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Änderungen bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen im DBA mit Singapur

von Dino Höppner, M.Sc., Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)

| Mit dem Revisionsprotokoll, dessen unterzeichnete Endfassung am 9.12.19 veröffentlicht wurde, sind Singapur und Deutschland übereingekommen, das Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 28.6.04 (DBA-Singapur) zu ändern. Der vorliegende Beitrag stellt einen Überblick der abkommensrechtlichen Änderungen dar und behandelt die Folgen der neueingefügten Sitzstaatsklausel nach Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F. bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen. |

Revisionsprotokoll zum DBA-Singapur

1. Überblick zum Revisionsprotokoll

Das mit Singapur abgeschlossene DBA ist am 12.12.06 in Kraft getreten (vgl. BGBl II 07, 24) und findet seit dem 1.1.07 Anwendung. Mit der am 9.12.19 veröffentlichten Endfassung des Revisionsprotokolls werden diverse Anpassungen des DBA-Singapur vorgenommen. Die wesentlichen Anpassungen im Überblick:

 

  • Nach Art. 5 Abs. 3 DBA-Singapur a. F. begründen Bauausführungen und Montagen eine Betriebsstätte nach einer Dauer von mindestens sechs Monaten. Art. 5 Abs. 3 DBA-Singapur n. F. sieht die Ausweitung dieser Mindestfrist auf zwölf Monate vor.

 

  • Der abkommensrechtlich maximal zulässige Quellensteuersatz auf Dividenden bei Streubesitzbeteiligungen wird von 15 % auf 10 % reduziert (Art. 10 Abs. 2 Buchst. b) DBA-Singapur n. F.). Dafür ist künftig eine Quellensteuer von 15 % auf die Bruttodividende möglich, wenn die ausschüttende Gesellschaft eine Immobilieninvestmentgesellschaft bzw. ein Real Estate Investment Trust (REIT) ist (Art. 10 Abs. 2 Buchst. c) i. V. m. Abs. 3 DBA-Singapur n. F.).

 

  • Der maximale Quellensteuersatz auf Zinsen i. H. v. 8 % nach Art. 11 Abs. 2 DBA-Singapur a. F. entfällt künftig.

 

  • Der maximale Quellensteuersatz auf Lizenzzahlungen wird von 8 % auf 5 % reduziert (Art. 12 Abs. 2 DBA-Singapur n. F.). Zudem wird der Definitionsbereich der Lizenzgebühren enger gefasst: Vergütungen für die Benutzung oder das Recht zur Benutzung von Ausrüstung fallen nicht mehr unter Art. 12 DBA-Singapur n. F.

 

  • Abweichend zur Besteuerung der Renten im Ansässigkeitsstaat (Art. 18 Abs. 1 DBA-Singapur a. F.) sieht das Revisionsprotokoll eine der deutschen Verhandlungsgrundlage vergleichbare Regelung in Art. 18 Abs. 4 DBA-Singapur n. F. vor. Beruhen die Ruhegehälter, ähnliche Vergütungen oder Renten auf Beiträgen, die in Deutschland länger als fünf Jahre nicht zu steuerpflichtigen Einkünften gehörten, steuerlich abziehbar waren oder in anderer Weise steuerlich begünstigt wurden, liegt das Besteuerungsrecht ungeachtet des Art. 18 Abs. 1 DBA-Singapur n. F. künftig bei Deutschland.

 

Die Ratifikation des Revisionsprotokolls steht noch aus, weshalb der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderungen und deren erstmalige Anwendung noch offen sind. Eine Rückwirkung des Revisionsprotokolls soll jedoch nicht erfolgen. Die erstmalige Anwendung der Änderungen ist für das Folgejahr, in dem das Revisionsprotokoll in Kraft getreten ist, vorgesehen (s. Art. 15 Revisionsprotokoll-DBA-Singapur).

2. Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaftsanteilen

Neben den dargestellten Änderungen sieht das Revisionsprotokoll auch eine Anpassung der Abkommensvorschriften für Veräußerungsgewinne bei Beteiligungen an Kapitalgesellschaften vor (Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F.). Die derzeitige Fassung des DBA-Singapur enthält neben der Auffangklausel (Art. 13 Abs. 5 DBA-Singapur a. F.), die das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat des Veräußerers der Anteile zuweist, ebenfalls eine Immobilienklausel (Art. 13 Abs. 2 DBA-Singapur a. F.), die bei Erfüllung der Immobilienquote (mindestens 75 %) das Besteuerungsrecht dem Belegenheitsstaat der Immobilien zuweist.

