· Fachbeitrag · Corona-krise
Umgang in Zeiten von Corona
von VRiOLG i.R., RA Dieter Büte, Bad Bodenteich
| Die im Zuge der Corona-Pandemie angeordneten Beschränkungen (dazu allgemein: www.iww.de/s3611 ), u. a. soziale Kontakte weitgehend zu vermeiden sowie die dadurch bedingte weitgehende Schließung der Gerichtsgebäude, wirken sich auch auf den Umgang aus. Dazu im Einzelnen: |
1. Vollstreckung aus einer Umgangsregelung
Sofern ein gerichtlich festgelegter Umgangstermin abgesagt wird, kann aus dem Titel vollstreckt werden. Insoweit ist zu differenzieren, warum der Termin abgesagt wird, da nicht auszuschließen ist, dass die Corona-Pandemie zum Anlass genommen wird, unerwünschte Umgänge abzusagen.
a) Vollstreckbare Entscheidungen
Als vollstreckbare Entscheidungen kommen sowohl Beschlüsse (§ 38 FamFG) als auch gerichtlich gebilligte Vergleiche (§ 156 Abs. 2 FamFG) in Betracht, sofern diese genaue und erschöpfende Bestimmungen über Art, Ort und Zeit des Umgangs enthalten. Detaillierte Angaben zum Holen und Bringen sind nicht erforderlich (BGH FamRZ 12, 533). Die gerichtliche Billigung erfolgt durch gesonderten Beschluss und soll den Warnhinweis nach § 89 Abs. 2 FamFG enthalten, der Voraussetzung der Zwangsvollstreckung (ZV) ist (BVerfG FamRZ 19, 1616; 17, 532). Er kann jederzeit nachgeholt werden (BGH FamRZ 11, 1729). Gegen den Billigkeitsbeschluss ist die Beschwerde nach § 58 FamFG statthaft. Sie kann auch von einem Elternteil eingelegt werden, der dem Vergleich zugestimmt hat (BGH FamRZ 19, 1616). Dass bestehende Umgangsregelungen durch die Beschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie weitergelten und damit eine ZV aus dem Titel möglich ist, steht außer Frage (vgl. Corona-FAQ der Bundesregierung [www.iww.de/s3612]).
PRAXISTIPP | Das Bestehen des vollstreckbaren Anspruchs ist im ZV-Verfahren nicht (mehr) zu prüfen, sodass nur eine Entscheidung über die Einstellung die ZV hindert (BGH FamRZ 15, 2147; 14, 732). Dies folgt aus § 93 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 FamFG. Daher kann die ZV eingestellt werden, wenn die Abänderung einer Entscheidung begehrt wird, wenn also dem Umgang triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe entgegenstehen (BGH FamRZ 12, 533). Angesichts der bestehenden Notwendigkeit, ein Abänderungsverfahren einzuleiten (§ 1696 BGB) und der zwingend notwendigen Anhörung von Eltern und Kind, ist dieser Weg in Zeiten der Corona-Pandemie mit der nur eingeschränkten gerichtlichen Tätigkeit eher wenig zielführend. Über den Einstellungsantrag kann allerdings auch ohne Termin entschieden werden, sofern der Antrag voraussichtlich erfolgreich sein wird (Johannsen/Henrich/Büte Familienrecht, 6. Aufl., § 93 FamFG Rn. 7). |
Eine durch die Corona-Pandemie bedingte Verhinderung von Umgangskontakten kann einen Hinderungsgrund darstellen. Es ist aber entscheidend darauf abzustellen, in welchem Umfang die Beteiligten von den Einschränkungen betroffen sind.
