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  • · Fachbeitrag · Arbeitsrecht

    Die wichtigsten Fragen in der Praxis in Zusammenhang mit dem Betriebsübergang

    von Dr. Guido Mareck, stellvertretender Direktor Arbeitsgericht Dortmund

    | Welche Phasen des Betriebsübergangs unterscheidet man und was gilt es in den einzelnen Phasen besonders im Fokus zu haben? Wie sieht es während und nach dem Betriebsübergang für Veräußerer und Erwerber in Hinblick auf Haftung, Eintritt in die Arbeitsverhältnisse und Kündigung aus und muss man den Betriebsrat beteiligen? Dieser Beitrag gibt schnelle Antworten auf die in der betrieblichen Praxis am häufigsten gestellten Fragen rund um das Thema Betriebsübergang. |

    1. Welche Phasen des Betriebsübergangs kann man unterscheiden?

    Es sind im Wesentlichen vier Phasen zu unterscheiden:

     

    • Die Anbahnungs- oder Vorphase
    • Die Phase der vertraglichen Ausgestaltung des Betriebsübergangs mit dem potenziellen Erwerber
    • Die Phase der tatsächlichen Übertragung der sachlichen und immateriellen Betriebsmittel, das sogenannte „Closing“
    • Die Phase nach Vollzug des Betriebsübergangs

    2. Was ist in welcher Phase von Veräußerer und Erwerber zu beachten?

    Die Vorphase ist geprägt von Überlegungen dazu, ob ein „share“ oder „asset deal“ durchgeführt werden soll, also nur Übertragung von Gesellschaftsanteilen ohne Wechsel des Betriebsinhabers als juristische Person, oder ob ein echter Betriebsübergang auf einen neuen Inhaber ‒ den Erwerber ‒ erfolgen soll. Darüber hinaus werden ökonomische Überlegungen zum Betriebswert sowie zu etwaigen Risiken wie Systeme der betrieblichen Altersversorgung auf Veräußererseite angestellt. Abschließend müssen Sondierungsgespräche mit potenziellen Erwerbern geführt werden. Auch die Beteiligung des Betriebsrats und ggf. des Wirtschaftsausschusses ‒ sofern vorhanden ‒ spielt bereits im Vorfeld eine Rolle.

     

    Nachdem sich ein konkreter Bewerber hinauskristallisiert hat, muss in der nun folgenden Phase die konkrete vertragliche Ausgestaltung des Betriebsübergangs angegangen werden. Dies betrifft die Zuweisung von Aufgaben und Haftungsrisiken auf Veräußerer- und Erwerberseite. Unter anderem muss ein Zeitplan aufgestellt und die Übertragung von Betriebsmitteln und personenbezogenen Daten geregelt werden.

     

    Diese Vereinbarungen müssen der sogenannten „Due-Diligence-Prüfung“ genügen, was bedeutet, dass sie im Einklang mit gesetzlichen Bestimmungen und dem ggf. vorhandenen Unternehmenskodex stehen müssen. Die Datenübertragung muss darüber hinaus den Anforderungen der DSGVO und des BDSG genügen, schon um spätere Probleme mit Aufsichtsbehörden zu vermeiden.

     

    Die Abschlussphase des Betriebsübergangs, das „Closing“ steht im Licht der tatsächlichen schuld- und sachenrechtlichen Übertragung der Betriebsmittel und der Übernahme der Leitungsmacht durch den Erwerber als neuen Betriebsinhaber. Arbeitsrechtlich gesehen spielen hier oft Überlegungen wie haftungsrechtliche Fragen oder die Möglichkeit von Änderungs- bzw. Beendigungskündigungen eine Rolle.

     

    In der letzten Phase nach Durchführung des Betriebsübergangs geht es um Informations- und Abstimmungsansprüche zwischen Erwerber und Veräußerer, die sich zwar teilweise aus Treu und Glauben herleiten lassen, aber sinnvollerweise bereits vorher vertraglich fixiert werden sollten.

    3. Was muss der Erwerber haftungsrechtlich beim Betriebsübergang beachten?

    Mit vollzogenem Betriebsübergang tritt der Erwerber in vollem Umfang in die Rechtsstellung des früheren Inhabers ein. Er muss dann Kündigungs-, Ausschluss- und Verjährungsfristen hinsichtlich der übergegangenen Belegschaft im Auge haben, die in vielen Fällen noch vor dem Übergang im Betrieb des Veräußerers zu laufen begonnen haben.

