· Fachbeitrag · Annahme und Ausschlagung
So wird die Ausschlagung richtig angefochten
von RA Uwe Gottwald, VRiLG a.D., Vallendar
| Haben die Erben die Erbschaft ausgeschlagen, bereuen sie diese Entscheidung, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Nachlass werthaltig ist. Bedeutsam ist daher, ob und ggf. wie sie die Ausschlagung rückgängig machen können. Dazu im Einzelnen: |
1. Voraussetzungen der Anfechtung
Nach § 1955 S. 1 BGB wird die Ausschlagung (oder Annahme) ausschließlich gegenüber dem Nachlassgericht angefochten. Gem. § 1955 S. 2 BGB ist für die Erklärung der Anfechtung § 1945 BGB anzuwenden. Die Anfechtung ist zur Niederschrift des Nachlassgerichts zu erklären oder muss diesem öffentlich beglaubigt zugehen. Die wirksame Anfechtung bewirkt, dass die Ausschlagung nichtig ist, § 142 Abs. 1 BGB. Zudem gilt nach § 1957 BGB die Anfechtung der Annahme als Ausschlagung der Erbschaft und die der Ausschlagung als Annahme der Erbschaft.
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Die verwitwete Erblasserin (E) wurde tot in ihrer Mietwohnung aufgefunden. Die Wohnung befand sich in einem verwahrlosten Zustand. Ein Testament gab es nicht. Die beiden Schwestern der E, die der gesetzlichen Erbfolge nach Miterbinnen gewesen wären, schlugen die Erbschaft aus. Nachdem Nachlasspflegschaft angeordnet wurde, um den Nachlass zu sichern und zu verwalten, stellte sich heraus, dass dieser werthaltig war (OLG Düsseldorf ZEV 19, 263).
Die verwitwete Erblasserin (E), die keine letztwillige Verfügung hinterlassen hatte, war verstorben. Ihr Sohn (S) schlug die Erbschaft gleich aus welchem Rechtsgrund aus. Der Nachlasspfleger stellte bereits nach ersten Ermittlungen fest, dass der Nachlass mindestens 20.000 EUR wert sei (OLG Düsseldorf ZEV 09, 137). |
In beiden Fällen haben die Erben erfolglos ihre Ausschlagungserklärungen angefochten mit der Begründung, sie seien aufgrund der Umstände davon ausgegangen, dass der Nachlass eher überschuldet gewesen sei. Diese Konstellation tritt häufig auf, weil zu oft und zu leichtfertig aus Furcht, die Schulden des Erblassers tragen zu müssen, das Erbe ausgeschlagen wird.
a) Anfechtungsfrist, § 1954 BGB
Die Anfechtung kann nur binnen sechs Wochen erfolgen § 1954 Abs. 1 BGB. Nach Abs. 2 der Norm beginnt im Fall der Anfechtbarkeit wegen Drohung diese Frist mit dem Zeitpunkt in dem die Zwangslage aufhört und in den übrigen Fällen mit dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Auf den Lauf der Frist sind die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 206, 210, 211 BGB entsprechend anwendbar.
Die Frist beträgt sechs Monate, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland gehabt hat oder wenn sich der Erbe bei Fristbeginn im Ausland aufhält, § 1954 Abs. 3 BGB. Nach Abs. 4 BGB kann nicht angefochten werden, wenn vor mehr als 30 Jahren das Erbe angenommen oder ausgeschlagen wurde.
b) Anfechtungsgründe
§§ 1954 bis 1957 BGB enthalten Sondervorschriften für die Anfechtung der Erklärungen von Annahme und Ausschlagung, die als sog. gestaltende Willenserklärungen unwiderruflich sind. Die Regelungen sind unvollständig, weil sich die geltenden Anfechtungsgründe daraus nicht ergeben. Nach allgemeiner Meinung sind die Bestimmungen des Allgemeinen Teils des BGB zur Anfechtung maßgeblich. Deshalb folgen die Anfechtungsgründe insbesondere aus §§ 119, 120, 123 BGB. Nicht anwendbar sind §§ 2078 bis 2079 BGB (besondere Anfechtungsgründe des Erbrechts; Palandt/Weidlich, BGB, 78. Aufl., § 1954 Rn. 1).
