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· Fachbeitrag · Versorgungszusage

Betriebliche Altersversorgung ‒ Störung der Geschäftsgrundlage?

von RA Christian Deutz, FA Arbeitsrecht, Aachen

| Manchmal können sich Umstände, die zur Grundlage eines Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändern. Hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, kann nach § 313 BGB die Anpassung des Vertrags verlangt werden. Dies gilt jedenfalls, wenn einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ‒ vor allem zur vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung ‒ das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. |

 

Mit der Frage, ob und inwieweit die Anpassung von Versorgungsregelungen auf eine Störung der Geschäftsgrundlage gestützt werden kann, hatte sich jüngst der für die betriebliche Altersversorgung zuständige Dritte Senat des BAG auseinanderzusetzen (8.12.20, 3 AZR 65/19, Abruf-Nr. 220594).

Sachverhalt

Die Parteien stritten, ob die Klägerin, die Witwe eines ehemaligen Arbeitnehmers der Beklagten, von dieser die Erhöhung ihrer Betriebsrente auf Grundlage einer vereinbarten Anpassungsregelung verlangen konnte. Nach der Ruhegeldzusage des verstorbenen Ehemanns der Klägerin beträgt das Ruhegehalt bei Eintritt des Versorgungsfalls 53 Prozent des pensionsfähigen Einkommens. Sollten sich nach diesem Zeitpunkt die einschlägigen Tarifgehälter ändern, so ändern sich die Versorgungsbezüge im gleichen Verhältnis.

 

In der Folgezeit gab die Beklagte die jeweiligen tariflichen Gehaltserhöhungen stets an die Klägerin als Bezieherin einer Witwenrente weiter. Als die Tarifvertragsparteien 2016 eine weitere Tariflohnerhöhung vereinbarten, erhöhte die Beklagte die Witwenrente der Klägerin nicht. Sie berief sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) und kündigte an, die Verpflichtung aus der Ruhegehaltszusage nicht mehr zu erfüllen. Stattdessen werde sie Erhöhungen der Witwenrente nur nach § 16 BetrAVG vornehmen. Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Zahlung einer entsprechend erhöhten Witwenrente.

 

Die Beklagte vertrat die Auffassung, sie habe die Ruhegeldzusage einseitig ändern dürfen, aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage. Ihre Pensionsrückstellungen hätten sich im maßgeblichen Zeitpunkt um über 40 Prozent gesteigert. Grund hierfür sei eine Gesetzesänderung im Zusammenhang mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz gewesen, die bei Erteilung der Ruhegeldzusage weder vorhersehbar gewesen, noch von der Beklagten zu vertreten sei. Aufgrund der genannten Gesetzesänderung habe sie ihre Pensionsrückstellungen in der Handelsbilanz erhöhen müssen. Hinzu sei die Niedrigzinsphase getreten. Die ursprünglich nicht kalkulierbare, nachträgliche Erhöhung ihrer finanziellen Belastung sei im Ergebnis unzumutbar.

 

Das Arbeitsgericht hatte der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das LAG hat die Klage abgewiesen. Die zulässige Revision der Klägerin war nach Auffassung des BAG ebenso wie deren Klage begründet.

Entscheidungsgründe

Nach der Entscheidung des BAG war die Witwenversorgung der Klägerin weiterhin gemäß der erteilten Zusage nach den maßgeblichen tariflichen Steigerungen anzupassen; die Beklagte konnte sich nicht mit Erfolg auf die Störung der Geschäftsgrundlage berufen.

 

Vertrag mit Anpassungszusage

Das BAG hat herausgestellt, dass sich der Versorgungszusage eine Anpassungszusage im Hinblick auf die Steigerung von Tariferhöhungen entnehmen lässt. Damit steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch zu. Eine Störung der Geschäftsgrundlage konnte das BAG nicht erkennen. Zwar kann der Arbeitgeber die Änderung einer Versorgungszusage grundsätzlich hierauf stützen. Hier waren die erforderlichen Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt.

 

Beachten Sie | Nach der Rechtsprechung des BGH und des BAG sind Geschäftsgrundlage die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien.

 

MERKE | Hierzu gehören die der einen Vertragspartei erkennbaren und von ihr nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Partei vom Vorhandensein oder dem zukünftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut. Es darf sich allerdings nicht um einseitige Erwartungen einer Partei handeln. Die Geschäftsgrundlage gehört nicht zum Vertragsinhalt. Was nach dem Vertragstext Vertragsinhalt ist, kann nicht Geschäftsgrundlage sein.

