· Fachbeitrag · Entsendung
Besteuerung von Arbeitnehmern in der internationalen Seeschifffahrt
von M.Sc. Christian Kahlenberg, Frankfurt (Oder)
| Für Arbeitnehmer, die an Bord eines Seeschiffs oder Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr arbeiten, richtet sich die Verteilung der Besteuerungsrechte nicht nach dem Tätigkeitsprinzip. Vielmehr gilt eine Sonderregel: Nach Art. 15 Abs. 3 OECD-MA obliegt die Besteuerungsbefugnis vorrangig dem Staat der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens als Quellenstaat. Für die Besteuerungshoheit kommt es also darauf an, wie der Begriff des Unternehmens zu interpretieren ist - eine Frage, mit der sich jüngst der BFH (21.8.15, I R 63/13, BFH/NV 16, 36) im Zusammenhang mit einem Crewing-Ausrüster befasst hat. |
1. Die Vorgeschichte
Der inländische Kläger war angestellter Kapitän auf verschiedenen Kreuzfahrtschiffen bei der zypriotischen D-Ltd., die sich wirtschaftlich als Crewing-Ausrüster betätigte. Schiffseigentümerin war die F-1 Ltd., die wiederum Schiffe an die F-2 AG vercharterte, von wo aus diese an die inländische F-3 GmbH weiterverchartert wurden. Für seine Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit begehrte der Kläger gemäß Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern a. F. (BGBl II 77, 489) die Steuerfreistellung. Als Angestellter der D-Ltd. obliege allein Zypern das Besteuerungsrecht für die Einkünfte. Zwar werde für die für Art. 15 Abs. 3 maßgebende Qualifikation des Unternehmens ein eigenständiger See- oder Luftbetrieb gefordert (Art. 8 Abs. 1 DBA-Zypern a. F.), der nicht von der D-Ltd. ausgeübt werde. Doch argumentierte der Kläger, dass mit dem neuen DBA-Zypern (BGBl II 12, 117) die bisherige Rechtsprechung des BFH überholt sei. Dieser Ansicht folgte das zuständige Finanzamt nicht, auch die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (FG Hamburg 12.8.13, 6 K 279/12, EFG 13, 1929).
PRAXISHINWEIS | Dadurch dass auf die Unternehmenstätigkeit in Art. 8 Abs. 1 OECD-MA rekurriert wird, ist für die Anwendung der Sonderregel in Art. 15 Abs. 3 der wirtschaftliche Arbeitgeber für die Verteilung der Besteuerungsrechte ausschlaggebend. |
2. Die Entscheidung des BFH
Der BFH wies die Revision einstimmig zurück und bestätigte insoweit sein bisheriges Rechtsverständnis betreffend Art. 15 Abs. 3 OECD-MA. Die als Kapitän erzielten Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) können in Deutschland besteuert werden, weil die zypriotische D-Ltd. nicht als Unternehmen i. S. des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern a. F. anzusehen ist. Mithin ist die Freistellung in Deutschland nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a) DBA-Zypern a. F. nicht zu gewähren.
Gemäß Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern a. F. können die Vergütungen im Staat des Ortes der Geschäftsleitung des Unternehmens besteuert werden.
PRAXISHINWEIS | Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann ein Unternehmen i. S. des Art. 15 Abs. 3 OECD-MA nur vorliegen, wenn der See- und Luftverkehr von ebendiesem Unternehmen selbstständig ausgeführt wird (Art. 8 Abs. 1 OECD-MA). Darüber hinaus muss sich das Unternehmen auch als wirtschaftlicher Arbeitgeber des Besatzungsmitglieds qualifizieren (vgl. BFH 10.11.93, I R 53/91, BStBl II 94, 218; BFH 5.9.01, I R 55/00, BFH/NV 02, 478; BFH 26.4.05, I B 86/04; BFH 18.5.10, I B 204/09, BFH/NV 10, 1636; BFH 11.2.97, I R 36/96, BStBl II 97, 432; BFH 8.2.95, I R 42/94, BStBl II 95, 405). |
Die zypriotische D-Ltd. ist aber weder wirtschaftlicher Arbeitgeber noch unterhält sie als „Crewing-Ausrüster“ einen selbstständigen Schiffsbetrieb. Sein bisheriges, an den tatsächlichen Verhältnissen anknüpfendes Verständnis verwirft der BFH nicht. Der Wortlaut von Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern a. F. legt eindeutig fest, dass es gerade nicht nur auf den zivilrechtlichen Arbeitgeber ankommt. Dieses, auf den schlichten Wortlaut gestützte, Auslegungsergebnis ergibt sich ferner aus dem Sinnzusammenhang mit Art. 8 sowie unter teleologischen Gesichtspunkten und entspricht der im OECD-Musterkommentar von 1963/1977 niedergelegten Auffassung der OECD zum gegenwärtigen Zeitpunkt des DBA-Abschlusses mit Zypern.
