· Fachbeitrag · Arbeitslohn
Arbeitszeitkonto versus Lohnpfändung
von Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz
| Stellen Sie sich folgenden Fall vor: Gläubiger G. pfändet das Arbeitseinkommen des Schuldners S. Der Arbeitgeber D. als Drittschuldner teilt mit, dass S. als Arbeitnehmer aus dem Unternehmen ausscheidet und Minusstunden auf dem bislang geführten Arbeitszeitkonto mit dem letzten Lohn verrechnet werden. Was nun? |
1. Was ist ein Arbeitszeitkonto?
In einem sog. Arbeitszeitkonto wird die tatsächlich geleistete Arbeitszeit eines Arbeitnehmers festgehalten und mit der tariflich oder arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitszeit abgeglichen. Ein Arbeitszeitkonto darf im Betrieb aber nur geführt werden, wenn dies durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsvertrag bzw. einer Ergänzung dazu vereinbart worden ist.
MERKE | Gründe für solche flexible Arbeitszeiten durch Arbeitszeitkonten ergeben sich i. d. R aus der Person des Arbeitnehmers oder aufgrund saisonal unterschiedlicher Arbeitsauslastung von Unternehmen als Arbeitgeber. Hierin wird zumeist geregelt, in welcher Spannbreite die wöchentliche Arbeitszeit von der vertraglichen Arbeitszeit abweichen darf und wie viele Guthabenstunden bzw. Minusstunden maximal anfallen dürfen. Es werden i. d. R. Ausgleichregelungen, z. B. das Recht auf Freizeitnahme bei Guthabenstunden, und Verrechnung von Minusstunden am Ende des Ausgleichzeitraums getroffen. |
2. Nicht zu verwechseln: Überstundenkonto
Ein „Überstundenkonto“ ist ein spezielles Arbeitszeitkonto, das nur die aus Überzeitarbeit erworbenen „Gutstunden“, die grundsätzlich in Freizeit auszugleichen sind, erfasst und dokumentiert (BAG ArbRB 12, 233). Die Möglichkeit besteht also gerade nicht, das Überstundenkonto mit Minusstunden zu belasten.
PRAXISTIPP | Die Frage, ob es sich um ein echtes Arbeitszeitkonto oder um ein Überstundenkonto handelt, können Sie mittels Ihres Auskunftsanspruchs gemäß § 836 Abs. 3 S. 1 ZPO klären, indem Sie den Schuldner hierzu ggf. über den Gerichtsvollzieher befragen. Möglich ist auch, dass Sie sich im Rahmen der Lohnpfändung nach § 836 Abs. 3 S. 1, 5 ZPO die Unterlagen (Arbeitsvertrag, Tarifvereinbarungen etc.) durch den Gerichtsvollzieher (§ 883 ZPO) aushändigen lassen. Aber auch die Drittschuldnererklärung gemäß § 840 ZPO sollten Sie nutzen, um Informationen zu gewinnen. |
3. Pfändungsrechtliche Behandlung des Arbeitszeitkontos
Der Drittschuldner bezahlt immer die Vergütung für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit. Hat der Schuldner durch Mehrarbeit Überstunden, also einen Pluskontostand erarbeitet, bedeutet dies einen Leistungsvorschuss des Arbeitnehmers. Besteht dagegen ein Minuskontostand, bedeutet dies einen Gehalts- oder Lohnvorschuss des Arbeitgebers (BAG NZA 02, 390).
MERKE | Ein Arbeitszeitkonto gibt den Umfang der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit wieder und kann abhängig von der näheren Ausgestaltung in anderer Form den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers ausdrücken. Die Belastung eines Arbeitszeitkontos mit Minusstunden setzt folglich voraus, dass der Arbeitgeber diese Stunden im Rahmen einer verstetigten Vergütung entlohnt hat und der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist, weil er die in Minusstunden ausgedrückte Arbeitszeit vorschussweise vergütet erhalten hat (BAG NZA 11, 640). Eine Zahlung durch den Arbeitgeber ist dann ein Vorschuss, wenn sich beide Seiten bei der Auszahlung darüber einig waren, dass es sich um eine Vorwegleistung handelt, die bei Fälligkeit der Forderung verrechnet wird. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer allein darüber entscheiden kann, ob eine Zeitschuld entsteht und er damit einen Vorschuss erhält. Hingegen kommt es zu keinem Vergütungsvorschuss, wenn sich der das Risiko der Einsatzmöglichkeit bzw. des Arbeitsausfalls tragende Arbeitgeber nach § 615 S. 1 und 3 BGB im Annahmeverzug befunden hat (BAG NZA 11, 640; LAG Rheinland-Pfalz 15.11.11, 3 Sa 493/11). |
Im Einzelnen ist wie folgt zu unterschieden:
a) Schuldner hat Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto
Scheidet der Schuldner aus dem Unternehmen aus, stellt sich die Frage, ob Minusstunden mit dem letzten Lohn/Gehalt verrechnet werden dürfen.
