· Fachbeitrag · Altersteilzeit
Aktuelle Problempunkte bei der Altersteilzeit
von RA Thorsten Leisinger, WTS Steuerberatungsges. mbH, Frankfurt/M.
| Für nach dem 31.12.2009 angetretene Altersteilzeitbeschäftigungen gibt es zwar keine staatliche Förderung mehr. Die Steuerfreistellung der Aufstockungsbeträge wurde aber nicht aufgehoben. Damit werden in der Praxis Altersteilzeitarbeitsverträge weiterhin gerne als personalwirtschaftliches Mittel eingesetzt. Der folgende Beitrag zeigt die Grenzen der möglichen Gestaltungsvarianten und erläutert den Einsatz von Wertguthaben zur Freistellung von Mitarbeitern schon während der Arbeitsphase. |
Grundmodell der Altersteilzeit
Bei der Altersteilzeit wird der Arbeitsvertrag mit dem Mitarbeiter - meist aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung - wie folgt geändert:
- Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt, in dem dieser eine Rente beanspruchen kann
- Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Hälfte der vereinbarten Arbeitszeit in Teilzeit oder im Blockmodell
- Zahlung eines Aufstockungsbetrags bis maximal 100 Prozent des bisherigen ungeminderten Nettoentgelts
- Zahlung eines Aufstockungsbetrags zur Rentenversicherung (RV) auf mindestens 90 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze
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Mit einem 55-jährigen Mitarbeiter (Steuerklasse 1, 40 Wochenstunden, 5.000 Euro Monatslohn, kinderlos, Zusatzbeitrag 1,1 %) werden folgende Eckpunkte der Altersteilzeit vereinbart: Ende des Arbeitsvertrags zum Monatsende des 63. Geburtstags, Arbeitszeitverringerung auf 20 Wochenstunden, in der ersten Hälfte weiterhin 40 Wochenstunden, in der zweiten Hälfte Freistellung, Teilzeit-Bruttolohn 2.500 Euro, Zahlung eines Aufstockungsbetrags auf 83 % des früheren Vollzeit-Nettobetrags, RV-Aufstockungsbetrag auf 90 % des maximalen RV-Beitrags.
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Voraussetzungen für die Steuerbefreiung
Damit die Arbeitsvertragsänderungen als Altersteilzeit anerkannt und die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Freistellung der Aufstockungsbeiträge nach § 3 Nr. 28 EStG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 SvEV angewendet werden können, ist eine Altersteilzeitarbeit nach § 2 Altersteilzeitgesetz (ATG) erforderlich. Dazu muss die Altersteilzeitvereinbarung folgende Vorgaben erfüllen:
- 1. Der Arbeitnehmer muss bei Beginn der Altersteilzeitbeschäftigung das 55. Lebensjahr vollendet haben.
- 2. Der Arbeitnehmer muss innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Altersteilzeit mindestens 1.080 Kalendertage in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder einer anderen anrechenbaren Zeit verbracht haben (z. B. registrierte Arbeitslosigkeit oder Tätigkeit im EU-Ausland).
- 3. Beim Ende der Laufzeit der Altersteilzeitbeschäftigung muss der Mitarbeiter einen Anspruch auf Rente wegen Alters (ggf. auch gekürzt) haben.
- 4. Die Arbeitszeit muss auf die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit reduziert werden.
Fehlt eine Vorgabe, kann der Arbeitgeber Aufstockungsleistungen nicht steuerfrei zahlen (FG Hessen, Urteil vom 03.12.2007, Az. 11 K 2422/06, Abruf-Nr. 188416). Umfassend dargestellt haben die Voraussetzungen für eine Altersteilzeit auch die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung (Gemeinsames Rundschreiben vom 02.11.2010, Abruf-Nr. 188435).
