· Nachricht · Erwerbsminderung
Wenn die Schwere der Krankheit wechselt ...
| Viele Krankheitsbilder zeichnen sich durch schwere Schübe und stabilere Zeiträume aus. Dass die Darmerkrankung Morbus Crohn nicht stets gleich ausgeprägt auftritt und langfristig schwankt, ist für das LSG Baden-Württemberg nachvollziehbar (17.12.20, L 7 R 3817/19, Abruf-Nr. 221336 ). Häufige Toilettengänge schließen aus, dass Betroffene öffentliche Verkehrsmittel zur Arbeit nutzen. Das BSG hat hierzu Zeitfenster formuliert. |
Sachverhalt
Die 51-jährige Klägerin war in der Altenpflege tätig und bezog später Arbeitslosen- bzw. Krankengeld. Die Klägerin leidet unter einer ausgeprägten Morbus Crohn-Erkrankung, die täglich mit häufigen Stuhlgängen einhergeht. Daher achtet die Klägerin stets darauf, Toiletten in erreichbarer Nähe zu wissen.
Ihr Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab 1.6.17 wurde abgelehnt. Ihre Klage vor dem SG blieb erfolglos, jedoch hatte sie mit ihrer Berufung vor dem LSG Baden-Württemberg Erfolg und erhielt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.6.17 bis 31.12.21 zugesprochen.
Entscheidungsgründe
Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch, dass die Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit erreicht wird. Die Klägerin hat keinen Arbeitsplatz und ihr wurde ein solcher auch nicht angeboten. In solch einem Fall wird für die Bemessung der ‒ von Erwerbstätigen ‒ zurücklegbaren Wegstrecken angenommen, dass auch öffentliche Verkehrsmittel genutzt und von der Wohnung zur Haltestelle und zurück Fußwege absolviert werden.
MERKE | Eine (volle) Erwerbsminderung setzt grundsätzlich voraus, dass Versicherte nicht in der Lage sind,
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Die Klägerin litt seit Oktober 2016 aufgrund ihrer aktiven Morbus Crohn-Erkrankung an mindestens zehn Durchfällen täglich sowie plötzlicher und unvorhersehbarer Dranginkontinenz. Häufige Durchfälle sind seit 2014 dokumentiert. Es ist plausibel, dass die Krankheitssymptome täglich nicht exakt gleich ausgeprägt sind und im langfristigen Verlauf schwanken.
Beachten Sie | Da jederzeit eine Toilette erreichbar sein muss, scheiden öffentliche Verkehrsmittel aus.
Denn diese verfügen entweder gar nicht oder nur über Toiletten in nicht quantitativ ausreichender und funktionell zuverlässiger Weise.
PRAXISTIPP | Die Wegefähigkeit kann bei einer Morbus Crohn-Erkrankung stark eingeschränkt sein. Die psychische Belastung, auf allen Wegen und Strecken möglichst schnell erreichbare Toiletten zu kennen, setzt Betroffene unter starken Druck. Bevollmächtigte sollten daher darauf achten, dass Gutachter zu diesem Punkt als auch zur Wegefähigkeit möglichst konkrete Angaben machen, die die Einschränkung in ihrer Breite darstellen. |
Weiterführende Hinweise
- Dauerhafte psychische Erkrankung muss nachgewiesen und austherapiert sein, SR 19, 98
- Widersprüche zwischen Sachverständigengutachten und fachärztlichen Stellungnahmen sind aufzuklären, SR 20, 114