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· Fachbeitrag · Heilmittelverordnung

Rehasport neben Krankengymnastik: Welche Verordnungen sind möglich?

von RA Ralph Jürgen Bährle, Nothweiler, baehrle-partner.de

| Viele Senioren kennen das: Je älter man wird, desto mehr häufen sich die kleinen oder größeren Zipperlein ‒ und desto wahrscheinlicher werden Krankengymnastik oder Rehamaßnahmen erforderlich. In bestimmten Fällen kann einem gesetzlich versicherten Patienten auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen sogar zeitgleich Rehasport und Krankengymnastik (KG) verordnet werden. In der Praxis zeigt sich, dass die Krankenkassen solche Verordnungen vermehrt prüfen, mit dem Ziel, die Vergütung für erbrachte KG-Behandlungen zu kürzen. In welchen Fällen solche Verordnungen möglich sind und wie sich Patient und Therapeut gegen ungerechtfertigte Kürzungen wehren können, zeigt dieser Beitrag. |

1. Was ist Rehasport?

Rehasport hat zum Ziel, behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen möglichst auf Dauer in die Gesellschaft und das Arbeitsleben einzugliedern. Zum Rehasport gibt es eine „Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining“ der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR; Volltext online unter iww.de/s4090). Diese wiederum ist u. a. Teil des Rahmenvertrags zwischen dem vdek und dem Verband Physikalische Therapie (VPT). Therapeuten sind verpflichtet, von ihnen angebotenen Rehasport nach dieser Rahmenvereinbarung durchzuführen.

 

  • Präambel „Rehasport“ laut Rahmenvertrag vdek und VPT (1.1.12)

„Rehabilitationssport wirkt mit den Mitteln des Sports und sportlich ausgerichteter Spiele ganzheitlich auf die Behinderten und von Behinderung bedrohten Menschen ein. Neben der Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit trägt der Rehabilitationssport dazu bei, positive Effekte im psychosozialen Bereich, z. B. Steigerung des Wohlbefindens, des Selbstwertgefühls und der sozialen Kontaktfähigkeit, zu erzielen. Für die betroffenen Versicherten stellt der Rehabilitationssport außerdem eine wirksame Hilfe zur Selbsthilfe ‒ insbesondere zur Stärkung der Eigenverantwortlichkeit für ihre Gesundheit ‒ dar. Sie sollen zum langfristigen, selbstständigen und eigenverantwortlichen Bewegungstraining motiviert werden. Durch den Rehabilitationssport kann das Selbstbewusstsein, insbesondere auch von Behinderten oder von Behinderung bedrohten Frauen und Mädchen, gestärkt werden.“

 

Die Krankenkassen vergüten die Teilnahme ihrer Versicherten am Rehasport als ergänzende Leistung zur Rehabilitation. Nach § 40 SGB V erbringt die Krankenkasse medizinisch notwendige Rehabilitationsleistungen, wenn die ambulante Krankenbehandlung nicht ausreicht.

2. Was ist Krankengymnastik?

Eine KG-Behandlung hat andere Zielrichtungen als Rehasport. Eine Gemeinsamkeit besteht in der Erhaltung der Beweglichkeit. Die Krankenkassen vergüten KG-Leistungen als Heilmittel. KG ist ein verordnungsfähiges Heilmittel und wird in § 19 Ziffer 3 Heilmittel-Richtlinie (HeilM-RL) definiert.

 

  • Definition „allgemeine Krankengymnastik“ gemäß § 19 Nr. 3 HeilM-RL

Allgemeine Krankengymnastik (KG bzw. KG-Atemtherapie): Krankengymnastische Behandlungstechniken dienen z. B. der Behandlung von Fehlentwicklungen, Erkrankungen, Verletzungen, Verletzungsfolgen und Funktionsstörungen der Haltungs- und Bewegungsorgane sowie innerer Organe und des Nervensystems mit mobilisierenden und stabilisierenden Übungen und Techniken. Sie dienen der Kontrakturvermeidung und -lösung, der Tonusregulierung, der Funktionsverbesserung bei krankhaften Muskelinsuffizienzen und -dysbalancen sowie der Beeinflussung der Atmungsmechanik und der Atmungsregulation (Atemtherapie). Dabei werden ggf. auch z. B. Gymnastikbänder und -bälle, Therapiekreisel und Schlingentische eingesetzt. Die allgemeine Krankengymnastik (KG bzw. KG-Atemtherapie) kann als Einzel- oder Gruppenbehandlung verordnet werden.

 

3. Für KG und Rehasport jeweils ärztliche Verordnung nötig

In beiden Fällen benötigt der gesetzlich Versicherte eine ärztliche Verordnung. D. h., der Arzt entscheidet aufgrund seiner Diagnose, ob zur Erreichung des Therapieziels eine KG-Behandlung oder Rehasport die richtige Maßnahme ist. Verordnet er Rehasport, hat der Patient noch eine Genehmigung seiner Krankenkasse einzuholen. Die Krankenkasse genehmigt gemäß § 40 SGB V die Dauer des Rehasports danach, wie dieser im Einzelfall notwendig, geeignet und wirtschaftlich ist.

 

MERKE | Die Richtwerte liegen bei 50 Übungseinheiten, die auf 18 Monate verteilt werden. Bei Erkrankungen oder Behinderungen mit starker Beeinträchtigung oder mit Notwendigkeit komplexerer Übungen erhöhen sich diese Werte auf 120 Einheiten in 36 Monaten. Bei Herzgruppen fallen ebenfalls abweichende Werte an, da hier die Belastbarkeit des zu Behandelnden maßgebend ist. Der Richtwert liegt bei 90 Einheiten in 24 Monaten.

