· Fachbeitrag · Teambuilding
Mobbing: Wenn aus Kollegen Feinde werden
von Anna Schmiedel, Dortmund, www.coaching-schmiedel.de
| In jeder Zahnarztpraxis gibt es Konflikte ‒ mal kleinere, mal größere. Und nicht immer können diese gelöst werden. Doch selbst wenn einzelne Mitarbeiter dann nicht besonders gut miteinander auskommen, spricht man in diesem Fall nicht schon von Mobbing. Denn Mobbing geht weit über „bloße“ Befindlichkeiten hinaus. Doch was ist Mobbing eigentlich genau? Anhand eines Beispielfalls mit einer neuen Kollegin im Praxisteam zeigt dieser Beitrag: Was bedeutet Mobbing für die Betroffene, wie kann sie sich dagegen wehren und welche Aufgabe hat der Praxischef in solchen Fällen? |
Hintergrund
Unter Mobbing verstehen Fachleute systematisches „Fertigmachen“: Es geht also um Intrigen, Schikanen, Ausgrenzung, Beleidigungen und Benachteiligungen, die sich gezielt und absichtlich gegen einen oder mehrere Menschen richten und systematisch erfolgen. Die Aggressionen erfolgen dabei oft verdeckt, in späteren Stadien manchmal auch offen.
Mobbing ist nicht mehr nur ein persönliches Problem für die Betroffenen, sondern auch ein ernstes gesellschaftliches und wirtschaftliches Problem. Gerade für Zahnarztpraxen sind die Folgen verheerend, wenn leistungsfähige und arbeitswillige Fachkräfte aus der Arbeitswelt verdrängt werden.
Begriffsdefinition
Der Begriff „Mobbing“ leitet sich aus dem Englischen „to mob“ ab, das so viel heißt wie „schikanieren“, „anpöbeln“, „angreifen“. Es ist eine Verkürzung des lateinischen Begriffs „mobile vulgus“, der mit „aufgewiegelte Volkmenge“, „Pöbel“ übersetzt werden kann.
Über eine Million Betroffene
Laut „Mobbing-Report“, einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, werden 3 von 100 Beschäftigten am Arbeitsplatz diskreditiert, gedemütigt, beleidigt, an ihrer Arbeit gehindert, seelisch zermürbt oder körperlich bedroht ‒ kurz: Sie werden gemobbt. Bei rund 37 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland sind das mehr als eine Million Personen.
Stimmung und Betriebsergebnis werden gedrückt
Schätzungen gehen davon aus, dass der mobbingbedingte Produktionsausfall jährlich rund 12,5 Mrd. Euro beträgt. Denn wenn Kollegen sich mehr mit dem Austausch von Gehässigkeiten als mit ihren Aufgaben beschäftigen oder wenn Vorgesetzte sich weniger um das Wohl der Firma und mehr um die Schikanierung ihrer Mitarbeiter kümmern, drückt das nicht nur die Stimmung, sondern auch das Betriebsergebnis. Für die Betroffenen hat Mobbing weit reichende gesundheitliche, private und berufliche Konsequenzen. Mobbing läuft meist in mehreren Phasen ab.
Phase 1: Der Konflikt wird nicht konstruktiv gelöst
Anhand eines Beispielfalls wird gezeigt, in welchen Phasen sich Mobbing entwickelt und welche Auswirkungen jeweils zu befürchten sind.
