· Fachbeitrag · Gesetzgebung
Honorierte pharmazeutische Dienstleistungen: Womit verdient die Apotheke der Zukunft ihr Geld?
von Dr. jur. Bettina Mecking, Düsseldorf
| Was Apotheker leisten sollen, muss in feste Formen gegossen werden, wenn es vergütet werden soll. Derzeit herrscht viel Verunsicherung. Die Kassen sollen verpflichtet werden, über die Inhalte pharmazeutischer Dienstleistungen mit der Apothekerschaft Verträge zu schließen. Die Apothekerorganisationen erheben den Anspruch, Eckpunkte und Qualitätskriterien der Dienstleistungen selbst zu definieren. Das alles geschieht vor dem Hintergrund der geplanten Neuregelung durch das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG). AH berichtet, worauf sich Apotheken einstellen müssen. |
Geplante Neuerungen durch das VOASG
Das VOASG liegt zurzeit auf Eis. Honorierte pharmazeutische Dienstleistungen sind ein zentraler Inhalt im Kabinettsentwurf des VOASG aus dem Sommer 2019. Darin ist ein neuer Zuschlag von 20 Cent pro Rx-Fertigarzneimittelpackung für einen Fonds zur Finanzierung pharmazeutischer Dienstleistungen vorgesehen. Ausgehend von den Erfahrungen mit dem Notdienstfonds wird dies jährlich 144 Mio. Euro einbringen. Neu ist:
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Das geplante Gesetz begründet einen Anspruch der Versicherten „auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken, die über die Verpflichtung zur Information und Beratung gemäß § 20 Apothekenbetriebsordnung hinausgehen und die die Versorgung der Versicherten verbessern“ laut dem in § 129 Sozialgesetzbuch (SGB) V geplanten neuen Absatz 5d. |
Bisher ist ungeklärt, welche Leistungen genau erbracht und wie die Apotheken für die einzelnen Leistungen honoriert werden sollen. Davon wird abhängen, ob die neuen Leistungen für die Apotheken wirtschaftlich tragfähig werden.
Pharmazeutische Dienstleistungen sind kein gänzlich neues Tätigkeitsfeld für Apotheker. Patienten die Anwendung von Arzneimitteln zu erklären, gehört längst zum Apothekenalltag. Hier hingegen sind Aufgaben wie die Medikationsanalyse bei Polymedikationen, Medikamentenrückrufe für Patienten oder Bezugsüberprüfungen bei problematischen Lieferketten gemeint. Hinzu kommen Aufgaben wie das Management eines Wochen-Dosiersystems für Patienten oder Wechselwirkungschecks bei komplexen Polymedikationen. Besonders der Medikamentenaustausch bei Rückrufen aus Qualitätsmängeln und die Substitution eines verschriebenen ärztlichen Präparats zeigten sich in den letzten Jahren als dringliches und flächendeckendes Problem ‒ etwa im Falle verunreinigter Blutdruckmedikamente bei Chronikern (Valsartan-Skandal) oder im Zuge globaler Lieferengpässe bei z. B. Impfstoffen. Solche Aufgaben erfordern häufig langwierige und aufwendige Handlungsabläufe in den Apotheken.
In der Begründung zum Kabinettsentwurf heißt es dazu, die Dienstleistungen sollen „insbesondere auch die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung in Gebieten mit geringer Apothekendichte, z. B. im ländlichen Raum, berücksichtigen“. Dazu werden „Maßnahmen zur pharmazeutischen Betreuung von Patientinnen und Patienten in häuslicher Umgebung“ genannt sowie etwa die Therapieunterstützung einer Pflegebedürftigkeit oder Intensivbetreuung einer Krebstherapie. Zudem soll es nach § 132i SGB V regionale Modellvorhaben geben, die es Apothekern ermöglichen, Grippeschutzimpfungen bei Personen über 18 Jahren durchzuführen. Letzteres ist in den Diskussionen zwischen Ärzten und Apothekern ein besonders heißes Eisen. Hier geht es um die Grenzlinie zwischen den Heilberufen und um Haftungsfragen.
MERKE | Die Bundesapothekerkammer arbeitet derzeit im Verborgenen einen Katalog von dem Vernehmen nach insgesamt 15 Dienstleistungen aus. Dieser wurde bislang nicht im Detail vorgestellt, insbesondere um die Verhandlungsbasis des DAV mit dem GKV-Spitzenverband nicht zu gefährden. |
Wichtige allgemeine Kriterien der Dienstleistungen
Einig ist man sich über grundlegende Kriterien für honorarfähige Dienstleistungen:
- Diese sollen in der Fläche umsetzbar sein, d. h. alle (qualifizierten) Apotheken nehmen teil.
