· Fachbeitrag · Ertragsteuerliche Organschaft
BMF positioniert sich zu variablen Ausgleichszahlungen ‒ ein Praxisfall zu § 14 Abs. 2 KStG
von StB Peter Scheuch, M.I.Tax, Noerr LLP Dresden, Doktorand an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
| Der BFH hatte bereits im Jahr 2017 abermals entschieden, dass (zusätzliche) am Ergebnis der vermeintlichen Organgesellschaft bemessene variable Ausgleichszahlungen an Minderheitsgesellschafter einer Abführung des ganzen Gewinns i. S. d. § 14 Abs. 1 S. 1 KStG entgegenstehen (s. Heinz/Scheuch, GStB 18, 62 ). Der Gesetzgeber hat hierauf mit der Einführung von § 14 Abs. 2 KStG im Rahmen des „JStG 2018“ zugunsten der betroffenen Steuerpflichtigen reagiert. Mit einem aktuellen Anwendungsschreiben vom 4.3.20 hat sich das BMF nun hierzu positioniert und wichtige Anwendungsfragen geklärt. |
1. Hintergrund
Zur Begründung einer ertragsteuerlichen Organschaft ist zunächst die finanzielle Eingliederung einer Kapitalgesellschaft (folgend: Organgesellschaft) in ihren mehrheitlich beteiligten Organträger erforderlich. Daneben werden auch der Abschluss und die tatsächliche Durchführung eines Ergebnisabführungsvertrags i. S. d. §§ 291 ff. AktG (folgend: EAV) gefordert. Ein solcher EAV hat zur Folge, dass die Organgesellschaft ihren ganzen Gewinn an den Organträger abführen muss.
Sind an der Organgesellschaft weitere (Minderheits-)Gesellschafter beteiligt, steht ihnen folglich kein Gewinnanteil aus der Organgesellschaft mehr zu. Als Kompensation haben solche außenstehenden Gesellschafter aber grundsätzlich Anspruch auf eine angemessene Ausgleichszahlung (§ 304 Abs. 1 S. 1 AktG).
PRAXISTIPP | Ob diese aktienrechtlichen Vorschriften auch für Organgesellschaften in der Rechtsform einer GmbH gelten, ist zivilrechtlich umstritten. Jedenfalls geht der BFH aufgrund der in § 17 S. 1 KStG angeordneten entsprechenden Anwendung der §§ 14 bis 16 KStG davon aus (krit. Brühl/Weiss, BB 18, 94). |
Für Zwecke der Bemessung der auf den Anteil der außenstehenden Gesellschafter am Nennkapital der Organgesellschaft zu beziehenden Ausgleichszahlung sind im Aktiengesetz grundsätzlich zwei Spielarten vorgegeben:
- Nach § 304 Abs. 2 S. 1 AktG ist mindestens eine jährliche feste Ausgleichszahlung zu gewähren, die anhand der bisherigen Ertragslage und den zukünftigen Ertragsaussichten der Organgesellschaft zu ermitteln ist und den voraussichtlich durchschnittlichen an den außenstehenden Gesellschafter zu verteilenden Gewinnanteil repräsentieren soll. Dabei sind angemessene Abschreibungen und Wertberichtigungen zu berücksichtigen, aber keine anderen Gewinnrücklagen zu bilden. In der Regel wird eine ertragswertorientierte Unternehmensbewertung der Organgesellschaft (z. B. nach IDW S1) erforderlich sein (s. ausführlich van Rossum in: MüKo, AktG, § 304 Rn. 77 ff.).
- Alternativ kann nach § 304 Abs. 2 S. 2 AktG eine am Gewinn des Organträgers orientierte variable Ausgleichszahlung erfolgen, wenn es sich beim Organträger um eine AG, SE oder KGaA handelt. Hierzu sind sowohl Organträger als auch Organgesellschaft zu bewerten. Auf Basis der Bewertungen ist für den Fall einer gedachten Verschmelzung beider Gesellschaften ein Umrechnungsverhältnis (Verschmelzungsrelation) zu ermitteln, auf Basis dessen die vom Organträger ausgeschüttete Dividende in die variable Ausgleichszahlung übergeleitet wird (s. ausführlich Stephan in: Schmidt/Lutter, AktG, § 304 Rn. 92 ff.).