 

Im DBA-Singapur wird ein neuer Abs. 3 eingefügt, der eine abweichende Behandlung von Veräußerungsgewinnen aus Anteilen an Kapitalgesellschaften vorsieht. Nach dieser Neuregelung obliegt künftig das Besteuerungsrecht am Veräußerungsgewinn aus Aktien, Beteiligungen oder sonstigen Anteilen dem Vertragsstaat, in dem die Gesellschaft ansässig ist (Sitzstaatsklausel), wenn

  • a) der Steuerpflichtige mehr als 50 % der Stimmrechte, des Wertes oder des Kapitals der Gesellschaft hält und
  • b) der Steuerpflichtige weniger als zwölf Monate lang unmittelbar oder mittelbar über diese Aktien, Beteiligungen oder sonstigen Anteile verfügt hat.

 

Die Sitzstaatsklausel ist nachrangig gegenüber der Immobilienklausel (Art. 13 Abs. 2 DBA-Singapur n. F.), aber als lex specialis vorrangig gegenüber der Auffangklausel (Art. 13 Abs. 6 DBA-Singapur n. F.) anzuwenden (vgl. Reimer, in: Vogel/Lehner, DBA 6. Auflage 2015, Art. 13 OECD-MA. Rz. 226a). Dabei ist die Sitzstaatsklausel als offene Rechtsfolge ausgestaltet, sodass das Besteuerungsrecht für den Ansässigkeitsstaat des Veräußerers nicht bereits durch den Verteilungsartikel ausgeschlossen ist.

 

Beachten Sie | Andere DBA enthalten vergleichbare Regelungen (s. DBA-Argentinien, DBA-Norwegen oder DBA-Korea). Diese sehen für die Zuweisung des Besteuerungsrechts an den Sitzstaat ‒ ähnlich zum Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F. ‒ eine Mindestbeteiligung vor. Jedoch ist das zusätzliche zeitliche Tatbestandsmerkmal (Haltedauer von weniger als zwölf Monaten) in der bisherigen deutschen Abkommenspraxis selten. Eine ähnliche Regelung findet sich im Art. 13 Abs. 5 S. 2 DBA-Türkei.

3. Folgen der Sitzstaatsklausel im Outbound-Sachverhalt

3.1 Besteuerungsfolgen bei Anteilsveräußerung

 

  • Beispiel 1

Eine natürliche Person mit Wohnsitz in Deutschland hält 100 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft, die ihren Sitz sowie ihre Geschäftsleitung in Singapur hat und weder im Anlagevermögen noch im Umlaufvermögen über Immobilienbesitz verfügt. Die Anteile werden im Privatvermögen gehalten.

 

Der Steuerpflichtige ist aufgrund seines inländischen Wohnsitzes (§ 8 AO) in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 S. 1 EStG). Im Zeitpunkt der Anteilsveräußerung erzielt er Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 EStG. Mangels eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes könnte der Steuerpflichtige in Singapur mit dem Veräußerungsgewinn beschränkt steuerpflichtig sein.

 

Eine drohende Doppelbesteuerung wird vor Inkrafttreten des Revisionsprotokolls gemäß Art. 13 Abs. 5 DBA-Singapur a. F. aufgelöst. Hiernach liegt das Besteuerungsrecht unabhängig von der Haltedauer der Anteile nur beim Ansässigkeitsstaat (hier: Deutschland; abschließende Rechtsfolge). Singapur stellt den Veräußerungsgewinn aufgrund der abschließenden Rechtsfolge des Verteilungsartikels frei.

 

Ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung des Revisionsprotokolls hängt die Aufteilung des Besteuerungsrechts von der Haltedauer der Anteile im Veräußerungszeitpunkt ab. Liegen zwischen dem Anteilserwerb und der Veräußerung weniger als zwölf Monate, liegt das Besteuerungsrecht nach Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F. beim Sitzstaat der Gesellschaft. Im Outbound-Fall besteuert somit Singapur, und Deutschland stellt die Einkünfte nach Art. 24 Abs. 1 Buchst. a) DBA-Singapur n. F. frei.

 

Wenn jedoch zwischen dem Anteilserwerb und dem Veräußerungszeitpunkt mindestens zwölf Monate liegen, weist die Auffangklausel nach Art. 13 Abs. 6 DBA-Singapur n. F. (vorher Art. 13 Abs. 5 DBA-Singapur a. F.) ‒ mangels Erfüllung des Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F. ‒ das Besteuerungsrecht weiterhin nur dem Ansässigkeitsstaat des Veräußerers zu. Im Ergebnis besteuert dann Deutschland vollumfänglich, und Singapur stellt frei.

