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· Fachbeitrag · Betriebsprüfung

Phantomlohn in der Sozialversicherung: Kein Phantom, sondern harte Realität!

von Rechtsanwältin Susanne Hierl, Rödl & Partner, Nürnberg

| Der Phantomlohn ist ein Begriff, der häufig im Zusammenhang mit (sozialrechtlichen) Betriebsprüfungen auftaucht und Unternehmen in ungläubigem Staunen zurücklässt. Doch was genau bedeutet Phantomlohn und welche rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen hat er? |

Phantomlohn in der Betriebsprüfung

Im Rahmen einer Betriebsprüfung steht ein Unternehmer/Arbeitgeber nicht selten vor einem Problem wie im nachfolgend beschriebenen Fall:

 

  • Beispielsfall

Bei der XY-GmbH wurde eine Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 SGB IV durchgeführt. Ergebnis: Die deutsche Rentenversicherung fordert per Bescheid Beiträge in Höhe von 30.000 Euro für drei Jahre nach. Die Begründung lautet: Die Beitragspflicht aus dem geschuldetem Arbeitsentgelt bei Entgeltfortzahlung wurde nicht in allen Fällen korrekt berechnet. Die im Prüfungszeitraum für begünstigte Zeiten gezahlten Spätschicht- und Nachtzuschläge wurden bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, an Feiertagen und während des Urlaubs nicht berücksichtigt.

 

Der Berechnungsfehler ist u. a. wie folgt zustande gekommen: Mitarbeiter A war in der Zeit vom 01.03.2018 bis 14.03.2018 krank. In dieser Zeit hätte er unter gewöhnlichen Umständen insgesamt 72 Stunden, davon 20 Stunden in Nachtschicht gearbeitet. Bei der Lohnabrechnung wurde für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nur der vereinbarte Stundenlohn in Höhe von 14,00 Euro für die 72 Stunden berücksichtigt. Unberücksichtigt geblieben sind die Zuschläge in Höhe von 4,00 Euro/Stunde für die 20 Stunden Nachtschicht, die der Mitarbeiter geleistet hätte, wenn er nicht erkrankt wäre. Somit ergibt sich eine Differenz von 80 Euro, auf die Sozialversicherungsbeiträge erhoben und abzuführen gewesen wären.

 

Hintergrund | Der Arbeitnehmer hat im Krankheitsfall bis zu sechs Wochen nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf die Fortzahlung seines Arbeitsentgelts. Dabei bedeutet Arbeitsentgelt das Gehalt, das dem Mitarbeiter in der regelmäßigen Arbeitszeit zusteht.

Der Begriff des Phantomlohns

Phantomlohn ist der Lohn, der dem Arbeitnehmer trotz bestehendem (arbeits-)rechtlichem Anspruch nicht ausgezahlt worden ist, aber zu bezahlen gewesen wäre und aus dem Sozialversicherungsbeiträge zu berechnen und an die Einzugsstelle abzuführen gewesen wären. In diesem Zusammenhang wird auch häufig vom „Fiktivlohn“ gesprochen.

 

  • Beispiel

Stundenlohnvergütung lt. Arbeitsvertrag

11,50 Euro

Stundenlohnzuschlag lt. allgemeinverbindlichem Tarifvertrag

1,00 Euro

Phantomlohn

1,00 Euro

 

Auf den Phantomlohn von 1 Euro sind Sozialversicherungsbeiträge nachzuerheben.

 

Entstehungsprinzip in der Sozialversicherung

In der Sozialversicherung gilt das Entstehungs- (oder auch Anspruchsprinzip). Dies bedeutet: Mit der Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses tritt Versicherungspflicht ein. Und dies lässt den Beitragsanspruch entstehen. Mit Entstehen des vertraglichen bzw. tariflichen Arbeitsentgeltanspruchs sind daher auch Beiträge zur Sozialversicherung zu leisten.