Die Finanzverwaltung hat darüber hinaus eine Kombination einer festen (Mindest-)Ausgleichszahlung i. S. d. § 304 Abs. 2 S. 1 AktG mit einer zusätzlichen, am Gewinn der Organgesellschaft orientierten variablen Ausgleichszahlung in langjähriger Verwaltungspraxis grundlegend anerkannt (s. BMF 13.9.91, DB 91, 2110). Die hinter einer solchen Kombination stehenden Motive lassen sich wie folgt verdeutlichen:
- Die in § 304 Abs. 2 S. 1 AktG geregelte feste Ausgleichszahlung stellt nur das aktienrechtliche Mindestschutzniveau für außenstehende Gesellschafter dar.
- Sie ist zwar unabhängig von der tatsächlichen Ertragslage der Organgesellschaft zu leisten und ermöglicht daher eine (eigentlich faire) gleichmäßige Kapitalrendite für die außenstehenden Gesellschafter sowohl im Gewinn- als auch im Verlustfall.
- Allerdings können Letztere im Einzelfall aus verschiedenen Gründen (z. B. Zustimmung zum EAV nötig) auch eine Partizipation an überdurchschnittlich guten Ergebnissen der Organgesellschaft verlangen. Denkbar ist auch, dass der Organträger eine solche Partizipation aus eigenem Interesse anbietet, um die Attraktivität des Investments für die außenstehenden Gesellschafter zu erhöhen und diese aus strategischen Gründen an den Konzern zu binden.
Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des BFH verstößt eine solche Kombination jedoch gegen die in § 14 Abs. 1 S. 1 KStG vorausgesetzte Abführung des ganzen Gewinns der Organgesellschaft (vgl. Dötsch/Pung, in: D/P/M, KStG, § 14 Rn. 679/1, m. w. N.). Dies gilt nach der jüngsten Entscheidung des BFH (10.5.17, I R 93/15, BStBl II 19, 278) jedenfalls in Fällen, in denen die variable Komponente der Ausgleichszahlung darauf angelegt ist, den außenstehenden Gesellschafter (wirtschaftlich) im Wesentlichen so zu stellen, wie er ohne EAV gestanden hätte (zur Besprechung des Urteils s. Heinz/Scheuch, GStB 18, 62).
Während die vorangegangene Rechtsprechung des BFH (4.3.09, BStBl II 10, 407) noch mit einem Nichtanwendungserlass belegt werden konnte (s. BMF 20.4.10, BStBl I 10, 372), sah sich der Gesetzgeber im Rahmen des UStAVermG zur Einführung eines neuen § 14 Abs. 2 KStG veranlasst. Dies geschah wohl auch auf Druck der kommunalen Interessenverbände durch die Vielzahl potenziell betroffener steuerlicher Querverbünde. In der Neuregelung ist nun folgende Abführungsfiktion vorgesehen:
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„1Der ganze Gewinn gilt auch dann als abgeführt i. S. d. Abs. 1 S. 1, wenn über den mindestens zugesicherten Betrag i. S. d. § 304 Abs. 2 S. 1 AktG hinausgehende Ausgleichszahlungen vereinbart und geleistet werden. 2Dies gilt nur, wenn die Ausgleichszahlungen insgesamt den dem Anteil am gezeichneten Kapital entsprechenden Gewinnanteil des Wirtschaftsjahres nicht überschreiten, der ohne Gewinnabführungsvertrag hätte geleistet werden können. 3Der über den Mindestbetrag nach § 304 Abs. 2 S. 1 AktG hinausgehende Betrag muss nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet sein.“ |
Gem. § 34 Abs. 6d S. 1 KStG ist die Neuregelung grundsätzlich in allen offenen Fällen anzuwenden. Für anerkannte Alt-EAV, deren Regelungen nicht durch die Neufassung gedeckt sind, wurden großzügige Übergangsregelungen vorgesehen (s. § 34 Abs. 6d S. 2 bis 4 EStG).
2. Konkretisierungen durch das BMF-Schreiben vom 4.3.20
In Bezug auf die vom Schrifttum grundsätzlich begrüßte Neuregelung bestanden seit dem Gesetzgebungsverfahren erhebliche Anwendungsfragen (umfassend Hasbach, DStR 19, 81). Diesen hat sich das BMF nunmehr in einem Schreiben v. 4.3.20 (GZ IV C 2 - S 2770/19/10003 :002) angenommen.
