Den Einwand, dass keine Nachbesserungsmöglichkeit bestanden habe, wies der Senat mit Blick auf den schweren Behandlungsfehler zurück. Eine Weiterbehandlung sei der Patientin nicht zumutbar gewesen.

Bewertung der Entscheidung

Leitlinien ersetzen keine Gutachten. Der bloße Hinweis auf ein Abweichen von Leitlinien begründet keinen Behandlungsfehler (so jüngst wieder der Bundesgerichtshof im Urteil vom 15. April 2014, Az. VI ZR 382/12, Abruf-Nr. 141535). Die medizinische Frage der erforderlichen Länge der Einheilzeit mag im Einzelfall anders zu beurteilen sein; dieses Urteil zeigt nun jedoch zumindest eine Tendenz für vergleichbare Fälle auf. Die Bewertung als schwerer Behandlungsfehler hat neben beweisrechtlichen Nachteilen laut OLG Hamm auch den Verlust des Nachbesserungsrechts zur Folge.

Quelle: ID 42857975