· Fachbeitrag · Datenschutz
Videoüberwachung in der Apotheke: Antworten auf zentrale Fragen
von Dr. Guido Mareck, Stellvertretender Direktor Arbeitsgericht Dortmund
| Es kann für eine Apotheke viele Gründe geben, eine Videoüberwachung zu installieren, z. B. Einbruch, Beschädigung, Graffiti-Vandalismus, die Überwachung der Offizin oder die Sicherheit der Apotheke in Gegenden mit hoher Kriminalitätsdichte. Doch die Aufsichtsbehörden sehen den Einsatz kritisch. Ob eine Videoüberwachung zulässig ist, muss stets für jede Kamera gesondert überprüft werden. Hierbei gilt: Es kommt auf den Einzelfall an. Dennoch besteht unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit, eine Videoüberwachung zu betreiben. |
Videoüberwachung hat viele Gesichter
Webcams, Dashcams, fest installierte Geräte: Unter Videoüberwachung können viele Formen subsumiert werden. Und es kommen ständig neue hinzu. Damit stellt die Videoüberwachung einen starken Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar (siehe auch Bundesarbeitsgericht [BAG], Beschluss vom 29.06.2004, Az. 1 ABR 21/03, Abruf-Nr. 042033).
Welche Normen sind heranzuziehen?
In der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) gibt es keine Regelung, die sich wörtlich auf Videoüberwachung bezieht. Die grundlegenden gesetzlichen Regelungen bei einer Videoüberwachung im öffentlichen Raum und bei den Beschäftigten sind:
- Öffentlicher Raum: Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO und § 4 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Es kommen noch weitere „flankierende“ Bestimmungen hinzu, wie z. B. die Informationspflichten nach Art. 13 ff. DS-GVO. Doch Vorsicht: In Bereichen, in denen vertrauliche Gespräche geführt oder Handlungen vorgenommen werden, die bestimmungsgemäß der Schweigepflicht nach § 203 Strafgesetzbuch (StGB) unterliegen (und darunter fallen auch Apotheker und deren Gehilfen), ist eine Videoüberwachung stets problematisch.
- Im Beschäftigungsverhältnis: Art. 88 DS-GVO i. V. mit § 26 BDSG. Nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG dürfen Beschäftigtendaten nur verarbeitet werden, wenn dies für die Durchführung oder Beendigung der Beschäftigung erforderlich ist. Keine Anwendung finden die Regelungen bei privaten Räumen und rein persönlichen oder familiären Tätigkeiten.
Videoüberwachung im öffentlichen Kundenbereich erlaubt?
Ja, die Videoüberwachung im öffentlichen Kundenbereich einer Apotheke ist erlaubt, sagt zumindest das Oberverwaltungsgericht (OVG) Saarlouis (Urteil vom 12.12.2017, Az. 2 A 662/17), wenn sachliche Gründe eine solche Überwachung rechtfertigen.
Hintergrund | Die Apotheke umfasst neben dem Verkaufsraum diverse Räumlichkeiten, die Kunden nicht offenstehen. Dazu zählen insbesondere das Lager mit Betäubungsmittelschränken, eine Schleuse für Medikamentenlieferungen sowie Personal- und Büroräume. Der Eigentümer und Betreiber der Apotheke installierte im Kundenbereich drei und im nicht öffentlichen Bereich mindestens zwei weitere Videokameras. Hintergrund waren diverse Warenverluste in der Vergangenheit, u. a. in Höhe von 40.000 Euro im Jahr 2011. Wegen der Entwendung der Waren verdächtigte er entweder Kunden oder Mitarbeiter. Die Beschäftigten wussten von der Überwachung und „willigten ein“. Die saarländische Datenschutzaufsichtsbehörde hielt die Videoüberwachung für datenschutzwidrig und ordnete die Unterlassung an. Hiergegen erhob der Apotheker Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) Saarlouis. Die Richter gaben ihm nur hinsichtlich der Videoüberwachung des Medikamentenschranks Recht (Urteil vom 29.01.2016, Az. 1 K 1122/14). Diese sei in den nicht öffentlichen Räumlichkeiten der Apotheke angesichts der Einwilligung durch die Mitarbeiter zulässig gewesen (§ 4a BDSG a.F.).
Nachdem der Apotheker hiergegen Berufung einlegte, gab das OVG Saarlouis ihm auch im Hinblick auf die Videoüberwachung in dem öffentlichen Verkaufsraum Recht:
- Die Videoüberwachung des Verkaufsraums einer Apotheke sei in diesem Fall zur Wahrnehmung des Hausrechts (§ 6b Abs. 1 Nr. 2 BDSG a.F.) und wegen berechtigter Interessen des Apothekenbetreibers erforderlich gewesen (§ 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG a.F.).
- Es könne von einer konkreten Gefährdungslage ausgegangen werden, die die Videoüberwachung auch in dem öffentlichen Verkaufsraum rechtfertige.
- Zwar seien keine konkreten Diebstähle verfolgt worden, der erhebliche Warenschwund und die schlechte Ertragslage seien jedoch durch die Buchhaltung belegt.