 

3.2 Risiko der Wegzugsbesteuerung durch passive Entstrickung

Im Kontext der neu eingefügten Sitzstaatsklausel ist fraglich, ob im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung des Revisionsprotokolls eine passive Entstrickung nach § 6 AStG ausgelöst werden kann. Denn durch Inkrafttreten des Revisionsprotokolls könnte das deutsche Besteuerungsrecht am künftigen Veräußerungsgewinn ausgeschlossen werden, wenn die Tatbestandsmerkmale des Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F. im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung erfüllt sind.

 

Der Grundtatbestand des § 6 Abs. 1 S. 1 AStG fingiert in Wegzugsfällen (Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht) bei natürlichen Personen, die mindestens zehn Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig waren und Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft i. S. d. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG sind, eine Veräußerung nach § 17 EStG. In der Folge werden die während der unbeschränkten Steuerpflicht entstandenen stillen Reserven im Wegzugszeitpunkt aufgedeckt.

 

Subsidiär zum Grundtatbestand bestehen vier weitere Ersatz- bzw. Ergänzungstatbestände (§ 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 4 AStG), die der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht nach S. 1 gleichgestellt sind. Die Nr. 4 dieser Tatbestände stellt auf den Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Veräußerungsgewinns der Anteile ab. Das deutsche Besteuerungsrecht wird ausgeschlossen, wenn nach Eintritt eines Ereignisses (hier: Inkrafttreten bzw. erstmalige Anwendung des Revisionsprotokolls) Deutschland den Veräußerungsgewinn nicht mehr besteuern darf, während eine Beschränkung vorliegt, wenn durch ein Ereignis eine bisher nicht bestehende Verpflichtung zur Anrechnung einer ausländischen Steuer entsteht (vgl. Häck, in: F/W/B, AStG, 2019, § 6 AStG, Rz. 353 ff.).

 

Die durch die Revision oder den Neuabschluss eines DBA induzierte (passive) Entstrickung wird im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung dieses revidierten oder neu abgeschlossenen DBA realisiert. Hinsichtlich des Revisionsprotokolls zum DBA-Singapur bedeutet dies: Die Anwendung der Rechtsfolgen des § 6 Abs. 1 AStG erfolgt nach Art. 15 Revisionsprotokoll-DBA-Singapur zum 1.1. des Folgejahres der Ratifikation um 0:00 Uhr (= Entstrickungszeitpunkt; vgl. BMF 26.10.18, IV B 5 - S 1348/07/10002-01, BStBl I 18, 1104).

 

3.2.1 Folgen bei einer Haltedauer von mindestens zwölf Monaten

 

  • Abwandlung 1

Der Sachverhalt entspricht dem Beispiel 1 mit folgender Abweichung: Der Anteilserwerb im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung des Revisionsprotokolls liegt mindestens zwölf Monate zurück.

 

Im Outbound-Sachverhalt liegt vor der erstmaligen Anwendung des Revisionsprotokolls das Besteuerungsrecht am Veräußerungsgewinn ausschließlich bei Deutschland als Ansässigkeitsstaat (Art. 13 Abs. 5 DBA-Singapur a. F.).

Es droht keine passive Entstrickung nach § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG, wenn der unbeschränkt Steuerpflichtige im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung des Revisionsprotokolls bereits mindestens zwölf Monate an der Gesellschaft beteiligt war. Das Besteuerungsrecht am künftigen Veräußerungsgewinn verbleibt aufgrund der fortwährenden Anwendung der Auffangklausel (Art. 13 Abs. 6 DBA-Singapur n. F.) weiterhin bei Deutschland.

 

Beachten Sie | Abweichend zum oben skizzierten Sachverhalt ist eine Entstrickung nach § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG ebenfalls ausgeschlossen, wenn der Steuerpflichtige zwar weniger als zwölf Monate an der Gesellschaft beteiligt ist, aber die Beteiligungsgrenze i. H. v. 50 % nicht überschritten ist.

 

3.2.2 Folgen bei einer Haltedauer von weniger als zwölf Monaten

 

  • Abwandlung 2

Der Sachverhalt entspricht dem Beispiel 1 mit folgender Abweichung: Der Anteilserwerb im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung des Revisionsprotokolls liegt weniger als zwölf Monate zurück.

