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· Fachbeitrag · Arbeitsrecht

Neuregelungen des Mutterschutzrechts: Das ist für die Apotheke besonders relevant

von RAin und Apothekerin Isabel Kuhlen, Vellmar, www.kanzlei-kuhlen.de

| Das „Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts“ wurde nach 65 Jahren angepasst und am 29.05.2017 im Bundesanzeiger verkündet. Laut Grundgesetz hat jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Konkretisiert wird das Grundrecht während der Schwangerschaft durch das Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz, MuSchG) und die Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (MuSchArbV). Da Verstöße gegen diese Vorgaben als Ordnungswidrigkeit oder Straftat geahndet werden können, sollten Sie informiert sein. |

Ausweitung des Personenkreises

Ein wesentlicher Teil der Neuregelungen des MuSchG betrifft die Ausweitung des Personenkreises, für den das Gesetz Anwendung findet: Während bisher nur Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis standen oder Heimarbeit ausführten, vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst waren, wird sich dieser künftig auch auf „sonstige Personen ausdehnen, die in den unterschiedlichen Vertragskonstellationen zu Arbeitgebern, Auftraggebern, aber auch zu Institutionen stehen können“.

 

Somit gelten die Regelungen des MuSchG für alle Frauen in einem Arbeitsverhältnis, unabhängig davon, ob der Arbeitsvertrag befristet oder unbefristet, mit oder ohne Probezeit, haupt- oder nebenberuflich oder auf 450-Euro-Basis abgeschlossen wurde. Neuerdings gelten sie auch für Ausbildungsverhältnisse und im Studium bzw. für den Bereich der Schule sowie unter bestimmten Voraussetzungen für in Heimarbeit Beschäftigte. Das Gesetz ist somit grundsätzlich auch für Praktikantinnen anwendbar, soweit es sich um einen verpflichteten Bestandteil der Ausbildung handelt. Die Staatsangehörigkeit und der Familienstand spielen bei diesen Regelungen keine Rolle.

 

  • Für diese Personen gilt das neue MuSchG
  • Frauen in betrieblicher Berufsbildung und Praktikantinnen i. S. von § 26 Berufsbildungsgesetz (BBiG)
  • Frauen mit Behinderung, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt sind
  • Frauen, die als Entwicklungshelferinnen tätig sind
  • Frauen, die als Freiwillige nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz beschäftigt sind
  • Frauen, die als Mitglieder einer geistlichen Genossenschaft, Diakonissen oder Angehörige einer ähnlichen Gemeinschaft tätig werden
  • Frauen, die in Heimarbeit beschäftigt sind
  • Arbeitnehmerähnliche Selbstständige
  • Unter bestimmten Voraussetzungen: Schülerinnen und Studentinnen
 

 

Wichtig | Das MuSchG gehört zu den aushangpflichtigen Gesetzen, wenn in dem Betrieb regelmäßig mehr als drei Frauen beschäftigt werden. Im Regelfall muss in der Apotheke daher ein entsprechender Aushang vorhanden sein.

Neue Pflichten für Arbeitgeber

Neu eingeführt wurde die Pflicht des Arbeitgebers, jeden konkreten Arbeitsplatz ‒ anlassunabhängig, d. h. egal ob der dort arbeitende Mitarbeiter schwanger ist oder nicht ‒ hinsichtlich des Vorliegens „unverantwortbarer Gefährdungen“ einzuschätzen, um den Arbeitsschutz zu verbessern. Es soll jeder Arbeitsplatz daraufhin überprüft werden, ob besondere Schutzbedürfnisse für schwangere oder stillende Frau vorliegen.

 

