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· Fachbeitrag · Autokauf/Widerruf

Mehr Autokauf im Fernabsatz: Das müssen Sie zum Widerrufsrecht wissen

von Joachim Otting, Rechtsanwalt, rechtundraeder, Hünxe

| Kunden, die in der Corona-Pandemie ein Auto kaufen wollten statt in den Urlaub zu fahren oder die nach einem Totalschaden ein Auto brauchten, sowie Autohäuser, die zur Kontaktvermeidung per Verordnung geschlossen sind ‒ das zusammen führte dazu, dass Autohäuser Fernabsatz-Verkäufe tätigen mussten, um im Geschäft zu bleiben. Und sie werden es auch weiterhin tun müssen. Dafür sorgen der Digitalisierungsschub und der Einstieg neuer Käufergruppen in den Online-Kauf. ASR verschafft Ihnen einen Überblick über die Rechtslage bei Fernabsatz-Verkäufen im Autohaus. |

Sorgfalt beim Fernabsatz ist essenziell

Ein fehlerfrei abgewickelter Onlineverkauf ist kein Horrorszenario. Immerhin hat ja auch jeder finanziert kaufende Verbraucher ebenfalls ein Widerrufsrecht, und auch daran ist der Kfz-Handel nicht zugrunde gegangen. Im Gegenteil: Ohne Finanzierung ließe sich viel weniger verkaufen.

 

Also ist es an der Zeit, die eigenen Abläufe zu prüfen und nachzuschärfen. Denn wer formale Fehler macht, gibt dem Käufer unnötig umfangreiche und dann auch sehr teure Chancen, wieder auszusteigen: Ohne oder mit fehlerhafter Belehrung

  • verlängert sich das 14-tägige Widerrufsrecht (§§ 312g Abs. 1, 355 Abs. 2 BGB) auf 14 Tage plus ein Jahr (§ 356 Abs. 3 BGB);
  • muss der Verbraucher für die Nutzung bis zum Widerruf ‒ 14 Tage plus ein Jahr können wohl fünfstellige Kilometer mit sich bringen ‒ nichts zahlen (Umkehrschluss aus § 357 Abs. 7 Ziff. 2 BGB).

 

Haben Sie aber alles richtig gemacht, kann der Käufer zwar innerhalb von 14 Tagen widerrufen. Doch dann muss er für die Nutzung bis dahin und auch schon für den Wertverlust durch eine Zulassung vollen Wertersatz leisten. Widerruft er sehr früh, also vor Zulassung und/oder Benutzung, ist ja nichts passiert außer einer verlorenen Verkaufs-Chance.

Nicht alles, was nach Fernabsatz aussieht, ist Fernabsatz

Der Ausgangspunkt im Gesetz ist der § 312c Abs. 1 BGB. Dort wird der Fernabsatzvertrag definiert:

 

„Fernabsatzverträge sind Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.“

 

 

Ein Fernabsatzverkauf setzt also voraus, dass der Verkäufer Unternehmer ist und der Käufer als Verbraucher handelt. Autohändler sind stets Unternehmer. Doch Kunden handeln nicht immer als Verbraucher (§ 13 BGB):

 

„Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugeordnet werden können.“

 

„Natürliche Person“ ist der juristische Begriff für „Mensch“. Wer kein Mensch ist, kann folglich auch kein Verbraucher sein. Ist der Käufer z. B. ein Verein oder eine Körperschaft öffentlichen Rechts, dann ist der Käufer zwar kein Unternehmer, aber eben auch kein Verbraucher.

 

Wichtig | Die Privatperson als Käufer handelt stets als Verbraucher. Eine GmbH oder AG oder KG nie. Gelegentlich ist es schwierig, Menschen einzuordnen, die eine Einzelfirma betreiben. Denn da sind Firma und Mensch identisch.Auch für die fiskalische Einordnung braucht der Inhaber einer Einzelfirma nicht zwingend das Kürzel „Fa.“ auf der Rechnung, sodass er sich recht gut als Verbraucher „tarnen“ kann. Dagegen können Sie praktisch wenig ausrichten. Unabhängig davon: Auch der Inhaber einer Einzelfirma kann ein Auto für die private Nutzung erwerben, also als Verbraucher.

Was ist Fernabsatz und was ist es nicht?

Es geht manchmal im telefonischen oder per Mail geführten Verkaufsgespräch unter, dass der Käufer das Fahrzeug in der Einzelfirma nutzen will. Da müssen Verkäufer hellhörig sein.

