· Fachbeitrag · Corona und Gewerberaum
Verträge gestalten: Pandemieklausel vereinbaren
von RA Dr. Hans-Reinold Horst, Hannover/Solingen
| „Pandemieklauseln“ beschreiben das Schicksal vertraglicher Leistungspflichten bei Leistungsstörungen oder -hindernissen durch höhere Gewalt. „Corona“ füllt diesen unbestimmten Rechtsbegriff aus. Denkbar ist auch die Pflicht, eigentlich unzumutbare Maßnahmen betrieblich umzusetzen, um die eigene Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten (z. B. Onlinehandel statt Ladengeschäft). Ebenso können sie Sekundäransprüche regeln, z. B. Schadenersatzansprüche, Vertragsstrafen und Rücktrittsszenarien. Im Anschluss an den Beitrag aus MK 21, 70 zeigt dieser Beitrag, was möglich ist. |
1. Typische Formulierungen
Typischerweise anzutreffen ist z. B. die folgende Formulierung (BeckFormB BHW, Formular III. A. 2. Anm. 1 bis 17, Beck-Online): „In Fällen höherer Gewalt ist die hiervon betroffene Vertragspartei für die Dauer und im Umfang der Auswirkung von der Verpflichtung zur Lieferung oder Abnahme befreit“. Bezogen auf das Mietrecht könnte man daraus ableiten: „Im Fall eines staatlich ausgerufenen Pandemiestatus oder in sonstigen Fällen höherer Gewalt ist die davon betroffene Vertragspartei für Dauer und Umfang der Auswirkung von der Pflicht zur Überlassung der Mieträume ohne hoheitliche Einschränkungen zur Verfolgung des Vertragszwecks bzw. zur Zahlung der Miete befreit“.
MERKE | Bei näherer Betrachtung passt dies aber nicht. Denn zweckbezogen zur Verfügung gestellt sind die Mieträume bereits seit Vertragsbeginn. Auf das Pandemiegeschehen sowie hoheitliche Eingriffe zur Infektionsabwehr hat der Vermieter keinen Einfluss. Einzelfallgerechtigkeit ist erst recht nicht zu erreichen, da die Klausel keine differenzierenden Folgen je nach Schwere und Umfang des hoheitlichen Eingriffs in die Leistungsfähigkeit vorsieht. Das gilt vor allem für die Höhe der Mietforderung. Die Formulierung weicht damit zu stark und unangemessen benachteiligend vom gesetzlichen Leitbild des Art. 240 § 7 EGBGB ab, was gerade Klauseln von Großmietern mit Marktmacht entgegenzustellen ist. |
a) Notwendigkeit einer „Pandemieklausel“?
Gerade bei der aktuellen, streitigen Auseinandersetzung um die Miethöhe erscheint eine vertragliche Regelung vordringlich aus Sicht des Mieters wünschenswert, nicht unbedingt aus Sicht des Vermieters.
MERKE | Dem Vermieter hilft zunächst der Grundsatz, dass fällige Mieten auch in Pandemiezeiten weiter zu zahlen sind (Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB). Der Gesetzgeber geht jedoch davon aus, dass das Verwendungsrisiko in Fällen höherer Gewalt weder dem Mieter noch dem Vermieter zugewiesen werden kann, wohingegen die bislang h. M. das Verwendungsrisiko im Hinblick auf die Mieträume dem Mieter zuweist. Auf Basis des neuen Rechts muss eine Klausel deshalb auch Aussagen für die Erfüllung der Hauptpflicht des Vermieters enthalten, die nach bislang h. M. auch im Pandemiefall mit Betriebsverbot erfüllt ist. Denn der Vermieter stellt die Mietsache ja weiter in unverändertem Zustand zur Verfügung. |
Gleichwohl bleibt das Erfassen jedes einzelnen Falls schwierig; allenfalls als Pflicht zur Aufnahme von Verhandlungen und als zeitliche Regelung denkbar, ist eine Klausel mit bestimmtem Ergebnis als Rechtsfolge nicht zu formulieren. Deshalb ist wohl allenfalls eine „Schiedsgutachterklausel“ praxistauglich. Zwingend ist eine solche Klausel aus Sicht des Vermieters nicht, aus Sicht des Mieters allerdings angestrebt. Denn sein zentraler Fokus liegt auf der weiteren Ausgestaltung der Mietforderung unter Pandemiebedingungen.
b) Sinn und Zweck einer „Pandemieklausel“?
Folgende Szenarien, die eine Pandemieklausel aus der Sicht ihres Verwenders abfedernd regeln kann, erscheinen denkbar:
- Die pandemische Entwicklung bessert sich: Dann wird keine zusätzliche Regelung in Gestalt einer Pandemieklausel benötigt. Denn das bisherige vertragliche Regelungsinstrumentarium reicht bei sich bessernden Verhältnissen zum Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien aus.
- Die Infektionsdynamik nimmt zu, es kommt zu weiteren Pandemiewellen: Da ein vernünftiger Unternehmer während eines Lockdowns mit Betriebsverboten eher keinen Geschäftsraummietvertrag schließen wird, ist nur der Fall denkbar, dass dieser Vertrag außerhalb eines Lockdowns abgeschlossen wird. Wegen vergangener Erfahrungen könnte sich dann aus Sicht beider Parteien ein (gegenläufiges) Interesse an einer vertraglichen Regelung von Miethöhe, Mietgegenstand und Vertragsdauer ergeben.
