· Fachbeitrag · Straßenverkehr
Die Fahreignung von Senioren
von Regierungsrat Dr. Adolf Rebler, Regierung der Oberpfalz, Regensburg
| Mit dem steigenden Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt auch der Anteil von über 65-Jährigen, die eine Fahrerlaubnis besitzen. Mit jedem Unfall, in denen eine ältere Person verwickelt ist, erhebt sich der Ruf nach verpflichtenden Gesundheitschecks. Dabei ist es zwar richtig, dass bei einem Unfall oft die Schuld bei einem beteiligten Senioren liegt; dagegen ist die Unfallbeteiligung über 65-Jährigen an sich aber niedrigerer als bei anderen Altersgruppen. Entsprechend differenziert erfolgt daher zu Recht die Beurteilung der Fahreignung durch die Rechtsprechung. |
1. Statistisches
Entnommen wurden die Daten aus : Statistisches Bundesamt 2016: Verkehrsunfälle ‒ Unfälle von Senioren im Straßenverkehr, S. 6 (Vorbemerkung) und S. 11 (Beteiligte): https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/TransportVerkehr/Verkehrsunfaelle/UnfaelleSenioren.html)
a) Vorbemerkung
Ältere Menschen spielen allein schon durch die demografische Entwicklung als Teilnehmer im Straßenverkehr eine immer größere Rolle. Der Anteil der Menschen im Alter ab 65 Jahren an der Gesamtbevölkerung ist in den letzten 20 Jahren von 15,6 Prozent auf 21,1 Prozent gestiegen. Insgesamt lebten 2015 rund 17,3 Millionen Personen im Alter von mindestens 65 Jahren in Deutschland. Senioren sind zudem heute wesentlich mobiler als früher. Immer mehr Menschen der Generation 65+ besitzen einen Führerschein, nutzen ihr Auto bis ins hohe Alter und sind als Fahrradfahrer unterwegs.
75.552 ältere Menschen waren im Jahr 2016 an Unfällen mit Personenschaden beteiligt, das waren 13,1 Prozent aller Unfallbeteiligten. Senioren haben damit im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil eine unterproportionale Unfallbeteiligung. Die geringere Unfallbeteiligung von Senioren dürfte zum einen daran liegen, dass ältere Menschen nicht mehr täglich zur Arbeit fahren und somit seltener als jüngere am Straßenverkehr teilnehmen. Auch die Pkw-Verfügbarkeit der älteren Menschen, insbesondere älterer Frauen ist erheblich geringer als die der übrigen Erwachsenen.
Art, Dauer und Häufigkeit der Verkehrsbeteiligung weisen bei den älteren Menschen deutliche Unterschiede zu den jüngeren Altersgruppen auf und haben damit auch Auswirkungen auf das Unfallgeschehen der Senioren.
b) Beteiligte
Überwiegend waren Senioren an einem Unfall mit Personenschaden als
- Pkw-Fahrer (64,0 Prozent) beteiligt, als
- Radfahrer (19,3 Prozent) und als
- Fußgänger (9,7 Prozent).
Personen, die mindestens 65 Jahre alt waren stellten an allen Unfällen mit
- Personenschaden einen Anteil von 13,1 Prozent,
- an allen beteiligten Fußgängern 22,0 Prozent,
- an allen Radfahrern 17,0 Prozent und
- an allen Pkw-Fahrern 13,1 Prozent.
Damit hatte die Generation 65+ eine geringere Unfallbeteiligung als die anderen Altersgruppen.
Beachten Sie | Sofern über 64-jährige Pkw-Fahrer in einen Unfall verwickelt waren, trugen sie sehr häufig (67,1 Prozent) die Hauptschuld. Bei den mindestens 75-Jährigen wurde sogar drei von vier unfallbeteiligten Pkw-Fahrern die Hauptschuld am Unfall zugewiesen (75,1 Prozent).
c) GDV: Fahreignung von Senioren
Studien zeigen, dass das Lebensalter eines Pkw-Fahrers allein keinen Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit rechtfertigt. Ältere Pkw-Fahrer passen ihre Fahrweise sehr wohl ihrer individuellen Leistungsfähigkeit an. Dennoch steigt ab etwa 75 Jahren die Wahrscheinlichkeit, einen Unfall zu verursachen. (Unfallforschung der Versicherer GDV: Unfallforschung kompakt ‒ Fahreignung von Senioren ‒ Stand 18.12.15, S. 13 (https://udv.de/de/publikationen/unfallforschung-kompakt/fahreignung-senioren).)
