· Fachbeitrag · Arbeitsrecht
Trennung einer ÜBAG ist (k)ein Betriebsübergang
von RA Dr. Tobias Scholl-Eickmann, FA für MedizinR , Dortmund,www.kanzlei-am-aerztehaus.de
Werden in einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis (ÜBAG) die Standorte von einem Ort zentral gemeinschaftlich verwaltet, koordiniert und organisiert, bilden sie einen einheitlichen Betrieb i. S. d. § 613a BGB. Wird diese ÜBAG aufgelöst, führt das zu einer Stilllegung des bisherigen Betriebs. Die weitergehende Tätigkeit eines Arztes der vormaligen ÜBAG an einem der Standorte führt dann regelhaft nicht zu einem (Teil-)Betriebsübergang. Eine Mitarbeiterin, die vormals zwar an allen, überwiegend aber an einem dann stillgelegten Standort tätig wurde, kann sich daher nicht auf einen Betriebsübergang berufen, um eine Kündigung zu Fall zu bringen (LAG Nürnberg 6.11.18, 7 Sa 206/18). |
1. Sachverhalt
Dr. A betrieb ein Landarztzentrum an von ihm gemieteten Standorten in S, E und F. Für das Management war seine Ehefrau K verantwortlich, die schon zuvor seit 1995 in seiner Einzelpraxis angestellt war. In den Jahren 2014 bis 2016 veränderte sich die Struktur dahin, dass weitere Gesellschafter in das Landarztzentrum einstiegen, das fortan als überörtliche ÜBAG agierte. Die Standorte S, E und F blieben unverändert bestehen. Der Standort S war Hauptbetriebssitz, von dem aus die Geschicke der ÜBAG gesteuert wurden. Die Ärzte und auch das Personal wurden wechselnd an allen Standorten tätig.
Im Zuge dessen wurde ein „neuer Arbeitsvertrag“ zwischen K und der ÜBAG geschlossen. Für die ÜBAG zeichnete dabei allein Dr. A., der allerdings später (2017) ausschied. Die Praxis in S ging auf einen der verbliebenen Gesellschafter über. Nach Schließung der Standorte S und E kamen die beiden verbleibenden Gesellschafter B und C überein, getrennte Wege zu gehen und beendeten mit Ablauf des Jahres 2017 die ÜBAG. B wurde in Einzelpraxis tätig. C beteiligte sich an der Gründung einer Gemeinschaftspraxis.
Vor diesem Hintergrund hatten B und C ein Problem mit der Tätigkeit der K, die ja noch bei der ÜBAG angestellt war. Sie erklärten daher die Anfechtung eines „etwaig mit (ihr) bestehenden Arbeitsverhältnisses“, da Dr. A den Arbeitsvertrag unbefugt allein gezeichnet habe. Gleichzeitig erklärten sie vorsorglich die fristlose Kündigung und hilfsweise die fristgemäße zum 31.12.17.
K erhob fristgerecht Klage gegen die Kündigung und begehrte die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der ÜBAG über den 31.12.17 hinaus fortbestehe. Sie ist der Meinung, dass ein Teilbetriebsübergang auf die neuen Praxen der (Ex-)Gesellschafter gegeben sei und somit das Arbeitsverhältnis fortbestehe.
Tatsächlich hatte C aus der ÜBAG ein Ultraschallgerät übernommen. Im Übrigen wurden das Praxisinventar neu angeschafft. Ferner wurden von den vormals mehr als zehn Mitarbeitern mindestens vier auch in der neuen Gemeinschaftspraxis beschäftigt. Schließlich wurde ‒ so trug die K vor ‒ auch weiteres Praxisinventar sowie die vormalige Patientenkartei von der neuen Gemeinschaftspraxis des C genutzt. Die Patienten aus S, wo nun kein Arzt mehr tätig war, wurden durch ein Schild auf die Möglichkeit der Versorgung in der Praxis des C hingewiesen.