Wichtig | Die Steuerfreiheit der Aufstockungsbeträge ist begrenzt auf 100 Prozent des Vergleichsnettos ohne Altersteilzeitarbeit (H 3.28 LStH mit Berechnungsbeispiel). Die Aufstockungsbeträge des Arbeitgebers zu den RV-Beiträgen sind einschließlich der Arbeitnehmerbeiträge ebenfalls bis zu 100 Prozent des Vollzeitbruttos steuerfrei. Übernimmt der Arbeitgeber darüber hinaus RV-Beiträge zum Ausgleich von Rentenminderungen (§ 187a SGB VI), sind diese Beiträge nur zur Hälfte steuerfrei (§ 3 Nr. 28 EStG).
Zulässige Grenzen der Altersteilzeit
Mit dem Wegfall der staatlichen Förderung der Altersteilzeit ab dem 01.01.2010 haben sich insbesondere bei der Steuerfreiheit der Aufstockungsbeträge Änderungen ergeben, auf die Arbeitgeber ihre Gestaltungen ausrichten sollten:
Mehrarbeit während der Arbeitsphase
War im Rahmen der staatlichen Förderung Mehrarbeit nur im Umfang einer geringfügigen Beschäftigung zulässig, ist ohne die Förderung auch eine darüber hinaus geleistete Mehrarbeit möglich.
Wichtig | Die Mehrarbeit darf nicht zur dauerhaften Erhöhung der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit führen. Der Grundsatz der Halbierung der Arbeitszeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ATG) muss gewahrt bleiben. Das bedeutet: Die Mehrarbeit muss am Ende der Altersteilzeitarbeit durch Freizeitausgleich abgebaut sein. Ausnahmen, insbesondere Mehrarbeit in der Freistellungsphase, sind nur in Abstimmung mit der Deutschen Rentenversicherung möglich.
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Ein Mitarbeiter in der Arbeitsphase seines ATZ-Blockmodells leistet wegen guter Auftragslage in mehr als geringfügigem Umfang 3 Monate lang statt 38 Wochenstunden 45 Wochenstunden, insgesamt 84 Mehrarbeitsstunden.
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Nebentätigkeit während der Altersteilzeitarbeit
Die erforderliche Arbeitszeitreduzierung auf die Hälfte der vor Beginn der Altersteilzeit gearbeiteten Wochenarbeitszeit ist auf das Altersteilzeitarbeitsverhältnis beschränkt. Damit sind daneben sowohl eine selbstständige Tätigkeit als auch eine Tätigkeit für einen anderen Arbeitgeber (auch einen anderen juristischen Arbeitgeber innerhalb eines Konzerns) unbegrenzt möglich.
Freistellung von der Arbeit
Keine Altersteilzeitarbeit im Sinne des § 2 ATG liegt vor, wenn der Arbeitgeber arbeitsrechtlich - nicht nur vorübergehend - auf die tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verzichtet, ohne dass vereinbart ist, dass ein Wertguthaben in dieser Freistellungsphase abgebaut wird. Auch in diesem Fall ist der Grundsatz der Halbierung der Arbeitszeit nicht gegeben (BAG, Urteil vom 10.02.2004, Az. 9 AZR 401/02, Abruf-Nr. 041556, bestätigt mit Urteil vom 22.05.2012, Az. 9 AZR 453/10, Abruf-Nr. 188417).
Wichtig | Arbeitgeber sollten es vermeiden, gleichzeitig mit dem Altersteilzeitarbeitsvertrag zu vereinbaren, dass der Mitarbeiter mit Beginn der Altersteilzeit oder zumindest noch vor dem Ende der Arbeitsphase von der Arbeit freigestellt wird. Werden solche Freistellungsgestaltungen z. B. in der Außenprüfung aufgegriffen, muss der Arbeitgeber bisher netto gezahlte Aufstockungsbeträge nachträglich versteuern und verbeitragen. Ausgehend vom oben genannten Beispielfall können rund 12.000 Euro pro Mitarbeiter und Jahr an Nachforderungen auf den Arbeitgeber zukommen. Außerdem können sich strafrechtliche Konsequenzen ergeben.