Beschäftigungsverbote aus betrieblichen Gründen sind zu vermeiden

Beschäftigungsverbote aus betrieblichen Gründen kommen nur noch als „Ultima Ratio“ in Betracht, d. h. wenn alle anderen Maßnahmen versagen. Ausdrückliches Ziel der Neuregelung ist es, erzwungene Beschäftigungsverbote zu vermeiden. Gerade Arbeitnehmerinnen bestimmter Berufe (z. B. Ärztinnen und Laborangestellte), die mit grundsätzlichen Risiken verbunden sind, wurden bisher auch gegen ihren Willen einem Berufsverbot ausgesetzt, weil man davon ausging, dass hierdurch das geringste Risiko besteht und eine Umgestaltung der Arbeitsplätze als zu aufwendig galt. Ab 01.01.2018 ist das nicht mehr möglich. Der Arbeitgeber muss ab diesem Zeitpunkt zunächst Maßnahmen ergreifen, um die Weiterbeschäftigung zu ermöglichen. Neben Vorkehrungen zur Umgestaltung der Arbeitsplätze muss geprüft werden, ob ein Arbeitsplatzwechsel infrage kommt. Nur wenn alle diese Optionen nicht sinnvoll umsetzbar sind und Gefährdungen nicht anders begegnet werden kann, darf ein betriebliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen werden.

 

Arbeitsplatzbezogene Gefährdungsanalyse

Gemäß § 1 MuSchArbV muss die Apothekenleitung rechtzeitig eine arbeitsplatzbezogene Gefährdungsanalyse durchführen, um alle Gefahren und Auswirkungen für die Sicherheit und Gesundheit der betroffenen Arbeitnehmerinnen abschätzen und die notwendigen Schutzmaßnahmen bestimmen zu können. Abzuschätzen ist, inwieweit chemische Gefahrstoffe, biologische Arbeitsstoffe und physikalische Schadfaktoren die Arbeitsbedingungen der Schwangeren gefährden können. Nach § 4 Abs. 1 MuSchArbV dürfen werdende oder stillende Mütter nicht mit Arbeiten beschäftigt werden, bei denen die Beurteilung ergeben hat, dass die Sicherheit oder Gesundheit von Mutter oder Kind durch die chemischen Gefahrstoffe, biologischen Arbeitsstoffe, physikalischen Schadfaktoren oder die Arbeitsbedingungen der Anlage 2 zur MuSchArbV unvereinbar gefährdet wird.

 

Gelistet sind in dieser Anlage 2 folgende Kategorien:

 

  • Chemische Gefahrstoffe: Stoffe und Gemische, die die Kriterien für die Einstufung in eine oder mehrere der folgenden Gefahrenklassen und -kategorien mit einem oder mehreren der folgenden Gefahrenhinweise nach der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates erfüllen, sofern sie noch nicht in die Anlage 2 aufgenommen sind:

 

  • 1. Keimzellmutagenität, Kategorien 1A, 1B oder 2 (H340, H341): Es handelt sich um Stoffe, die genetische Defekte verursachen oder vermutlich verursachen können.

 

  • 2. Karzinogenität, Kategorien 1A, 1B und 2 (H350, H350i, H351): Zu den Gefahrstoffen mit dem Gefahrenhinweis H351 gehört z. B. das in der Apotheke z. T. verwendete Estradiolbenzoat. Soweit dies in der Rezeptur verwendet wird, ist hier gerade bei Schwangeren eine besondere Risikoabschätzung erforderlich.

 

  • 3. Reproduktionstoxizität, Kategorie 1A, 1B oder 2 oder die zusätzliche Kategorie im Fall von Wirkungen auf oder über die Laktation (H360, H360D, H360FD, H360Fd, H360Df, H361 ,H361d, H361fd, H362): Zur Gruppe dieser Gefahrstoffe gehört z. B. der in der Rezeptur häufig verwendete Wirkstoff Dexamethason. Wegen potenziell reproduktionstoxischer Wirkungen muss im Hinblick auf Schwangere eine besondere Risikoabschätzung erfolgen, soweit dieser Stoff in der Rezeptur verwendet wird.

 

  • 4. Spezifische Zielorgan-Toxizität nach einmaliger Exposition, Kategorie 1 oder 2 (H370, H371): Zu den Stoffen dieser Kategorie gehört Methanol, das wegen möglicher Organschädigungen nicht im Rahmen einer Tätigkeit von Schwangeren verwendet werden sollte. Auch Campher, Rosmarin- und Salbeiöl fallen bereits unter diese Kategorie, sodass der Apothekenleiter diese Stoffe ebenfalls im Blick haben muss.