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Regina Müller arbeitet schon seit 20 Jahren in der Praxis Dr. Meyer. Seit 15 Jahren managt sie den Verwaltungs- und Abrechnungsbereich allein. Alle Versuche des Chefs, andere Mitarbeiterinnen in den Bereich einzuführen, scheiterten ‒ offenbar waren die neuen Mitarbeiterinnen nicht motiviert genug. Nachdem der Sohn des Praxisinhabers Dr. Yunus in die Praxis mit eingestiegen ist, sahen beide den Zeitpunkt als geeignet, eine Kollegin für die Verwaltung einzustellen. Beiden Zahnärzten lag es am Herzen, die Abhängigkeit von einer einzelnen Mitarbeiterin zu reduzieren. Sie stellten Anja Bertinger ein, eine junge ZMV, die fachlich sehr fit ist, hervorragende Arbeitszeugnisse und eine nette, zurückhaltende Art hat. |
Abhängigkeiten von einer einzelnen Mitarbeiterin sind in Zahnarztpraxen nicht selten. Die besondere Position etwa als Verwaltungsprofi oder Prophylaxe-Fachkraft sichern Anerkennung und Macht: „Ich kann etwas, was hier sonst niemand kann. Deshalb bin ich etwas Besonderes.“
Kommt nun eine neue Kollegin mit gleichen oder besseren Kenntnissen ins Team, fühlt sich die bisherige Mitarbeiterin bedroht. Diese Situation ist wie geschaffen für Mobbing; sie wird meist nicht erkannt. Fachleute sehen jetzt Phase 1 des Mobbingprozesses: „Ein Konflikt wird nicht konstruktiv gelöst“.
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Der Seniorchef informiert Regina Müller über die Einstellung einer weiteren Mitarbeiterin und spricht betont positiv über diese. Er zählt die Vorteile der Entlastung für Regina auf ‒ jetzt, wo mit Dr. Yunus ein weiterer Zahnarzt in der Praxis arbeite. Zudem sei die „Neue“ jünger und hätte vor kurzem die Weiterbildung absolviert, was sicher frischen Wind in die Praxis bringen würde. Regina soll Anja Bertinger einarbeiten und die Arbeitszeiten mit ihr abstimmen. Unwissentlich trifft er Reginas empfindlichsten Punkt und macht ihr Angst. |
An dieser Stelle hätte der Seniorchef Regina Sicherheit und Wertschätzung in Bezug auf ihre berufliche Position geben sollen. Außerdem muss er jetzt den Konflikt ‒ alleiniger Machtanspruch, Abhängigkeit ‒ ansprechen. Der Konflikt besteht zwischen den Praxischefs und Regina. Die neue Mitarbeiterin hat damit nichts zu tun, wird aber zum Spielball und daher Opfer der Situation.
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Gleich am ersten Tag merkt Anja, dass Regina sie nicht mag. Letztere verfügt, dass Anja an vier Tagen der Woche Spätdienst macht. Der Ton ist kühl, die Informationen fließen spärlich. Anja lässt sich nicht entmutigen, arbeitet sich selbst in vielen Bereichen ein, stellt ZE-Anträge und schreibt Rechnungen. Ihr fehlen jedoch die spezifischen Informationen über die Besonderheiten der Praxis. |
Sich der Situation zu fügen ‒ in diesem Fall bei den Arbeitszeiten ‒ ist eine Strategie, die in einem Mobbingfall kontraindiziert ist. Weil Anja sich fügt, bestärkt sie Regina, mit der verdeckten Aggressivität weiterzumachen. Anja versucht nun, fehlende Informationen durch eifrigen Einsatz wettzumachen; damit sind Fehler vorprogrammiert, die dann gegen sie genutzt werden.
Regina deckt „Fehler“ der neuen Kollegin auf
Regina stellt bei der Kontrolle der Heil- und Kostenpläne fest, dass Anja einen Plan „falsch“ aufgestellt hat ‒ die funktionsanalytischen Leistungen fehlen. Sie erfolgen in dieser Praxis jedoch immer und werden deshalb nicht gesondert erwähnt, wenn um einen HKP-Auftrag gebeten wird. Sofort bittet Regina um ein Gespräch mit beiden Chefs: „Die Neue macht alles falsch! Wissen Sie, wie viel Geld Ihnen da verloren geht?“
Chefs betrachten die neue Mitarbeiterin nun kritischer
Worte haben eine magische Wirkung. Selbst wenn die Chefs Regina nicht komplett glauben, werden sie von nun an Anja etwas genauer und kritischer beobachten. Da ihnen die Dynamik des hier gespielten Spiels nicht auffällt, werden sie Teil dieser destruktiven Entwicklung.
