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· Fachbeitrag · Einkommensteuer

Ermäßigte Besteuerung von Abfindungen: Das sollten Sie wissen!

von StB Dipl.-Finw. (FH) Sonja Steben, Dortmund

| Wird ein Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet, erhält der ausscheidende Arbeitnehmer oft eine Abfindung. Eine ermäßigte Besteuerung gewährt der Fiskus jedoch nur, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. Der Beitrag zeigt unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung, was hier zu beachten ist. |

1. Voraussetzungen für eine ermäßigte Besteuerung

Scheidet ein Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitgebers vorzeitig aus dem Dienstverhältnis aus und erhält er eine Abfindung, kann es sich hierbei um „normal“ zu besteuernden Arbeitslohn i. S. des § 19 EStG oder um steuerbegünstigte Entschädigungen nach § 24 Nr. 1 EStG handeln. Letztere unterliegen als außerordentliche Einkünfte einem ermäßigten Steuersatz (Fünftelregelung), wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

 

  • Entschädigung für entgangene/entgehende Einnahmen bzw. für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit (§ 24 Nr. 1a, b EStG) und

 

  • Zusammenballung von Einkünften in einem VZ (§ 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG).

 

1.1 Entschädigungszahlung

Eine Entschädigungszahlung gilt den Verlust von Einnahmen ab, mit denen der Arbeitnehmer rechnen konnte. Die bisherige Grundlage für den Erfüllungsanspruch ‒ regelmäßig der Arbeitsvertrag ‒ fällt weg und ein neuer Ersatzanspruch tritt an seine Stelle (z. B. die Abfindungsvereinbarung).

 

Beachten Sie | Die Zahlung bereits erdienter Ansprüche (z. B. noch rückständiger laufender Arbeitslohn, Urlaubsanspruch oder Bonuszahlungen) ist keine Entschädigung i. S. des § 24 EStG (BMF 1.11.13, IV C 4 - S 2290/13/10002, Rz. 3). Das gilt auch für freiwillige Leistungen, wenn sie in gleicher Weise den verbleibenden Arbeitnehmern tatsächlich zugewendet werden.

 

PRAXISHINWEIS | Erhält der Arbeitnehmer eine lebenslängliche Betriebsrente neben der Entlassungsentschädigung, die in einem Einmalbetrag gezahlt wird, schließt dies die ermäßigte Besteuerung der Entschädigungszahlung nicht aus (BMF 1.11.13, Rz. 4 bis 7).

 

1.2 Zusammenballung von Einkünften

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind außerordentliche Einkünfte i. S. des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG nur gegeben, wenn die begünstigten Einkünfte in einem VZ zu erfassen sind. Zudem muss es durch die Zusammenballung von Einkünften zu einer Ausnahmesituation in der Progressionsbelastung kommen (vgl. u. a. BFH 3.7.02, XI R 80/00; BFH 26.1.11, IX R 20/10). Vergleichsmaßstab ist, was der Steuerpflichtige bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ohne Auszahlung der Entschädigung erhalten hätte. Dabei wird grundsätzlich auf das Vorjahr abgestellt (BMF 1.11.13, Rz. 11).

 

Bei einer Entschädigungszahlung, die sich auf zwei oder mehrere VZ verteilt, ist eine Zusammenballung grundsätzlich nicht gegeben. Folgende Ausnahmen hiervon sind jedoch zulässig:

 

Die Tarifermäßigung wird auch dann gewährt, wenn die steuerpflichtige Abfindung zwar in zwei VZ ausgezahlt wird,

  • die ganz überwiegende Entschädigung (≥ 90 %) aber in einem Betrag zufließt oder
  • die Nebenleistung unter Berücksichtigung der konkreten individuellen Steuerbelastung niedriger ist als die tarifliche Steuerbegünstigung der Hauptleistung (BMF 4.3.16, IV C 4 - S 2290/07/10007: 031; BFH 13.10.15, IX R 46/14).