 

  • Die im Anhang der Richtlinie 2004/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates aufgeführten chemischen Gefahrstoffe
  • Quecksilber und Quecksilberderivate
  • Mitosehemmstoffe
  • Kohlenmonoxid
  • Gefährliche chemische Gefahrstoffe, die nachweislich in die Haut eindringen

 

Stoffe dieser Kategorie sind mit dem Gefahrenpiktogramm für Gesundheitsgefahr (GHS08) und einem Gefahrenhinweis zu kennzeichnen. Mit dieser besonderen Prüfpflicht des Apothekers gehen jeweils entsprechende Dokumentations- und Informationspflichten einher.

Veränderungen beim Verbot der Nacht- und Sonntagsarbeit

Arbeitsverbote gegen den Willen der Schwangeren soll es künftig überhaupt nicht mehr geben. Auf freiwilliger Basis wird es ‒ abhängig von der konkreten Fallgestaltung ‒ schwangeren Apothekerinnen daher möglich sein, künftig Notdienste an Sonn- und Feiertagen zu übernehmen.

 

Neu ist auch, dass die Regelungen zur Mehr- und Nachtarbeit branchenunabhängig gefasst werden sollen, dass Frauen mehr Mitspracherecht bei der Gestaltung der Arbeitszeit bekommen und dass Betriebe durch einen neuen Ausschuss für Mutterschutz bei der Umsetzung des MuSchG beraten werden sollen.

 

Verlängerte Schutzfrist und Kündigungsschutz

Die meisten Änderungen dieses Gesetzes treten erst zum 01.01.2018 in Kraft. Unmittelbar umgesetzt worden ‒ und damit seit 30.05.2017 in Kraft ‒ sind aber die neuen Regelungen zur verlängerten Schutzfrist nach der Geburt eines behinderten Kindes und zum Kündigungsschutz nach einer Fehlgeburt. So ist die Regelung in § 6 Abs. 1 MuSchG, dass Mütter von Kindern mit Behinderung vier Wochen länger als bisher und damit insgesamt zwölf Wochen Mutterschutz nach der Geburt erhalten, bereits in Kraft getreten. Der Gesetzgeber will so dem besonderen Versorgungsbedarf dieser Kinder Rechnung tragen.

 

Zum 30.05.2017 ebenfalls neu eingeführt wurde der Kündigungsschutz für Frauen, die nach der zwölften Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erlitten haben. § 9 Abs. 1 MuSchG wurde erweitert, sodass die Kündigung einer Frau

  • während der Schwangerschaft,
  • bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche und
  • bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung unzulässig ist, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft, die Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche oder die Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.

 

Grundsätzlich kann das Arbeitsverhältnis daher innerhalb der geschilderten Frist nicht gekündigt werden. Auf Antrag kann jedoch die für den Arbeitsschutz zuständige Behörde in Fällen, in denen die Kündigung nicht mit dem Zustand einer Frau während der Schwangerschaft oder ihrer Lage bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung in Zusammenhang steht, ausnahmsweise die Kündigung für zulässig erklären. Ein solcher Fall ist z. B. die Kündigung einer Schwangeren wegen der Aufgabe der Apotheke. Eine derartige Kündigung muss nach der Zustimmung der zuständigen Behörde schriftlich erfolgen und den zulässigen Kündigungsgrund enthalten. Im Übrigen bleiben die Schutzfristen ‒ ebenso wie die Pflichten hinsichtlich der Abrechnungen und die finanziellen Verpflichtungen ‒ gleich.

 

Nicht von den gesetzlichen Regelungen zum Mutterschutz werden folgende Beendigungen eines Arbeitsverhältnisses in der Schwangerschaft tangiert:

 

  • Eine Kündigung durch die Arbeitnehmerin selbst: Der Arbeitgeber hat lediglich unverzüglich die Aufsichtsbehörde zu benachrichtigen. Nach § 10 Abs. 1 MuSchG ist eine Eigenkündigung durch die Arbeitnehmerin auch ohne Einhaltung einer Frist zum Ende der Schutzfrist nach der Entbindung möglich.

 

  • Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin.

 

  • Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Zeitablauf im Falle eines befristet geschlossenen Arbeitsverhältnisses: In einem solchen Fall kann die Schwangerschaft rechtlich nicht dazu führen, dass sich ein befristeter Arbeitsvertrag verlängert. Das gilt auch für ein Ausbildungsverhältnis.
Quelle: Seite 9 | ID 44818760