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· Fachbeitrag · Entschädigungen

Entschädigung für Kinderbetreuung in Zeiten von Corona: So behalten Sie den Überblick

von RA Dr. Jörg Puppe, Senior Associate, Compliance Officer, Osborne Clarke, Köln

| Die anhaltende Coronapandemie hat zur Folge, dass Kitas oder Schulen immer wieder temporär schließen müssen. Ähnlich oft kommt es vor, dass sich Kinder (und Eltern) wegen auftretender Coronafälle in Quarantäne begeben müssen. Haben Eltern keine Betreuungsalternativen, muss ein Elternteil in der Zeit die Betreuung übernehmen. Dabei stellen sich für arbeitende Eltern wie für Arbeitgeber diverse „Entschädigungsfragen“. |

Anspruch auf bezahlte Freistellung

Können Eltern die Betreuung ihrer Kinder nicht anders sicherstellen, weil z. B. Familienangehörige für die Betreuung ausscheiden, können sie gegenüber ihrem Arbeitgeber aufgrund eines persönlichen Leistungshindernisses die Arbeit verweigern. In dem Fall kann der jeweilige Elternteil für begrenzte Zeit den Lohnanspruch gemäß § 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) behalten. Dieser Fortzahlungsanspruch besteht aber nur, wenn von Anfang an klar ist, dass der Ausfall nur wenige Tage dauern wird. Für zweiwöchige Quarantänen oder längere Schließungen von Schulen bzw. Kitas kommt § 616 BGB nicht infrage.

 

  • Beispiel: Viertägige Betreuung eines Kindes in Quarantäne

In einer Schulklasse ist ein Kind am Coronavirus erkrankt. Die Kinder aus der Parallelklasse, die mit dem erkrankten Kind Religionsunterricht hatten, müssen sich testen lassen und bis zum Erhalt des Testergebnisses zu Hause bleiben. Nach vier Tagen liegt das Testergebnis vor. Eltern, die ihre Kinder an den vier Tagen zu Hause betreuen, können Lohnfortzahlung unter den Voraussetzungen des § 616 BGB verlangen.

 

In den Fällen, in denen § 616 BGB nicht greift, z. B. weil die Regelung arbeitsvertraglich ausgeschlossen wurde, stehen die gesetzlichen Entschädigungsregelungen für die Betreuung der Kinder zur Verfügung: die Kinderkrankentage mit Krankengeld sowie die Entschädigung nach Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Kinderkrankentage und Krankengeld

Gesetzlich Versicherte, die ihre Kinder wegen Krankheit betreuen müssen, haben gegen die Krankenkasse Anspruch auf sog. Kinderkrankengeld, wenn die Kriterien des § 45 Abs. 1, Abs. 2a Sozialgesetzbuch (SGB) V erfüllt sind:

 

  • Das Kind darf das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder muss behindert und auf Hilfe angewiesen sein,
  • die Betreuungseinrichtung (z. B. Schule oder Kita) darf pandemiebedingt nicht besucht werden können und
  • es darf keine anderweitige Betreuungsmöglichkeit durch eine andere im selben Haushalt lebende Person gegeben sein.

 

Erfasst sind Komplettschließungen der Betreuungseinrichtung, die Aussetzung von Präsenzunterricht, behördliche Empfehlungen zum Daheimbleiben oder die Verlängerung von Schul- bzw. Betriebsferien. Das Kind selbst muss nicht krank oder in Quarantäne sein. Auch Eltern, die im Homeoffice arbeiten (könnten), haben bei entsprechendem Kinderbetreuungsbedarf die Möglichkeit, stattdessen Kinderkrankengeld zu beantragen. Die Krankenkassen können die Vorlage einer Bescheinigung der Kita oder der Schule verlangen.

 

Mit dem Vierten Bevölkerungsschutzgesetz wurde die Zahl der Tage für 2021 noch einmal erhöht.

 

  • Anspruch auf Krankengeld für das Jahr 2021
  • Pro Elternteil für jedes Kind längstens für 30 Arbeitstage (aber für nicht mehr als 65 Arbeitstage) bzw.
  • Für alleinerziehende Versicherte längstens für 60 Arbeitstage (aber für nicht mehr als 130 Arbeitstage)
 

Beschäftigte können die genannten Kinderkrankentage somit im Laufe des gesamten Jahres 2021 nehmen ‒ auch ohne Corona-Bezug. Das Krankengeld umfasst grundsätzlich bis zu 90 Prozent des ausgefallenen Nettoeinkommens, gedeckelt auf 70 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze. Das sind bis zu 112,88 Euro pro Tag für das Jahr 2021.