2.1 Sachlicher Anwendungsbereich i. S. d. § 14 Abs. 2 S. 1 KStG
Hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs der in § 14 Abs. 2 S. 1 KStG vorgesehenen Abführungsfiktion enthält das BMF-Schreiben folgende Aussagen:
- Mit Verweis auf den Rechtsgedanken des § 16 KStG soll der Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 KStG unabhängig von der Frage eröffnet sein, wer die Ausgleichszahlung zivilrechtlich schuldet und wer sie leistet (vgl. Tz. 2 des BMF-Schreibens). Damit findet die Norm auch dann Anwendung, wenn sich ausschließlich der Organträger im Rahmen des zugrunde liegenden EAV zur Ausgleichszahlung an außenstehende Gesellschafter verpflichtet.
- Das BMF stellt darüber hinaus klar, dass eine Anwendung von § 14 Abs. 2 KStG unterbleibt, wenn die vereinbarte variable Komponente der Ausgleichszahlung (z. B. wegen negativer Ergebnisse der Organgesellschaft) weder zu leisten ist noch tatsächlich geleistet wird (s. Tz. 3 und 4 des BMF-Schreibens). Dieser Klarstellung ist uneingeschränkt zuzustimmen.
- Allerdings bestimme sich nun nach allgemeinen Regeln (§§ 14 Abs. 1, 16 KStG), dass die tatsächlich geleisteten Ausgleichszahlungen „in der nach § 304 Abs. 2 S. 1 AktG angeordneten (!) Höhe unschädlich für die Anerkennung der Organschaft sind“ (s. Tz. 4 des BMF-Schreibens). Dies suggeriert, dass eine vom Mindestbetrag nach § 304 Abs. 2 S. 1 AktG abweichende (zu hohe oder zu niedrige) feste Ausgleichszahlung der Anerkennung einer Organschaft entgegenstehen könnte. Während eine zu hohe feste Ausgleichszahlung vor dem Hintergrund einer Abführung des ganzen Gewinns (der dadurch ggf. dauerhaft in organschaftsschädlicher Weise geschmälert wird) noch diskutiert werden könnte, ergeben sich m. E. bei einer zu niedrigen festen Ausgleichszahlung keine steuerlichen Angriffspunkte.
- Die Finanzverwaltung geht bei Vorliegen einer ausschließlich variablen Ausgleichszahlung i. S. d. § 304 Abs. 2 S. 2 AktG davon aus, dass in diesem Fall eine feste Ausgleichszahlung i. S. d. § 304 Abs. 2 S. 1 AktG mit „null“ anzusetzen ist (s. Tz. 5 des BMF-Schreibens). Sie will also in solchen Fällen § 14 Abs. 2 KStG mit der Begründung zur Anwendung kommen lassen, dass ein fester (Mindest-)Ausgleich dem Grunde nach vorliegt, der Höhe nach aber einen Wert von null aufweist. M. E. stellt das mangels gesetzlicher Anordnung eine unzulässige Fiktion dar. Ein ausschließlich variabler Ausgleich kann nach dem klaren Wortlaut des § 304 Abs. 2 S. 2 AktG „auch … zugesichert“ werden und stellt damit eine alternative Zusicherung gegenüber dem fixen (Mindest-)Ausgleichsbetrag i. S. d. § 304 Abs. 2 S. 1 AktG dar. Der in § 14 Abs. 2 S. 1 KStG tatbestandlich vorgesehene „mindestens zugesicherte Betrag i. S. d. § 304 Abs. 2 S. 1 (AktG)“ existiert in solchen Fällen bereits dem Grunde nach nicht.
2.2 Ermittlung des Höchstbetrags i. S. d. § 14 Abs. 2 S. 2 KStG
§ 14 Abs. 2 S. 2 KStG schränkt die Anwendbarkeit der Abführungsfiktion ein. Übersteigen die dem außenstehenden Gesellschafter insgesamt zustehenden Ausgleichszahlungen den seinem Anteil am gezeichneten Kapital entsprechenden (fiktiven) Gewinnanteil des Wirtschaftsjahres (folgend: Höchstbetrag), ist sie nicht anwendbar.