 

Es kommt nicht darauf an, ob das Arbeitsentgelt tatsächlich gezahlt wird, in welcher Höhe es gezahlt wird oder zu welchem Zeitpunkt es gezahlt wird. Entscheidend ist vielmehr, welcher Zahlungsanspruch dem Beschäftigten zugestanden hätte.

 

Wichtig | Im Steuerrecht (insbesondere Lohnsteuerrecht) ist das anders. Dort gilt das „Zuflussprinzip“. Maßgeblich ist somit der Zeitpunkt, in dem der Arbeitsentgeltanspruch tatsächlich erfüllt, also der Arbeitslohn gezahlt wird. Damit wirkt sich der Phantomlohn in der Lohnsteuer nicht aus, weil diese aus dem tatsächlich gezahlten Entgelt berechnet und abgeführt wird.

 

Das Entstehungsprinzip gilt für laufendes Arbeitsentgelt. Aber insbesondere für einmalig gezahltes Arbeitsentgelt wird auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts auf den Zeitpunkt des Zuflusses abgestellt.

 

Phantomlohn hat hohe sozialversicherungsrechtliche Relevanz

Die hohe sozialversicherungsrechtliche Relevanz des Phantomlohns verdeutlichen die folgenden ‒ typischen ‒ Beispiele:

 

  • Beispiele
  • Mitarbeiter A wird ein sittenwidrig zu niedriges Entgelt ausgezahlt.
  • Mitarbeiter B wird ein tarifwidrig zu niedriges Entgelt ausgezahlt.
  • Mitarbeiter C wird in Deutschland von einem ausländischen Arbeitgeber angeworben. Er bekommt von seinem Arbeitgeber das nach ausländischem Recht vereinbarte Arbeitsentgelt, welches jedoch nicht dem deutschen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) entspricht. Der Arbeitgeber führt eine monatliche Lohnabrechnung nach den deutschen Sozial- und Steuervorschriften durch.
  • Mitarbeiter D hat zwar im Falle von Urlaub, Krankheit und für Feiertage eine Entgeltfortzahlung erhalten, jedoch wurden bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung Nachtschicht- bzw. Spätschichtzuschläge nicht berücksichtigt.
 

 

Allen Fällen gemeinsam ist, dass die Sozialversicherungsbeiträge auf ein höheres Arbeitsentgelt hätten berechnet werden müssen. Dies gilt auch, wenn dieser höhere Betrag nicht tatsächlich ausbezahlt worden ist. Sofern also nicht bereits die Beitragsbemessungsgrenze überschritten worden ist, wurden fahrlässig ‒ wenn nicht gar absichtlich ‒ zu niedrige Sozialversicherungsbeiträge abgeführt.

 

Wichtig | In diesen Fällen kann eine strafrechtlich relevante Handlung vorliegen. Dem Arbeitgeber kann das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB vorgeworfen werden. Geld- oder Freiheitsstrafe können die Folge sein.

Phantomlohn bei Auslandssachverhalten

Das Thema Phantomlohn kann ‒ wie das Beispiel des Mitarbeiters C zeigt ‒ auch in Sachverhalten mit Auslandsbezug relevant werden. Viele ausländische Arbeitgeber glauben, dass sie weiterhin den an vergleichbare inländische Arbeitnehmer üblichen Lohn auch an den in Deutschland tätigen Arbeitnehmer zahlen können.

 

  • Beispiel des Mitarbeiters C

Im Fall des Mitarbeiters C gelten aufgrund des Territorialitätsprinzips die deutschen Sozialvorschriften, weil der Mitarbeiter dauerhaft in Deutschland für seinen ausländischen Arbeitgeber tätig wird. Nach dem deutschen Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) in Verbindung mit dem MiLoG ist daher zumindest der Mindestlohn von 9,19 Euro zu zahlen. Der Unterschiedsbetrag zwischen dem deutschen Mindestlohn und dem tatsächlich bezahlten Lohn ist Phantomlohn.

 

Welche Sozialvorschriften anwendbar sind, bemisst sich grundsätzlich nach dem Territorialitätsprinzip. Das besagt, dass die Sozialvorschriften desjenigen Staates gelten, in denen die Tätigkeit physisch erbracht wird.