aa) Inhaltsirrtum, § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB
Beim Irrtum über den Inhalt der Erklärung (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) entspricht zwar der äußere Tatbestand der Erklärung seinem Willen, der Erbe irrt sich aber über die Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 1954 Rn. 3). Die Abgrenzung zwischen beachtlichem Rechtsfolgeirrtum und einem unbeachtlichem Motivirrtum ist schwierig. Der Irrtum über die Rechtsfolgen einer erklärten und gewollten Ausschlagung (oder auch Annahme) ist i. d. R. ein beachtlicher und zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum, wenn bei dem Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Rechtswirkungen eintreten. Er ist dagegen ein unbeachtlicher Motivirrtum, wenn der Erklärende dabei nicht wusste oder nicht erkannte, dass außer den gewollten Rechtsfolgen noch zusätzliche oder mittelbare Rechtswirkungen eintreten (BGH ZEV 06, 498 = FamRZ 06, 1519).
bb) Erklärungsirrtum, § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB
Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn der äußere Tatbestand der Erklärung nicht dem Willen des Erben entspricht. Die typischen Fälle des Versprechens bzw. Verschreibens dürften hier ausscheiden, da die Erklärungen zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder öffentlich beglaubigt werden.
cc) Eigenschaftsirrtum, § 119 Abs. 2 BGB.
Bei Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft begründen objektiv erhebliche und kausale Fehlvorstellungen des Erklärenden über verkehrswesentliche Eigenschaften des Nachlasses, der hier nach h.M. als Sache i. S. d. § 119 Abs. 2 BGB angesehen wird (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 1954 Rn. 6), die Anfechtung. Das kann der Fall sein bei einem Irrtum über die Erbschaft oder über einen Erbteil. Als verkehrswesentliche Eigenschaften werden z. B. angesehen die
- Größe des Miterbenanteils (BGH ZEV 97, 22),
- Einsetzung eines Miterben oder Nacherben (BGH a.a.O.) oder
- Beschränkungen und Beschwerungen des Erben durch Testamentsvollstreckung. Gleiches gilt unabhängig von den Voraussetzungen des § 2308 BGB für das Vorliegen von Vermächtnissen (BGHZ 106, 359 = FamRZ 89, 496) und Auflagen.
Die Anfechtung der Ausschlagung wegen nicht erkannter Überschuldung des Nachlasses ist in der Praxis bedeutsam. Nach allgemeiner Meinung wird dieser Irrtum als Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB anerkannt (zuletzt: OLG Düsseldorf ZEV 19, 263; aber auch OLG Düsseldorf ZEV 16, 721; 09, 137; KG NJW-RR 04, 941). Ein beachtlicher Anfechtungsgrund liegt allerdings immer nur vor, wenn der Irrtum bezüglich der Überschuldung des Nachlasses auf unrichtigen Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung (BayObLG NJW 03, 216; OLG Zweibrücken ZEV 96, 428) oder über wertbildende Faktoren beruht.
Schließlich muss Kausalität zwischen Irrtum und Ausschlagungserklärung bestehen, um erfolgreich anfechten zu können. Diese ist gegeben, wenn der Anfechtende die Erklärung bei verständiger Würdigung des Sachverhalts nicht abgegeben hätte. Dabei ist entscheidend nicht nur der subjektive Wille des Anfechtenden, sondern ob er als verständiger Mensch die Willenserklärung nicht abgegeben hätte. I. d. R. ist der Irrtum unerheblich, wenn der Irrende sich durch die angefochtene Willenserklärung nicht schlechter gestellt hat als er ohne ihre Abgabe gestanden hätte (OLG Zweibrücken, a.a.O.).
Nicht anfechten kann derjenige, der sich die Größe des Nachlasses falsch vorgestellt hat, ohne zu wissen, wie dieser sich zusammensetzt. D. h.: Derjenige kann sich nicht auf einen Anfechtungsgrund berufen, der seine Entscheidung über die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft auf spekulative (bewusst unsichere) Grundlage getroffen hatte (OLG Düsseldorf ZEV 19, 263; FamRZ 17, 483).
2. Fazit
Der Anfechtende muss den Anfechtungsgrund klar in der Anfechtungserklärung angeben. Der Anfechtende trägt für das Vorliegen des Anfechtungsgrundes, der Anfechtungserklärung und des Anfechtungszeitpunkts die Darlegungs- und Beweislast. Er muss auch diejenigen Tatsachen vortragen, wie er Kenntnis vom Anfechtungsgrund erlangt hat, damit das Nachlassgericht sicher feststellen kann, ob die Anfechtung rechtzeitig war. Ist die Überschuldung ungewiss und kann die Vermögenslage des Nachlasses nicht innerhalb der Frist zur Ausschlagung einigermaßen sicher geklärt werden, sollte nicht voreilig ausgeschlagen werden. Nur dadurch kann das Risiko einer nicht beachtlichen Anfechtung der Ausschlagung sicher ausgeschlossen werden. Die Befürchtung, mit dem eigenen Vermögen für den Nachlass bei Überschuldung des Nachlasses haften zu müssen, ist unbegründet, weil es zahlreiche Möglichkeiten für den Erben gibt, die Haftung auf den Nachlass zu beschränken. Statt einer übereilten Ausschlagung sollten deshalb
- eine Nachlassverwaltung nach den §§ 1975 ff. BGB;
- bei feststehender Überschuldung die Beantragung eines Nachlassinsolvenzverfahrens
erwogen werden, um die Haftung auf den Nachlass zu beschränken.