2.2.1 Keine Anerkennung disquotaler Gewinnverteilungsabreden
Dass der Gesetzgeber trotz deutlicher Kritik der kommunalen Spitzenverbände eine Bindung des Höchstbetrags an den Anteil des außenstehenden Gesellschafters am gezeichneten Kapital vorgesehen hat, ist vor dem Hintergrund der grundsätzlich auch verwaltungsseitig anerkannten disquotalen Gewinnverteilungen bei Kapitalgesellschaften nicht überzeugend (vgl. Weiss/Brühl, BB 18, 2135). Denn einerseits sollten entsprechend disquotal erhöhte Gewinnanteile außenstehender Gesellschafter auch unter Berücksichtigung der der Neuregelung zugrunde liegenden BFH-Rechtsprechung unschädlich sein (s. bereits Heinz/Scheuch, GStB 18, 62). Andererseits steht § 14 Abs. 2 S. 2 KStG nun in einem diametralen Verhältnis zu § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 S. 2 KStG. Demnach wird für die Anerkennung des ‒ viele kommunale Gestaltungen mit privaten Minderheitsgesellschaftern betreffenden ‒ kapitalistischen Querverbunds vorausgesetzt, dass (private) Minderheitsgesellschafter Verluste aus dauerdefizitären Tätigkeiten (Verkehrsbetriebe, Bäder etc.) nicht mittragen dürfen.
Beachten Sie | Beholfen hat man sich in solchen Konstellationen mit der Vereinbarung disquotaler Gewinnverteilungen zugunsten des Minderheitsgesellschafters (z. T. auch als „Tracking Stock (Modell)“ bezeichnet). Ausgleichszahlungen, die solche Modelle abbilden, dürften nunmehr in vielen Fällen der Anerkennung entsprechender Organschaften entgegenstehen und Umstrukturierungen erforderlich machen (vgl. ausführlich mit Gestaltungshinweisen Abts/Kremers, StuB 19, 427). Die Finanzverwaltung kann aufgrund des klaren Wortlauts im Gesetz mit dem BMF-Schreiben keine Abhilfe schaffen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass gem. Tz. 7 und Tz. 8 des BMF-Schreibens disquotale Gewinnverteilungen bei der Ermittlung des Höchstbetrags unbeachtlich bleiben.
2.2.2 Berechnung des fiktiven Gewinns
Dem Wortlaut des § 14 Abs. 2 S. 2 KStG ist nicht zu entnehmen, wie genau der fiktive Gewinn der Organgesellschaft zu berechnen ist. Umso erfreulicher ist es, dass das BMF durch wichtige Konkretisierungen erhöhte Rechtssicherheit (insb. für die Formulierung entsprechender Ausgleichszahlungs-Klauseln in EAV, s. u.) schafft (s. Tz. 9 bis 11 des BMF-Schreibens). Aus den Ausführungen lässt sich das folgende Ermittlungsschema ableiten. Dabei ist zu beachten, dass die im BMF-Schreiben aufgeführten Abzugs- und Hinzurechnungspositionen nicht abschließend sind:
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Ausgangsgröße: Handelsrechtlicher Jahresüberschuss vor Gewinnabführung | |
./. | Zuführungen in gesetzliche Rücklagen |
./. | Zuführungen in andere Gewinnrücklagen i. S. d. § 272 Abs. 3 HGB |
./. | Ausschüttungsgesperrte Beträge (z. B. nach § 253 Abs. 6 HGB) |
./. | Fiktive Ertragsteuerbeträge (KSt/GewSt) nach Bereinigung der Ausgangsgröße um ertragsteuerliche Steuerumlagen |
+ | Auflösung von in organschaftlicher Zeit gebildeten gesetzlichen Rücklagen |
+ | Auflösung von in organschaftlicher Zeit gebildeten anderen Gewinnrücklagen i. S. d. § 272 Abs. 3 HGB |
+ | Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter, soweit sie den Jahresüberschuss gemindert haben |
+ | Körperschaftsteuerbeträge auf Ausgleichszahlungen nach § 16 KStG, soweit sie den Jahresüberschuss gemindert haben |
= | Fiktiver Gewinn der Organgesellschaft |
Hierzu folgende Anmerkungen:
- Die Finanzverwaltung zielt auf eine „Stand-alone-Betrachtung“ ab. Es ist also nicht nur die Gewinnabführung als solche, sondern der gesamte EAV bzw. die gesamte Organschaft hinwegzudenken.