 

Ausnahmen hiervon (z. B. Tatbestand der Entsendung) sind insbesondere in der Verordnung (EG) 883/04 oder in bilateralen Sozialversicherungsabkommen, aber auch im nationalen Recht geregelt.

 

Greift ein Ausnahmetatbestand, dann ist ein Verbleib im heimatlichen Sozialversicherungssystem ‒ je nach Herkunftsland für alle oder einzelne Sozialversicherungszweige ‒ möglich. Die deutschen Sozialvorschriften sind dann nicht anwendbar.

 

Ist mit einer entsprechenden feststellenden Bescheinigung (z. B. A1-Bescheinigung) verbindlich festgelegt, dass nicht die deutschen, sondern die ausländischen Sozialvorschriften anwendbar sind, so sind auch keine Beiträge nach deutschem Recht zu entrichten. Es ist aber möglich, dass ein „Phantomlohn“ nach den ausländischen Sozialvorschriften entsteht. Dies richtet sich nach dem jeweiligen Landesrecht und muss im jeweiligen Einzelfall betrachtet werden.

Gibt es „Auswege“ für das Unternehmen?

Der verzweifelte Unternehmer sucht in Fällen wie in den oben beschriebenen nach „Auswegen“, um Phantomlohn zu vermeiden.

 

Verzicht des Arbeitnehmers auf Teilvergütung

Findige Unternehmer kommen dabei oft auf die Idee, Ihre Arbeitnehmer Verzichtserklärungen unterzeichnen zu lassen. Unabhängig von der Tatsache, dass ein Beschäftigter ungern einen solchen Verzicht erklärt, ist die Frage, ob dies überhaupt zielführend ist. Denn damit ein Verzicht beitragsrechtlich relevant ist, muss

  • der Verzicht arbeitsrechtlich zulässig und
  • darf nur auf künftig fällige Arbeitsentgeltbestandteile gerichtet sein.

 

Jedenfalls für die Vergangenheit ist damit eine Verzichtserklärung keine Lösung. Aber auch im Hinblick auf Verzicht auf künftige Entgeltbestandteile kann sich eine zulässige Gestaltung als schwierig erweisen.

 

Verjährung des arbeitsrechtlichen Anspruchs und Ausschlussfristen

Arbeitsvertragliche Ansprüche verjähren grundsätzlich in einem Zeitraum von drei Jahren. Werden im Arbeitsvertrag Ausschlussklauseln vereinbart, so verfallen die vertraglichen Ansprüche vorzeitig, sofern sie nicht während der Ausschlussfrist wirksam geltend gemacht worden sind.

 

Doch auch diese „Hilfsmittel“ lassen die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht nicht entfallen. Denn aufgrund des Entstehungsprinzips kommt es nur darauf an, dass der Anspruch entstanden ist.

Handlungsempfehlungen und Tipps für den Lohnabrechner

Lohnabrechner sollten im laufenden Mandat folgende Aspekte präventiv beachten:

 

  • Sachverhalte vollständig ermitteln: Besonderes Augenmerk muss in tarifgebundenen Unternehmen auf Tariflohnerhöhungen gelegt werden. Die Nichtbeachtung von Zulagen oder Zuschlägen führt zu einem Phantomlohn.

 

  • Auch bei „abgegoltenen oder erledigten“ Ansprüchen ist Vorsicht geboten: Arbeits- oder tarifrechtliche Verfallklauseln haben keinen Einfluss auf einmal entstandene öffentlich-rechtliche Beitragspflichten.

 

  • Unternehmen sollten sich anwaltlich beraten lassen. Das gilt insbesondere dann, wenn es um die genannten Probleme geht, die anwendbaren Sozialvorschriften festzustellen sind oder die Zahlung bzw. Vergütung kategorisiert werden muss.

 

  • Schließlich sollte die Höhe der Nachforderungen geprüft werden. Oft unterlaufen hierbei der Prüfbehörde Fehler.
Quelle: Seite 66 | ID 45237861