· Fachbeitrag · Agenturrecht
Details zur Fürsorge-/Treuepflicht des Versicherers gegenüber Ausschließlichkeitsvertretern
von Rechtsanwalt Lutz Eggebrecht, Dr. Heinicke, Eggebrecht und Partner mbB, München
| Versicherer haben gegenüber ihren Ausschließlichkeitsvertretern eine Fürsorge-/Treuepflicht. Der folgende Beitrag erläutert Ihnen die Einzelheiten der Treuepflicht, wie z. B. Rechtsgrundlagen, Inhalt und Umfang der Treuepflicht, Folgen bei Verstößen. Außerdem erfahren Sie, unter welchen Voraussetzungen ein Parallelvertrieb neben dem Ausschließlichkeitsvertrieb zulässig ist oder was bei der Wegschlüsselung von Beständen gilt. |
Rechtsgrundlagen und Inhalt der Treuepflicht
Neben den gesetzlich in § 86a bis § 92 HGB ausdrücklich normierten Hauptpflichten des Versicherers aus dem Handelsvertretervertrag mit Ausschließlichkeitsvertretern bestehen auch noch vertragliche Nebenpflichten, wie z. B.
- die Fürsorgepflicht,
- die Unterstützungspflicht,
- die Loyalitätspflicht,
- die Förderungspflicht,
- die Rücksichtnahmepflicht und
- die Abschirmpflicht.
Bei diesen Bezeichnungen handelt es sich um Unterbegriffe, Facetten und Ausprägungen der als Oberbegriff bezeichneten Treuepflicht.
Rechtsgrundlagen der Treuepflicht
Auch wenn die einzelne Ausgestaltung der Treuepflicht zwar nicht jeweils gesondert gesetzlich geregelt ist, ergibt sich die Rechtsgrundlage für diese Treuepflicht aus verschiedenen gesetzlichen Generalklauseln, so z. B.:
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Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. |
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. |
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Der Unternehmer hat sich gegenüber dem Handelsvertreter nach den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten. |
Inhalt der Treuepflicht
Der Vertriebsvertrag ist ein durch gegenseitiges Vertrauen geprägtes Dauerschuldverhältnis mit erhöhten Treuepflichten. Der Inhalt dieser Treuepflicht wird anhand aller Umstände des Einzelfalls ermittelt, wobei die Rechtsprechung in den letzten 60 Jahren die Treuepflicht anhand zahlreicher Einzelfälle wie folgt leitsatzmäßig umschrieben hat:
- Das Unternehmen muss auf die schutzwürdigen Belange des Handelsvertreters Rücksicht nehmen und ihn bei seinen Aufgaben unterstützen.
- Das Unternehmen hat alles zu tun, was erforderlich und zumutbar ist, damit der Handelsvertreter den ihm gestellten Aufgaben und Pflichten gerecht werden kann.
- Das Unternehmen hat den Handelsvertreter in seiner Tätigkeit zu fördern und alle Voraussetzungen zu schaffen, damit der Handelsvertreter seinen Aufgaben nachkommen kann.
- Das Unternehmen hat alles zu unterlassen, was die Marktposition des Handelsvertreters beeinträchtigen kann und was den Handelsvertreter benachteiligen oder schädigen könnte.
- Das Unternehmen hat berechtigte Erwartungen des Handelsvertreters auf den Erfolg seiner Arbeit und seiner Aufwendungen zu schützen.
- Die Treuepflicht des Unternehmens besteht bis zum Ende des Agenturvertrags, also auch in der Zeit zwischen Kündigung und Vertragsende.
Grenzen der Treuepflicht
Der Versicherer hat nicht nur die Belange seiner Vertragspartner zu berücksichtigen, sondern darf selbstverständlich eigene Interessen verfolgen. Es hat somit insbesondere das freie Dispositionsrecht über den Inhalt und die Ausgestaltung seines Vertriebsnetzes. Einem Versicherer steht es somit grundsätzlich frei, den Absatz seiner Erzeugnisse so zu organisieren, wie es ihm am zweckmäßigsten erscheint.
Im Einzelfall wird somit eine Abwägung vorgenommen zwischen
- den Gründen einer freien Unternehmerentscheidung des Versicherers
- zu den schutzwürdigen Belangen eines Ausschließlichkeitsvertreters.
