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· Fachbeitrag · Auflösung Betriebsrat

Wann ist eine Pflichtverletzung des Betriebsrats grob im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG?

| Bei groben Pflichtverletzungen des Betriebsrats (BR) als Gremium nach § 23 Abs. 1 BetrVG hat unter anderem der ArbG das Recht, die Auflösung des BR oder den Ausschluss einzelner BR-Mitglieder aus dem Gremium zu beantragen. Wann aber liegt eine solche grobe Pflichtverletzung vor? Eine aktuelle Entscheidung des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 14.1.20 (2 BV 5/19, Abruf-Nr. 218573 ), die sich mit Verstößen gegen Datenschutz- und Vertraulichkeitsbestimmungen beschäftigt, gibt Anlass, dieses Thema in den Fokus zu nehmen. |

1. Was war geschehen?

Ein Unternehmen mit etwa 268 ArbN unterhielt einen Gemeinschaftsbetrieb, der zum 30.4.19 stillgelegt werden sollte. Die Verhandlungen mit dem dort bestehenden BR über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan, die seit April 2018 geführt wurden, scheiterten. Auch die gerichtlich eingesetzte Einigungsstelle zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs konnte am 5.10.18 nur ihr Scheitern durch Beschluss feststellen. Der BR ging nicht von einer Betriebsstillegung, sondern von einem (Teil-)Betriebsübergang auf ein anderes Unternehmen der Unternehmensgruppe aus.

 

Nachdem der BR zu den Kündigungen sämtlicher in dem ursprünglichen gemeinsamen Betrieb beschäftigter ArbN angehört worden war, übersandte er am 13.12.18 an den Hauptteil der Parteibevollmächtigten der ArbN, die Kündigungsschutzklage erhoben hatten, einen Ordner mit einer Dateigröße von mehr als 150 MB. Dieser Ordner enthielt zahlreiche vertrauliche Unterlagen. Darunter befanden sich unter anderem

  • ein Auszug aus dem persönlichen Outlook-Kalender des Vize-Präsidenten der Unternehmensgruppe und
  • eine Liste aller ArbN nach Namen, Tätigkeit, Entgeltgruppe, Gesundheitsdaten und Unterbreitung eines Übernahmeangebots durch das andere Unternehmen der Gruppe sowie
  • weitere vertrauliche Dokumente.

 

Nach Meinung des BR sollten diese Unterlagen einen (Teil-)Betriebsübergang auf das andere Unternehmen der Gruppe belegen. Der ArbG sah hierin eine grobe Pflichtverletzung. Er beantragte den Betriebsrat aufzulösen, hilfsweise den BR-Vorsitzenden auszuschließen. In 1. Instanz hatte er damit Erfolg.

2. Wann kann der ArbG die Auflösung des BR beantragen?

Nach § 23 Abs. 1 BetrVG hat unter anderem der ArbG das Recht, beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds des Betriebsrats oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten zu beantragen. Eine grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 1 BetrVG könnte zum einen durch einen massiven Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen, die Missachtung der Vertraulichkeit persönlicher Information durch entsprechende Weitergabe an Dritte, die Verletzung von Geheimhaltungspflichten und zum anderen durch eine massive Verletzung des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen BR und ArbG gegeben sein.

 

Nach der Rechtsprechung des BAG (22.6.93, 1 ABR 62/92) kann der Betriebsrat nach § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG aufgelöst werden, wenn dieser grob gegen seine Pflichten aus dem BetrVG verstoßen hat, sodass unter Berücksichtigung aller Umstände die weitere Amtsführung des BR untragbar erscheint. Ein Verschulden des BR ist dabei nicht erforderlich.

3. Ist die Weitergabe vertraulicher personenbezogener Daten in erheblichem Umfang eine grobe Pflichtverletzung?

Dabei ist die Sammlung und Zurverfügungstellung von mehr als 150 MB an Daten u. a. in Form von Abschriften von E-Mails, Schriftsätzen, Kalenderauszügen, behördlichen Bescheiden, Rechnungen Konzeptzeichnungen, Urlaubsanträgen, Vertragstexten Präsentationen, Produktlinienkonzepten Bedarfsanforderungen, Lieferantenterminplänen, „Business Acquisition Planning“, tabellarischen Auflistungen von Kundenanfragen hinsichtlich zu produzierender Teile und an den BR gerichtete Aktennotizen nach Auffassung der 3. Kammer des Arbeitsgerichts Iserlohn offensichtlich als massiver Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen, gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit und eine massive Überschreitung der dem Betriebsrat nach dem BetrVG eingeräumten Kompetenzen zu werten.