Das AG Bayreuth urteilte erstinstanzlich zugunsten der Klägerin. Die dagegen gerichtete Berufung führte zur Aufhebung des Urteils.
2. Entscheidungsgründe
Das LAG gab der Klage teilweise statt und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.12.17, sondern erst zum 30.6.18 geendet hat.
2.1 Anfechtung und fristlose Kündigung gehen ins Leere
Es habe zunächst ein Arbeitsverhältnis zwischen K und der ÜBAG bestanden. Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis aus der Landarztpraxis auf die ÜBAG übergegangen. Dies ergebe sich u. a. auch aus dem Vertrag über die Errichtung der ÜBAG, wonach die Gesellschaft in alle am 1.1.14 für die Einzelpraxen laufenden Verträge eintrat.
Offen ließ das LAG die Frage, ob der auf Seiten der ÜBAG allein von Dr. A gezeichnete Arbeitsvertrag wirksam geschlossen worden sei. Die erklärte Anfechtung dieses Vertrags würde allenfalls diesen Vertrag aufheben, an dem (aufgrund der Übernahme im Jahr 2014) bestehenden Arbeitsverhältnis aber nichts ändern. Die erklärte fristlose Kündigung gehe fehl, da kein Grund für eine fristlose Kündigung zu erkennen sei.
2.2 Ordentliche Kündigung hatte Erfolg
Allerdings sei die ordentliche betriebsbedingte Kündigung wirksam. Ein (Teil-)Betriebsübergang liege nicht vor, da der Betrieb der ÜBAG stillgelegt worden sei.
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Ein (Teil-)Betriebsübergang liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine bestehende wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Dabei muss es um eine auf Dauer angelegte Einheit gehen, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist. Um eine solche Einheit handelt es sich bei jeder hinreichend strukturierten und selbstständigen Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck. Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgeblichen Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- oder Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu. |
Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit ihre Identität bewahrt, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu zählen:
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Gemessen an den Voraussetzungen für einen (Teil-)Betriebsübergang habe die beweisbelastete K keinen Betriebsübergang darlegen können. Aus ihrem Vortrag lasse sich weder ableiten, ob zuvor überhaupt Teilbetriebe bestanden hatten, noch wie oder in welchem Umfang sie diesen Teilbetrieben zugeordnet gewesen war.
2.3 Eine ÜBAG mit mehreren Betriebsstätten
Nach Überzeugung des LAG habe es nur den Betrieb der ÜBAG mit Betriebsstätten in S, E und F gegeben, aber keine Teilbetriebe. Ein Teilbetrieb setze eine selbstständige, abtrennbare organisatorische Einheit voraus, mit der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt werde. Zwar erfolgte die Patientenbetreuung aufgrund der örtlichen Entfernung eher ortsgebunden, die jeweiligen Standort bildeten aber gerade keine gesonderten organisatorischen Einheiten: Der Hauptsitz befand sich unbestritten in S, von wo aus die Verwaltung und Organisation der ÜBAG zentral erfolgte. K selbst erklärte, für das Personal an allen Standorten verantwortlich gewesen zu sein und habe auch in allen Praxen etwa bei Krankheit oder Urlaub ausgeholfen. Auch wechselte das Personal zwischen den Standorten. Eine abtrennbare organisatorische Einheit lag daher gerade an keinem der Standorte vor.
Selbst wenn ein Teilbetrieb angenommen werden könnte, wäre K jedenfalls keinem der Standorte zuzuordnen, da sie an allen Standorten tätig war. Soweit man eine Zuordnung zum Standort in S, wo sie wohl überwiegend tätig war, annähme, sei auch kein Betriebsübergang denkbar, weil dieser Standort am 31.12.17 stillgelegt wurde.
