Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Arbeitsvertrag

Schlüssiges Verhalten durch widerspruchsloses „Arbeiten lassen“

| Ein Arbeitsvertrag kann auch durch konkludente (schlüssige) Erklärungen geschlossen werden. Ein Angebot des ArbN auf Abschluss eines Arbeitsvertrags nimmt der ArbG regelmäßig durch Eingliederung des Betroffenen in den Betrieb und widerspruchsloses „Arbeiten lassen“ konkludent an. |

 

Sachverhalt

Der ArbN ist seit 2006 bei der V. C. S. GmbH (VCS), einer Konzerntochter des ArbG, am Standort R. beschäftigt. Er ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Nach § 5 des zwischen ArbG und ver.di abgeschlossenen Manteltarifvertrags bedarf der Abschluss eines Arbeitsvertrags der Schriftform. Anfang 2016 zeichnete sich ab, dass die VCS 2016 ihren Standort in R. schließen werde.

 

Per E-Mail im April 2016 übersandte der Mitarbeiter O. des Bereichs Business Projects (BPR) des ArbG an den ArbN diverse Willkommensinformationen. Hier stellte sich Herr O. als zukünftiger Ansprechpartner und „fachliche Führungskraft“ des ArbN vor. In einer Telefonkonferenz im Mai 2016 teilte Herr O. dem ArbN mit, dass er zum 1.6.16 zum ArbG „wechseln“ werde. In einer weiteren Telefonkonferenz am selben Tag bestätigte auch der Personalchef der VCS K., dass ein Wechsel unter anderem des ArbN zum ArbG abgesprochen worden sei. Zudem übersandte der ArbN die ihm mit den Willkommensinformationen zugeleitete Einverständniserklärung, in der er sich damit einverstanden erklärte, zum 1.6.16 auf einen Personalposten mit der Bewertung T 5 als Supporter Projektmanagement im Bereich BPR mit Regelarbeitsstätte in R. versetzt zu werden, sowie eine Einverständniserklärung zur Datenverarbeitung und eine Vertraulichkeitsverpflichtung an den ArbG zurück. Der ArbG bat den Betriebsrat um Zustimmung zur Einstellung des ArbN. Dieser stimmte zu.

 

Ab dem 1.6.16 war der ArbN entsprechend seinem Einverständnis als Supporter Projektmanagement tätig. Anders als bei der VCS betrug seine wöchentliche Arbeitszeit nach dem Tarif des ArbG 34 Stunden, nicht mehr 38 Stunden. Im August 2016 bat er um eine Bestätigung des Beschäftigungsverhältnisses. In einer Telefonkonferenz am 20.9.16 wurde ihm und weiteren Mitarbeitern erklärt, es liege ein „Fehler“ vor; der Einsatz solle im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung erfolgen. Dem ArbN wurde eine auf den 23.9.16 datierte, von der VCS bereits unterzeichnete Zusatzvereinbarung zu seinem Anstellungsvertrag mit der VCS übersandt. Diese lautet auszugsweise:

 

„§ 1 Konzern-Arbeitnehmerüberlassung, Arbeitszeit …

  • 2. Die Gesellschaft ist berechtigt, Sie im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses ab dem 1.10.16 befristet bis zum Ablauf des 31.12.17 im Berufsbild/Tätigkeitsfeld Service Center Agent mit 100 Prozent Ihrer mit der Gesellschaft vertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit an Dritte (Entleiher) … zu überlassen.
  • 3. Ihr Einsatz erfolgt beim Entleiher D. T., Betrieb T. P. S. für die Tätigkeit als Supporter Projektmanagement …“

 

Der ArbN unterzeichnete diesen Vertrag zunächst unter Vorbehalt, dann auf Drängen der VCS im Oktober 2016 vorbehaltlos. Die VCS schloss den Standort R. zum 30.9.16. Sein Gehalt erhielt der ArbN über den 31.5.16 hinaus durchgehend von der VCS. Der ArbN will festgestellt haben, dass zwischen den Parteien seit dem 1.6.16 ein Arbeitsverhältnis besteht. Interne Vorgaben des ArbG zur Schriftform seien belanglos. Er sei auch nicht im Wege der Arbeitnehmerüberlassung tätig gewesen. So weise die Willkommensmappe aus, dass er sich beim ArbG krank melden und dort seinen Urlaub anmelden müsse.

 

Der ArbG beantragte, die Klage abzuweisen. Herr O. sei unstreitig nicht zum Abschluss von Arbeitsverträgen bevollmächtigt, ebenso wenig Herr K. als Personalchef eines anderen Unternehmens. Äußerungen im Rahmen einer Telefonkonferenz hätten auch nicht die Qualität eines Vertragsangebots. Den schriftlichen Vertragsschluss gebe es nicht. Der ArbN sei bereits ab 1.6.16 im Wege der Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Das LAG Schleswig-Holstein (7.8.18, 1 Sa 23/18, Abruf-Nr. 209007) kam zum Ergebnis, dass das Arbeitsgericht der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben hat. Ein Arbeitsvertrag werde nach den §§ 145 ff. BGB durch Antrag und Annahme geschlossen. Die aufeinander bezogenen Willenserklärungen könnten mündlich, schriftlich ausdrücklich oder konkludent durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden. Danach sei zwischen den Parteien ein Arbeitsvertrag durch schlüssiges Verhalten zustande gekommen.