 

Bereits das methodische Vorgehen hinsichtlich der Sammlung von Daten in einem beispiellosen Umfang und in einer systematischen Art und Weise stelle sich als Handlung dar, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Beteiligten als nicht mehr möglich erscheinen lasse. Das systematische Vorgehen werde bereits durch die sechs Seiten umfassende Darstellung der Ordnerstruktur verdeutlicht. Insoweit sei allerdings nicht bloß eine entsprechende Einteilung der Dokumente erfolgt, sondern auch Rechtsausführungen und Kommentierungen.

 

Auch habe es sich vielfach, soweit nicht im Hinblick auf einzelne Unterlagen konkret etwas anderes behauptet worden sei, um Unterlagen gehandelt, die dem BR bzw. dem BR-Vorsitzenden im Rahmen der Verrichtung seiner Betriebsratstätigkeiten zur Kenntnis gelangt worden sein dürfte.

 

Im Folgenden führt das Arbeitsgericht Iserlohn aus, dass die Sammlung und Zurverfügungstellung der Daten dem BR insgesamt als Gremium zuzurechnen und als erkennbar grober Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten zu werten ist. Doch welche Rechtfertigungsgründe für dieses Handeln des BR kommen in solchen Fällen überhaupt in Betracht?

 

4. Anwaltliche Schweigepflicht und begrenzter Personenkreis als Zulässigkeitskriterium

Dass die Zurverfügungstellung der Daten nur an die Prozessbevollmächtigten erfolgt sein soll und diese einer berufsrechtlichen Schweigepflicht unterliegen würden, macht das Handeln nicht zulässig. Die entsprechenden Daten sind nämlich auch der Rechtsschutz GmbH der Gewerkschaften zur Verfügung gestellt worden. Hierbei handelt es sich gerade nicht um eine Rechtsanwaltskanzlei, sondern um eine Einrichtung der verbundenen Gewerkschaften, welche durch angestellte Rechtsschutzsekretäre, also nicht Rechtsanwälte, den Mitgliedern der jeweiligen Gewerkschaften Rechtsschutz gewähren. Die Berufspflichten der Rechtsanwälte gemäß §§ 43 ff. BRAO gelten gerade nicht für Rechtsschutzsekretäre der Rechtsschutz GmbH (BAG 24.10.18, 10 AZR 69/18).

 

Ebenso wenig unterliegen die in den Rechtsanwaltskanzleien angestellten Empfangs- und Sekretariatsmitarbeiter/innen einer berufsrechtlichen Schweigepflicht der Rechtsanwälte. Lediglich die Rechtsanwälte selbst trifft gemäß § 43a Abs. 2 S. 4 BRAO die Verpflichtung, die von ihnen beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in schriftlicher Form zur Verschwiegenheit zu verpflichten. Die E-Mail vom 13.12.18 wurde aber gerade nicht ausschließlich an Rechtsanwälte persönlich versandt, sondern vielfach an allgemeine E-Mail-Adressen der entsprechenden Kanzleien.

 

Überdies wurden die in einer Cloud gespeicherten Dateien über einen Internetlink einem weder überschaubaren noch kontrollierbaren Empfängerkreis zur Verfügung gestellt, die nicht einmal passwortgeschützt war.

5. Gesetzliche Aufgaben nach § 80 Abs. 1, § 102 Nr. 1 BetrVG

Nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der BR zwar darüber zu wachen, dass die zugunsten der ArbN geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Die dem BR eingeräumte Überwachungsbefugnis ist darauf beschränkt, eine Missachtung oder eine fehlerhafte Durchführung eben dieser beim ArbG zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen. Für die Geltendmachung individueller Ansprüche ist der einzelne ArbN verantwortlich.

