· Fachbeitrag · Hilfsmittel
Trotz Sehbehinderung kann E-Rollstuhl verlangt werden
| Häufig lehnen Krankenkassen einen Elektrorollstuhl ab, da der Versicherte körperlich zu eingeschränkt sei, ihn adäquat zu nutzen. Genügt aber ein Aktivrollstuhl nicht mehr, um außer Haus akzeptabel mobil zu sein, kann ein Elektrorollstuhl verlangt werden. Auch eine Erblindung des Versicherten steht dem nicht entgegen, so das LSG Niedersachsen-Bremen. |
1. Keine Verkehrstauglichkeit? Krankenkasse lehnt Elektrorollstuhl ab
Der gesetzlich krankenversicherte Kläger litt an einer Multiplen Sklerose, war stark eingeschränkt gehfähig, rollstuhlpflichtig und hatte den Pflegegrad 3 zuerkannt erhalten. Zudem war er erblindet. Sein behandelnder Hausarzt verordnete ihm einen Elektrorollstuhl bei bestehendem Querschnittssyndrom (Kosten: rund 4.000 EUR). Die Krankenkasse lehnte es ab, die Kosten zu übernehmen. Aufgrund seiner Blindheit bestünden Zweifel an der Fahreignung. Der Kläger erhob Widerspruch und erklärte, sowohl ein Langstocktraining für den Elektrorollstuhl absolviert zu haben, als auch in die Funktionen (Orientierungs- und Mobilitätsschulung) eingewiesen zu sein. Zudem sei er mit dem Elektrorollstuhl auch nicht schneller als ein Fußgänger unterwegs. Vor dem SG hatte der Kläger mit seiner Klage Erfolg. Die beklagte Krankenkasse scheiterte mit ihrer Berufung vor dem LSG Niedersachsen-Bremen (4.10.21, L 16 KR 423/20, Abruf-Nr. 227129).
2. So entschied das LSG Niedersachsen-Bremen
Der Elektrorollstuhl ist ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich i. S. von § 33 Abs. 1 S. 1 Var. 3 SGB V und stehe dem Kläger zu. Der E-Rollstuhl sei geeignet, erforderlich und angemessen. Aufgrund der Kraftminderungen im linken Bein und Arm gegenüber der rechten Körperhälfte könne sich der Kläger mit dem bisherigen Aktivrollstuhl nicht mehr akzeptabel außerhalb des Haushalts allein fortbewegen. Der Rollstuhl ließe sich nur noch mit den Füßen durch kleine Trippelschritte vorwärtsbewegen, schon kleinere Hindernisse hielten dann auf.
Eine Blindheit kann es erheblich erschweren, einen Elektrorollstuhl zu nutzen. Dies sei auch mit Gefährdungen verbunden. Sehbehinderungen seien aber kein genereller Grund, eine Verkehrstauglichkeit bei Elektrorollstühlen abzulehnen. Zudem sei der vorhandene Aktivrollstuhl für den Kläger mit noch größeren Gefährdungen verbunden. Die vorgelegten Unterlagen hätten die durchgeführten Schulungen bezüglich des E-Rollstuhls dokumentiert. Sie zeigten, dass es dem Kläger gelang, mit ihm bekannte und erarbeitete Wege inklusive Überquerung einer Hauptstraße zu bewältigen. Dies wurde ferner durch aussagekräftige Videoaufnahmen unterstützt, die das Gericht anschauen konnte.
Weiterführende Hinweise
- Wann muss die Krankenkasse einen Aktivrollstuhl bezahlen?, SR 20, 21
- Wer aus Vergesslichkeit über ein Hindernis stolpert und stürzt, erhält keinen Schadenersatz, SR 20, 176
- Blindenführhund ist Langstock überlegen, SR 17, 187