Um die Schutzwürdigkeit des Ausschließlichkeitsvertreters zu bemessen, können nach der Rechtsprechung die folgenden Kriterien maßgeblich sein:
- Ausgestaltung des Vertriebsvertrags (Handelsvertreter ggf. mit Kundenschutz, Gebietsvertreter, Alleinvertreter, Vertragshändler)
- Intensität der Einbindung in die Absatzorganisation des Unternehmens (Wettbewerbsverbot, Verbot einer anderweitigen Tätigkeit als Einfirmenvertreter, Umfang der Berichtspflicht, Ausgestaltung des konkreten Vertriebssystems, vertragliche Mindestumsätze oder Mindestabsatzmengen)
- Umfang des in den Geschäftsbetrieb des Handelsvertreters investierten Kapitals (z. B. große Verkaufsstätten bei Autohändlern, Einrichtung eines Warenlagers oder einer Vertragswerkstatt, vorgegebene Größe und Erscheinungsbild repräsentativer Geschäftsräume)
- Höhe des laufenden Unternehmensrisikos und der Kosten eines Vermittlers (z. B. Finanzierung der Wareneinkäufe beim Vertragshändler, hohe Zahl von Mitarbeitern)
- Nachvollziehbare Gründe für die Unternehmensentscheidung, Vorteile des Unternehmens (Zweckmäßigkeit, Willkür, Schädigungsabsicht)
PRAXISTIPP | Der Grundsatz lautet: Je mehr der Vermittler in die Vertriebsorganisation eingegliedert ist und je mehr er dafür Kapital und Kosten aufbringen muss, desto schutzwürdiger ist er. |
Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Treuepflicht
Verstößt der Versicherer gegen die Treuepflicht, können unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls für den Ausschließlichkeitsvertreter die folgenden Ansprüche bestehen:
- Schadenersatzanspruch
- Unterlassungsanspruch
- Auskunftsanspruch
- Ausgleichserhaltende ordentliche Kündigung wegen eines begründeten Anlasses durch ein Unternehmerverhalten
- Fristlose Kündigung
Auswirkungen der Treuepflicht auf Ausschließlichkeitsvertreter
Für den Ausschließlichkeitsvertreter stellen sich unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung aufgestellten Abwägungskriterien die folgenden Fragen:
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Frage | Antwort | |
1. | Verstößt ein Parallelvertrieb eines Versicherers (z. B. über Makler) gegen die Treuepflicht des Versicherers aus dem Ausschließlichkeitsvertrag? | Nein. Ein Parallelvertrieb verstößt nicht gegen die Treuepflicht des Versicherers. Denn der Ausschließlichkeitsvertreter ist in der Regel im Verhältnis zu anderen Vertriebspartnern (z. B. Eigenhändlern, Franchisenehmern) weniger schutzwürdig
Ohne eine vertragliche Abrede ist es dem Versicherer somit grundsätzlich gestattet, konkurrierende Vermittler einzusetzen. Da dem Ausschließlichkeitsvertreter vertraglich weder ein Alleinvertriebsrecht noch ein Gebietsschutz noch ein ausdrücklicher Kundenschutz eingeräumt wird, darf der Versicherer gegenüber dem Ausschließlichkeitsvertreter Wettbewerb betreiben. |
2. | Verstößt die Bezahlung einer höheren Vergütung für den Parallelvertrieb gegen die Treuepflicht aus dem Ausschließlichkeitsvertrag? | Nein, die Bezahlung einer höheren Vergütung für den Parallelvertrieb vertößt nicht gegen die Treuepflicht.
Auch wenn eine höhere Vergütung für den Parallelvertrieb den Wettbewerb im Verhältnis zum Ausschließlichkeitsvertreter fördert, unterliegt es der freien Disposition des Versicherers, im Einzelfall unterschiedliche Vergütungen für unterschiedliche Vertriebssysteme vertraglich zu vereinbaren. Da der Versicherer selbst innerhalb der Ausschließlichkeitsorganisation unterschiedlich hohe Vergütungen frei vereinbaren kann, gilt dies erst recht im Verhältnis zu anderen Vertriebsschienen. |
3. | Verstößt die Einräumung besserer Konditionen (z. B. höhere Rabatte, Sondertarife) für den Parallelvertrieb gegen die Treuepflicht aus dem Ausschließlichkeitsvertrag? | Ja, die Einräumung besserer Konditionen verstößt gegen die Treuepflicht, sofern kein sachlicher Differenzierungsgrund vorliegt.
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4. | Verstößt der Internetvertrieb des Versicherers gegen die Treuepflicht aus dem Ausschließlichkeitsvertrag? | Grundsätzlich verstößt der Internetvertrieb des Versicherers nicht gegen die Treuepflicht, die konkrete Ausgestaltung kann jedoch gegen die Treuepflicht verstoßen.
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Einen Verstoß gegen die Treuepflicht kann der Versicherer vermeiden, wenn z. B.
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5. | Verstößt das Ausspannen oder Abwerben eines Untervertreters durch den Versicherer gegen die Treuepflicht aus dem Ausschließlichkeitsvertrag? | Ja. Das Ausspannen oder Abwerben eines Untervertreters verstößt gegen die Treuepflicht. Durch das Ausspannen oder Abwerben eines Untervertreters werden die schutzwürdigen Belange des Ausschließlichkeitsvertreters verletzt und die Vermittlungstätigkeit behindert.
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6. | Verstößt die Wegschlüsselung von Verträgen aus dem vom Ausschließlichkeitsvertreter betreuten Bestand gegen die Treuepflicht aus dem Ausschließlichkeitsvertrag? | Bei der Wegschlüsselung von Verträgen muss der konkrete Einzelfall berücksichtigt werden:
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7. | Verstößt die Kappung des Zugangs zu dem Datenverarbeitungssystem des Versicherers während der Vertragslaufzeit (gilt nicht für die Dauer der Freistellung) gegen die Treuepflicht aus dem Ausschließlichkeitsvertrag? | Ja. Die Kappung des Zugangs zu den Datenverarbeitungssystemen behindert und benachteiligt den Handelsvertreter unangemessen und stellt ein treuwidriges Verhalten des Versicherers dar (OLG München, Urteil vom 10.06.2009, Az. 7 U 4522/08, Abruf-Nr. 092622; zum Versicherungsvertreter). |