PRAXISHINWEIS | Eine zwischenzeitlich geänderte Ansicht der OECD bleibt unbeachtlich, weil der BFH dem statischen Auslegungsmodus folgt (ständige Rechtsprechung BFH 9.2.11, I R 54, 55/10, BStBl II 12, 106; BFH 25.5.11, I R 95/10, BStBl II 14, 760; BFH 23.9.08, I R 57/07, BFH/NV 09, 390; BFH 8.12.10, I R 92/09, BStBl II 11, 488; BFH 19.5.10, I B 191/09, BStBl II 11, 156; BFH 16.1.14, I R 30/12, BStBl I 14, 721). |
Aus diesen Gründen ist eine gegen die tatsächlichen Verhältnisse gerichtete Ansicht zu verwerfen. Dafür wäre eine Regelungsanpassung durch die Vertragsstaaten vonnöten (BFH 26.4.05, I B 86/04, BFH/NV 10, 1636).
Auch das neue DBA-Zypern kann auf dieses Ergebnis nicht einwirken, weil es erst für die VZ ab 2012 gilt. Der dort gefasste Art. 14 Abs. 4 entspricht zwar wörtlich Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern a. F.; doch ist im Protokoll (Nr. 4 zu Art. 14 DBA-Zypern n. F.) eine nähere Erläuterung vorzufinden, die den Ausdruck Unternehmen als das Unternehmen des Arbeitgebers der betroffenen Besatzungsmitglieder umschreibt.
Die Protokollbestimmung entfaltet allein für das neue DBA-Zypern Wirkung (Art. 30 DBA-Zypern n. F.); eine rückwirkende Anwendung jener Protokollbestimmung für Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern a. F. ist dadurch ausgeschlossen. Es fehlt an einer dahin gehend ausdrücklichen Anordnung, der auch nicht durch den fehlenden Hinweis in der Denkschrift zum neuen DBA-Zypern (BT-Drs. 17/6259) Abhilfe zu leisten ist.
3. Statische versus dynamische Auslegung
Der BFH bestätigt einmal mehr seine Präferenz zugunsten der statischen DBA-Auslegung. Demnach sind nur die Gegebenheiten und Vorstellungen der Vertragsstaaten im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für die Abkommensauslegung maßgebend (BFH 10.6.15, I R 79/13, BFH/NV 15, 1630 m. w. N.). Eine geänderte Auffassung in der Musterkommentierung kann allenfalls Indizwirkung entfalten, ohne selbst rechtsbindenden Charakter zu erlangen.
PRAXISHINWEIS | Zwar verpflichten die im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WÜRV, BGBl II 85, 925) niedergelegten allgemeinen Auslegungsprinzipien auch spätere Übereinkünfte der Vertragspartner zu berücksichtigen. Allerdings beschränkt sich dieses Prinzip auf Abkommensbestimmungen, die inhaltlich nicht geändert wurden. Dies trifft aber gerade auf den geänderten Regelungsgehalt im neuen DBA-Zypern zu. |
Für das vorstehende Urteil war entscheidend, dass der als Kapitän tätige Kläger bei der zypriotischen D-Ltd. angestellt war, diese aber lediglich als Arbeitnehmerverleiherin (Crewing-Ausrüster) fungierte und die Schiffe, auf denen der Kläger beschäftigt war, nicht selbst betrieben hatte. Wirtschaftlich wurden die Schiffe von der inländischen F-3 GmbH betrieben, weshalb Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern a. F. auch nicht einschlägig war. Nach Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern a. F. können die Vergütungen für eine unselbstständige Arbeit, die an Bord eines Seeschiffs oder Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr ausgeübt wird, im Staat der tatsächlichen Geschäftsleitung des „Unternehmens“ besteuert werden. Bei dem maßgebenden Unternehmen muss es sich um den wirtschaftlichen Arbeitgeber des Besatzungsmitglieds (Kläger) handeln. Mangels eigenständiger Schiffsbetriebstätigkeit war nicht die D-Ltd., sondern die inländische F-3 GmbH als wirtschaftliche Arbeitgeberin zu qualifizieren und Deutschland nicht am Besteuerungszugriff gehindert (BFH 5.9.01, I R 55/00, BFH/NV 02, 478).