b) Schuldhafte Zuwiderhandlung (Abs. 1) und Entlastungsbeweis (Abs. 4 )
Voraussetzung für die Anordnung eines Ordnungsmittels ist eine schuldhafte Zuwiderhandlung, setzt also ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten voraus (OLG Celle FamRZ 98, 1130; Keidel/Giers, FamFG, 20. Aufl., § 89 Rn. 9). Eine Festsetzung unterbleibt, wenn der Pflichtige Umstände vorträgt, aus denen sich ergibt, dass er die Zuwiderhandlung nicht zu vertreten hat, § 89 Abs. 4 FamFG.
aa) Ausgangsbeschränkungen
Zwischenzeitlich haben alle Bundesländer auf der Grundlage des § 28 Infektionsschutzgesetz (IfSG) Allgemeinverfügungen erlassen, die vorerst bis zum 3.5.20 befristet sind. Diese stehen der Wahrnehmung von Umgangskontakten nicht entgegen. Das Bundesministerium der Justiz (www.iww.de/s3613) hat dazu ausgeführt, dass die Corona-Krise die Empfehlung, soziale Kontakte möglichst zu vermeiden, sich nicht auf die Kernfamilie beziehe, auch wenn die Eltern nach der Trennung in zwei getrennten Haushalten leben. Kinder sollten auch weiterhin sozialen Kontakt zum anderen Elternteil behalten.
Das AG Frankfurt hat im Beschluss vom 9.4.20 (456 F 5092/20 EAUG ‒ BeckRS 2020, 5360) ausgeführt: Unter Abwägung der wegen der Pandemie mit außerhäuslichen Kontakten verbundenen Gesundheitsrisiken einerseits und des Abbruchs der Bindung zwischen den Kindern und ihrem Vater andererseits überwiege das Interesse an der Aufrechterhaltung der Bindung und Durchführung persönlicher Kontakte zwischen den Kindern und dem Vater. Sie gehörten nicht zur Risikogruppe für schwere Verläufe der Covid-19-Erkrankung (Personen ab einem Alter von 50-60 Jahren oder Personen mit bestimmten Vorerkrankungen [dazu: www.iww.de/s3614]). Sie hätten sich in den letzten Wochen auch nicht in einem Risikogebiet (www.iww.de/s3614) aufgehalten.
bb) Ausgangssperren
Soweit vereinzelt von Landkreisen (in Bayern) Ausgangssperren verfügt worden sind, steht dies persönlichen Umgangskontakten entgegen, sofern die Umgangskontakte in diese Zeiträume fallen (Rake, FamRZ, 20, 650). Eine ZV aus Umgangstiteln sei nicht möglich. Die angeordnete Ausgangssperre stelle einen rechtlichen Hinderungsgrund dar, solange sie bestehe (zeitliche Befristung) und/oder nicht gerichtlich aufgehoben werde. Geht man angesichts der Bedeutung des Umgangs von der Notwendigkeit sozialer Kontakte des Kindes zu beiden Elternteilen aus, dürfte hingegen ein triftiger Grund für die Wahrnehmung von Umgangskontakten bestehen. Gerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage liegen ‒ soweit ersichtlich ‒ nicht vor. Da nach gegenwärtigem Stand nicht mit großflächigen Ausgangssperren zu rechnen ist, dürfte die praktische Bedeutung dieser Frage eher gering sein.
cc) Häusliche Quarantäneanordnung
Sofern sich Eltern oder Kind ‒ Gleiches gilt für den Umgang von Großeltern nach § 1685 BGB ‒ in einer auf § 30 Abs. 1 IfSG gestützten und vom Gesundheitsamt angeordneten Quarantäne befinden, ist dies sicher ein Exkulpationsgrund i. S. d. § 89 Abs. 4 FamFG. In Quarantäne kommen alle Menschen, die
- positiv getestet werden/worden sind (nachgewiesene Corona-Erkrankung),
- weiterhin Menschen, die noch auf ihr Testergebnis warten und Kontakt mit einem nachweislich mit dem Coronavirus infizierten Menschen hatten.
