· Fachbeitrag · Befristung
Neue Spielregeln bei der Befristung vonArbeitsverträgen: die Missbrauchsampel
von RiArbG Klaus Griese, Hamm
| Insbesondere die Kettenbefristung, also das Hintereinanderschalten mehrerer befristeter Arbeitsverträge und die Möglichkeit der Befristung ohne sachlichen Grund, stehen seit Jahren aus sozialen Gründen in der öffentlichen Kritik. Der Beitrag zeigt daher auf, was nach einer aktuellen Entscheidung des BAG hier noch erlaubt ist und wohin der Weg - auch bei der Befristung ohne Sachgrund - künftig führen könnte. |
1. Drei wichtige Fakten zur Befristung
Die Befristung von Arbeitsverträgen ist unter anderem in § 14 TzBfG geregelt. Hier sind drei wichtige Fakten zu beachten:
- Man unterscheidet im Wesentlichen die Befristung mit sachlichem Grund (§ 14 Abs. 1 TzBfG) und ohne sachlichen Grund (§ 14 Abs. 2 TzBfG).
- Die Befristung eines Arbeitsvertrags bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (§ 14 Abs. 5 TzBfG). Dementsprechend muss auf der Vertragsurkunde - vor Beschäftigungsbeginn - die Befristung vereinbart und von beiden Parteien unterzeichnet sein. Ist die Befristung rechtsunwirksam, besteht ein unbefristeter Arbeitsvertrag (§ 16 Abs. 1 TzBfG).
- Allerdings muss der ArbN, der die Unwirksamkeit der jeweiligen Befristungsabrede geltend machen will, spätestens drei Wochen nach Ablauf des vereinbarten Befristungszeitraums Klage beim Arbeitsgericht erhoben haben, gerichtet auf Feststellung, dass die Befristung rechtsunwirksam ist (§ 17 S. 1 TzBfG). Nach Ablauf dieser Frist gilt die Befristung als von Anfang an rechtswirksam (§ 17 S. 2 TzBfG in Verbindung mit § 7 KSchG).
2. Die Befristung mit sachlichem Grund (§ 14 Abs. 1 TzBfG)
Die in § 14 Abs. 1 TzBfG genannten Fallgruppen stellen Regelbeispiele dar; es sind auch andere Fallgruppen denkbar. Leitmotiv des Gesetzgebers ist es, dass ein „verständiger“ ArbG befristete Arbeitsverträge wirksam vereinbaren kann, sofern dies sachgerecht und vernünftig ist. Die Rechtsprechung prüft grundsätzlich die Wirksamkeit nur der letzten Befristungsabrede. Auch bei „Kettenarbeitsverträgen“ sind keine erhöhten Anforderungen an den Sachgrund der Befristung zu stellen. Allerdings kann im Einzelfall eine Rechtsmissbrauchskontrolle angezeigt sein, wenn der ArbN langjährig im Rahmen einer Vielzahl von befristeten Verträgen beschäftigt wird. Wann eine solche Kontrolle angezeigt ist, war bisher nicht sicher prognostizierbar.
Das BAG (26.10.16, 7 AZR 135/15, Abruf-Nr. 192471) hat nun eine Art „Missbrauchsampel“ geschaffen, die mehr Rechtssicherheit bringen soll.
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses. Der ArbN studierte an der Sporthochschule K bis zum Vordiplom. Er ist Diplom-Trainer. Über eine Lehramtsbefähigung verfügt er nicht. In der Zeit vom 15.10.07 bis zum 7.2.14 wurde er am städtischen Gymnasium in R als Vertretungslehrer im Fach Sport beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis der Parteien liegen insgesamt 16 befristete Arbeitsverträge zugrunde.
Mit seiner Klage wandte sich der ArbN gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der zuletzt vereinbarten Befristung zum 7.2.14. Er meint, der Sachgrund der Vertretung liege nicht vor. Außerdem könne sich das Land als ArbG aufgrund der gesamten Dauer der Vertragslaufzeit und der hohen Zahl befristeter Arbeitsverträge nicht auf den Sachgrund der Vertretung berufen. Es sei von einem institutionellen Rechtsmissbrauch auszugehen. |
Die Lösung des Falls: Arbeitsgericht und LAG gaben der Klage statt. Das BAG wies sie ab. Die Bundesrichter begründeten ihre Entscheidung wie folgt:
- Sachgrund: Die im letzten Arbeitsvertrag vereinbarte Befristung zum 7.2.14 sei durch den Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG, § 21 Abs. 1 BEEG gerechtfertigt.
- Missbrauch: Es liege kein institutioneller Rechtsmissbrauch vor. Die Gerichte dürfen sich zwar bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds beschränken. Sie müssten vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen ausschließen, dass ArbG missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Hierzu seien stets alle Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Dabei seien namentlich die Zahl der mit derselben Person oder zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen.
- Sei danach die Prüfung eines institutionellen Rechtsmissbrauchs veranlasst, sind weitere Umstände zu beachten. Dabei könne bedeutend sein, ob der ArbN stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt wurde, oder ob es sich um wechselnde, ganz unterschiedliche Aufgaben handelt. Bei zunehmender Anzahl befristeter Verträge und Dauer der befristeten Beschäftigung eines ArbN könne es zudem für eine missbräuchliche Ausnutzung der an sich rechtlich erlaubten Befristungsmöglichkeit sprechen, wenn er gegenüber einem bereits langjährig beschäftigten ArbN trotz der tatsächlich vorhandenen Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung immer wieder auf befristete Verträge zurückgreife.