 

PRAXISTIPPS |

  • Geht es um ein typisches Fahrzeug für gewerbliche Verwendung („Kleintransporter ohne Seitenscheiben“ etc.), ist eine Nachfrage sinnvoll. Legt der Käufer ausdrücklich Wert auf ausweisbare Mehrwertsteuer, liegt die potenzielle Firmennutzung und damit die entsprechende Frage an den Käufer auf der Hand. Die Erkenntnis daraus sollten Sie dann in der verbindlichen Bestellung fixieren. Zum einen beginnt die Adresse dann mit „Firma“. Zum anderen sollten Sie unter „Verschiedenes“ vermerken: „Käufer kauft das Fahrzeug für die Nutzung in seiner Firma.“ Der Käufer, der nicht „tricksen“ will, akzeptiert das. Will er diesen Vermerk im Vertrag nicht, ist das ein Warnsignal.
  • Stellt sich im Gespräch heraus, dass das Fahrzeug sowohl für privat als auch für einen Nebenerwerb genutzt werden soll, kommt es nach dem Gesetzestext darauf an, wofür der Käufer es überwiegend nutzt. Da hat sich folgende sinngemäß zu stellende Frage mit tendenzieller Antwortlenkung bewährt: „Werden Sie das Fahrzeug mehr für privat oder mehr für Ihren Nebenerwerb nutzen? Ich denke, beim Finanzamt stehen Sie besser da, wenn der Schwerpunkt im Nebenerwerb liegt ...“ Es ist wahrscheinlich, dass Sie die gewünschte Antwort erhalten, die Sie dann in der verbindlichen Bestellung fixieren sollten: „Käufer erklärt, er werde das Fahrzeug überwiegend für die selbstständige Tätigkeit nutzen.“
 

 

Wichtig | Haben Sie den Status des Käufers geklärt, bietet das evtl. einen enormen Vorteil: Kauft er nämlich nicht als Verbraucher, liegt kein Fernabsatz vor, und alles Nachfolgende in diesem Beitrag ist bedeutungslos.

 

Am Rande: Es fallen immer wieder Fälle auf, bei denen unseriöse Autohändler dem eindeutigen Verbraucher einreden, er solle doch einfach sagen, er sei Unternehmer, dann könne er billiger kaufen. Das ist nicht erfolgversprechend. Denn das hält im Rechtsstreit ohnehin nicht stand und ist unseriös. Es kann auch strafrechtliche Folgen haben.

Präsenzphase bedeutet: Kein Fernabsatz

Sind die Parteien des Kaufvertrags nun Unternehmer auf Verkäufer- und Verbraucher auf Käuferseite, müssen Sie weiter prüfen: Für die Einordnung als Fernabsatzvertrag kommt es darauf an, dass die Vertragspartner sowohl für die Vertragsverhandlungen als auch den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden (Telefon, Telefax, Mails o. ä. wie z. B. WhatsApp, siehe § 312c Abs. 2 BGB). Eine einzige Präsenzphase führt dazu, dass kein Fernabsatz vorliegt. Dazu genügt es allerdings nicht, dass sich der Käufer einmal die Nase am Schaufenster plattgedrückt hat. Es muss konkret um das gekaufte Fahrzeug gegangen sein.

 

Probefahrt

Außerhalb Corona-bedingter Kontaktbeschränkungen kommt es vor, dass der spätere Käufer das Fahrzeug unter Beratung durch einen Verkaufsmitarbeiter besichtigt und möglicherweise sogar Probe fährt. Auch wenn er sich danach noch Bedenkzeit ausbittet und es anschließend ausschließlich virtuell weitergeht: Das ist kein Fernabsatz.

 

Unter Geltung der Corona-Beschränkungen sind in einigen Bundesländern Probefahrten möglich (gewesen). Erstkontakt mit Fernkommunikationsmitteln, dann Probefahrt unter den erlaubten Bedingungen mit Beratung aus zwei Metern Entfernung, danach geht es virtuell weiter: Auch das ist kein Fernabsatz. Bestätigt hat unsere Auffassung eindeutig das AG Saarbrücken (Urteil vom 09.11.2005, Az. 42 C 204/05, Abruf-Nr. 220063).

 

PRAXISTIPP | Die Dokumentation der Probefahrt erfolgt über die Probefahrtvereinbarung (Beispiel für den Nachweis: „Liegt vorbereitet in Klarsichthülle auf dem Beifahrersitz, bitte unterzeichnen und vor Abfahrt in den Briefkasten neben dem Autohauseingang einwerfen“). Diese Vereinbarung sollte unbedingt verwahrt werden.