- Es ist zu beachten, dass die fiktiven Ertragsteuern im Rahmen der steuerlichen Höchstbetragsrechnung für jedes Wirtschaftsjahr zu ermitteln sind. Da das körperschaftsteuerliche Einkommen und der Gewerbeertrag der Organgesellschaft aufgrund des auch im Organschaftsfall aufrechterhaltenen Trennungsprinzips weiterhin eigenständig zu ermitteln sind (vgl. R 14.6 KStR; R 7.1 Abs. 5 GewStR), sollten sich im Rahmen der „Stand-alone-Betrachtung“ für eine gedachte Ertragsteuerrückstellung keine unlösbaren Probleme ergeben. Im Einzelfall können allerdings Schattenrechnungen erforderlich werden. Insbesondere könnte die nach Maßgabe der §§ 28 ff. GewStG erfolgende fiktive Gewerbesteuerzerlegung auf die zerlegungsberechtigten Gemeinden im Stand-alone-Fall erheblich von der tatsächliche Zerlegung für den gesamten Organkreis auf Ebene des Organträgers abweichen und durch Hebesatzunterschiede zu unterschiedlichen Gewerbesteuerbelastungen führen (beispielsweise schon durch unterschiedliche Lohnsummenbeiträge von Organträger und Organgesellschaft oder durch den gedachten Wegfall organkreisweiter mehrgemeindlicher Betriebsstätten).
- Tz. 10 des BMF-Schreibens bestimmt etwas kryptisch, dass Steuerumlagen, die „den Jahresüberschuss der Organgesellschaft gemindert bzw. erhöht haben, (…) im Rahmen der Ermittlung der fiktiven Ertragsteuerbelastung der Organgesellschaft gegenzurechnen bzw. einzubeziehen“ sind. Damit kann m. E. nur gemeint sein, dass entsprechende Aufwands- und Ertragsbuchungen aus mit der ertragsteuerlichen (!) Organschaft zusammenhängenden Steuerumlagen für Zwecke der Ermittlung der fiktiven Ertragsteuerbelastung aus der Ausgangsgröße zu neutralisieren sind (so wohl auch Dötsch/Pung in: D/P/M, KStG, § 14 Rz. 679/16).
- Hinsichtlich der Hinzurechnung bzw. Kürzung von in organschaftlicher Zeit gebildeten bzw. aufgelösten gesetzlichen Rücklagen und anderen Gewinnrücklagen i. S. d. § 272 Abs. 2 HGB ist die Auffassung der Finanzverwaltung konsequent. So hat die Bildung bzw. Auflösung von Kapitalrücklagen mit dem (laufenden) Jahresüberschuss und damit mit dem fiktiven Gewinn nichts zu tun (reine Außenfinanzierung). Diese nicht bei den Hinzurechnungen bzw. Kürzungen zu berücksichtigen, ist folglich zutreffend. Das Gleiche gilt für vororganschaftlich gebildete Gewinnrücklagen. Diese stellen zwar eine aus Jahresüberschüssen gespeiste Innenfinanzierung dar, haben aber zeitlich und sachlich nichts mit den (laufenden) Jahresüberschüssen während des Bestehens einer Organschaft zu tun.
2.2.3 Wirtschaftsjahresbezogene Betrachtungsweise
Der Höchstbetrag ist auf Basis einer strikt wirtschaftsjahresbezogenen Betrachtungsweise zu ermitteln (Tz. 12 des BMF-Schreibens). Etwaige Höchstbetragsüberhänge in einem Wirtschaftsjahr wirken sich folglich nicht auf folgende Wirtschaftsjahre aus. Damit trifft die Finanzverwaltung jedoch nur eine Klarstellung, denn für eine Vortragsmöglichkeit fehlt es ‒ bspw. im Unterschied zum EBITDA-Vortrag im Rahmen der Zinsschranke (§ 4h Abs. 1 S. 3 EStG) ‒ an einer gesetzlichen Anordnung.