 

Eine Steuerbegünstigung kann auch vorliegen, wenn die Vereinbarungen eindeutig auf eine Einmalzahlung ausgerichtet sind, de facto aber eine ‒ zunächst nicht beabsichtigte ‒ Zahlung in Teilbeträgen in mehreren VZ erfolgt (z. B. versehentlich zu niedrige Zahlung wegen eines Rechenfehlers; Nachzahlung nach einem Rechtsstreit). Stimmt das FA einem Änderungsantrag des Steuerpflichtigen zu (§ 163 AO), ist der Steuerbescheid nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO zu ändern, wobei die begünstigte Besteuerung auf die gesamte Entschädigungsleistung (inklusive des Korrekturbetrags) anzuwenden ist (BMF 1.11.13, Rz. 16).

 

Auch bei der Zahlung von Entschädigungszusatzleistungen aus Gründen der sozialen Fürsorge ist eine Besonderheit zu beachten. Hierbei handelt es sich um Leistungen, die der Arbeitgeber dem entlassenen Arbeitnehmer zur Erleichterung des Arbeitsplatz- oder Berufswechsels oder als Anpassung an die Arbeitslosigkeit für eine gewisse Übergangszeit erbringt (z. B. befristete Zahlung von Zuschüssen zum Arbeitslosengeld, befristete Überlassung des Firmenwagens, Kostenübernahme für eine Outplacement-Beratung). Die Zusatzleistung, die außerhalb des zusammengeballten Zuflusses in einem späteren VZ erfolgt, ist zwar selbst nicht tarifermäßigt zu besteuern, sie ist jedoch unschädlich für die Beurteilung der Hauptleistung als zusammengeballte Entschädigung. Dies gilt aber nur, wenn sie insgesamt weniger als 50 % der Hauptleistung beträgt (BMF 1.11.13, Rz. 14).

 

Die folgenden Beispiele verdeutlichen, wie zu prüfen ist, ob eine Zusammenballung von Einkünften vorliegt:

 

  • Beispiel 1

Wegen eines größeren Stellenabbaus wird dem Arbeitnehmer A zum 31.3.17 betriebsbedingt gekündigt. Er bezieht in 2017 laufendes Gehalt (15 TEUR), eine Entlassungsentschädigung (40 TEUR) und Arbeitslosengeld (18 TEUR).

 

Die Abfindung des A wird als Ersatz für entgehende Einnahmen (Arbeitslohn ab 4/17) gezahlt, sodass eine Entlassungsentschädigung i. S. des § 24 Nr. 1a EStG vorliegt. Die Zusammenballung der Einkünfte ist wie folgt zu prüfen:

EUR

EUR

Vergleichsjahr 2016

Einkünfte § 19 EStG:

5.000 EUR x 12 Monate abzüglich 1.000 EUR (AN-Pauschbetrag)

 

59.000

Zuflussjahr 2017

Einkünfte bisheriges Arbeitsverhältnis:

5.000 EUR x 3 Monate abzüglich 1.000 EUR (AN-Pauschbetrag)

 

14.000

Entschädigung

40.000

Arbeitslosengeld

18.000

72.000

 

 

Die Entschädigung i. H. von 40 TEUR übersteigt nicht die entgehenden Einnahmen i. H. von 45 TEUR (60 TEUR abzgl. 15 TEUR). Dennoch liegt eine Zusammenballung vor. Denn A hätte bei ungehinderter Fortsetzung seines Dienstverhältnisses Einkünfte i. H. von 59 TEUR erzielt. In 2017 betragen die Einkünfte, die in Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis (Arbeitslohn und Entschädigung) und dessen Auflösung (Arbeitslosengeld) stehen, jedoch 72.000 EUR.

 
  • Beispiel 2

Wie Beispiel 1, aber A bezieht Arbeitslosengeld i. H. von 6 TEUR und macht sich ab Juni 2017 selbstständig (negative Einkünfte 2017 = 10 TEUR).