 

In den Fällen, in den der Anteilserwerb im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung des Revisionsprotokolls weniger als zwölf Monate zurückliegt (und die Beteiligung mehr als 50 % umfasst), liegt ein Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts am späteren Veräußerungsgewinn vor. Denn würde nach der erstmaligen Anwendung des Revisionsprotokolls die Veräußerung der Anteile innerhalb der Zwölfmonatsfrist erfolgen, obliegt das Besteuerungsrecht am Veräußerungsgewinn Singapur, während Deutschland die Freistellungsmethode anwendet (Art. 24 Abs. 1 Buchst. a) DBA-Singapur n. F.). In der Konsequenz erfolgt die Besteuerung der bis dahin entstandenen stillen Reserven gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG.

 

Diese passive Entstrickung führt für den Steuerpflichtigen zu einem erheblichen Liquiditätsnachteil, da eine Steuer ohne korrespondierenden Mittelzufluss erhoben wird. Eine Stundung der Wegzugssteuer bis zur tatsächlichen Veräußerung wird nach § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG nur gewährt, wenn die entsprechenden Anteile an einer in einem EU-/EWR-Staat ansässigen Gesellschaft bestehen (§ 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 4). Demzufolge bleibt dem Steuerpflichtigen nur die Antragstellung zur ratierlichen Stundung über fünf Jahre in Fällen von erheblicher Härte und unter Gestellung von Sicherheiten (§ 6 Abs. 4 AStG).

 

PRAXISTIPP | Nach dem Referentenentwurf des ATAD-UmsG könnte der Steuerpflichtige eine ratierliche Stundung über sieben Jahre beantragen, die in der Regel auch nur unter Gestellung von Sicherheitsleistungen gewährt wird (§ 6 Abs. 4 AStG-RefE). Für die Gewährung dieser Stundung wird jedoch nicht das Vorliegen eines EU-/EWR-Sachverhalts gefordert.

 

3.2.2.1 Tatsächliche Veräußerung innerhalb von zwölf Monaten

Erfolgt später die tatsächliche Veräußerung der Anteile innerhalb einer Haltedauer von weniger als zwölf Monaten, besteht das Risiko einer Doppelbesteuerung. Denn Singapur wird bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns die durch Deutschland bereits im Rahmen der passiven Entstrickung besteuerten stillen Reserven nicht zwingend außer Ansatz lassen. Zwar enthält das DBA-Singapur nach Art. 13 Abs. 7 DBA-Singapur n. F. eine Wegzugs- bzw. Step-up-Klausel, die eine Buchwertaufstockung im Anschluss an die Wegzugsbesteuerung im anderen Vertragsstaat vorsieht. Jedoch ist die nämliche Klausel in Fällen der Wegzugsteuer, die durch den Ersatztatbestand nach § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG ausgelöst wird, nicht anwendbar. Denn die Step-up-Klausel erfasst nur den Wegzug, d. h. den Wechsel der abkommensrechtlichen Ansässigkeit des Steuerpflichtigen (vgl. Gosch, in: G/K/G/K, DBA, 2019, Art. 13 OECD-MA, Rz. 167).

 

Entsteht dem Steuerpflichtigen bei einer Veräußerung innerhalb von zwölf Monaten nach erstmaliger Anwendung des Revisionsprotokolls ein Veräußerungsverlust, ist dieser, aufgrund der Zuweisung des Besteuerungsrechts an Singapur, nur dort zu berücksichtigen. Sollte der Verlust in Singapur keine Berücksichtigung finden, kann die nachträgliche Wertminderung auch nicht in Deutschland geltend gemacht werden. Denn de lege lata sieht § 6 Abs. 6 AStG eine Berücksichtigung von nachträglichen Wertminderungen nur vor, wenn eine Stundung bis zur tatsächlichen Veräußerung nach § 6 Abs. 5 AStG vorlag.

 

3.2.2.2 Ausbleibende oder tatsächliche Veräußerung nach zwölf Monaten

Erfolgt die Veräußerung der Anteile nach einer Haltedauer von mindestens zwölf Monaten, liegt das abkommensrechtliche Besteuerungsrecht nicht bei Singapur, sondern nach Art. 13 Abs. 6 DBA-Singapur n. F. bei Deutschland. Bei tatsächlicher Veräußerung wird dann zur Vermeidung einer doppelten Erfassung der stillen Reserven in Deutschland die Kürzung des tatsächlichen Veräußerungsgewinns um den Entstrickungsgewinn vorgenommen (§ 6 Abs. 1 S. 5 AStG). In der Folge werden im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung nur die nach der passiven Entstrickung entstandenen stillen Reserven besteuert.