2.3 „Kaufmannstest“ i. S. d. § 14 Abs. 2 S. 3 KStG
Nach dem sog. Kaufmannstest (BT-Drs. 19/4455 v. 24.9.18, 52) wird für über das Mindestniveau des § 304 Abs. 2 S. 1 AktG hinausgehende Ausgleichszahlungen eine kaufmännisch vernünftige wirtschaftliche Begründung verlangt. Eine Konkretisierung des Prüfmaßstabs ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
Laut Finanzverwaltung (Tz. 13) kommt dem Kaufmannstest regelmäßig keine Bedeutung zu, wenn Organträger und außenstehender Gesellschafter aufgrund eines bestehenden Interessengegensatzes nicht in einem Näheverhältnis zueinander stehen. Als Prüfmaßstab knüpft die Finanzverwaltung an die bereits vom BFH gebildete Grenze an. Danach dürfen Ausgleichszahlungen den Organschaftsregelungen (insb. dem Erfordernis der Abführung des ganzen Gewinns) nicht durch eine willkürliche Disposition zwischen Organträger und außenstehendem Gesellschafter entgegenstehen ‒ was bei rein steuerlich motivierten variablen Ausgleichszahlungen aber der Fall sei.
2.4 Rechtsfolge
Hinsichtlich der in Tz. 14 und 15 des BMF-Schreibens enthaltenen Aussagen zur Rechtsfolge des § 14 Abs. 2 KStG ergeben sich grundsätzlich keine Besonderheiten. Demnach ist zu unterscheiden:
- Übersteigen die in den sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift fallenden und an den außenstehenden Gesellschafter insgesamt geleisteten Ausgleichszahlungen den nach § 14 Abs. 2 S. 2 KStG zulässigen Höchstbetrag nicht, greift die in § 14 Abs. 1 S. 1 KStG vorgesehene Abführungsfiktion. Zumindest auf Grundlage der Ausgleichszahlungen kann die ertragsteuerliche Organschaft daher nicht mehr aberkannt werden.
- Übersteigen die entsprechenden Ausgleichszahlungen hingegen den Höchstbetrag, scheitert die Organschaft mangels Abführungsfiktion (zu den Rechtsfolgen bei verunglückter Organschaft s. Heinz/Scheuch, GStB 18, 62).
3. Abschließender Praxisfall
Die M-GmbH ist als Mutter eines deutschen Mischkonzerns an verschiedenen ‒ mehr oder weniger erfolgreichen ‒ Tochtergesellschaften mehrheitlich beteiligt. Unter den Töchtern befindet sich die sehr profitable Bauträger-GmbH, die den Ankauf, die Bebauung und den anschließenden Verkauf von Grundstücken zum Unternehmensgegenstand hat. In der Vergangenheit war die Zusammenarbeit mit einem Generalübernehmer (GÜ-GmbH) so erfolgreich, dass es aus strategischen Gründen zu einer 20%igen Beteiligung desselben an der Bauträger-GmbH kam. Alle zwei Jahre realisiert die Bauträger-GmbH ein Großprojekt mit Gewinnen von 10 bis 50 Mio. EUR (im Durchschnitt: 30 Mio. EUR). Die prognostizierten Jahresüberschüsse vor Ertragsteuern (EBT) der Bauträger-GmbH stellen sich damit wie folgt dar; dabei wird stark vereinfachend davon ausgegangen, dass sämtliche in Nicht-Realisations-Jahren (2021, 2023 usw.) anfallenden Aufwendungen (z. B. Finanzierungskosten etc.) als Anlagen im Bau aktivierbar sind:
Jahr (GJ=WJ) | 2021 | 2022 | 2023 | 2024 | 2025 | 2026 usw. |
EBT (in EUR) | 0 | 30 | 0 | 10 | 0 | 50 usw. |
Der Konzernsteuerleiter möchte zwischen der M-GmbH und der Bauträger-GmbH zur Senkung der Konzernsteuerquote (Ausgleich mit Verlusten weniger erfolgreicher Organgesellschaften auf Ebene der M GmbH; Wegfall der Schachtelstrafe nach § 8b Abs. 1, 5 KStG) und zur Liquiditätsoptimierung (keine Kapitalertragsteuer auf Gewinnabführungen) ab dem Jahr 2021 eine ertragsteuerliche Organschaft etablieren. Hierzu werden im Jahr 2020 Verhandlungen mit der GÜ-GmbH eingeleitet.
Hinsichtlich der festen (Mindest-)Ausgleichszahlung einigt man sich ‒ unterlegt durch das marktübliche Bewertungsverfahren IDW S1 ‒ auf einen jährlichen Betrag von 2,1 Mio. EUR. Dies soll stark vereinfacht dem auf die GÜ-GmbH entfallenden Anteil am durchschnittlichen jährlichen EBT i. H. v. 15 Mio. EUR nach Abzug von Ertragsteuern von 29,825 % bei einem Gewerbesteuerhebesatz von 400 % entsprechen (= 15 Mio. × 20 % × [1 ‒ 0,29825]).