- Der pandemische Status bleibt unverändert: Zusätzlicher Pandemieklauseln mit Blick in die Zukunft bedürfte es auch hier nicht. Besondere Regelungen sind bei Vertragsschluss, ausgerichtet an der Realität des pandemisch bedingt eingeschränkten Wirtschaftslebens, zu kreieren und zu messen.
c) Denkbarer Regelungsgehalt einer „atypischen Pandemieklausel“
Um diesen Szenarien Rechnung zu tragen, bietet sich also keine klassische Pandemieklausel an, die das Schicksal des Vertrags bei höherer Gewalt regelt. Vielmehr bietet sich eine gestaffelte Verhandlungs- und Schiedsklausel an, die den Parteien nach Überschreiten einer definierten Schwelle Verhandlungen über die essencialia negotii aufgibt, einen bestimmten Verhandlungsspielraum nennt und nach Scheitern der Verhandlungen oder ergebnislosem Ablauf des Verhandlungszeitraums dem Votum eines neutralen Schiedsgutachters unterwirft. Dies erscheint im Licht des neuen Rechts allein sinnvoll. Eine solche Klausel bezweckt, den Parteien bei Leistungshindernissen infolge höherer Gewalt und hoheitlichen Eingriffen eine dann eingreifende Verhandlungsobliegenheit vor Augen zu führen, die Verhandlung selbst einschließlich eines zu findenden Ergebnisses einem für beide Seiten interessengerechten Zeitraum zu unterwerfen und bei Ergebnislosigkeit anzuordnen, dass ein Schiedsgutachter verbindlich entscheidet, der von neutraler Stelle benannt wird.
Beachten Sie | Das Bestimmtheitsgebot in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB muss gewahrt bleiben. Daher sollte der Begriff „Pandemie“ in der Klausel näher definiert werden. Abgestellt werden könnte z. B. auf das vom Robert Koch-Institut festgelegte Gefahrenniveau, die Einschätzung der WHO, vor allem aber auf den verkündeten Pandemiestatus durch die Bundesregierung nach dem Infektionsschutzrecht. Dafür könnte sich folgende Formulierung anbieten:
Musterformulierung / Atypische Pandemieklausel |
Im Fall eines staatlich ausgerufenen Pandemiestatus oder in sonstigen Fällen höherer Gewalt verhandeln die Vertragsparteien über eine Anpassung der gegenseitigen Hauptleistungspflichten. Jede Vertragspartei hat gegen die jeweils andere einen Anspruch auf unverzügliche Aufnahme dieser Verhandlung. Beide Parteien können sich innerhalb der Verhandlung durch eine dazu bevollmächtigte Person mit Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vertreten lassen. Alternativ ist auch eine Vertretung durch eine Interessengemeinschaft der Vermieter bzw. der Mieter im Rahmen des satzungsgemäßen Zwecks möglich. Kommt binnen eines Monats seit Aufnahme der Verhandlung keine Einigung zustande, entscheidet ein von der Industrie- und Handelskammer zu benennender neutraler Sachverständiger für beide Parteien verbindlich. |
Beachten Sie | Nicht jeder Vermieter möchte „so einfach mal eben“ die Einbringlichkeit seiner Mietforderung in ursprünglich vertraglicher Höhe aus der Hand geben. Denn zu bedenken ist, dass Höhe und Einbringlichkeit der Miete innerhalb der Immobilienbewirtschaftung die einzige Möglichkeit der Gegenfinanzierung zur immobilienbezogenen Kostenlast darstellt.
Im Licht des Art. 240 § 7 EGBGB nicht gangbar erscheint die Alternative, dass der Vermieter in Ausübung eines billigen Ermessens (§ 315 BGB) einseitig den Umfang der Gegenleistung bei eingreifender höherer Gewalt festlegt. Denn dies rückt in Abkehr von dem gesetzlich vorgegebenen Verhandlungsmodell zu weit vom Leitbild des Gesetzes ab.
d) Schriftform und AGB rechtlicher Einbezug
Sowohl bei Neuverträgen als auch bei Altverträgen ist eine losgelöste Ergänzungsvereinbarung sinnvoll. Auf ihren wirksamen Einbezug in das Vertragskonvolut (Schriftform!) ist besonders zu achten. Im Fall einer Ergänzungsvereinbarung ist auch deshalb besonderes Augenmerk auf Einhaltung der Schriftform zu legen, um ein ungewolltes Kündigungsszenario (§ 550 S. 2, § 578 Abs. 1 und 2 BGB) möglichst auszuschließen.
PRAXISTIPP | Nur für Neuverträge bietet sich eine Integration in das Vertragsformular an. Unter AGB-rechtlichen Transparenzgrundsätzen (§ 305c, § 307 Abs. 1 S. 3 BGB ist dann der Klauselstandort innerhalb der Regelung von Gewährleistungsrechten und -pflichten einschließlich daraus folgender Ansprüche zu wählen. Eine Regelung im unmittelbaren Sachzusammenhang dient gleichzeitig dazu, Überraschungseffekte zu vermeiden (§ 305c BGB). |
2. Ausblick
Großmieter, die ihre Mietvertragsformulare und Inhalte typischerweise fest vorgeben (diktieren), werden Pandemieklauseln in Form einer klassischen „Force-Majeure-Klausel“ oder einer Schiedsgutachterklausel in ihre Verträge aufnehmen und rein über ihre Marktmacht den Vermieter diesem Verdikt unterwerfen (dazu bereits Rochner in: Legal Tribune Online, www.iww.de/s4526). Lässt sich der Vermieter darauf ein, sollte er darauf achten, dass die Klausel nur einen überschaubaren Zeitraum regelt und einen Vorbehalt für Anschlussvereinbarungen enthält, z. B. für den Fall eines erneuten Lockdowns.