· Fachbeitrag · Beamtenrecht
Ablehnung des Antrags auf Hinausschieben des Ruhestands ist Altersdiskriminierung
Wird ein Beamter auf seinen Antrag hin die Weiterbeschäftigung über das 65. Lebensjahr hinaus abgelehnt, ist der unionsrechtlich garantierte Schutz des Einzelnen davor, durch einen EU-Mitgliedsstaat wegen seines Lebensalters nicht diskriminiert zu werden, verletzt (VG Frankfurt a.M. 15.7.13, 9 L 2184/13.F, Abruf-Nr. 133816). |
Sachverhalt
Ein Beamter (Studienrat) hätte wegen Vollendung seines 65. Lebensjahrs zum 31.7.13 in den Ruhestand treten müssen. Im Dezember 2012 beantragte er beim Hessischen Kultusministerium den Eintritt in den Ruhestand um ein Jahr hinauszuschieben. Das Ministerium lehnte den Antrag ab. Der Beamte hatte mit seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz Erfolg. Das VG Frankfurt a.M. hat das Ministerium im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Beamten über den 1.8.13 hinaus als Studienrat längstens bis zum 31.7.14 zu beschäftigen.
Entscheidungsgründe
Der Anspruch des Beamten, weiterhin im aktiven Beamtenverhältnis beschäftigt zu werden, beruhe auf der Nichtanwendbarkeit der allgemeinen Regelaltersgrenze nach § 50 Hessisches Beamtengesetz (HGB). Diese Regelung ist in diesem Fall nicht anwendbar, weil sie in Widerspruch zur hier einschlägigen, höherrangigen und unmittelbar Gültigkeit beanspruchenden Richtlinie 2000/78/EG steht. Nach § 6 Abs. 1 dieser Richtlinie sind Ungleichbehandlungen wegen des Alters - eine solche liegt beim Ruhestandseintritt infolge des Erreichens einer allgemeinen Altersgrenze unstreitig vor - gerechtfertigt, sofern sie zur Erreichung rechtmäßiger Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt angemessen und erforderlich sind. In Anwendung dieser Bestimmung hat der EuGH entschieden, dass die Richtlinie 2000/78/EG einem Gesetz wie § 50 HBG, das die zwangsweise Versetzung von Beamten auf Lebenszeit in den Ruhestand mit Vollendung des 65. Lebensjahres vorsieht, nicht entgegensteht, wenn es im dienstlichen Interesse liegt (EuGH 21.7.11, Rs. C-159/10, C-160/10). Voraussetzung allerdings ist, dass dieses Gesetz zum Ziel hat, eine ausgewogene Altersstruktur zu schaffen, um die Einstellung und Beförderung von jüngeren Berufsangehörigen zu begünstigen, die Personalplanung zu optimieren und damit Rechtsstreitigkeiten über die Fähigkeit des Beschäftigten vorzubeugen, seine Tätigkeit über ein bestimmtes Alter hinaus auszuüben. Ferner muss das Gesetz die Erreichung dieses Ziels mit angemessenen und erforderlichen Mitteln ermöglichen.
Zwar kann seit Verkündung des 2. Gesetzes zur Modernisierung des Dienstrechts in Hessen vom 27.5.13 ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass diese Ziele vom Antragsgegner verfolgt würden. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Angemessenheit und Erforderlichkeit einer allgemeinen Altersgrenze aber nur nachgewiesen, wenn
- sie im Hinblick auf das verfolgte Ziel nicht unvernünftig erscheint und
- auf Beweismittel gestützt wird, deren Beweiskraft das nationale Gericht zu beurteilen hat.
Für die Berufsgruppe der Lehrer liegen aber dahingehende Erkenntnisse nicht vor. Es wäre hier notwendig gewesen, dass der Gesetzgeber eine auf Tatsachen basierende Prognose über den Anteil derjenigen Lehrer getroffen hätte, die vorzeitig in den Ruhestand treten, die mit der Regelaltersgrenze in den Ruhestand treten und die gegebenenfalls über die Altersgrenze hinaus tätig sein wollten, um eine vernünftige, die widerstreitenden Interessen zum Ausgleich bringende Regelung über den Ruhestandseintritt von Angehörigen dieser Berufsgruppe treffen zu können. Von dem ihm insoweit eingeräumten Ermessen hat der hessische Landesgesetzgeber aber keinen Gebrauch gemacht, da er es überhaupt nicht ausgeübt hat. Er hat seine Entscheidung über die Notwendigkeit der Beibehaltung einer allgemeinen Altersgrenze auch nicht auf Tatsachen - also Beweismittel im Sinne der Rechtsprechung des EuGH - gestützt, die es dem Gericht ermöglichten, die ihm obliegende Überprüfung der Angemessenheit und Notwendigkeit dieser Maßnahme positiv festzustellen.
Es liegt auch nicht auf der Hand, dass für jede Berufsgruppe und in jeder denkbaren Konstellation eine allgemeine Altersgrenze die einzige Möglichkeit ist, dem Ziel einer Arbeitsteilung zwischen den Generationen gerecht zu werden. Das Fehlen solcher Angaben geht zulasten des insoweit beweispflichtigen Ministeriums. Das VG begründet dies damit, dass es keine Veranlassung zu der Annahme hat, dass den gesetzgeberischen Erwägungen gleichsam unausgesprochen eine Tatsachenbasis zugrunde liegt, wonach eine allgemeine Regelaltersgrenze für die hier in Rede stehende Berufsgruppe der Lehrer als einzigen Weg erschienen ließe, um das Ziel einer Arbeitsteilung zwischen den Generationen zu erreichen.