 

Auch die weiteren in § 80 BetrVG genannten allgemeinen Aufgaben beinhalten keine Kompetenz des BR zur Sammlung, Analyse, Kategorisierung und anschließenden Zurverfügungstellung von mehr als 150 MB an Daten u.a. im Hinblick auf Abschriften von E-Mails, Schriftsätzen, Kalenderauszügen, behördlichen Bescheiden, Rechnungen Konzeptzeichnungen, Urlaubsanträgen, Vertragstexten, Präsentationen, Produktlinienkonzepten, Bedarfsanforderungen, Lieferantenterminplänen, „Business Acquisition Planning“, tabellarische Auflistungen von Kundenanfragen hinsichtlich zu produzierender Teile und an den BR gerichtete Aktennotizen gegenüber Dritten.

 

Aus § 102 BetrVG ergibt sich ebenfalls keine entsprechende Kompetenz. Mit der abschließenden Stellungnahme bzw. dem Widerspruch endet die Beteiligung des BR bei einer vom ArbG beabsichtigten Kündigung. Eine anschließende Kündigungsschutzklage ist zwischen ArbG und ArbN auszutragen. Der BR ist an ihr nicht mehr beteiligt, sofern nicht einzelne seiner Mitglieder als Zeugen geladen sind. § 102 BetrVG enthält keine § 78a Abs. 4 S. 2 BetrVG entsprechende Regelung (BAG 19.5.83, 6 AZR 290/81). Der BR hat nicht für die Wahrnehmung der arbeitsvertraglichen Rechte der einzelnen ArbN zu sorgen, soweit dies nicht gesetzlich vorgesehen ist.

6. Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen

Das Handeln war auch nicht rechtmäßig im Sinne von Art. 6 DS-GVO. Gemäß § 26 Abs. 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung oder zur Ausübung oder Erfüllung der sich aus einem Gesetz oder einem Tarifvertrag, einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung (Kollektivvereinbarung) ergebenden Rechte und Pflichten der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist. Diese Voraussetzungen für eine Verarbeitung der personenbezogenen Daten liegen hier nicht vor, da insbesondere keine Erforderlichkeit für die Erfüllung der Rechte und Pflichten des BR als Interessenvertretung mangels entsprechender betriebsverfassungsrechtlicher Kompetenz gegeben ist. Wie bereits festgestellt, liegt eine massive Kompetenzüberschreitung des BR vor.

 

Die Übermittlung von personenbezogenen Beschäftigtendaten vom BR an Dritte, seien es auch konzernangehörige Unternehmen, ist in der Regel unzulässig. Im Zweifel fehlt es an einer diesbezüglichen Aufgabe des BR und der Erforderlichkeit für die Aufgabenbewältigung und damit an einer datenschutzrechtlichen Rechtfertigung (vgl. Lücke, NZA 19, 658, 666).

7. Fazit

Das Arbeitsgericht Iserlohn bejaht relativ unproblematisch die grobe Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten nach § 23 Abs. 1 BetrVG durch den BR. Es prüft dann im Ergebnis ablehnend etwaige Rechtfertigungsgründe. In der Praxis ist diese Norm bisher eher ein Ausnahmetatbestand geblieben. Er kam allenfalls bei heimlicher Beobachtung des ArbG, Nichtdurchführung von Betriebsversammlungen über mehr als 1,5 Jahre und Ähnlichem in Betracht. Durch die Möglichkeiten der Interaktion des BR mit Dritten auch außerhalb des Betriebs wird der BR in besonderer Weise in die Pflicht genommen, vertrauliche Unterlagen, die personenbezogene Daten enthalten, nicht per E-Mail oder über soziale Netzwerke einem anderen unüberschaubaren Personenkreis zugänglich zu machen.

 

Tut der BR dies dennoch, muss er mit einem erfolgreichen Auflösungsantrag des ArbG rechnen, der gerade nicht nur das handelnde Mitglied trifft, wenn dem BR als Organ das Vorgehen, zum Beispiel aus BR-Sitzungen und Stellungnahmen, bekannt ist und er trotz Kenntnis nicht einschreitet. Dies ergibt sich zumindest aus den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung.

Quelle: Seite 191 | ID 46952211