 

Verbindliche Bestellung virtuell, Annahme durch Auslieferung

Die verbindliche Bestellung ist das Angebot des Käufers, das Fahrzeug zu den beschriebenen Konditionen kaufen zu wollen. Damit ein Vertrag zustande kommt, muss das verkaufende Autohaus das Angebot annehmen. Eine Möglichkeit dafür ist die Auslieferung.

 

  • Es wird die Ansicht vertreten, es sei kein Fernabsatzvertrag gegeben, weil der Vertrag erst bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit zustande kommt. Die juristische Logik: In der Auslieferung steckt die wortlose (in der Juristensprache: konkludente) Annahmeerklärung. Denn wer das Angebot nicht annehmen will, würde das Fahrzeug nicht ausliefern.

 

  • Aber es gibt ein Risiko: Ein verbraucherschützend eingestellter Richter könnte die konkludente Annahmeerklärung in die Terminvereinbarung für die Auslieferung vorverlagern. Denn wer nicht annehmen will, vereinbart keinen Auslieferungstermin. Abwegig ist das nicht.

 

Auslieferung „Auge in Auge“ ändert nichts mehr

Ist der Vertrag virtuell zustande gekommen, ändert die Auslieferung „Auge in Auge“ nichts mehr. Die vom LG Osnabrück vertretene Ansicht, Fernabsatz setze einen organisierten Versand voraus und ohne eine Versandabteilung gebe es keinen Fernabsatz-Kauf, widerspricht der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 07.07.2016, Az. I ZR 68/15, Abruf-Nr. 188843).

Das „für den Fernabsatz organisierte Vertriebssystem“

Die Definition des Fernabsatzes in § 312c Abs. 1 BGB setzt schlussendlich voraus, dass der Vertragsschluss in einem für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystem erfolgt. Das wird vermutet, doch der Verkäufer kann die Vermutung widerlegen. Dazu gab es bisher nur wenig Rechtsprechung, doch im Herbst 2020 hat der BGH dazu Folgendes gesagt (BGH, Urteil vom 19.11.2020, Az. IX ZR 133/19, Abruf-Nr. 219415):

 

  • BGH-Urteil zum „für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystem“

„Ob ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem besteht, hängt wesentlich davon ab, auf welche Art und Weise der Unternehmer in seinem Geschäftsbetrieb Vertragsverhandlungen und Vertragsschlüsse ermöglicht. Danach muss er sein Unternehmen personell und sachlich so ausgestalten und organisieren, dass sowohl Vertragsverhandlungen als auch Vertragsschluss regelmäßig und ohne weiteres unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln jederzeit möglich sind. Ist diese Einrichtung derart ausgestaltet, dass er damit regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte bewältigen kann, und bietet er diese Möglichkeit von sich aus aktiv an, liegt ein entsprechendes System vor. Die nach Abschluss des Vertrags erfolgende Art und Weise der Leistungserbringung ist hingegen unerheblich.“

 

Ein solches System setzt sich aus drei Schritten zusammen, nämlich

  • 1. Fahrzeuge im eigenen Internetauftritt oder in externen Börsen annoncieren;
  • 2. die Kommunikationskanäle auf Interessenbekundungen potenzieller Käufer und die Reaktionen darauf per Mail, WhatsApp, Telefon etc. beobachten;
  • 3. die Bereitschaft, Verträge auf diesem Weg abzuschließen.

 

ZWISCHENFAZIT | Sie müssen den Käufer nicht über ein Widerrufsrecht belehren, wenn kein Fernabsatz vorliegt. Das ist der Fall, wenn der Käufer nicht als Verbraucher handelt oder die virtuellen Kontakte durch eine Präsenzphase unterbrochen sind, der Verbraucher also kaufobjektbezogen mit Gesprächskontakt („Vertragsanbahnung“) im Autohaus war.

 

Fernabsatz liegt vor: Was dann?

 

Handelt der Käufer als Verbraucher und ist der virtuelle Kontakt nicht durch eine Präsenzphase unterbrochen, liegt ein Fernabsatzvertrag vor. In dem Fall müssen Sie

  • ein Widerrufsbelehrungsformular und
  • ein Widerrufsformular verwenden.

 

Dabei gibt das Gesetz strenge inhaltliche und formelle Anforderungen vor. Bereits ein Fehler kann die Belehrung unwirksam machen.

