· Fachbeitrag · Unfallversicherung
In diesen Fällen muss das Tagegeld auch noch nach dem letzten Arzttermin gezahlt werden
| Erleiden ältere Mandanten einen Unfall, kommt es nicht selten zu Rechtsstreitigkeiten wegen des zu leistenden Tagegelds. Die Bezugsdauer für das Tagegeld, das die Versicherung nach einem Unfall leisten muss, ist nach den Versicherungsbedingungen üblicherweise begrenzt. Für den Bezug ist es daher wichtig, wann die Bezugsdauer beginnt und wann sie endet. Der Beitrag stellt die aktuelle BGH-Rechtsprechung dazu vor und gibt Ihnen eine Musterformulierung zur Hand. |
1. Wann endet die Tagegeldbezugsberechtigung?
Zu dieser Thematik hat aktuell der BGH entschieden, wie die Grenzen zu setzen sind (4.11.20, IV ZR 19/19, Abruf-Nr. 219064). Seiner Entscheidung lag der folgende Fall zugrunde.
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Der VN erlitt am 4.4.16 einen bedingungsgemäßen Unfall. Dabei verletzte er sich einen Finger. Ab dem 11.4.16 war er bei einem Facharzt in Behandlung. Dessen Praxis besuchte er zuletzt am 16.6.16. Dabei wurde ihm wegen eines andauernden Bewegungsdefizits „10 x Krankengymnastik“ verschrieben. In einer gutachterlichen Stellungnahme antwortete der Arzt im September 2016 auf die Frage „Ist die Behandlung abgeschlossen, ggf. wann oder wann voraussichtlich?“: „Die Behandlung wurde am 16.6.16 abgeschlossen.“ Am 1.2.17 suchte der VN den Facharzt erneut auf, der wegen fortbestehender Bewegungseinschränkungen Physiotherapie verordnete.
Der VR leistete Tagegeld nur für die Zeit bis einschließlich 16.6.16. Er berief sich dabei auf die in den Vertrag einbezogenen Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2008). Darin heißt es: „2.5 Tagegeld 2.5.1 Voraussetzungen für die Leistung: Die versicherte Person ist unfallbedingt in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt und in ärztlicher Behandlung. 2.5.2 Höhe und Dauer der Leistung: (...) Das Tagegeld wird für die Dauer der ärztlichen Behandlung, längstens für ein Jahr, vom Unfalltag an gerechnet, gezahlt.“
Das LG hat die Klage des VN auf Zahlung weiteren Tagegelds für die Zeit vom 17.6.16 bis zum 1.2.17 abgewiesen. Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen. |
2. Die Entscheidung des BGH
Der BGH hat in der Entscheidung den folgenden Grundsatz aufgestellt: „Die nach Ziffer 2.5 AUB 2008 für den Anspruch auf Tagegeld in der Unfallversicherung maßgebliche ärztliche Behandlung endet nicht stets mit der letzten Vorstellung beim Arzt. Sie umfasst vielmehr regelmäßig die Dauer der von dem Arzt angeordneten Behandlungsmaßnahmen.“
Es ist daher im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, was nach dem letzten Arztbesuch geschah. Hielt der Arzt eine weitere Behandlung für nicht erforderlich bzw. erklärte er die vollständige Genesung des VN, dürfte die ärztliche Behandlung damit ihr Ende gefunden haben.
Hielt der behandelnde Arzt dagegen weitere Maßnahmen für erforderlich, endet die Behandlung gerade nicht. Das gilt unabhängig davon, ob die Maßnahmen möglicherweise nach dem letzten Arztbesuch erfolgen, ob Dritte bei ihrer Durchführung tätig werden und inwieweit der Arzt Maßnahmen selbst spezifiziert oder ihre konkrete Ausgestaltung einem Dritten überlassen hat. In dem entschiedenen Fall lagen diese Maßnahme in der verordneten Krankengymnastik.
3. Ihr Textbaustein in entsprechenden Fällen
In entsprechenden Fällen müssen Sie als Anwalt des VN also abklären, welche weiteren Maßnahmen es nach dem letzten Arztbesuch noch gegeben hat. Diese müssen Sie aufzeigen und ggf. auch unter Beweis stellen.
Gegenüber dem VR ‒ oder in der Klageschrift ‒ können Sie dann die nachstehende Musterformulierung nutzen.
Musterformulierung / Dauer der Tagegeldbezugsberechtigung |
Sie sind verpflichtet, das Tagegeld auch über den Tag der letzten Vorstellung meines Mandanten bei seinem Arzt, den X.X.XX, zu zahlen. Das ergibt sich aus den vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen und den Besonderheiten des vorliegenden Falls.
Die vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den VN erkennbar sind (ständige BGH-Rechtsprechung, u. a. VersR 20, 414 Rn. 10).
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Nach alledem ist der verwendete Begriff der Dauer der ärztlichen Behandlung nicht unklar im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB. Unerheblich ist dabei, wenn der behandelnde Arzt in seiner Stellungnahme die Krankengymnastik nicht der ärztlichen Behandlung zugerechnet hat.
Vorliegend hat sich die Behandlung meines Mandanten nicht mit dem letzten Besuch bei Dr. Z am X.X.XX erschöpft. Die ärztliche Behandlung erstreckte sich vielmehr auch noch auf
... (ausführen).
Im Ergebnis sind Sie daher verpflichtet, das Tagegeld auch über den X.X.XX hinaus bis zum Y.Y.YY zu zahlen.
Rechtsanwalt |
Diese Musterformulierung finden Sie auch als Download auf der Homepage von SR (sr.iww.de) unter Downloads -> Vorsorge.