 

Beachten Sie | § 6 Abs. 1 S. 5 AStG sieht keine Beschränkung der Kürzung auf den Entstrickungsgewinn der Höhe nach vor, sodass auch stille Lasten anrechenbar sind, die über den festgesetzten Entstrickungsgewinn hinausgehen. Ein entstehender Veräußerungsverlust ist nach den allgemeinen Vorschriften zum Verlustabzug zu behandeln (vgl. Häck, in: F/W/B, AStG, 2019, § 6 AStG, Rz. 412).

 

Aus der Sicht des Steuerpflichtigen stellt sich damit ein skurriles Ergebnis ein: Im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung des Revisionsprotokolls kann durch Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F. eine passive Entstrickung in Deutschland ausgelöst werden. Jedoch entfällt im Zeitablauf der Grund für den Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts, da nach Ablauf der Zwölfmonatsfrist das Besteuerungsrecht am Veräußerungsgewinn allein bei Deutschland liegt. Damit lebt das deutsche Besteuerungsrecht im Zeitablauf wieder auf.

 

Unterbleibt die tatsächliche Veräußerung der Anteile, führt das Wiederaufleben des deutschen Besteuerungsrechts nicht zum Entfallen der Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 3 AStG. Denn § 6 Abs. 3 S. 1 AStG sieht ein Entfallen des Steueranspruchs nur vor, wenn eine vorherige Beendigung der unbeschrankten Steuerpflicht und eine Rückkehr in diese innerhalb von fünf Jahren (ggf. Verlängerung um weitere fünf Jahre) vorliegt. Gleichermaßen läuft die Möglichkeit zum Entfallen der Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 AStG ins Leere. Zwar liegt das Kriterium der Wiederbegründung des deutschen Besteuerungsrechts mit Ablauf der Zwölfmonatsfrist stets vor. Jedoch ist das Entfallen der Steuer nach § 6 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 AStG an die vorherige Gewährung einer Stundung nach § 6 Abs. 5 AStG geknüpft, die vorliegend mangels EU-/EWR-Sachverhalt nicht bestehen kann. Im Ergebnis kann der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung des Revisionsprotokolls einer passiven Entstrickung unterliegen, die auch in Fällen einer Wiederbegründung des deutschen Besteuerungsrechts nicht rückwirkend entfällt.

 

Besonders erstaunlich ist dieses Ergebnis vor dem Hintergrund des Steuerfestsetzungszeitpunkts der Wegzugsteuer nach § 6 AStG. Die ausgelöste Wegzugsteuer ist nicht bereits im Zeitpunkt der Verwirklichung des wegzugsteuerrelevanten Ereignisses bzw. im Entstrickungszeitpunkt nach § 6 Abs. 1 AStG fällig, sondern entsteht erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Entstrickung verwirklicht wurde (vgl. Häck, in: F/W/B, AStG, 2019, § 6 AStG Rz. 390). Da Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F. auf eine Haltedauer von weniger als zwölf Monaten abstellt und der Entstrickungszeitpunkt auf den 1.1. des Folgejahres der Ratifikation fällt, liegen sowohl der Entstrickungszeitpunkt als auch der Zeitpunkt der Wiederbegründung des deutschen Besteuerungsrechts stets im selben Veranlagungszeitraum. Demzufolge ist im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung bekannt, ob das deutsche Besteuerungsrecht an einer künftigen Veräußerung (wieder) besteht.

 

PRAXISTIPP | Ein Entfallen der Wegzugsteuer ist mangels entsprechender Vorschrift im § 6 AStG ausgeschlossen. Allenfalls kann der Steuerpflichtige versuchen, im Einzelfall einen Erlass der Wegzugsteuer aus Billigkeitsgründen nach §§ 163, 227 AO zu begehren.

 

Dieses Ergebnis stellt sich auch nach dem Referentenentwurf zum ATAD-UmsG weiterhin ein. Zwar enthält § 6 Abs. 3 S. 1 AStG-RefE eine Regelung zur Wiederbegründung des deutschen Besteuerungsrechts bzw. zur Rückkehr in die unbeschränkte Steuerpflicht, jedoch stellt diese auf die vorherige Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht ab. Auch § 6 Abs. 3 S. 4 AStG-RefE, der ein Entfallen der Wegzugsteuer bei einem zeitweisen Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts vorsieht, knüpft an eine vorübergehende Abwesenheit des Steuerpflichtigen (dazu auch kritisch Kühn/Weiss, IWB 20, 50) an.