Belehrung über Widerrufsrecht muss korrekt sein

Sie müssen bei einem Fernabsatzvertrag den Verbraucher über sein Widerrufsrecht in der vom Gesetzgeber vorgesehenen Weise belehren. Jegliche textliche Kreativität ist dabei zu vermeiden. Selbst das, was überflüssig zu sein scheint („Expressversand“ etc.), bleibt unverändert. Und die Schreibfehler des Gesetzgebers bleiben es auch.

 

Wichtig | Die Belehrungsverpflichtung gilt bei jedem Verbraucher, unabhängig von seinen Vorkenntnissen. Selbst wenn ein Rechtsanwalt oder ein Richter als Verbraucher kauft, er dem Autohaus also erklären könnte, wie die Rechte sind, muss er belehrt werden (LG Dresden, Urteil vom 09.02.2018, Az. 3 S 417/16, Abruf-Nr. 199979).

 

Die Widerrufsbelehrung muss zwingend in Textform erfolgen (Art. 246a § 4 Abs. 3 EGBGB.) Selbst wenn der Verkäufer dem Verbraucher bei einem ansonsten per Fax oder Mail geschlossenen Vertrag das Formular Wort für Wort vorlesen würde: Das wäre wirkungslos. „Ich habe ihn doch mündlich belehrt“ führt also zu nichts.

 

Der Verkäufer muss beweisen können, dass er die Widerrufsbelehrung zur Verfügung gestellt hat. Aus Internet-Shops, die gar keinen anderen Kommunikationsweg als „anklicken“ nutzen, kennt man: Hat man das die Kenntnisnahme der Widerrufsbelehrung bestätigende Häkchen nicht gesetzt, wird es nichts mit dem Kauf. Ähnlich müssen Sie es bei einem per Fax oder Mail geschlossen Vertrag handhaben.

 

PRAXISTIPPS |

  • Das von ASR zur Verfügung gestellte Widerrufsbelehrungsformular (Abruf-Nr. 47135275, Seite 18 dieser Ausgabe) sieht unterhalb des Rahmens, der den vom Gesetzgeber vorgesehen Text optisch umgrenzt, eine Zeile vor, in der der Verbraucher den Erhalt quittiert.
  • Ohne die Unterschrift des Verbrauchers unter die Widerrufsbelehrung können Sie nichts beweisen. Bearbeiten Sie den Vorgang also erst weiter, wenn der Verbraucher dieses Formular „quittiert“ zurückgesandt hat (gescannt oder mit dem Smartphone fotografiert oder klassisch mit der Post oder dem Fax). Erst dann sind Sie auf der sicheren Seite: Es bleibt bei den 14 Tagen. Und wenn der Verbraucher das Fahrzeug bis zum Widerruf genutzt hat, schuldet er Wertersatz.
 

Auch das Widerrufsformular ist zwingend

Es bleibt nur dann bei der 14-tägigen Widerrufsfrist und der Wertersatzpflicht, wenn der Verbraucher auch das Formular übermittelt bekommt, mit dem er den Widerruf erklären kann. Das resultiert aus dem ‒ weit ausgelegten ‒ Verbraucherschutzgedanken: Der Verbraucher kann den Widerruf auf beliebige Weise übermitteln. Wenn er Tinte auf Büttenpapier bevorzugt, kann er das nehmen. Aber ihm muss zwingend ein vorbereitetes Formular zur Verfügung gestellt werden. Denn der BGH hat im Herbst 2020 entschieden: Wird kein Widerrufsformular übermittelt, hat der Verbraucher die 14 Tage plus ein Jahr Zeit für den Widerruf, und er wird nicht mit der Pflicht zum Wertersatz belastet (BGH, Urteil vom 26.11.2020, Az. I ZR 169/19, Abruf-Nr. 219569).

 

PRAXISTIPP | Sie müssen beweisen können, dass Sie das Widerrufsformular übermittelt haben. Mit der Unterschrift unter das Widerrufsbelehrungsformular quittiert der Verbraucher auch das. Ein Grund mehr, die weitere Bearbeitung erst fortzusetzen, wenn die quittierte Widerrufsbelehrung bei Ihnen eingegangen ist.