 

Das Verhältnis von Krankengeld zu Kurzarbeit

Ist ein Arbeitnehmer zu 100 Prozent in Kurzarbeit, ist seine Arbeitspflicht suspendiert. In dem Fall kann er seine Kinder betreuen, er kann kein Krankengeld beziehen. Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitnehmer während der Kurzarbeit noch arbeitet, und seine Kinder trotzdem betreuen muss (z. B. aufgrund einer Schulschließung). In dem Fall kann er auch während der Kurzarbeit Kinderkrankentage beanspruchen. Die Zahlung des Krankengelds schließt dann aber den gleichzeitigen Bezug von Kurzarbeitergeld aus.

 

Das Verhältnis von Krankengeld zu Überstunden

Wenn Eltern Kinderkrankentage nehmen, haben sie einen Anspruch auf Freistellung. Arbeitgeber können nicht verlangen, dass sie vorher Überstunden und/oder Zeitguthaben aufbrauchen; auch nicht aufgrund von arbeits- bzw. tarifvertraglichen Regelungen oder Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen.

Entschädigung nach dem IfSG

Auch das IfSG sieht Entschädigungsansprüche vor: Hat der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt, aufgrund derer Betreuungseinrichtungen nur eingeschränkt oder gar nicht geöffnet haben, erhalten erwerbstätige Eltern einen Entschädigungsanspruch für etwaigen Verdienstausfall wegen notwendiger Kinderbetreuung. Voraussetzung ist,

 

  • dass das Kind unter zwölf Jahre alt bzw. behindert und hilfebedürftig ist,
  • die erwerbstätige Person ihr Kind in diesem Zeitraum selbst beaufsichtigt, betreut oder pflegt, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen kann, und
  • die erwerbstätige Person dadurch einen Verdienstausfall erleidet.

 

Wichtig | Vor allem hinsichtlich der alternativen Betreuungsmöglichkeit ist diese Regelung nach IfSG strenger als die des SGB V. Denn eine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit muss nicht notwendigerweise durch eine im selben Haushalt lebende Person vorgenommen werden. Auf Verlangen des Arbeitgebers muss der Arbeitnehmer darlegen, dass keine andere zumutbare Betreuungsmöglichkeit besteht.

 

  • Beispiel: Kita wegen mehrerer Coronafälle geschlossen, Mutter betreut Kind selbst zu Hause

Die Kita eines Kindes hat wegen mehrerer Coronafälle geschlossen. Die Eltern sind nicht in Quarantäne. Die Mutter des Kindes möchte das Kind selbst zu Hause betreuen und Entschädigungsansprüche nach dem IfSG erhalten. Der Arbeitgeber verlangt von der Mutter eine Erklärung, warum die Großmutter des Kindes ‒ wie oft in der Vergangenheit geschehen ‒ dieses Mal nicht einspringen kann.

 

Die erwerbstätige Person muss einen Verdienstausfall erleiden. Sofern sie z. B. selbst in Quarantäne ist und ggf. einen Entschädigungsanspruch nach dem IfSG hat oder krankgeschrieben ist und einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat, dürften diese Ansprüche vorgehen.

 

Der Entschädigungsanspruch ist gegen den Arbeitgeber zu richten. Dieser hat dann einen Anspruch auf Erstattung gegenüber der jeweils zuständigen Landesbehörde (z. B. in NRW die Landschaftsverbände).

 

Der Arbeitgeber hat die Entschädigung für die Dauer der vom Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite unabhängig von der Anzahl der Kinder für längstens zehn Wochen pro Jahr bzw. für eine erwerbstätige Person, die ihr Kind allein beaufsichtigt, betreut oder pflegt, für längstens 20 Wochen pro Jahr zu zahlen (vgl. § 56 Abs. 5 IfSG). Entschädigt werden 67 Prozent des entstandenen (Netto-)Verdienstausfalls, gedeckelt bei 2.016 Euro im Monat. Reduziert wird der Anspruch, wenn

 

  • der Arbeitgeber Zuschüsse zahlt oder der Arbeitnehmer ein Einkommen aus einer Ersatztätigkeit bezieht oder böswillig nicht die Möglichkeit eines Zuverdiensts nutzt und
  • dies zusammen mit der Entschädigung die Summe des Verdienstausfalls übersteigt.

 

Der Arbeitgeber muss innerhalb von zwei Jahren ab Auszahlung Erstattung der Entschädigungszahlung aus § 56 Abs. 1a IfSG bei der zuständigen Behörde beantragen. Er kann vorab einen Vorschuss beantragen.

So verhalten sich die Ansprüche zueinander

Das Krankengeld nach SGB V ist seiner Höhe nach für den Arbeitnehmer attraktiver. Der Gesetzgeber regelt, dass für die Zeit des Bezugs von Krankengeld nach den Regelungen über die Kinderkrankentage der Anspruch nach dem IfSG ruht. Daher besteht im Ergebnis ein Wahlrecht bei gesetzlich Versicherten während einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Ist der Arbeitnehmer privat krankenversichert, besteht kein Anspruch auf Krankengeld. Es kommt nur der Entschädigungsanspruch nach IfSG infrage.

Quelle: Seite 3 | ID 47425386