Phase 2: Systematischer Psychoterror
Wer Mobbing stoppen will, muss es erkennen ‒ je früher, desto besser. Dies ist nicht einfach: Rund ein Viertel der Mobbingopfer können im Nachhinein nicht mehr sagen, wann der Terror anfing. Oft haben sie den Beginn nicht bemerkt, die Situation schöngeredet oder die Schuld bei sich selbst gesucht.
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Regina schreibt Anjas Fehler ‒ und seien sie noch so unbedeutend ‒ in eine Liste und legt ihr diese täglich vor. Jedoch macht sie an der fachlichen Grenze nicht halt: Sie kritisiert Anjas auffällig rote Haarfarbe in der Teambesprechung. Dies macht sie jedoch sehr geschickt, um nicht angreifbar zu sein. „Wenn wir hier über Corporate Design sprechen, sollten wir auch festlegen, was hier unter einer seriösen Haarfarbe verstanden wird.“ |
Weil die Chefs sich nicht äußern, ist Anja sehr verunsichert. Handelt Regina vielleicht in ihrem Sinne? Sie hört auf, sich selbstständig Bereiche zu erschließen, die Regina ihr vorenthält. In dieser Zeit verbessert sich das Verhältnis von Regina zu den anderen Kolleginnen. Das freut die Chefs sehr.
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Regina gründet eine WhatsApp-Gruppe, in der alle Mitarbeiterinnen dabei sind ‒ außer Anja. Darin äußert sich Regina häufiger über die vermeintliche Unfähigkeit von Anja. Auch in der Praxis wird über Anja geredet. Manche Kolleginnen äffen sie nach, was zu einem Lachanfall bei den anderen führt. Betritt Anja das Zimmer, verstummt das Lachen abrupt. Eines Morgens findet Anja einen Aufkleber auf ihrem Spind: „Riech‘ ich dein Aroma, fall ich gleich ins Koma“. Sie ist beschämt, bekommt Selbstzweifel und Angst: „Was habe ich nur falsch gemacht?“ |
Phase 3: Die Personalleitung reagiert
Im nächsten Schritt kommt es noch schlimmer für Anja: Nicht nur ihre Kolleginnen, sondern auch der Seniorchef scheint gegen sie zu sein.
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Ängstlich kontrolliert Anja ihre Arbeit in der Praxis mehrfach und wird in der Kommunikation mit den Chefs immer zurückhaltender. Das nervt den Seniorchef. Er ist enttäuscht, dass sich Anja so anders entwickelte, als er es nach dem Vorstellungsgespräch gedacht hatte. Diese Enttäuschung drückt er ihr gegenüber aus: „Wenn Ihre Leistungen nicht langsam besser werden, müssen wir uns in der Probezeit von Ihnen trennen.“ |
Ist die Situation in diesem Stadium, spricht man von Phase 3 des Mobbingprozesses: „Die Personalleitung reagiert.“
Phase 4: Psychosomatische Reaktionen
In der Folgezeit greifen die Probleme an ihrem Arbeitsplatz auf Anjas Gesundheit über: Sie kann nachts nicht mehr ruhig schlafen.
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Anja leidet inzwischen an Schlafstörungen. In der Folge kann sie sich auch tagsüber nicht mehr richtig konzentrieren und macht Fehler, die ihr früher nie passiert wären. Anja geht schließlich zum Hausarzt, der aber keine organischen Ursachen für ihre Beschwerden finden kann. |
Fachleute sprechen jetzt von Phase 4: Die Opfer zeigen psychosomatische Reaktionen. Diese gehen mit Fehldiagnosen durch behandelnde Ärzte bzw. Psychologen einher, da sie nicht nach dem Zusammenhang zwischen den körperlichen Beschwerden und der Situation am Arbeitsplatz nachfragen.