Eine Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung ist gem. § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG strafbewehrt. Ein persönlicher Kontakt zwischen Eltern und Kind ist rechtlich nicht möglich. Dies gilt für alle Beteiligten, somit für Obhutselternteil, Umgangselternteil und Kind.
dd) Kind mit Vorerkrankungen
Gehört ein Kind aufgrund von gesundheitlichen Vorerkrankungen zu einer Risikogruppe und besteht deshalb ein erhöhtes Infektionsrisiko, führt dies nicht automatisch zum Ausschluss des Umgangs und stellt per se keinen Entschuldigungsgrund dar. Ein Umgang ist nur unter den Voraussetzungen des § 1684 Abs. 4 BGB auszuschließen. Notwendig sind konkrete Gründe, die das Wohl des individuellen Kindes berühren. Grundlage dafür muss ein objektiver Maßstab sein. Solange das Begehren sich nicht als unverantwortlich darstellt und der Umgangselternteil bereit ist, keine kindeswohlwidrigen Risiken einzugehen, kann der Umgang durchgesetzt werden. Die konkrete Ausgestaltung des Umgangs obliegt allein dem Berechtigten (Mainz-Kwasniok, NZFam 20, 318).
ee) Freiwillige häusliche Quarantäne
Begibt sich ein Obhutselternteil unter Hinweis auf eine Vorerkrankung in eine freiwillige häusliche Quarantäne und lehnt einen Umgang des Kindes unter Hinweis auf die Gefahr einer Ansteckung ab, ist dies allein kein Grund, dass ein Umgang nicht stattfinden kann und stellt deshalb keinen Entschuldigungsgrund i. S. d. § 89 Abs. 4 FamFG dar. Es handelt sich nicht um einen kindbezogenen Umstand. Ein allgemeines persönliches Risiko reicht dafür nicht aus.
2. Verfahrensrechtliche Probleme
Streiten Eltern wegen der Corona-Pandemie darüber, ob ein Umgang dem Wohl des Kindes dient, ist wegen der Bedeutung des Umgangsrechts ‒ Aufrechterhaltung der Bindungen durch persönlichen Kontakt ‒ eine zügige Entscheidung (§ 155 FamFG) herbeizuführen. Problematisch ist es, dass wegen der Zugangsbeschränkungen bei vielen Gerichten die Anhörungen von Kindern (§ 159 FamFG), Eltern (§ 160 FamFG) nicht stattfinden können. Nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 128a ZPO kann, sofern die technischen Voraussetzungen vorliegen, eine persönliche Anhörung auch in Form einer Videokonferenz durchgeführt werden vgl. Vogel, ZKJ 17, 140). Ein Anspruch der Beteiligten darauf besteht nicht. Sie steht im Ermessen des Gerichts und wird durch einen gesonderten, nicht anfechtbaren Beschluss (§ 113 Abs. 1 FamFG, 128a Abs. 3 S. 2 ZPO) angeordnet oder abgelehnt. Ein Antrag eines Beteiligten ist nicht zwingend, die Videokonferenz kann auch von Amts wegen angeordnet werden (Lorenz, MDR 16, 956, 958).
Nach § 49 Abs. 1 FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist und ein dringendes Regelungsbedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. In Umgangssachen besteht regelmäßig ein Bedürfnis für eine zeitnahe Regelung, um eine längere, dem Kindeswohl abträgliche Unterbrechung der persönlichen Beziehung zu dem nicht betreuenden Elternteil zu vermeiden (FamR-Komm/Schwonberg, 6. Aufl., § 49 FamFG Rn. 21). Diese Grundsätze gelten auch in Zeiten der Corona-Pandemie (AG Frankfurt 9.4.20, 456 F 5092/20 ‒ EAUG. Beck RS 2020, 5630).