 

Grundsätzlich schließen sich Rehasport und KG nicht aus. Aus § 40 SGB V folgt nur, dass es sich um eine zusätzliche Sachleistung handelt, nicht aber, dass diese Sachleistung andere Sachleistungen ‒ also andere Therapien ‒ ausschließt. Es ist nur erforderlich, dass die „Krankenbehandlung nicht ausreicht“. Liegen den ärztlichen Verordnungen von Rehasport einerseits und KG andererseits unterschiedliche Befunde zugrunde, sind beide Leistungen nebeneinander in jedem Fall möglich und von der Krankenkasse zu bezahlen.

 

  • Beispiel: zwei Krankheitsbilder ‒ zwei Verordnungen

Ein älterer Patient hat Rehasport wegen Beschwerden in den Beinen und Problemen beim Gehen verordnet bekommen. Bei einem Auffahrunfall erleidet er ein Trauma der Halswirbelsäule (HWS). Der Arzt verordnet ihm daher Massagen und KG, weil das HWS-Trauma in den Arm ausstrahlt. Es gibt keine Überschneidungen zur verordneten KG. Die Krankenkasse muss daher auch den Rehasport zahlen, wenn sie diesen vor Beginn bewilligt hat.

 

  • Mit der KG wird eine akute Erkrankung behandelt. Die Krankenkasse muss dieses Heilmittel bezahlen.
  • Mit dem Rehasport soll die dauernde Bewegungseinschränkung beim Gehen verbessert oder zumindest einer Verschlechterung entgegengewirkt werden.
 

Wenn der Arzt im Einzelfall für dieselbe Erkrankung Rehasport und KG verordnet (z. B. weil sich eine Erkrankung verschlimmert), kann es zu Irritationen aufseiten der Krankenkasse kommen.

 

  • Beispiel: ein Krankheitsbild ‒ zwei Verordnungen

Ein Patient hat seit Jahren wegen einer Sehnenverkürzung Probleme im rechten Arm. Meist bessern sich diese Probleme nach KG-Behandlungen. Nachdem der Patient während des Jahres 2019 mehrere KG-Behandlungen hatte, verordnet der Arzt in Absprache mit dem Patienten Ende 2019 wegen der Beschwerden aufgrund der Sehnenverkürzung Rehasport. Der Rehasport wird von der Krankenkasse bewilligt. Der Patient nimmt auch regelmäßig teil. Mitte 2020 werden die Probleme im Arm schlimmer, der Arzt verordnet KG. In diesem Fall wird die Krankenkasse prüfen, warum KG neben Rehasport aufgrund der gleichen Diagnose verordnet wurde.

 

4. Krankenkasse kürzt Vergütung: Das können Patient und Therapeut tun

Normalerweise können sich Therapeuten immer auf die ärztliche Verordnung berufen und argumentieren, dass ihnen nicht bekannt ist, dass zeitgleich Rehasport verordnet ist und durchgeführt wird. Der Arzt trifft die Entscheidung, ob er Rehasport oder KG verordnet. Ist KG verordnet, liegt immer die Vermutung nahe, dass eine akute Erkrankung vorliegt, die mit KG behandelt werden soll und mittels Rehasport nicht behandelt werden kann.

 

  • KG neben Rehasport: Krankenkasse gibt Rezept zurück und kürzt Vergütung ‒ was tun?
  • 1. Der Therapeut sollte der Kürzung der Vergütung umgehend widersprechen und förmlich Widerspruch einlegen mit dem Hinweis, dass er die Begründung nachreicht. Falls das Kürzungsschreiben keinen Grund für die Kürzung angibt, kann er die Krankenkasse auffordern, den Grund zu benennen und die Angabe einer Rechtsgrundlage für die Kürzung verlangen.
  • 2. Der Patient kann den Arzt benennen, der den Rehasport verordnet hat. Der Therapeut kann sodann den Arzt kontaktieren (natürlich nur mit Einverständnis des Patienten) und diesen bitten, den Verordnungsgrund mitzuteilen.
  • 3. Der Therapeut sollte mit dem Arzt klären, ob sein Verordnungsgrund mit dem Verordnungsgrund für Rehasport identisch ist. Wenn ja, sollte er mitteilen, mit welchem Ziel er zusätzlich KG verordnet hat.
  • 4. Der Therapeut kann den Widerspruch unter Einbeziehung der Aussage des Arztes bzw. der Ärzte begründen. Aus der Begründung muss im Wesentlichen hervorgehen, warum die KG alleine nicht ausreicht und zusätzlich Rehasport erforderlich ist.
 

Im Idealfall erhält der Therapeut ‒ vom Arzt oder Patienten ‒ eine Kopie des Antrags auf Genehmigung des Rehasports. Diesem kann er alle notwendigen Informationen entnehmen, da der Arzt folgende Angaben machen muss:

 

  • Diagnose und Nebendiagnose, die für den Behandlungsweg relevant sind
  • Gründe und Ziele der rehasportlichen Maßnahme
  • die gewünschte Dauer des Rehasports
  • Empfehlungen zur geeigneten Art des Rehasports

 

PRAXISTIPP | Rehasport und KG schließen sich nicht aus. Patienten können beide Verordnungen erhalten. Therapeuten können sich zeitnah gegen eine Kürzung der Vergütung wehren und sich auf eine gültige ärztliche Verordnung für die abgegebene KG-Behandlung berufen. In Einzelfällen kann es erforderlich sein, dass der Arzt begründet, warum KG trotz laufendem Rehasport medizinisch erforderlich ist.

 
Quelle: Ausgabe 12 / 2020 | Seite 214 | ID 46920663