Wird der Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens mangels einer die Kosten deckenden Masse abgelehnt, kann der Erbe die Haftung nach §§ 1990 ff. BGB auf den Nachlass beschränken.
Wichtig | Stets ist zu beachten, dass der Erbe nach § 2005 Abs. 1 BGB unbeschränkt haftet, wenn er absichtlich eine erhebliche Unvollständigkeit der im Inventar enthaltenen Angabe der Nachlassgegenstände herbeiführt oder er in der Absicht, die Nachlassgläubiger zu benachteiligen, die Aufnahme einer nicht bestehenden Nachlassverbindlichkeit bewirkt. Das Gleiche gilt, wenn er im Fall des § 2003 BGB die Auskunft verweigert oder absichtlich in erheblichem Maß verzögert.
Checkliste / Anfechtung von Ausschlagung (und Annahme) |
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Musterformulierung / Anfechtung der Ausschlagung |
An das Nachlassgericht […]
In der Nachlasssache
betreffend den Nachlass des […], geb. am […], verstorben am […], in […], seinem letzten gewöhnlichen Aufenthalt,
erkläre ich die Anfechtung der Ausschlagung der Erbschaft.
Begründung: Der Verstorbene war mein verwitweter Vater. Eine letztwillige Verfügung hatte er nicht errichtet; jedenfalls habe ich eine solche nicht gefunden. Mein Bruder […] und ich sind als Abkömmlinge die einzigen gesetzlichen Erben. Weil mein Bruder zur Zeit des Erbfalls bis heute in Amerika lebt und sich nicht um den Nachlass gekümmert hat, habe ich diese Aufgabe übernommen. Der Nachlass war nicht geordnet und die vorhandenen Unterlagen unübersichtlich. Nach den vorgefundenen Wertsachen, Bargeld und Unterlagen sowie den Auskünften seiner Banken und mehrerer Geschäftspartner habe ich ein Vermögensverzeichnis erstellt. Dabei haben die Passiva die Aktiva überwogen und es ergab sich eine Überschuldung des Nachlasses in Höhe von rd. 60.000 EUR.
Da ich für die Schulden meines Vaters nicht haften wollte, habe ich mit Schreiben vom […] an das Nachlassgericht beim Amtsgericht in […] form- und fristgerecht die Ausschlagung erklärt. Damit war die Angelegenheit für mich erledigt.
Etwa drei Monate später, vor genau zwei Wochen, teilte mir der vom Nachlassgericht zur Sicherung des Nachlasses bestellte Nachlasspfleger mit, dass der Nachlass entgegen meinen Feststellungen sehr wohl werthaltig ist. Er habe in einem gut getarnten Versteck im Schlafzimmer des Erblassers eingemauert einen Behälter mit sechs Goldbarren von je 1 kg Gewicht gefunden, die nach derzeitigem Goldpreis ca. 228.000 EUR wert sind.
So stellte es sich erst jetzt heraus, dass der Nachlass entgegen meiner Annahme werthaltig ist. Über diese Tatsache befand ich mich im Irrtum und hätte die Erbschaft niemals ausgeschlagen, wenn ich gewusst hätte, dass die Aktiva die Passiva bei Weitem übersteigen.
[…], den […]
Unterschrift (notarielle Unterschriftsbeglaubigung) |
Weiterführende Hinweise
- EE 19, 169 zur Ausschlagung der Erbschaft (mit Musterformulierungen)
- Musielak, Der Irrtum des Erblassers und der Erben, ZEV 16, 353
- Krause, Anfechtung der Annahme einer Erbschaft im Zusammenhang mit § 2306 BGB, NotBZ 17, 26
- Heinemann, Entgegennahme einer öffentlich-beglaubigten Ausschlagungs- bzw. Anfechtungserklärung durch das Wohnsitzgericht, DNotZ 11, 498