EUR

EUR

Vergleichsjahr 2016

Einkünfte § 19 EStG:

5.000 EUR x 12 Monate abzüglich 1.000 EUR (AN-Pauschbetrag)

 

59.000

Zuflussjahr 2017

Einkünfte bisheriges Arbeitsverhältnis:

5.000 EUR x 3 Monate abzüglich 1.000 EUR (AN-Pauschbetrag)

 

14.000

Entschädigung

40.000

Arbeitslosengeld

6.000

60.000

Einkünfte §§ 15, 18 EStG

- 10.000

50.000

 

 

Wie in dem Beispiel 1 übersteigt die Entschädigung (40 TEUR) nicht den Betrag der entgehenden Einnahmen (45 TEUR). Nach dem Vergleich der Einkünfte aus dem früheren Dienstverhältnis des Jahres 2016 (59 TEUR) mit den Einkünften des Jahres 2017, die in Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis (Arbeitslohn und Entschädigung) und dessen Auflösung (Arbeitslosengeld) stehen (60.000 EUR), liegt jedoch eine Zusammenballung von Einkünften vor.

 

Beachten Sie | Negative Einkünfte aus einer neu aufgenommenen Tätigkeit i. S. der §§ 13, 15, 18 sowie § 19 EStG (ohne Versorgungsbezüge) sind nie zu berücksichtigen (BMF 1.11.13, Rz. 11, Beispiel 4).

 

2. Einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses

Nach Ansicht der Finanzverwaltung setzt die tarifbegünstigte Besteuerung der Abfindungszahlung als Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1a EStG voraus, dass die Beendigung oder Änderung des Vertrags vom Arbeitgeber ausgeht oder dass der Arbeitnehmer beim Abschluss einer Aufhebungs- oder Änderungsvereinbarung unter einem nicht unerheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gehandelt hat (BMF 1.11.13, Rz. 1; BFH 29.2.12, IX R 28/11). Der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (BFH 12.12.01, XI R 38/00).

 

Aktuell hat das FG Münster (17.3.17, 1 K 3037/14 E, Abruf-Nr. 194504) jedoch entschieden, dass eine Abfindung auch dann ermäßigt zu besteuern sein kann, wenn der Arbeitnehmer zur Beendigung eines auch vom Arbeitgeber verursachten Konflikts auf diesen zugeht und den Abschluss eines Auflösungsvertrags mit Abfindungsregelung fordert.

 

In dem konkreten Fall war der Steuerpflichtige als Verwaltungsangestellter bei einer Stadt beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch einen Auflösungsvertrag im gegenseitigen Einvernehmen vorzeitig beendet. In diesem Vertrag war auch die Zahlung einer Abfindung geregelt. Das FA versagte die ermäßigte Besteuerung der Abfindung, weil nicht erkennbar sei, dass der Steuerpflichtige bei Vertragsabschluss unter einem erheblichen wirtschaftlichen, rechtlichen oder tatsächlichen Druck gestanden habe.

 

Demgegenüber gab der Steuerpflichtige an, dass eine Konfliktlage bestand, weil er sich seit mehreren Jahren um eine Höhergruppierung bemüht und auch mit Klage gedroht habe. Er habe ein Interesse daran gehabt, nicht noch ein weiteres Jahr bis zum regulären Renteneintritt unter dieser Drucksituation arbeiten zu müssen. Die Arbeitgeberin habe im Rahmen eines für sie geltenden Haushaltssicherungskonzepts zahlreiche Maßnahmen zur Sanierung des Haushalts beschlossen, wozu auch Vereinbarungen über den vorzeitigen Ruhestandsantritt von Stelleninhabern rentennaher Jahrgänge gehört hätten.

 

PRAXISHINWEIS | Das FG Münster gab der Klage des Steuerpflichtigen statt. Nach Meinung des FG reicht es für die von der BFH-Rechtsprechung geforderte Konfliktlage bereits aus, dass zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine gegensätzliche Interessenlage bestand, die die Parteien im Konsens lösen. Auf das Gewicht und den Zeitpunkt der jeweiligen Verursachungsbeiträge kommt es nicht entscheidend an, solange beide Vertragsparteien zu der Entstehung des Konflikts beigetragen hätten.

 

Da bislang nicht abschließend geklärt ist, welche Anforderungen an eine solche Konfliktlage, die als „besonderes Ereignis“ i. S. des § 24 Nr. 1a EStG gilt, zu stellen sind, hat das FG die Revision zugelassen, die unter dem Az. IX R 16/17 anhängig ist. Bis zur höchstrichterlichen Klärung sollten vergleichbare Fälle offengehalten werden.

 
Quelle: Seite 177 | ID 44801280