Nach dem BMF-Schreiben zur steuerlichen Behandlung des Arbeitslohns nach den DBA (BMF 12.11.14, IV B 2 - S 1300/08/10027, BStBl I 14, 1467, Tz. 98) kann neben dem zivilrechtlichen Arbeitgeber auch eine andere natürliche oder juristische Person dann Arbeitgeber sein, wenn die Vergütung für die geleistete unselbstständige Tätigkeit wirtschaftlich getragen wird (BFH 23.2.05, I R 46/03, BStBl II 05, 547). Bei der Arbeitskräfteüberlassung soll das aufnehmende Unternehmen dann als Arbeitgeber im abkommensrechtlichen Sinne (wirtschaftlicher Arbeitgeber) verstanden werden, wenn
- der Arbeitnehmer in das aufnehmende Unternehmen eingebunden ist und
- das aufnehmende Unternehmen den Arbeitslohn (infolge eigenbetrieblichen Interesses) wirtschaftlich trägt (Tz. 112).
Wird die Vergütung ausbezahlt, aber wirtschaftlich weiterbelastet, ist auf die tatsächlichen Umstände der wirtschaftlichen Endbelastung abzustellen.
4. Beurteilung nach den Bestimmungen des DBA-Zypern n. F.
Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nach den Bestimmungen des DBA-Zypern n. F. Die materiell-rechtlichen Änderungen wurden auch innerhalb der Entscheidungsgründe aufgegriffen, waren aber letztlich mangels rechtsverbindlicher Anordnung für den Streitfall unerheblich; die rückwirkende Anwendung war durch Art. 30 Abs. 2 DBA-Zypern n. F. versperrt.
PRAXISHINWEIS | Im neuen DBA-Zypern wurde der OECD-Standard (Art. 8 Abs. 2 DBA) kodifiziert, wonach Art. 8 DBA-Zypern n. F. auch für die Binnenschifffahrt anwendbar ist (konkret dazu Rauert, IStR 12, 166). |
Die Bestimmung des Art. 8 Abs. 2 DBA-Zypern n. F. ist mit Art. 14 Abs. 4 - analog zu Art. 15 Abs. 3 OECD-MA - systematisch verknüpft und regelt i. V. m. Nr. 4 des Protokolls zu Art. 14, dass unter dem Ausdruck „Unternehmen“ in Art. 14 Abs. 4 DBA das Unternehmen des Arbeitgebers des Besatzungsmitglieds zu verstehen ist. Dadurch kommt es zu einer entsprechenden Umverteilung der Besteuerungsrechte. Fortan wird tatbestandlich nicht mehr gefordert, dass der internationale Seeverkehr selbstständig betrieben wird und Unternehmen sich zugleich auch als wirtschaftlicher Arbeitgeber des Besatzungsmitglieds i. S. des Abkommensrechts qualifizieren müssen. Folglich muss die Crewing-Gesellschaft als zivilrechtlicher Arbeitgeber der Seeleute kein Verkehrsunternehmen i. S. des Art. 8 Abs. 1 bzw. Abs. 2 sein, um Art. 14 Abs. 4 DBA-Zypern n. F. anzuwenden. Diese Änderung ist folgerichtig, da Crewing-Ausrüster nun grundsätzlich auch in den Regelungsbereich von Art. 8 fallen.
Für den Streitfall hätte das neue DBA-Zypern zur Konsequenz gehabt, dass die D-Ltd. sich als Unternehmen i. S. des Art. 14 Abs. 4 DBA-Zypern n. F. qualifiziert. Da der Kläger als Steuerinländer bei einem in Zypern ansässigen Crewing-Unternehmen mit tatsächlicher Geschäftsleitung in Zypern beschäftigt gewesen wäre, würde Zypern das ausschließliche Besteuerungsrecht für die Vergütungen („Heuer“) nach Art. 14 Abs. 4 DBA-Zypern n. F. zustehen. Unbeachtlich wäre dann insoweit, auf welchem Schiff die Seeleute zum Einsatz kommen und wo der Schiffsbetreiber ansässig ist. Auf den wirtschaftlichen Arbeitgeber käme es insoweit nicht mehr an (vgl. auch Rauert, IStR 12, 167).
5. Fazit
Für die unselbstständige Tätigkeit an Bord eines internationalen Seeschiffs oder Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr spricht Art. 15 Abs. 3 OECD-MA dem Staat der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens - als Quellenstaat - das alleinige Besteuerungsrecht zu. Sofern sich dieses Unternehmen lediglich als Crewing-Ausrüster engagiert, ist entscheidend, ob Art. 8 des jeweiligen DBA auch diese Betätigung mitumfasst. Wenn ja, dann hat Deutschland die betreffenden Vergütungen regelmäßig freizustellen, sofern der Methodenartikel hierfür nicht explizit die Anrechnung vorsieht. Falls nicht, wird Deutschland an seinem Besteuerungszugriff nicht gehindert. Die jüngeren deutschen DBA folgen mittlerweile dem OECD-Standard, indem sich der Anwendungsbereich von Art. 8 auch auf Crewing-Ausrüster erstreckt.