· Fachbeitrag · Datenschutz
Zeiterfassung mittels Finger = nur mit Einwilligung
| Die Arbeitszeiterfassung durch ein Zeiterfassungssystem mittels Fingerprint ist nicht erforderlich im Sinne von § 26 Abs. 1 BDSG und damit ohne Einwilligung der betroffenen Person unzulässig. |
Sachverhalt
Im Wesentlichen ging es im Verfahren noch um das Entfernen von Abmahnungen aus der Personalakte. Der ArbG führte das Zeiterfassungssystem Modul ZEUS ein, der ArbN weigerte sich, dieses System zu nutzen. Hierfür erhielt er vom ArbG zwei Abmahnungen.
Entscheidungsgründe
Das Arbeitsgericht Berlin (16.10.19, 29 Ca 5451/19, Abruf-Nr. 213545) verurteilte den ArbG, die Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen.
Hierbei stellte sich für das Gericht die Frage, ob die Verarbeitung der biometrischen Daten im Rahmen der Zwecke der Beschäftigungsverhältnisse im Sinne des § 26 Abs. 1 BDSG erforderlich ist, damit der ArbG den ihm „aus dem Arbeitsrecht, dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes“ erwachsenden Rechte und Pflichten nachkommen kann. Es dürfe kein Grund zu der Annahme bestehen, dass das schutzwürdige Interesse des ArbN an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt. Biometrische Merkmale eines ArbN dürfe der ArbG nach § 26 Abs. 3 BDSG somit nur verarbeiten, wenn dies für die Begründung, Durchführung oder Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sei.
Die Erhebung und Verwendung von biometrischen Merkmalen müsse im Rahmen der dreistufigen Prüfung folgende Voraussetzungen erfüllen:
- 1. Das biometrische Verfahren muss für die Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses geeignet sein, das heißt, der jeweils auf das Beschäftigungsverhältnis bezogene Zweck muss tatsächlich gefördert werden können.
- 2. Es darf kein anderes, gleich wirksames, das Persönlichkeitsrecht weniger beeinträchtigendes Mittel existieren.
- 3. Als Ergebnis einer umfassenden Abwägung der schutzwürdigen Interessen und Grundrechte des ArbN und des ArbG muss die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Beschäftigten durch das biometrische Verfahren in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Zweck der Datenverwendung stehen.
Je intensiver in das Persönlichkeitsrecht eingegriffen werden solle, desto schwerer müsse der vom ArbG mit dem Verfahren verfolgte konkrete Zweck wiegen. So werde das Interesse des ArbG an einer biometrischen Zugangskontrolle zu Bereichen mit sensiblen Geschäfts-, Produktions- und Entwicklungsgeheimnissen eher überwiegen als bei einer angestrebten Zugangssicherung zu normalen Bürobereichen. So können biometrische Daten zwar zur Kontrolle beim Eintritt in Sicherheitsbereiche, nicht jedoch im Rahmen der Arbeitszeiterfassung verwendet werden.
Wenn auch vereinzelt Missbrauch von Zeiterfassungssystemen durch Falscheintragungen oder im Falle einer Stempelkarte durch „mitstempeln“ durch Kollegen auftreten würde, sei in der Regel davon auszugehen, dass sich die weit überwiegende Mehrheit der ArbN rechtstreu verhalte. Damit sei für eine solche Art von Kontrollen keinerlei Anlass gegeben, es sei denn, dass konkrete Umstände im Einzelfall (Nachweise über Missbräuche in nicht unerheblichem Umfang) die Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme begründen könnten.
Derartiges habe der ArbG nicht vorgetragen. Er habe weder vorgetragen, dass durch das bisherige „händische“ System der Zeiterfassung erheblicher Missbrauch betrieben worden sei, noch habe er darlegen können, dass im Fall der Einführung eines anderen Zeiterfassungssystems (ohne die Speicherung biometrischer Daten) Missbrauch in erheblichem Umfang oder auch nur in nennenswertem Umfang zu befürchten sei. Es sei auch nicht dargetan, dass etwa der ArbN in der Vergangenheit durch Falschangaben betreffend seine Arbeitszeit negativ aufgefallen sei. Damit stehe fest, dass die Interessen des ArbG nicht über dem schutzwürdigen Interesse des ArbN liegen.
Relevanz für die Praxis
Was gestern noch die Stechuhr war, ist heute die digitale Zeiterfassung ‒ gern über Smartphone oder Tablet, jetzt neu mittels Fingerprint. Diese Form der Arbeitszeiterfassung soll unter anderem verhindern, dass Mitarbeiter für Kollegen „mitstempeln“ und hierdurch Arbeitszeitbetrug begehen.
Was genau geschieht bei der Zeiterfassung mittels Fingerprint? Der ArbN meldet sich durch Abgleich seines Fingerabdrucks mit den im Zeiterfassungsterminal gespeicherten Daten im Zeiterfassungsprogramm an und ab. Aus dem Fingerabdruck des ArbN werden zunächst sogenannte Minutien (individuelle, nicht vererbbare Fingerlinienverzweigungen) mittels eines speziellen Algorithmus extrahiert. Der Minutiendatensatz wird dann im Zeiterfassungsterminal gespeichert und zum Abgleich des Fingerabdrucks des ArbN bei der An- und Abmeldung verwendet. Nicht gespeichert wird der Fingerabdruck des ArbN. Aus dem gespeicherten Minutiendatensatz kann der Fingerabdruck des ArbN auch nicht wieder generiert werden.
Datenschutzrechtlich handelt es sich bei dem Minutiendatensatz um biometrische Daten nach Art. 9 Abs. 1 DS-GVO und besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von § 26 Abs. 3 BDSG. Eine Verarbeitung dieser Daten kann die Privatsphäre des ArbN und damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in besonderem Maße verletzen. Es ist daher nach Art. 9 Abs. 1 DS-GVO grundsätzlich verboten, Minutiendatensätze zu verarbeiten.
Art. 9 Abs. 2 DS-GVO enthält aber mehrere Erlaubnistatbestände, bei deren Vorliegen eine Verarbeitung ausnahmsweise zulässig ist. Arbeitsrechtlich relevant sind insbesondere die Erlaubnistatbestände „Erforderlichkeit“, „Freiwillige Einwilligung“ und „Kollektivvereinbarung“. Da im vorliegenden Fall eine Einwilligung des ArbN und eine Kollektivvereinbarung fehlten, prüften die Richter vorrangig die „Erforderlichkeit“.