 

Bei Störung der Geschäftsgrundlage kann bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen grundsätzlich eine Vertragsanpassung verlangt werden.

 

Nach der Rechtsprechung des BAG kann sich eine Befugnis zur Anpassung eines Versorgungswerks wegen Störung der Geschäftsgrundlage u. a. dann ergeben, wenn sich die zugrunde gelegte Rechtslage nach Vertragsschluss wesentlich und unerwartet geändert und dies beim Arbeitgeber zu erheblichen tatsächlichen finanziellen Mehrbelastungen geführt hat (sog. Äquivalenzstörung).

 

PRAXISTIPP | So kann z. B. durch Änderungen des Steuer- und Sozialversicherungsrechts nach Schaffung des Versorgungswerks der ursprünglich zugrunde gelegte Dotierungsrahmen ganz wesentlich überschritten werden. Unvorhergesehene wirtschaftliche Belastungen, die erkennbar werden, können aber dann nicht einen Widerruf bzw. eine Änderung einer Versorgungszusage wegen Störung der Geschäftsgrundlage rechtfertigen, wenn sie schon in der ursprünglichen Zusage angelegt waren.

 

Bezogen auf den vorliegenden Fall vermochte das BAG nach den genannten Grundsätzen keine Störung der Geschäftsgrundlage zu erkennen. Die zugrunde gelegte, für die Versorgungszusage maßgebliche Rechtslage hat sich nach der Zusage der Versorgung nicht wesentlich und unerwartet geändert und bei der Beklagten auch nicht zu unvorhersehbaren finanziellen Mehrbelastungen geführt.

 

Erhöhung um 40 Prozent keine Störung

Soweit sich die Beklagte auf die Erhöhung der erforderlichen handelsbilanziellen Pensionsrückstellungen um über 40 Prozent beruft, liegt nach Auffassung des BAG keine Störung der Geschäftsgrundlage vor. Der (behauptete) Anstieg der handelsbilanziellen Rückstellung liegt darin begründet, dass die Beklagte nunmehr einen Rententrend sowie die Gehaltsdynamik bei Bildung der Rückstellungen berücksichtigt hat. Allerdings sind sowohl der Rententrend als auch die Gehaltsdynamik unveränderter Inhalt der streitgegenständlichen Versorgungszusage und damit nicht deren Geschäftsgrundlage.

 

So war eine Steigerung der Versorgungsleistungen zugesagt worden für den Fall einer Erhöhung der Tarifgehälter. Damit war auch eine vertraglich geregelte Rentenanpassung Inhalt der Zusage. Sind diese Faktoren aber Inhalt der Versorgungszusage, sind sie nicht deren Geschäftsgrundlage. Zudem war die dadurch ggf. bedingte Erhöhung der Rückstellungen für die Witwenzusage der Klägerin bereits in der ursprünglichen Versorgungszusage angelegt und nicht zwingend durch gesetzliche Regelungen verursacht.

 

Beachten Sie | Im Übrigen hat das BAG in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es sich bei den handelsbilanziellen Rückstellungen im Wesentlichen nur um ein Instrument der Innenfinanzierung handelt.

Relevanz für die Praxis

Die für die amtliche Sammlung vorgesehene Entscheidung des BAG ist lesens- und beachtenswert. Das Gericht hat im Ergebnis die Position der Anspruchsberechtigten gegenüber dem (ehemaligen) Arbeitgeber gestärkt.

 

Handelsbilanzielle Rückstellung nicht maßgeblich

Das BAG hat betont, dass handelsbilanzielle Rückstellungen als Instrument der Innenfinanzierung zwar den bilanziellen Gewinn bzw. Verlust mit entsprechend negativen Folgen für das Geschäftsjahr beeinflussen. Dies führt aber nicht zum Wegfall der Geschäftsgrundlage und berechtigt insoweit den Arbeitgeber auch nicht zu einem Eingriff in laufende Betriebsrenten oder in eine Anpassungsregelung einer Versorgungszusage.

 

Wirtschaftliche Notlage ändert nichts

Weiter hat das BAG in diesem Zusammenhang betont, dass nach den gesetzlichen Wertungen des § 7 BetrAVG nicht einmal eine wirtschaftliche Notlage den Widerruf von laufenden Versorgungsleistungen und von Regelungen zu ihrer Anpassung zu begründen vermag. Nähme man in einem solchen Fall eine Störung der Geschäftsgrundlage an, so widerspräche dies der gesetzlich vorgesehenen Risikoverteilung.

Quelle: Ausgabe 03 / 2021 | Seite 49 | ID 47157458