2. Rechtliche Regelungen
Eine verpflichtende, vom Alter abhängige Untersuchung ist nur für die „höheren“ Fahrerlaubnisklassen vorgesehen (§ 23 Abs. 1 S. 2, § 24 Abs. 1 S. 1, § 24 Abs. 1 S. 3 FeV). Diese sind befristet und werden ab dem 50. Lebensjahr nur nach einer ärztlichen Untersuchung gem. Anlage 5 zur FeV verlängert.
Unbefristet ‒ und damit ohne speziellen, von einem Anlass unabhängigen Gesundheitsnachweis ‒ werden dagegen die Klassen AM, A1, A2, A, BE, L und T erteilt (Hentschel/ König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 23 FeV Rn. 10). Hier gilt die Eignung bis zum Nachweis des Gegenteils als vorhanden (siehe § 46 Abs. 1 S. 1 FeV). Erst wenn Tatsachen vorliegen, die auf eine Nichteinigung hindeuten, kann die Fahrerlaubnisbehörde Aufklärungsmaßnahmen in Form der Aufforderung, ein Gutachten beizubringen, ergreifen (§ 11 Abs. 2, § 46 Abs. 3 FeV) oder ‒ bei Gewissheit der Ungeeignetheit ‒ die Fahrerlaubnis gleich entziehen (§ 11 Abs. 7 FeV).
3. Altersbedingte Krankheiten und Fahreignung
Gem. Nr. 7.3 der Anlage 4 zur FeV fehlt die Fahreignung bei Vorliegen einer schweren Altersdemenz und bei schweren Persönlichkeitsveränderungen durch pathologische Alterungsprozesse
Nach der Vorbemerkung der Anlage 4a (Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten) sind Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen die Begutachtungs-Leitlinien für Kraftfahreignung.Die Begutachtungsleitlinien behandeln als „spezielle“ altersbedingte Eignungseinschränkung die „Altersdemenz“. Aussagekräftig ist hierzu folgende Entscheidung des BayVGH:
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Wer unter einer ausgeprägten senilen oder präsenilen Demenz oder unter einer schweren altersbedingten Persönlichkeitsveränderung leidet, ist nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden (Die Eignung kann aber auch bei einer Demenz, die noch nicht als schwer einzustufen ist, beeinträchtigt sei oder entfallen (BayVGH 30.1.17, 11 CS 17.27, NZV 17, 245). |
a) Gesundheitliche Gründe
Der motorisierte Straßenverkehr stellt an die menschliche Leistungs- und Belastungsfähigkeit besonders hohe Anforderungen: Es kann darum durch die nachlassende organisch-psychische Leistungsfähigkeit im höheren Lebensalter zunehmend zu Anpassungsschwierigkeiten kommen. Ursache ist der allgemeinen Leistungsrückgang. Er hat stets eine organische Grundlage, und er ist in schwerer Ausprägung krankhaft (insb. Alzheimer-Demenz, andere Hirnatrophien, Multiinfarkt-Demenz bei Arteriosklerose).
Die Gefahren ergeben sich aus mangelnden sensorischen Leistungen oder erheblichen Reaktionsleistungsschwächen, sodass Situationen verkannt werden und falsch reagiert wird. Verbinden sich mit solchen Schwächen Persönlichkeitsveränderungen, wie erheblicher Mangel an Einsicht und Kritik, entsteht die besonders gefahrenträchtige Kombination von Leistungsschwächen und falscher Einschätzung des eigenen Leistungsvermögens.
b) Beurteilungskriterien
Die Beurteilung eines älteren Fahrerlaubnisinhabers oder Fahrerlaubnisbewerbers muss allerdings berücksichtigen, dass gewisse Leistungsminderungen bei allen Menschen im höheren Lebensalter zu erwarten sind. Es müssen also ausgeprägte Leistungsmängel und schwere Persönlichkeitsveränderungen im Einzelfall nachgewiesen werden.
Dabei können die Befunde bei älteren Fahrerlaubnisinhabern durchaus anders beurteilt werden, als bei älteren Fahrerlaubnisbewerbern. So kann bei langjährigen Fahrerlaubnisinhabern damit gerechnet werden, dass sie geringe Leistungsdefizite durch Verkehrserfahrung und gewohnheitsmäßiges Bedienen des Fahrzeugs (Automation) ausgleichen. In Zweifelsfällen kann eine Fahrprobe helfen, die Sachlage zu klären.