2.4 Arztpraxis als betriebsmittelarmer Betrieb
Im Übrigen sei eine Arztpraxis in der Regel ein betriebsmittelarmer Betrieb, in dessen Mittelpunkt die Betreuung der Patienten durch die Ärzte und nichtärztlichen Mitarbeiter stehe. Ein (Teil-)Betriebsübergang setze daher voraus, dass eine Fortführung mit einem wesentlichen Teil des Personals erfolge. Daran fehle es. Das nicht-ärztliche Personal sei mit Ausnahme einer einzelnen Mitarbeiterin nicht übernommen worden. Die Übernahme von gerade mal vier der ehemals über zehn Mitarbeiter genüge dafür nicht.
Auch aus dem Umstand, dass die Praxis in S seinerzeit durch einen „Praxisübernahmevertrag“ von A auf C übergegangen war, könne K keinen Betriebsübergang herleiten. Dieser Vertrag sei ersichtlich allein dazu geschlossen worden, um C die vertragsärztliche Nachbesetzung zu ermöglichen.
B und C seien zusammenfassend zwar weiter als Ärzte tätig, aber nicht im Rahmen des bisherigen Betriebs. Dieser vormalige Betrieb sei vielmehr stillgelegt und der Beschäftigungsbedarf der K sei somit entfallen. Die Kündigung war daher wirksam. Aufgrund der seit 1995 bestehenden Beschäftigung betrug die Kündigungsfrist indes sieben Monate zum Monatsende, sodass die Kündigung erst zum 30.6.18 griff.
3. Relevanz für die Praxis
Wird eine BAG oder ÜBAG aufgelöst und führen die vormaligen Gesellschafter ihre ärztliche Tätigkeit jeweils in räumlicher Näher, ggf. gar in den gleichen Räumlichkeiten fort, stellt sich stets die Frage, wie im Hinblick auf die Mitarbeiter zu verfahren ist. Eine rechtssichere Lösung zeichnet sich auch nach dem Urteil des LAG Nürnberg nicht ab, vielmehr bleibt es eine Frage des Einzelfalls.
Im Kern ist dem LAG in der Annahme zu folgen, dass Arztpraxen in der Regel durch die Bindung des Arztes und dessen Personal zu den Patienten geprägt sind. Etwas anderes gilt nur für überwiegend technisierte Medizin wie Labor- oder Röntgenpraxen. Die Übernahme von Personal ist daher sicher ein zentraler Aspekt, um einen Betriebsübergang annehmen zu können (dazu BAG 22.6.11, 8 AZR 107/10 ‒ kein Betriebsübergang bei isoliertem „Zulassungskauf“). Es ist aber ein Aspekt unter vielen heranzuziehenden Kriterien.
Im vorliegenden Fall ergaben sich indes gleich mehrere Besonderheiten:
- Erstens war die betroffene K vorwiegend an einem Standort tätig, der tatsächlich aufgegeben wurde.
- Zweitens wurden von den weiter tätigen Ärzten B und C bis auf ein Ultraschallgerät kein Anlagevermögen der vormaligen ÜBAG übernommen. Die reine Übernahme von vier der vormals über zehn Mitarbeiter genügte dem LAG daher wohl in der Gesamtschau der Kriterien nicht. Hier wäre aber auch ein anderes Ergebnis gut vertretbar gewesen.
- Drittens ist nicht auszuschließen, dass die Position der K als Ehefrau des vormaligen Mitgesellschafters, der sich sodann zur Ruhe setzte, auch in die Urteilsfindung einbezogen wurde, ohne freilich Erwähnung zu finden.
FAZIT | Das Urteil sollte also nicht in der Wertung verallgemeinert werden. Es bedarf vielmehr im Regelfall einer Prüfung des Einzelfalls, die ‒ so zeigt jedenfalls die Beratungspraxis ‒ stets mit Restrisiken einhergeht. Es hat sich vielfach bewährt, durch dreiseitige Vereinbarungen die Arbeitsverhältnisse entsprechend auf die jeweiligen Praxen zu überführen, um sonst drohenden Klagen der Arbeitnehmer vorzubeugen. Dieses Vorgehen wird auch künftig vielfach der sicherste Weg bleiben. |