 

Widerrufsfrist beginnt mit Übergabe an den Käufer

Der Gesetzgeber hat klar geregelt: Beim Fernabsatz beginnt die Widerrufsfrist erst, sobald Sie den Kaufgegenstand (also hier das Fahrzeug) an den Verbraucher übergeben haben. Die Logik dahinter: Kauft man Schuhe im Schuhgeschäft, kann man sie vor dem Kauf anschauen und anprobieren. Mit im Fernabsatz gekauften Schuhen geht das erst, wenn sie eingetroffen sind. Der Gesetzgeber unterscheidet nicht zwischen verschiedenen Kaufgegenständen. Autos sind da nichts anderes als Schuhe.

 

Folglich können Sie die Widerrufsfrist ‒ anders als bei der Finanzierung ‒ nicht aussitzen. Liefern Sie erst nach 15 Tagen aus, haben Sie also im Ergebnis nicht abgewartet, ob ein Widerruf kommt, sondern lediglich den Lauf der Frist nicht gestartet.

 

Eine kleine Falle ist die zeitversetzte Lieferung. Denn in diesem Fall ist entscheidend, wann Sie die letzte Sache geliefert haben.

 

  • Beispiel: Zeitversetzte Lieferung

Der Verbraucher kauft im Fernabsatz ein Fahrzeug mit Sommer- und Winterrädern. Die Vertragspartner vereinbaren, dass der Satz Winterreifen ‒ im Kaufpreis enthalten ‒ noch erneuert wird. Der Verkäufer liefert das Auto im Frühjahr aus, die Winterreifen schickt er im Oktober nach.

 

Die 14-tägige Widerrufsfrist für alles beginnt erst mit Übergabe der Winterreifen im Oktober (§ 356 Abs. 2 Ziff. 1 Buchst. b BGB). Dafür gibt es keine sinnvolle Alternative. Sie sollten den Vertrag insbesondere nicht aufspalten und die Winterreifen mit einem symbolischen Betrag bepreisen. Sonst bekommt der Käufer die Reifen fast umsonst, wenn er den Vertrag über das Fahrzeug widerruft.

 

Finanzierter Fernabsatz ‒ zwei Widerrufsrechte

Bei einem einzigen Kaufvertrag können zwei Widerrufsrechte entstehen. Der finanzierte Fernabsatz ist so ein Vorgang. Dann hat der Verbraucher zunächst das Widerrufsrecht wegen der Finanzierung. Der Verkäufer darf dann nicht glauben, eine einzige Widerrufsbelehrung sei genug. Das ist sie nämlich nicht.

 

Es ist schlicht unmöglich, diesen beiden ganz unterschiedlich motivierten Widerrufsrechten mit nur einer Belehrung zu begegnen. Beim Fernabsatz darf sich der Käufer die Sache erst mal „in Echt“ anschauen, bei der Finanzierung darf man die sprichwörtliche „Nacht drüber schlafen“, ob man mit den Schulden leben kann. Deshalb beginnt die Frist bei der Finanzierung mit der Willenserklärung und der Übergabe der Finanzierungsdokumente, beim Fernabsatz jedoch erst mit der Auslieferung, die oft erst später erfolgt.

 

Ist also nur eine Widerrufsfrist mit einer Belehrung (z. B. die wegen der Finanzierung) in Gang gesetzt, läuft die andere auch dann weiter, wenn die eine längst abgelaufen ist (LG Braunschweig, Urteil vom 22.09.2020, Az. 5 O 2947/19, Abruf-Nr. 218188).

Folge der Belehrung: Verbraucher schuldet Wertersatz

Widerruft der Verbraucher den Kaufvertrag, bevor das Fahrzeug auf ihn zugelassen wurde, schuldet er nichts. Hat er jedoch bis zum Widerruf mehr damit getan, als es auszuprobieren, schuldet er a‒ korrekte Belehrung und Übergabe des Widerrufsformulars vorausgesetzt ‒ Wertersatz. Ausprobieren darf er aber, ohne dass dadurch eine Wertersatzpflicht entsteht.

 

Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Grenze des Ausprobierens überschritten, wenn der Käufer mehr tut, als er beim Kauf im Ladenlokal auch tun dürfte (BGH, Urteil vom 12.10.2016, Az. VIII ZR 55/15, Abruf-Nr. 190129). Ausprobieren ist also eine handelsübliche kurze Probefahrt.

 

Lässt der Käufer das Fahrzeug auf sich zu oder bittet er das Autohaus, das für ihn zu tun, geht dies über die Stufe des Ausprobierens hinaus; das Fahrzeug wird benutzt. Das gilt auch, wenn der Käufer noch keinen Meter gefahren ist. Dann schuldet der Verbraucher nach dem Widerruf den vollen (ggf. sachverständig zu ermittelnden) Wertverlust.