- Der Apothekenbetreiber habe von Warendiebstählen ausgehen können.
- Mildere, gleich wirksame Mittel zur Vermeidung von Warendiebstählen seien nicht erkennbar.
- Der Einsatz von Wachpersonal stelle angesichts der wirtschaftlichen Kosten keine zumutbare Alternative dar.
MERKE | Zwar bezieht sich das Urteil noch auf die Situation vor der DS-GVO. Es ist jedoch, was die Abwägung der Interessen bei der Videoüberwachung angeht, ohne Weiteres auf die aktuelle Rechtslage übertragbar. |
Wie kann eine Videoüberwachungsanlage betrieben werden?
Eine allgemeine Antwort hierauf gibt es nicht. Kunden, die durch Vorlage von Rezepten sensible Daten preisgeben, dürfen nicht in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt werden. Die Aufsichtsbehörden lassen sich sehr genau beschreiben, warum eine Videoüberwachung erforderlich ist, welchen Zweck sie hat, wie sie funktioniert, was im Einzelnen aufgenommen wird etc.
Zweck der Videoüberwachung
Zunächst muss ein berechtigtes Interesse vorliegen. Dies kann z. B. sein:
- Schutz des Eigentums vor Diebstahl oder Sachbeschädigung
- Wahrnehmung des Hausrechts
- Erleichterung der Strafverfolgung und Beweissicherungszwecke
Wichtig | Das berechtigte Interesse muss anhand konkreter Tatsachen begründet werden. Nicht ausreichend für die Aufsichtsbehörden ist es, wenn man damit argumentiert, dass „ja mal etwas passieren könnte“. Vielmehr müssen sich bereits Vorfälle ereignet haben oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu befürchten sein.
Erforderlichkeit der Videoüberwachung
Ob tatsächlich eine Videoüberwachung erforderlich ist, richtet sich nach dem Einzelfall. Dabei stellt sich stets die Frage, ob keine alternativen ‒ milderen ‒ Maßnahmen existieren, die geeignet sind, um das Ziel zu erreichen. Als Alternativen kommen z. B. in Betracht: andere Zugangskontrollsysteme, Einsatz von Oberflächenbeschichtung gegen Graffiti (so auch Düsseldorfer Kreis 19.02.2014, Orientierungshilfe „Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen“, S. 8).
Überwiegende Interessen
Es muss abgewogen werden zwischen den schutzwürdigen Interessen der Betroffenen und den berechtigten Interessen des Verantwortlichen. Hierzu gehören auch folgende Kriterien:
- Räumlicher Umfang: In Intimzonen (z. B. Toiletten) ist eine Videoüberwachung unzulässig. In Aufenthaltsräumen der Mitarbeiter wird durch eine Videoüberwachung stark in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Nicht zum öffentlich zugänglichen Bereich gehören Treppenhäuser oder private Wohnungen bzw. Grundstücke. Hier ist der räumliche Bezug zum oben genannten Individualbereich besonders eng. Deswegen kann der Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen sehr intensiv sein. Sobald Kinder betroffen sind, wiegen die schutzwürdigen Interessen besonders schwer. Gerade durch das europäische Datenschutzrecht werden Kinder in besonderem Maße geschützt.
- Zeitlicher Umfang: Für die Betroffenen ist es wichtig zu wissen, wie überwacht wird. Das bedeutet insbesondere, ob die Videokameras ununterbrochen aufnehmen oder sich nur zu bestimmten Zeiten einschalten bzw. nur anlassbezogen (am Wochenende, an Feiertagen).
- Arten von Kameras: Auch hier gibt es unterschiedliche Formen ‒ z. B. fest installierte Kameras mit Zoom- und Schwenkfunktion, verschiedenen Auflösungen oder variablen Bildausschnitten.
PRAXISTIPP | Bei den heutigen modernen Geräten ist es nicht mehr akzeptabel, eine Videokamera anzuschaffen, die nicht verpixeln kann oder nicht schwenkbar ist. Lassen Sie sich hier auf keine Diskussion mit dem Techniker ein.
- Speicherung: Handelt es sich bei dem Gerät nur um ein bloßes Monitoring (also keine Aufzeichnung) oder um eine „datenschutzunfreundlichere“ Speicherung? Werden die Aufzeichnungen an einen Monitor übermittelt oder in eine Blackbox?
- Wichtig | Nur weil die Blackbox vielleicht datenschutzfreundlicher sein könnte, ist das kein Freibrief, denn der Betroffene erkennt den Unterschied meist gar nicht.
- Verwertung und Zugriff auf die Videoaufzeichnungen: Wird aufgezeichnet, stellt sich auch stets die Frage, wer auf die Aufzeichnungen zugreifen kann. In der Apotheke sollte daher klar geregelt sein, welche Personen sich die Aufzeichnungen überhaupt ansehen dürfen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Löschungen der Aufzeichnungen.
Wie muss über die Videoüberwachung informiert werden?