Darüber hinaus möchte sich die GÜ-GmbH nur auf den Abschluss des EAV einlassen, wenn sie zukünftig an überdurchschnittlichen Ergebnissen partizipieren kann. Die M-GmbH ist bereit, auf die Forderung einzugehen. Allerdings soll sich die Partizipation an überdurchschnittlichen Ergebnissen mindern, soweit in Vorjahren unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielt wurden. Der EAV zwischen der M-GmbH und der GÜ-GmbH enthält folgende Klausel für eine zusätzliche variable Ausgleichszahlung:
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„Die M-GmbH verpflichtet sich weiterhin, der GÜ-GmbH über die feste Ausgleichszahlung hinaus jährlich eine zusätzliche variable Ausgleichszahlung zu leisten. Diese bemisst sich nach dem jährlich für den prozentualen Anteil der GÜ-GmbH am Stammkapital der Bauträger-GmbH zu ermittelnden Höchstbetrag i. S. d. § 14 Abs. 2 KStG in seiner jeweils gültigen Fassung abzüglich der festen Ausgleichszahlung (Differenzbetrag). Negative Differenzbeträge sind vorzutragen und mindern bis zu ihrem vollständigen Verbrauch die variablen Ausgleichszahlungen der folgenden Geschäftsjahre.“ |
Für die Jahre 2021 bis 2026 ergeben sich auf Basis der Plandaten (und unter der Annahme EBT = zvE. = Gewerbeertrag) somit folgende Ausgleichszahlungen (alle Werte in EUR und auf zwei Nachkommastellen gerundet):
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Jahre | 2021 | 2022 | 2023 | 2024 | 2025 | 2026 |
EBT | 0,00 | 30,00 | 0,00 | 10,00 | 0,00 | 50,00 |
./. Fiktive Ertragsteuerbelastung (29,825 %) | 0,00 | 8,95 | 0,00 | 2,98 | 0,00 | 14,91 |
= Zwischensumme | 0,00 | 21,05 | 0,00 | 7,02 | 0,00 | 35,09 |
Höchstbetrag (20 % auf GÜ-GmbH entfallend) | 0,00 | 4,21 | 0,00 | 1,40 | 0,00 | 7,02 |
Feste Ausgleichszahlung | 2,10 | 2,10 | 2,10 | 2,10 | 2,10 | 2,10 |
Differenzbetrag (Vortrag) | ‒ 2,10 (‒ 2,10) | 2,21 (0,00) | ‒ 2,10 (‒ 2,10) | ‒ 0,60 (‒ 2,70) | ‒ 2,10 (‒ 4,80) | 4,92 (0,00) |
Variable Ausgleichszahlung | 0,00 | 0,11 (2,21 ./. 2,10) | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,12 (4,92 ./. 4,80) |
Gesamtausgleichszahlung(als Grundlage für § 16 KStG) | 2,10 | 2,21 | 2,10 | 2,10 | 2,10 | 2,22 |
An dem Beispiel wird deutlich, dass die Höchstbetragsrechnung nicht ausschlaggebend für die Anerkennung der festen Ausgleichszahlung sein kann (vgl. Tz. 4 des BMF-Schreibens). Eine solche dürfte dann nämlich in den Jahren, in denen sie die Höchstbeträge überschreitet (hier: 2021, 2023 und 2025), nicht ohne Konsequenzen für die Anerkennung der Organschaft geleistet werden. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die im EAV vereinbarte Klausel den wirtschaftlichen Interessen der M-GmbH und der GÜ-GmbH auf Basis der vorliegenden EBT-Planung (durch den Vortrag der Differenzbeträge) sehr nahekommt. Dieses Bild würde sich zugunsten der GÜ-GmbH ändern, wenn auf anfänglich überdurchschnittlich gute Jahre, in denen hohe variable Ausgleichszahlungen geleistet werden müssten, unterdurchschnittliche Jahre folgen würden.
Insgesamt bleibt jedenfalls festzuhalten, dass das BMF-Schreiben einen Beitrag in Richtung steuerlicher Rechts- und Planungssicherheit für die Vereinbarung variabler EAV-Ausgleichszahlungen in der hier dargestellten Kombination mit einer festen (Mindest-)Ausgleichszahlung leistet.