· Fachbeitrag · Arbeitsunfall
Veraltete MdE-Werte: Vorschläge sind eben nur Vorschläge ...
| Was bedeutet es auf dem modernen Arbeitsmarkt, wenn ein Arbeitnehmer nicht alle seine Finger einsetzen kann? Die Einschränkungen sind größer als früher, da nahezu in allen Berufen Tastaturen, Drucktasten und Displayflächen zu bedienen sind. Entsprechend neue Bewertungen sind aber noch nicht in die Literatur eingegangen und daher für Gerichte nicht bindend, so das SG Karlsruhe. |
Sachverhalt
Erleiden ältere Menschen einen Arbeitsunfall, kann der Verlust von Gliedmaßen eine Verletztenrente rechtfertigen. In einem aktuellen Fall vor dem SG Karlsruhe erlitt ein Arbeitnehmer einen Arbeitsunfall, der zur Versteifung des Zeigefingermittel- und Zeigefingerendgelenkes führte. Er erlitt zudem endgradige Bewegungseinschränkungen des Zeigefinger-Grundgelenks und Belastungsbeschwerden. Der Arbeitnehmer verlangte eine Verletztenrente nach einer MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) von 20 Prozent der Vollrente. Er argumentierte u. a. mit einem Schreiben seines Arztes sowie eines Aufsatzes von Ludolph/Schürmann zur „Neubewertung der MdE bei unfallchirurgisch-orthopädischen Arbeitsunfall- und BK-Folgen in der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV)“.
Entscheidungsgründe
Das SG Karlsruhe wies die Klage ab (17.10.19, S 1 U 1297/19, Abruf-Nr. 212367).Zwar sei derzeit hinsichtlich des Wandels durch geänderte Anforderungen des Arbeitsmarkts und dem medizinischen Fortschritt eine wissenschaftliche Diskussion in Gang, inwieweit die teilweise über Jahrzehnte alten MdE-Erfahrungswerte noch dem modernen Arbeitsmarkt entsprechen, so das SG. Allerdings hätten die Diskussionsvorschläge bislang keinen Eingang in die unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Standardwerke gefunden. Sie seien auch nicht e‒ wie vom Unfallsenat des BSG zuletzt gefordert ‒ in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen für den Bereich des Schwerbehindertenrechts und des Sozialen Entschädigungsrechts vergleichbaren Verrechtlichung eingegangen.
Relevanz für die Praxis
Die Diskussion um die MdE-Erfahrungswerte in der gesetzlichen Unfallversicherung ist noch ergebnisoffen und nicht abgeschlossen. Gerichte werden sich daher i. d. R. an den bestehenden MdE-Bewertungskriterien orientieren, auch wenn sie nicht mehr zeitgemäß sind. Argumentieren Sie trotzdem damit, was die konkreten körperlichen Einschränkungen im Beruf real bedeuten.
Weiterführende Hinweise
- Dauerhafte psychische Erkrankung muss nachgewiesen und austherapiert sein, SR 19, 98
- Unbefristete Rente: Ärztliche Prognose entscheidet, SR 18, 200