Die einfachen Hinweisschilder von früher „Dieser Bereich wird videoüberwacht“ reichen nicht mehr aus. Vielmehr sind jetzt aussagekräftige Hinweisschilder in Augenhöhe zu installieren. Nach Aussage des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) in dessen Broschüre zur Videoüberwachung können sie aus einem Text und einem Piktogramm bestehen und dürfen nicht zu klein sein. Zudem müssen sie jeder betroffenen Person „ins Auge fallen“. Auf dem Hinweisschild müssen weitere Informationen angegeben werden:
- Name und Kontaktdaten des Verantwortlichen
- Kontaktdaten der oder des Datenschutzbeauftragten (wenn vorhanden)
- Verarbeitungszweck
- Rechtsgrundlage, ggf. berechtigtes Interesse
- Speicherdauer
Zu beachten sind auch die weiteren Informations- und Transparenzanforderungen. Sinnvoll kann die Systematik der stufenweisen Informationen sein, die das ULD empfiehlt. Auch auf EU-Ebene wird eine mehrstufige Informationserteilung befürwortet. Danach sollten die oben genannten Aspekte möglichst bereits als vorgelagertes Hinweisschild zugänglich gemacht werden. Auf diesem muss darüber hinaus eine Information enthalten sein, wo und wie man sich weitergehend informieren kann. Es kann beispielsweise auf ein in der Offizin bereitliegendes Informationsblatt oder durch einen Link bzw. QR-Code auf eine Website verwiesen werden. Dort müssen dann die Informations- und Transparenzanforderungen (Art. 13 Abs. 2 DS-GVO) vollständig enthalten sein. Dies sind u. a. Betroffenenrechte wie Auskunfts-, Widerspruchs-, Beschwerde- und Löschungsrechte dieses Personenkreises.
PRAXISTIPP | Ein Muster zur „stufenweise Information“ ist in der Broschüre zum Thema Videoüberwachung enthalten, die hier abrufbar ist: iww.de/s3392. Die im Muster zum Hinweisschild verwendete Grundfarbe blau ist nicht zwingend. Sie können auch eine andere Farbe wählen oder andere erweiternde Symbole nutzen. Wichtig ist nur, dass die verpflichtenden Angaben zwingend enthalten sind. |
Wer ist verantwortlich?
Verantwortlich für das Videoüberwachungssystem ist stets der Apothekeninhaber.
MERKE | Bei der Videoüberwachung dürfen keine Programme zur biometrischen Auswertung der Daten (z. B. Gesichtserkennung) eingesetzt werden. Dies ist nur in wenigen Ausnahmen und unter engen Voraussetzungen zulässig. Sollte eine solche Funktion serienmäßig verbaut sein, müssen Sie diese deaktivieren lassen. Auch darf man z. B. ein Rezept nicht lesen können! |
Wie lange dürfen die Aufzeichnungen gespeichert werden?
Das ULD betont in seiner Broschüre, dass die Aufbewahrung von gespeicherten Videoaufnahmen auf wenige Kalendertage beschränkt ist. Die Aufsichtsbehörde Mecklenburg-Vorpommern gibt dazu in ihrem Tätigkeitsbericht 2018, S. 38, an: „Bei Aufzeichnungen zu Beweiszwecken ist das in der Regel nach 48 Stunden der Fall (in begründeten Einzelfällen, z. B. an Wochenenden, nach 72 Stunden).“ Zwar ist in Ausnahmefällen auch eine längere Speicherdauer zulässig. Diese muss aber gesondert begründet werden.
Was gilt bei Attrappen? Sollten hier auch Hinweise erfolgen?
Es ist herrschende Meinung, dass Attrappen nicht unter das Datenschutzrecht fallen und damit nicht der Kontrolle der Aufsichtsbehörden unterliegen. Diesen fehlt die Eignung zur (automatischen) Verarbeitung von personenbezogenen Daten (statt aller: Gola/Heckmann/Starnecker, BDSG, 13. Aufl. 2019, § 4 Rn. 22). Jedoch erwecken Attrappen den Eindruck einer Überwachung ‒ das ist ja auch so gewollt. Lassen Sie die Hinweise weg, erkennt der Experte (und irgendwann weiß es auch der Laie), dass es sich wohl um eine Attrappe handelt (ansonsten wäre ja ein Hinweis angebracht worden). Also sollte schon aus diesem Grund ein Hinweisschild angebracht werden.
Gilt das eben Gesagte auch für Kamera-Monitor-Systeme?
Bereits bei der alten Fassung des § 6b Abs. 1 BDSG war umstritten, ob das reine Kamera-Monitor-Prinzip vom Begriff der „Beobachtung“ erfasst wird. Dieser Begriff findet sich auch in § 4 BDSG wieder. Aber: § 4 BDSG findet ja keine Anwendung auf die Videoüberwachung durch nicht öffentliche Stellen. Auf der anderen Seite erfordert bereits die bloße Beobachtung die Erhebung personenbezogener Daten (siehe auch hier Gola/Heckmann/Starnecker, a. a. O., § 4 Rn. 29, 30). Daher spricht viel dafür, die dargestellten Grundsätze entsprechend auch auf Kamera-Monitor-Systeme anzuwenden.