· Fachbeitrag · Einkommensteuer
Übertragung des Betreuungsfreibetrags: Ermittlung des Betreuungsanteils von 10 %
von Dipl.-Bw. (FH) StB Christian Westhoff, Datteln
| Jeder Elternteil hat grundsätzlich Anspruch auf den Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes (BEA-Freibetrag) i. H. von 1.320 EUR. Sind die Voraussetzungen für die Zusammenveranlagung aber nicht erfüllt, kann der Elternteil, bei dem das minderjährige Kind gemeldet ist, beantragen, dass ihm der BEA-Freibetrag des anderen Elternteils übertragen wird (§ 32 Abs. 6 S. 8 EStG). Zu den Voraussetzungen hat sich nun das FG Niedersachsen (19.2.20, 9 K 20/19, Abruf-Nr. 215607 ) geäußert. |
1. Sachverhalt
Der Kindesvater hatte mit seiner geschiedenen Ehefrau (Kindesmutter) vereinbart, dass er seinen Sohn in einem wöchentlichen Rhythmus jedes zweite Wochenende samstags um 10.00 Uhr abholt und sonntags um 16.00 Uhr zurückbringt. Die einfache Entfernung zwischen den Wohnorten betrug 163 km.
Ein BEA-Freibetrag für seinen Sohn wurde in den Steuerbescheiden für 2016 und 2017 nicht berücksichtigt, weil die Mutter beantragt hatte, diesen auf sie zu übertragen. Das FA war der Meinung, der vom Vater geltend gemachte Betreuungsumfang (2016: 45 Tage; 2017: 55 Tage) sei nicht ausreichend. Das FG war da anderer Meinung.
2. Entscheidung
Nach § 32 Abs. 6 S. 9 EStG scheidet eine Übertragung des BEA-Freibetrags aus, wenn der Übertragung widersprochen wird, weil der Elternteil, bei dem das Kind nicht gemeldet ist, Kinderbetreuungskosten trägt oder das Kind regelmäßig in einem nicht unwesentlichen Umfang betreut. Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „nicht unwesentlichen“ Betreuung folgte das FG den Grundsätzen der Rechtsprechung des BFH (8.11.17, III R 2/16). Danach bestehen grundsätzlich keine Bedenken, bei einem Betreuungsanteil von jährlich durchschnittlich 10 % von einem ausreichenden Betreuungsumfang auszugehen.
Im Streitfall war strittig, wie die 10 %-Grenze in zeitlicher Hinsicht zu bestimmen ist und ob auch Tage voll mitzählen, an denen das Kind nur an einem Teil des Tages betreut wird. Hierzu hat das FG zugunsten des Vaters entschieden. Einzelne Betreuungstage zählen auch dann, wenn sie nicht volle 24 Stunden umfassen. Dies gilt zumindest, wenn die Betreuungszeit ‒ wie im Streitfall ‒ deutlich mehr als 12 Stunden beträgt und damit über reine Besuchszwecke hinausgeht. Alles andere würde ggf. auf eine stundengenaue Protokollierung hinauslaufen und den angestrebten Vereinfachungszweck konterkarieren.
MERKE | Selbst wenn der zeitliche Betreuungsanteil die 10 %-Grenze unterschreitet, kann sich aus den Umständen ergeben, dass der Betreuungsanteil auch in diesem Fall als nicht unwesentlich anzusehen ist (im Streitfall: große Entfernung zwischen den Wohnorten des Vaters und der Mutter). |