PRAXISHINWEIS | Um die Schwelle einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung von Sachgrundbefristungen zu ermitteln, kann an die gesetzlichen Wertungen in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG angeknüpft werden. Die sachgrundlose Befristung ist danach möglich bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahren mit maximal dreimaliger Verlängerung. Ist ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG gegeben, lässt erst das erhebliche Überschreiten dieser Grenzwerte den Schluss auf eine missbräuchliche Gestaltung zu. |
a) Liegt ein Sachgrund vor?
Liegt ein Sachgrund vor, kann von der Befristung des Arbeitsverhältnisses Gebrauch gemacht werden, solange das Arbeitsverhältnis nicht die Gesamtdauer von sechs Jahren überschreitet. Zudem dürfen nicht mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart werden, es sei denn, die Gesamtdauer übersteige bereits acht Jahre oder es würden mehr als zwölf Vertragsverlängerungen vereinbart.
b) Die Missbrauchskontrolle: Sind die Grenzen des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG alternativ oder kumulativ überschritten worden?
Es ist eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten, wenn die Grenzen des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG alternativ oder kumulativ mehrfach überschritten werden. Hiervon ist in der Regel auszugehen, wenn einer der Werte des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG mehr als das Vierfache beträgt oder beide Werte das Dreifache übersteigen.
Beachten Sie | Überschreitet also die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses acht Jahre oder wurden mehr als zwölf Verlängerungen des befristeten Arbeitsvertrags vereinbart, hängt es von den weiteren, zunächst vom ArbN vorzutragenden Umständen ab, ob ein Rechtsmissbrauch anzunehmen ist. Gleiches gilt, wenn die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses sechs Jahre überschreitet und mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden.
Werden die in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG genannten Grenzen alternativ oder kumulativ in besonders gravierendem Ausmaß überschritten, kann eine missbräuchliche Ausnutzung der an sich eröffneten Möglichkeit zur Sachgrund-befristung indiziert sein.
Beachten Sie | Von einem indizierten Rechtsmissbrauch ist in der Regel auszugehen, wenn durch die befristeten Verträge einer der Werte des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG um mehr als das Fünffache überschritten werde oder beide Werte mehr als das jeweils Vierfache betragen.
Das bedeutet, dass ein Rechtsmissbrauch indiziert ist, wenn
- die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses zehn Jahre überschreitet oder
- mehr als 15 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden oder
- mehr als zwölf Vertragsverlängerungen bei einer Gesamtdauer von mehr als acht Jahren vorliegen.
In einem solchen Fall kann der ArbG die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände aber entkräften.
FAZIT | Im oben dargestellten, vom BAG entschiedenen Fall, stand die „Missbrauchsampeld“ wohl noch auf gelb. Um die vorzunehmende umfassende Missbrauchskontrolle zu seinen Gunsten ausfallen zu lassen, hätte der ArbG weitere konkrete Indizien für einen Rechtsmissbrauch vortragen müssen. Dieses unterblieb aber. Man kann die Entscheidung des BAG wie eine „Missbrauchsampel“ mit Grün-, Gelb- und Rotphase interpretieren. |
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Fallgruppe 1 | Fallgruppe 2 | |
Grün (kein Rechts- missbrauch) | Maximal acht Jahre Beschäftigungszeit oder maximal 12 Verlängerungen | Maximal sechs Jahre Beschäftigungszeit und maximal neun Verlängerungen |
Gelb (umfassende Missbrauchs- kontrolle) | Mehr als acht Jahre Beschäftigungszeit oder mehr als 12 Verlängerungen | Mehr als sechs Jahre Beschäftigungszeit und mehr als neun Verlängerungen |
Rot (Missbrauch indiziert); ArbG kann das Indiz widerlegen | Mehr als 10 Jahre Beschäftigungszeit oder mehr als 15 Verlängerungen | Mehr als acht Jahre Beschäftigungszeit und mehr als 12 Verlängerungen |
3. Zur Befristung ohne sachlichen Grund (§ 14 Abs. 2 TzBfG)
§ 14 Abs. 2 TzBfG erlaubt die Befristung ohne sachlichen Grund
- bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahren
- bei maximal drei Verlängerungen und
- sofern der ArbN zuvor bei demselben ArbG nicht beschäftigt war.
Diese Befristungsmöglichkeit besteht - mit kurzer Unterbrechungszeit - seit vielen Jahren und war ursprünglich im BeschFG geregelt. Ob der Gesetzgeber nach der Bundestagswahl daran weiter festhalten wird, ist ungewiss. Der Kanzlerkandidat der SPD hat erklärt, die Befristung ohne sachlichen Grund sei unsozial und müsse abgeschafft werden.
Darüber hinaus regelt § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG, dass durch Tarifvertrag die Anzahl der Verlängerungen oder die Höchstdauer der Befristung abweichend festgelegt werden kann. Alle Fachleute sind sich darüber einig,
- dass durch Tarifvertrag alternativ wie auch kumulativ die Höchstdauer sowie die Anzahl der Verlängerungen geregelt werden kann und
- dass europarechtliche Beschränkungen unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes zu beachten sind.
Nunmehr entschied das BAG (26.10.16, 7 AZR 140/15, Abruf-Nr. 189960), dass die den Tarifvertragsparteien durch § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG eröffnete Möglichkeit, die Höchstdauer der Befristung und/oder die Anzahl der Vertragsverlängerungen abweichend von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG festzulegen, begrenzt ist auf eine Gesamtdauer von bis zu sechs Jahren und der höchstens neunmaligen Verlängerung bis zu dieser Gesamtdauer.
Weiterführende Hinweise
- Kettenbefristung: Werden dauerhafte Aufgaben erledigt, besteht kein zeitweiliger Vertretungsbedarf: EuGH in AA 16, 192
- Prüfungsmaßstab bei der Befristung einzelner Arbeitsvertragsklauseln: BAG in AA 16, 190