Das BAG (NZA 02, 390) erklärt hierzu, dass eine einvernehmliche Einrichtung eines Arbeitszeitkontos eine konkludente Abrede enthält, dass dieses spätestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugleichen ist. Alles bedarf einer ausdrücklichen Erklärung.
Folge: Gelingt es also dem Schuldner nicht, ein Negativsaldo rechtzeitig durch entsprechende Mehrarbeit auszugleichen, muss er als Arbeitnehmer das negative Guthaben finanziell ausgleichen. Diese Pflicht folgt eben daraus, dass es sich insoweit um eine Vorschussleistung des Arbeitgebers handelt.
Der Drittschuldner ist daher berechtigt, den Wert des negativen Zeitguthabens des Schuldners als erbrachte Vorschussleistung mit dem Lohnanspruch des Schuldners zu verrechnen. Da ein Vorschuss eine vorweggenommene Vergütungstilgung darstellt, bedarf es zur Verrechnung keiner Aufrechnung und Aufrechnungserklärung nach §§ 387, 388 BGB.
PRAXISTIPP | Nach der vom BAG fortgeführten Rechtsprechung des RG sind Vorschüsse auf den unpfändbaren Teil des später fällig werdenden Lohns anzurechnen (BAGE 2, 322, 324 = AP Nr. 1 zu § 394 BGB). Der für Sie pfändbare Teil bestimmt sich somit nach dem Betrag der ursprünglichen Schuld, sodass für seine Berechnung die vor der Pfändung geleisteten Vorschusszahlungen einzubeziehen sind. |
|
Schuldner S. (ledig) hat auf seinem Arbeitszeitkonto ein Negativsaldo von 112 Stunden. Nach Beendigung der Arbeitsverhältnisse verrechnet Arbeitgeber D. (Drittschuldner) diesen Saldo insgesamt mit 500 EUR, die er vom auszuzahlenden monatlichen Lohn von 2.000 EUR netto abzieht. D. zahlt somit lediglich 1.500 EUR an S. aus.
Diese Vorgehensweise darf jedoch nach der BAG-Entscheidung (a. a. O.) nicht den Pfändungsgläubiger benachteiligen. Vielmehr berechnet sich dessen pfändbarer Betrag nach dem Betrag, den D. vertraglich schuldet, also 2.000 EUR. Somit erhält Gläubiger G. gemäß Lohnpfändungstabelle Sp. 0 insgesamt 606,34 EUR. Mit dem verbleibenden Restbetrag in Höhe von 1.393,66 EUR (= 2.000 ‒ 606,34 EUR) kann D. die 500 EUR verrechnen. |
b) Schuldner hat Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto
Guthaben, also Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto, können nicht gepfändet werden, da es sich dabei nicht um Arbeitsentgelt handelt. Vielmehr hat der Schuldner bei entsprechender Vereinbarung einen Anspruch auf Ausgleich seines ihm gegenüber dem Arbeitgeber (Drittschuldner) gegebenen Leistungsvorschusses.
PRAXISTIPP | Auch hier sollten Sie im Rahmen Ihres Informationsanspruchs gemäß § 836 Abs. 3 ZPO beim Schuldner bzw. beim Drittschuldner ggf. nach § 840 ZPO nachhaken ‒ allerdings wohl eher auf freiwilliger Basis. |
Die dem Arbeitszeitkonto gutgeschriebenen Stunden sind Mehrarbeitsstunden, weil sie über den vertraglich vereinbarten Stunden liegen. Nach § 850a Nr. 1 ZPO sind die für die Leistung von Mehrarbeitsstunden gezahlten Teile des Arbeitseinkommens zur Hälfte unpfändbar. Bei der Auszahlung dieser Stunden aus dem Arbeitszeitkonto handelt es sich immer noch um Mehrarbeitsstunden, deshalb werden sie auch in diesem Fall als solche behandelt und sind ebenfalls zur Hälfte unpfändbar. Es spielt somit keine Rolle, wann die Stunden ausbezahlt werden, denn in ihrer Art bleiben es Mehrarbeitsstunden.
Wichtig | Im Rahmen der Vollstreckung eines Unterhaltsanspruchs muss dem Schuldner mindestens die Hälfte des nach § 850a ZPO unpfändbaren Betrags verbleiben. Somit hat der Unterhaltsgläubiger größere Zugriffsmöglichkeiten.