Gestaltungsmöglichkeiten mit Wertguthaben
Sollen Mitarbeiter schon mit Beginn der Altersteilzeitarbeit von der Arbeit freigestellt werden, kann dies unserer Erachtens durch den Einsatz eines schon vor der Altersteilzeitbeschäftigung bestehenden Wertguthabens (§ 7b SGB IV) erreicht werden. Das Wertguthaben muss ausreichen, um damit die gesamte Altersteilzeitarbeit finanzieren zu können. Aus Sicht der Sozialversicherungsträger lässt sich durch eine Wertguthabenvereinbarung die negative Wirkung der Freistellung vermeiden (Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Gemeinsames Rundschreiben vom 02.11.2010, Tz. 2.5.3 und 2.5.6).
Abschluss der Wertguthabenvereinbarung
Im ersten Schritt müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Wertguthabenvereinbarung als Ergänzung zum Arbeitsvertrag schließen, die den Vorgaben der §§ 7b SGB IV ff. folgen muss. (LGP kann keine Musterformulierung bereitstellen, weil es sich um eine umfassende Vereinbarung handelt, die jeweils auf den Einzelfall abgestimmt sein muss.)
Im Wesentlichen wandelt der Arbeitnehmer in der Wertguthabenvereinbarung einen Teil seines Arbeitsentgelts in ein Wertguthaben um, mit dem zeitversetzt eine Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts erreicht werden kann. Die Absicherung durch die Sozialversicherung bleibt dabei erhalten. Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung haben ihre Auffassung zu den Wertguthaben § 7b ff SGB IV im Gemeinsamen Rundschreiben vom 31.03.2009 veröffentlicht (Abruf-Nr. 189389).
Umsetzung der Wertguthabenvereinbarung
§ 7b Nr. 4 SGB IV bestimmt, dass das aus dem Wertguthaben fällige Arbeitsentgelt mit einer Arbeitsleistung erzielt worden sein muss, die vor oder nach der Freistellung von der Arbeitsleistung bzw. der Verringerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit erbracht worden ist. Das bedeutet aber nicht, dass das Wertguthaben durch nicht ausbezahlte, während der Arbeitszeit geleistete Arbeit aufgebaut werden muss. Vielmehr kann es auch durch Arbeitsentgelt gebildet werden, das nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der geleisteten Arbeitszeit steht (Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Gemeinsames Rundschreiben vom 31.03.2009). Für die Praxis ergeben sich dadurch folgende Gestaltungsmöglichkeiten:
- Der Aufbau des Wertguthabens des Arbeitnehmers kann auch durch eine Zahlung des Arbeitgebers auf das Wertguthaben allein erfolgen. Dafür eignen sich z. B. ein Bonus oder freiwillige Sonderzahlungen. Unseres Erachtens ist es ausreichend, dass zu Beginn der Altersteilzeit ein Wertguthaben besteht. Dies kann durch eine Einzahlung des Arbeitgebers auf ein Wertguthabenkonto kurz zuvor erfolgen.
- Da Wertguthaben dem Grunde nach nicht nur vor-, sondern auch nachgearbeitet werden kann, kann der Arbeitgeber einen Bonus bzw. eine freiwillige Sonderzahlung, aus denen Wertguthaben gebildet werden soll, auch zum Ende der Freistellung zum Ausgleich eines negativen Wertguthabens zahlen. Das hat folgende Vorteile:
- Der genaue Wertguthabenbedarf ist zu Beginn der Altersteilzeit oft noch nicht bekannt.
- Bei einer nachschüssigen Zahlung muss es nicht vorfinanziert werden.
- Es entsteht kein Ausfallrisiko im Falle eines Störfalls (z. B. vorzeitiges Ableben des Arbeitnehmers).
- Zunächst ist kein Wertguthaben gegen Insolvenz zu sichern.
- Veröffentlichungen dazu, dass eine solche Gestaltung mit „nachträglichem“ Ausgleich des Wertguthabens von der Finanzverwaltung oder den SV-Trägern nicht anerkannt wird, sind uns derzeit keine bekannt.