 

Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts habe der ArbG den Abschluss eines Arbeitsvertrags nicht durch ein ‒ zunächst vollmachtloses ‒ Angebot durch Herrn O. im Rahmen einer Telefonkonferenz am 11.5.16 unterbreitet. Das folge schon aus dem Wortlaut der Erklärung selbst. Herr O. habe erklärt, der ArbN ‒ und etwaige Kollegen ‒ würden zum ArbG wechseln. Damit nahm er erkennbar Bezug auf einen anderweitigen Vorgang. Er unterbreite damit aber selbst noch nicht das Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags.

 

Vertragsangebote an ArbN würden typischerweise nicht in einer Telefonkonferenz abgegeben. Das sei nicht nur beim ArbG, sondern im Erwerbsleben überhaupt gänzlich ungewöhnlich. Der ArbN habe auch keinen Anlass gehabt, anzunehmen, Herr O. wolle als vollmachtloser Vertreter handeln. Es sei nicht ersichtlich, warum er ein entsprechendes Risiko hätte eingehen wollen.

 

Die Parteien hätten den Arbeitsvertrag aber durch schlüssiges Verhalten begründet. Mit Aufnahme der Arbeit ab 1.6.16 habe der ArbN gegenüber dem ArbG ein konkludentes Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags i. S. der Rechtsprechung des BAG abgegeben. Dieser habe das Handeln nur so verstehen können, dass es auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags gerichtet gewesen sei. Der ArbN sei ab dem 1.6.16 im Bereich BPR des ArbG in R. als Supporter Projektmanagement tatsächlich tätig gewesen. Das entspräche der Tätigkeit, die ihm zusammen mit den Willkommensinformationen bestätigt worden sei. Sie unterscheide sich von der Tätigkeit, die der ArbN bis zum 31.5.16 für die VCS ausgeübt habe. Er habe mit der für den ArbG maßgeblichen Arbeitszeit von 34 Wochenstunden gearbeitet, statt wie bei der VCS von 38 Stunden.

 

Dieses Tätigwerden des ArbN könne vom ArbG nur als Realofferte zum Abschluss eines Arbeitsvertrags verstanden werden. Dem ArbN sei ein Aufhebungsvertrag zum 31.5.16 übersandt worden, was der ArbG gewusst habe. Ihm sei ein Wechsel zum ArbG ausdrücklich in Aussicht gestellt worden. Vor dem 1.6.16 sei der ArbN zu keinem Zeitpunkt im Wege der Arbeitnehmerüberlassung bei anderen eingesetzt worden. Etwas anderes sei für ihn auch aus den „Willkommensunterlagen“ an keiner Stelle ersichtlich. Vielmehr spreche die dort getroffene Regelung zur Krankmeldung und Urlaubseinreichung für einen Einsatz als ArbN.

 

Das vom ArbN schlüssig abgegebene Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags zu den ihm bereits mitgeteilten Bedingungen als Supporter Projektmanagement mit der Bewertung T 5 habe der ArbG dadurch angenommen, dass er die Arbeitsleistungen des ArbN ab dem 1.6.16 widerspruchslos entgegengenommen habe.

 

Ob der ArbG irrtümlich davon ausgegangen sei, bereits ein Arbeitsverhältnis begründet zu haben und sich nicht bewusst war, selbst konkludente Erklärungen abzugeben, sei unerheblich. Ein etwaig fehlendes Bewusstsein, dass ein schlüssiges Verhalten vom Erklärungsempfänger als Willenserklärung beurteilt werde, berechtige den Erklärenden nicht zur Anfechtung.

 

Der danach zwischen den Parteien zustande gekommene Arbeitsvertrag sei auch nicht wegen fehlender Schriftform gemäß § 125 S. 1 BGB i. V. m. § 5 MTV unwirksam. § 5 MTV wiederhole teilweise gesetzliche Formvorschriften (§ 623 BGB), indem es den Abschluss eines Auflösungsvertrags und die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Schriftform unterwerfe. Insoweit bestehe für die Annahme einer konstitutiven Formvorschrift kein Anlass. § 5 MTV regele auch nicht ausdrücklich, dass ein Verstoß gegen die Schriftform zur Unwirksamkeit eines nur mündlich geschlossenen Arbeitsvertrags führe. Hierzu habe angesichts der Rechtsprechung des BAG, wonach ein tarifliches Schriftformgebot für den Abschluss eines Arbeitsvertrags regelmäßig nur deklaratorische Wirkung habe, hingegen Anlass bestanden.

 

Schließlich sei der Arbeitsvertrag der Parteien auch nicht nachträglich dadurch aufgehoben worden, dass der ArbN in einer Zusatzvereinbarung mit der VCS vereinbart habe, er könne zukünftig an den ArbG überlassen werden. Jedenfalls fehle es für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses an einem schriftlichen Aufhebungsvertrag (§ 623 BGB).

 

Relevanz für die Praxis

Zwar schränkt das LAG Schleswig-Holstein ausdrücklich die Annahme eines Vertragsangebots durch Erklärungen vollmachtloser Vertreter ‒ gerade in für die Annahme eines Rechtsbindungswillens untypischen Situationen ‒ ein. Dennoch muss sich der ArbG eigenes schlüssiges Verhalten und das seiner Vertreter zurechnen lassen. Dies bedeutet, dass in der Eingliederung eines ArbN in den Betrieb und in einem bewussten „Arbeiten lassen“ im Zweifel die Annahme eines Arbeitsvertragsangebots des ArbN zu sehen ist.

Quelle: Seite 94 | ID 45935236