Für eine Entziehung der Fahrerlaubnis müssen deshalb ausgeprägte Leistungsmängel und schwere Persönlichkeitsveränderungen in Einzelfall nachgewiesen werden. Dies gilt auch für die Anordnung, ein fachärztliches Gutachten vorzulegen. Es müssen konkrete Anhaltspunkte bestehen, die auf eine schwere altersbedingte Persönlichkeitsveränderung hinweisen. Allein aus Überreaktionen und uneinsichtigem Verhalten ‒ etwa anlässlich einer Polizeikontrolle ‒ kann noch nicht auf eine Altersdemenz oder altersbedingte schwere Persönlichkeitsveränderung geschlossen werden.
Zwar können uneinsichtiges Verhalten und Sturheit auf eine Altersdemenz hinweisen. Hauptcharakteristik einer altersbedingten Persönlichkeitsveränderung i. S. v. Nr. 7.3 der Anlage 4 zur FeV ist jedoch eine nachlassende psychische Leitungsfähigkeit. Diese hat stets eine organische Grundlage und ist nur bei schwerer Ausprägung krankhaft. Der Leitungsrückgang äußert sich vor allem in einer verminderten Reaktionsleistung und mangelnden sensorischen Funktionen (VG München 28.5.10, M 1 S 10.2060, juris).
Ergibt sich allerdings, dass ein Fahrerlaubnisinhaber (nun) ungeeignet ist, kann einer Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mit dem Einwand begegnet werden, dass der Betroffene vorher jahrelang unfallfrei gefahren ist. § 3 StVG und § 46 FeV stellen nur auf die aktuelle Fahreignung ab und lassen das frühere Fahrverhalten unberücksichtigt. Es kommt also nur auf die aktuelle Fahreignung an das zurückliegende Fahrverhalten spielt keine Rolle (VG München 27.7.11, M 6a K 10.4921, juris).
4. Hohes Alter spricht nicht per se für Ungeeignetheit
Eine Eignungsprüfung, die als Ergebnis die Einschränkung oder Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge haben kann, kann nur aus besonderem Anlass verlangt werden. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Bei dem Merkmal der Ungeeignetheit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle vollumfänglich unterliegt. Die Ungeeignetheit muss sich aus erwiesenen Tatsachen hinreichend deutlich ergeben. Bloße Eignungszweifel genügen für die Entziehung der Fahrerlaubnis hingegen nicht (VG Leipzig 29.7.16, 1 L 367/16, juris).
Das hohe Alter eines Kraftfahrers rechtfertigt für sich genommen nicht die Annahme, dass er ungeeignet ist zum Führen von Kraftfahrzeugen. Nicht jeder altersbedingte Abbau der geistigen und körperlichen Kräfte bietet Anlass für eine Entziehung oder Beschränkung der Fahrerlaubnis; hinzutreten muss vielmehr, dass es im Einzelfall zu nicht mehr ausreichend kompensierbaren, für die Kraftfahreignung relevanten Ausfallerscheinungen oder Leistungsdefiziten gekommen ist. Umgekehrt kann aber der Gesichtspunkt einer jahrzehntelangen unfallfreien Teilnahme am Straßenverkehr den Befund nicht entkräften, dass aktuell keine Fahrtauglichkeit mehr besteht (OVG Berlin-Brandenburg 2.5.12, OVG 1 S 25.12, VD 12, 234).
Erhält die Fahrerlaubnisbehörde aber Kenntnis von Tatsachen, die auf den Vorfall der Eignung hindeuten, muss sie entsprechend tätig werden; das von § 11 FeV eingeräumte Ermessen wird sich in Anbetracht der von ungeeigneten Personen ausgehenden Gefahren für die anderen Verkehrsteilnehmer in den meisten Fällen auf null reduzieren (z. B. VG Düsseldorf 31.5.16, 14 L 1611/16, juris; VG München 16.12.11, M 6a K 11.1527, juris; VG München 20.8.08, M 6b K 07.5708, juris). Die Behörde muss zumindest wissen, „was los ist“.
Weiterführender Hinweis
- Der Beitrag wird in SR 2, 2018 fortgesetzt