Besteht eine gerichtliche Umgangsregelung (§ 38 FamFG) oder eine familienrechtlich genehmigte Umgangsvereinbarung (§ 156 Abs. 2 FamFG), kann diese abgeändert werden, wenn triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe vorliegen, § 1696 Abs. 1 BGB. Es bedarf es eines Antrags eines Elternteils, soweit es um die Abänderung eines gerichtlich gebilligten Vergleichs geht (Staudinger/Coester [2019] BGB § 1696 Rn. 136). Eine Abänderung eines Beschlusses (§ 38 FamFG) erfolgt von Amts wegen (OLG Celle ZKJ 11, 433), ein Antrag ist daher nur als Anregung zu verstehen. Eine Abänderung kann auch mittels einer einstweiligen Anordnung erfolgen (BayObLG FamRZ 90, 1379).
Nach der BGH-Rechtsprechung kann das Familiengericht im Umgangsverfahren ein Wechselmodell anordnen, soweit zwischen den Eltern eine tragfähige soziale Beziehung besteht (FamRZ 17, 532; 20, 255). Das AG Frankfurt hat im Hinblick auf die rasche Verbreitung des Coronavirus ein Verfahren, in dem bei bestehendem Umgangsrecht ein paritätisches Wechselmodell erstrebt wird, gem. § 21 Abs. 1 S. 1 FamFG ausgesetzt (8.4.20, 456 F 5080/20 UG ‒ BeckRS 2020, 5400). Die Möglichkeit einer Videokonferenz nach § 128a ZPO hat das Gericht nicht in seine Erwägungen einbezogen.
Angesichts der (noch länger andauernden) Schließung von Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten ergeben sich zunehmend Probleme bei der Betreuung von Kindern, zumal wenn die Großeltern zur Risikogruppe gehören und deshalb als Betreuungsperson ausfallen. Diskutiert (Rake, a.a.O.) wird deshalb, ob dann, wenn die Eltern sich nicht über eine gleichmäßige Betreuung durch beide Elternteile einigen können, im Wege der einstweiligen Anordnung die (geteilte) Betreuung angeordnet oder eine Regelung abgeändert werden kann. Dagegen bestehen ausgehend vom Zweck des Umgangsrechts (BVerfG 15, 1093) m. E. Bedenken, da die Eltern-Kind-Beziehung durch derartige Einschränkungen nicht berührt wird. Selbst wenn man eine Betreuungsnotwendigkeit als Kindeswohlgesichtspunkt berücksichtigen würde (Balloff/Vogel, FF 19, 4, 6), erscheint ein einstweiliges Anordnungsverfahren ohne mündliche Verhandlung angesichts der Komplexität des Wechselmodells nicht geeignet. Zudem würde eine gegen den Willen des Umgangselternteils angeordnete hälftige Betreuung dem Kindeswohl zuwiderlaufen (dazu: BVerfG NJW 08, 1287).
Ist ein Umgangspfleger bestellt, um den Umgang durchzuführen (§ 1684 Abs. 3 S. 3 bis 6 BGB) und gehört er zur Risikogruppe für schwere Covid-19-Erkrankungen oder befindet er sich in Quarantäne und lehnt seine Präsenz bei der Übergabe ab, gilt: Die Umgangsentscheidung ist unverzüglich abzuändern, um den Umgang durchzuführen. Das AG Frankfurt (8.4.20, 456 F 5080/20 UG, BeckRS 2020, 5400) hat eine Umgangsregelung im Wege der einstweiligen Anordnung angepasst. Die Regelung eignet sich auch dazu, persönliche Kontakte in anderen Umgangsverfahren so weit wie möglich zu vermeiden.
3. Fazit
Auch in Zeiten der Corona-Pandemie findet ein Umgang weitgehend statt. Im Interesse des Kindeswohls sollten die Eltern gerichtliche Auseinandersetzungen möglichst vermeiden. Eine Kontaktaufnahme mittels Facetime, Skype, Telefon pp. kann zwar eine persönliche Kontaktaufnahme nicht ersetzen. Sie ist aber hilfreich, um die Bindungen weiter aufrechtzuerhalten.