     

    Dies betrifft u. a. auch die sechsmonatige Wartefrist nach § 1 Abs. 1 KSchG und den erstmaligen Erwerb des Urlaubsanspruchs nach § 4 BUrlG. Vereinbarungen zwischen Veräußerer und Erwerber vermögen hieran außerhalb des Betriebsübergangs in der Insolvenz, für den § 55 InsO gilt, nichts zu ändern. Diese (spätere) Haftungslage sollte aber schon bei den Verhandlungen über den Kaufpreis und dessen Höhe eine Rolle spielen.

    4. Wie und wann ist der Betriebsrat zu beteiligen?

    Besteht im Veräußererbetrieb ein Betriebsrat, hat dieser u. a. Informations- und Überwachungsrechte nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bei der Übermittlung und Verarbeitung von Beschäftigten- und sonstigen Daten.

     

    Darüber hinaus besteht im Vorfeld des Betriebsübergangs das Unterrichtungsrecht nach § 111 BetrVG. Wenn es sich bei dem Übergang und den Maßnahmen seiner Durchführung um eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung nach § 111 BetrVG handelt, kann der Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 111, 112 und 112a BetrVG durchsetzen. Daneben bestehen auch im Betriebsübergang die Rechte bei personellen Einzelmaßnahmen nach §§ 99 ff. BetrVG, das Anhörungsrecht nach § 102 Abs. 1 BetrVG bei Kündigungen und die Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 BetrVG, um nur die wichtigsten zu nennen.

    5. Was bedeutet „Information der Belegschaft“ nach § 613a Abs. 5 BGB?

    Bereits in einer frühen Phase der Vertragsverhandlungen sollten Veräußerer und Erwerber die Verantwortung für die Unterrichtung der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer in Textform nach § 613a Abs. 5 BGB klären. Die ordnungsgemäße Unterrichtung ist entscheidend für den Ablauf der Widerspruchsfrist von einem Monat, innerhalb derer die Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses schriftlich widersprechen können. Um diese Rechtsfolge auszulösen, muss die Unterrichtung aber den Anforderungen des § 613a Abs. 5 Nr. 1 bis 4 BGB genügen, was u. a. bedeutet, dass der Zeitpunkt des Übergangs, dessen wirtschaftliche und soziale Folgen und die in diesem Zusammenhang geplanten Maßnahmen im Unterrichtungsschreiben umfassend, wahrheitsgemäß und verständlich dargestellt werden müssen.

    6. In welchen Fällen gilt das Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB eigentlich?

    Nur wenn der Betriebsübergang allein oder zumindest überwiegend ursächlich für die Kündigung seitens des Veräußerers oder Erwerbers eines Betriebs ist, greift das eigenständige, vom KSchG unabhängige Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ein. Der Arbeitnehmer, der sich auf dieses Verbot berufen will, muss aber gleichwohl die Klagefrist von drei Wochen nach § 4 S. 1 KSchG wahren, um erfolgreich gegen eine solche Kündigung vorgehen zu können. Kündigungen aus anderen Gründen als dem Betriebsübergang bleiben zulässig, bedürfen aber bei Anwendbarkeit des KSchG eines personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Kündigungsgrundes, für den der kündigende Arbeitgeber im Rechtsstreit darlegungs- und beweispflichtig ist. Abzustellen ist dabei stets auf die Verhältnisse bei Kündigungszugang.

     

     

    Weiterführende Hinweise

    • „Der richtige Zeitplan für den Betriebsübergang ‒ Teil 1: Wer muss was wann und wie regeln?“, Abruf-Nr. 49650100
    • „Der richtige Zeitplan für den Betriebsübergang ‒ Teil 2: Wer muss was wann und wie regeln?“, Abruf-Nr. 49695197
    • „Ordnungsgemäße Unterrichtung der Arbeitnehmer vom Betriebsübergang nach § 613a Abs. 5 BGB“, Abruf-Nr. 47619806
    • „Kündigung/Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang“, Abruf-Nr. 48390918
    • „Die Rechtsstellung des Erwerbers gegenüber dem Arbeitnehmer nach dem Betriebsübergang“, Abruf-Nr. 48088810
    Quelle: Ausgabe 04 / 2024 | Seite 119 | ID 50175545