Ansässigkeit im Ausland während der Altersteilzeit
Das Altersteilzeit-Regelentgelt stellt während der Arbeits- und Freistellungsphase Arbeitslohn dar, auf den die DBA-Regelungen anzuwenden sind (Art. 15 OECD-MA). Während der Freistellungsphase handelt es sich um nachträglich gezahlten Arbeitslohn. Dieser ist entsprechend der Vergütungen zwischen dem Wohnsitz- und Tätigkeitsstaat während der Arbeitsphase aufzuteilen (BFH, Urteil vom 12.01.2011, Az. I R 49/10, Abruf-Nr. 111193 sowie BMF, Schreiben vom 12.11.2014, Az. IV B 2 - S 1300/08/10027, Abruf-Nr. 143420, Rdn. 272).
Der Aufstockungsbetrag hingegen fällt nicht in das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaates, sondern steht ausschließlich dem (ausländischen) Ansässigkeitsstaat zu (BMF, Schreiben vom 12.11.2014, Abruf-Nr. 143420, Rdn. 273).
Besonderheiten zur Altersteilzeit für den Arbeitnehmer
Aus Sicht des Arbeitnehmers ist auf folgende Besonderheiten hinzuweisen:
- Beantragt der Arbeitnehmer nach der Altersteilzeitarbeit keine Rente, könnte er grundsätzlich bis zu Beginn der Regelaltersgrenze Arbeitslosengeld beantragen. Nach der Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit wird aber in der Regel eine 12-wöchige Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe verhängt (§ 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III), die meist nicht durch eine Klage bei den Sozialgerichten vermieden werden kann. Damit betroffene Arbeitnehmer die Möglichkeit einer Sperrzeit berücksichtigen können, sollten Arbeitgeber vorsorglich den von Kündigungen bekannten Hinweis auf eine rechtzeitige Meldung bei der Arbeitsagentur auch in Altersteilzeitverträge aufnehmen.
- Nach § 237 SGB VI können nur noch Arbeitnehmer die vorgezogene Rente nach Altersteilzeit in Anspruch nehmen, die vor 1952 geboren sind. Voraussetzung ist, dass sie mindestens 24 Monate Altersteilzeit geleistet haben. Dieser Anspruch entfällt, wenn z. B. wegen sofortiger Freistellung des Arbeitnehmers keine echte Altersteilzeitarbeit bestanden hat.
- Der Arbeitgeber ist jährlich zum Nachweis der Insolvenzsicherung des Wertguthabens verpflichtet (§ 7e Abs. 1 bis 3 SGB IV, z. B. über CTA-Modelle mit externen Finanzdienstleistern). Unterlässt er die Insolvenzsicherung, ist zwar eine persönliche Haftung des organschaftlichen Vertreters - z. B. des Geschäftsführers - für ein ausgefallenes Wertguthaben ausgeschlossen (BAG, Urteil vom 23.02.2016, Az. 9 AZR 293/15, Abruf-Nr. 185423). Die Haftung des Arbeitgebers für die Insolvenzsicherung besteht aber unabhängig davon (§ 7e SGB IV). Danach kann der Arbeitnehmer den Nachweis über die Insolvenzsicherung verlangen und beim Ausbleiben die Wertguthabenvereinbarung kündigen. Das Wertguthaben ist dann sofort an den Arbeitnehmer auszuzahlen, zu versteuern und zu verbeitragen (§ 7e Abs. 5 SGB IV).
- Wichtig | Anstelle des Arbeitnehmers kann auch die Deutsche Rentenversicherung das Fehlen der Insolvenzsicherung feststellen. Der Arbeitgeber kann dann innerhalb von zwei Monaten die Insolvenzsicherung nachholen. Tut er dies nicht, ist das Wertguthaben ebenfalls an den Arbeitnehmer - beitragspflichtig und ggf. mit Säumniszuschlägen - auszuzahlen.