 

Wichtig | Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass der Verbraucher nicht mehr widerrufen könne, wenn er den Kaufgegenstand benutzt hat. Das Widerrufsrecht geht dadurch nicht unter. Es entsteht aber die Wertersatzpflicht.

Abwicklung nach Widerruf

Das Gesetz sieht zwei Stufen vor: Die regelmäßige Frist für den Widerruf beträgt 14 Tage. Mit dem Tag des Widerrufs beginnt dann eine weitere Frist von 14 Tagen für die Rückgabe des Kaufgegenstands (§ 357 Abs. 1 BGB). In gleicher Frist muss der Verkäufer auch den Kaufpreis abzüglich Wertersatz zurückzahlen. Allerdings kann er abwarten, bis der Gegenstand eintrifft (§ 357 Abs. 4 BGB).

 

Aus dem Online-Handel ist man gewohnt, dass der Käufer die Ware portofrei zurücksenden kann. Das ist aber nicht zwingend. Mit der Widerrufsbelehrung können Sie regeln, dass der Käufer die Rücksendungskosten tragen muss (§ 357 Abs. 6 BGB). Dann bringt in der Regel der Käufer das übergebene Fahrzeug zurück.

 

Wichtig | Schwierig ist, schnell den Wertersatzanspruch zu beziffern. Da muss man einfach mutig sein und einen großzügig bemessenen Betrag einbehalten und die schnellstmögliche Schlussabrechnung ankündigen.

Tipp für den Ablauf: Den Verbraucher richtig informieren

In der Praxis unterschreiben manche Verbraucher alles, was sie bekommen, und schicken es dann zurück. Das betrifft auch das Widerrufsformular, obwohl der Verbraucher vermutlich gar nicht widerrufen wollte. Deshalb sollten Sie vor jedes Formular eine „Bedienungsanleitung“ hängen. Etwa so:

 

Musterwiderruf / Informationen für den Käufer

Widerruf: Informationen für den Käufer

Das folgende Blatt ist die Widerrufsbelehrung wegen des Fernabsatzvertrags. Bitte unterzeichnen Sie unten, dass Sie es erhalten haben. Schicken Sie es uns danach gescannt oder fotografiert per Mail oder per Fax oder kopiert per Post zurück. Bevor das unterzeichnete Formular nicht wieder bei uns ist, bearbeiten wir den Vorgang nicht weiter. Das kennen Sie ja sinngemäß vom Häkchen-Setzen in anderen Internet-Shops.

 

Das folgende Blatt ist das Widerrufsformular. Das behalten Sie bei sich. Verwenden Sie es nur, wenn Sie Ihre Willenserklärung fristgerecht widerrufen möchten.

 

Die folgenden Blätter sind die verbindliche Bestellung und die AGB für den Kaufvertrag. Schicken Sie uns die verbindliche Bestellung bitte unterzeichnet gescannt oder fotografiert per Mail oder per Fax oder kopiert per Post zurück.

 

Werkstattaufträge ‒ Fernabsatz auch beim Werkvertrag

Fernabsatz ist auch für Werkverträge, also für Werkstattaufträge, denkbar. Dann gilt alles oben Gesagte. Das heißt: Sie müssen sich bei der Widerrufsbelehrung und dem Widerrufsformular an die strengen gesetzlichen Vorgaben halten. Sie müssen beide Dokumente übermitteln und das nachweisen. Nur dann schuldet der Verbraucher Wertersatz, wenn er den Vertrag widerruft.

 

Eine Besonderheit liegt beim „Hol- und Bringdienst“. Dort ist häufig alles längst erledigt, wenn die Widerrufsfrist noch läuft. Dann ist die Belehrung über das Widerrufsrecht modifiziert: Der Verbraucher muss bestätigen, dass er weiß, dass die Frist noch nicht abgelaufen ist, und dass sein Widerrufsrecht erlischt, wenn die Arbeiten beendet sind, oder er jedenfalls die Arbeiten bezahlen muss, die bis dahin gemacht wurden. Dann muss er vor diesem Hintergrund verlangen, dass die Arbeiten begonnen werden (§ 357 Abs. 8 BGB).

 

Für den Fernabsatz-Werkvertrag finden Sie auf asr.iww.de das Widerrufsbelehrungsformular und das Widerrufsformular unter der Abruf-Nr. 47135424.

Quelle: Seite 8 | ID 47118272