 

MERKE | Die Neueinführung des Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F. kann zu einer passiven Entstrickung nach § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG führen, deren Steuer trotz der Wiederbegründung des deutschen Besteuerungsrechts, ohne Stundungsmöglichkeit bis zu einer tatsächlichen Veräußerung, festgesetzt und eingezogen wird.

 

4. Folgen der Sitzstaatsklausel im Inbound-Sachverhalt

 

  • Beispiel 2

Eine in Singapur unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person hält 100 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft, die ihren Sitz sowie ihre Geschäftsleitung in Deutschland hat und weder im Anlagevermögen noch im Umlaufvermögen über Immobilienbesitz verfügt. Die Anteile werden im Privatvermögen gehalten.

 

Veräußert die natürliche Person ihre Anteile an der Gesellschaft, ist sie mangels Wohnsitzes und gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland mit ihren inländischen Einkünften, dem Veräußerungsgewinn (§ 17 EStG), nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e) Doppelbuchst. aa) EStG beschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 4 EStG). In Singapur ist sie laut Sachverhalt unbeschränkt Steuerpflicht.

 

Mit der erstmaligen Anwendung des Revisionsprotokolls erfolgt die Zuweisung des Besteuerungsrechts spiegelbildlich zum Outbound-Sachverhalt. Liegen zwischen Anteilserwerb und -veräußerung mindestens zwölf Monate, liegt das Besteuerungsrecht bei Singapur als Ansässigkeitsstaat (Art. 13 Abs. 6 DBA-Singapur n. F.). Während das Besteuerungsrecht Deutschland zugewiesen wird, wenn der Zeitraum zwischen Anteilserwerb und -veräußerung weniger als zwölf Monaten umfasst (Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F.). In der Folge ermöglicht das Revisionsprotokoll in Fällen einer Anteilsveräußerung unter Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F. erstmals die Ausübung des vorher ausgeschlossenen deutschen Besteuerungsrechts.

 

Demzufolge ist fraglich, ob durch die Überschreitung der Zwölfmonatsfrist, die damit verbundene Anwendung des Art. 13 Abs. 6 DBA-Singapur n. F. und den dadurch entstehenden Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts eine passive Entstrickung erfolgt. Zwar kann das Halten der Anteile über zwölf Monate hinaus als Ereignis verstanden werden, das zum Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts führt. Jedoch erstreckt sich der persönliche Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 AStG auf natürliche Personen, die mindestens zehn Jahre der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland unterlagen. Daher sind beschränkt Steuerpflichtige grds. nicht von § 6 AStG erfasst (vgl. Kraft, in: Kraft, AStG, 2019, § 6 AStG, Rz. 230 ff.). Demzufolge wird im Inbound-Sachverhalt trotz des Ausschlusses des deutschen Besteuerungsrechts keine Wegzugsteuer nach § 6 AStG erhoben.

 

Auch nach dem Referentenentwurf des ATAD-UmsG ist § 6 AStG weiterhin grundsätzlich nur auf unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen anwendbar. § 6 Abs. 2 AStG-RefE stellt zwar für das Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht i. S. d. Abs. 1 auf einen Zeitraum von sieben Jahren innerhalb der letzten zwölf Jahre ab. Jedoch führt eine Auslegung des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG-RefE zur Erfassung von beschränkt Steuerpflichtigen, bei denen ein Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts durch DBA-Revision realisiert wird, über den Wortlaut des Entwurfes hinaus.

 

MERKE | Der Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts im Inbound-Fall führt nicht zu einer passiven Entstrickung nach § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG. Ein Veräußerungsgewinn unterliegt der deutschen Besteuerung nur, wenn die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F. im Veräußerungszeitpunkt erfüllt sind.

 

5. Fazit

Das Revisionsprotokoll zum DBA-Singapur enthält eine Sitzstaatsklausel in Art. 13 Abs. 3 DBA-Singapur n. F., die bei ihrer erstmaligen Anwendung im Outbound-Fall eine passive Entstrickung nach § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG auslösen kann. Obgleich der Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts nur vorübergehend ist, wird den Steuerpflichtigen in Drittenstaatenkonstellationen weder ein Erlass noch eine Stundung der Steuer bis zur tatsächlichen Veräußerung gewährt. Neben dem Risiko der passiven Entstrickung kann in bestimmen Fallkonstellationen eine Doppelbesteuerung entstehen.

Quelle: Seite 205 | ID 46356914