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Regina geht zu den Chefs und liefert ihnen Beispiele, dass Anja völlig überfordert ist. Die Zahnärzte müssen ihr beipflichten, dass auch sie das Gefühl hätten. Sie legen fest, Anja solle sich aus der Abrechnung komplett heraushalten und zunächst nur Rezeptionsaufgaben übernehmen. |
Regina Müller hat ein wichtiges Ziel erreicht. An dieser Stelle fragt sich mancher: Hat sie sich bewusst so verhalten? Sicherlich nicht. Sie ist geleitet von der tiefen Überzeugung, ihre Macht behalten zu müssen, um eine persönliche Katastrophe zu verhindern. Dass sie dabei „über Leichen geht“, verdrängt sie. Am Ende hat sie kein schlechtes Gewissen, sondern sieht sich in der Bewertung der neuen Kollegin bestätigt. Hier kommen Motive und Charaktereigenschaften einer Person zusammen und machen sie zur Täterin. Durch den Vergleich mit Anjas Kompetenzen leidet Reginas Selbstbild. Um sich diesen Vergleich nicht zu stellen, hat sie ein Feindbild aufgebaut.
Phase 5: Ausschluss aus der betrieblichen Gemeinschaft
Schließlich kommt es zur fünften und letzten Phase des Mobbingprozesses: Die neue Kollegin wird aus der betrieblichen Gemeinschaft ausgeschlossen.
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Kurz vor Ablauf der sechsmonatigen Probezeit wird Anja gekündigt. Sie bewirbt sich in einer anderen Praxis, ohne zu wissen, dass die Chefs sich kennen. Nach einem Telefonat der Zahnärzte bekommt sie eine Absage. |
Das Mobbing ist für Anja eine persönliche Katastrophe. Selbstvertrauen, Motivation und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sind stark beschädigt. Ohne kompetente Hilfe ist es fast unmöglich, zu alter Stärke zurückzufinden.
Verantwortung der Chefs
Obwohl die Chefs merken, dass sie stark von einer Mitarbeiterin abhängig sind, bringen sie die Vorkommnisse nicht damit in Verbindung. Sie tolerieren den Umgangston, den Regina gegenüber Anja anschlägt, und suchen kein klärendes Gespräch mit ihr. Anja könnte Anzeige wegen „Verletzung der Fürsorgepflicht“ erstatten und den Schaden für die Praxis weiter verschärfen.
PRAXISHINWEIS | Mobbing ist Chefsache! Dieser sollte auch ohne konkreten Anlass öfter aussprechen, dass Mobbing in seiner Praxis nicht geduldet wird. Er sollte rechtzeitig eingreifen, wenn destruktive Dynamiken beobachtet werden. |
Was kann das Mobbing-Opfer tun?
Weil Anja keine Erklärung für den Konflikt findet, sucht sie die Schuld bei sich. Selbstzweifel und Schamgefühle verhindern, dass sie sich gegenüber den Chefs öffnet und Hilfe sucht. Hatte Anja eine Chance auf Gegenwehr? Ja! Ganz am Anfang war sie noch selbstbewusst und motiviert genug, um sich gegen die unfaire Arbeitsverteilung zu wehren ‒ sachlich und freundlich, aber sehr klar! Auch den unfreundlichen Ton hätte sie thematisieren können. Damit hätte sie Regina gezeigt, dass sie nicht alles mit ihr machen kann.
Außerdem hätte sie sich die Unterstützung der Chefs und anderer Mitarbeiter sichern können, indem sie diese um die Informationen bittet, die Regina ihr vorenthält. Damit wäre Anja weniger isoliert. Das Schlimmste für Regina ist es, wenn ihr Verhalten entlarvt und sie damit bloßgestellt wäre. Daher prüft ein Mobber stets sein Risiko. Passivität wird als Erlaubnis zum Mobbing verstanden. Wehrt sich das Opfer, ist das Risiko möglicherweise zu groß. Damit wären Regina und Anja zwar noch lange keine guten Kolleginnen geworden, aber die zerstörerische Dynamik hätte beendet werden können.
Weiterführende Hinweise
- Mobbingopfer finden Tipps unter mobbingscout.de