- Außerdem darf die Dienstleistung nicht bereits jetzt über das Fixum abgegolten sein (mehr als Information und Beratung nach § 20 Apothekenbetriebsordnung [ApBetrO]) und sie muss dem Patienten für seine Versicherung erkennbar nutzen.
- Weiterhin soll gewährleistet sein, dass die Dienstleistung rechtssicher und mit der ApBetrO vereinbar ist.
- Die Dienstleistungen sollen retaxsicher abrechenbar sein, d. h. die Leistung muss anhand von objektivierbaren Kriterien für die Kassen überprüfbar sein und darf keinen flottierenden Punktwerten unterliegen.
- Sie sollen für ausländische Internetversender möglichst nicht oder schwer erbringbar sein.
- Es herrscht ApothekENpflicht, aber keine ApothekERpflicht, d. h. auch das pharmazeutische Personal kann diese erbringen.
- Die Inanspruchnahme soll durch die Apotheken veranlasst und nicht durch Arzt oder Krankenkasse mit Genehmigungspflichten gesteuert werden.
- Das zur Verfügung stehende Budget muss kalkulier- und dynamisierbar sein.
- Die Erbringung soll bürokratiearm und leicht erfolgen, d. h. mit geringen Dokumentationspflichten und unter Weiterentwicklung der digitalen Möglichkeiten.
Ideenpool LeiKa
Eine große Sammlung von möglichen pharmazeutischen Dienstleistungen findet sich bereits seit Langem im LeiKa, dem „Leistungskatalog der Beratungs- und Serviceangebote deutscher Apotheken“. Diese kammer- und verbandsübergreifende Sammlung ist vergleichsweise unbekannt und ungenutzt, obwohl dort jede Menge Ideen strukturiert aufgelistet sind und diese als Ideenpool durchaus geeignet erscheint. Hier werden unterschieden:
- Arzneimittelbezogene Leistungen wie Medikationsgespräche, Führen der Patientendatei, Überprüfung der häuslichen Arzneimittelvorräte
- Beratungsleistungen wie Ernährungs- und Impfberatung oder Beratung zur Blutzuckerselbstkontrolle
- Weitere Leistungen wie Blutdruckbestimmung, Versorgung im häuslichen Umfeld oder Vermietung von Medizinprodukten
Die aktuelle Version des LeiKa finden Sie unter abda.de>Mitglieder>LeiKa ‒ Leistungen und Umsetzungshilfen.
Aktueller Ansatz: 3-Stufen-Modell
Inzwischen scheint die Entwicklung auf eine Art „Stufenmodell“ hinauszulaufen. Ein Katalog mit drei gestaffelten Dienstleistungskategorien soll die Grundlage für die Verhandlungen mit Politik und Kassen bilden. Dessen Kernpunkt ist eine Einteilung der pharmazeutischen Dienstleistungen in drei aufsteigende Kategorien:
- Kategorie I ‒ Einstieg: niederschwellig realisierbar ‒ von allen Apotheken zu erbringen:
- Parameterbezogene, einfache Medikationsgespräche mit klarer Zielsetzung zur Adhärenzförderung wie die Überprüfung des Einnahmezeitpunkts, der Anwendung, des Dosierungsintervalls oder der Eignung der Darreichungsformen, aber auch die Kontrolle auf eine eventuelle Doppelmedikation sind damit z. B. gemeint.
- Auch die Begleitung bei neuer Medikation durch Follow-up-Gespräche sowie die Beratung und Weiterleitung Betroffener in der Suchtberatung oder bei Beratungsangeboten für pflegende Angehörige würden darunterfallen.
MERKE | Prinzipiell kann diese Art von Dienstleistungen jede Apotheke ohne Fortbildungen, Zertifikate oder zusätzliche Anschaffungen umsetzen ‒ und tut das oft heute bereits.
- Kategorie II ‒ Aufbau: höherer Zeit- und Personalaufwand, ggf. Fortbildung notwendig ‒ in jeder Apotheke möglich. Dazu gehören z. B.
- Medikationsanalysen oder Erstellung eines Medikationsplans,
- Brown-Bag-Analysen inklusive Überprüfung der Lagerung sowie der Anbruch- und Verfalldaten,
- die Reiseimpfberatung,
- Screenings, Labor- und Analyseleistungen oder
- das individualisierte Stellen von Arzneimitteln für die ambulante Pflege.
- Kategorie III ‒ Spezialisierung: zusätzliche Ressourcen, Fortbildung, Zertifizierung nötig; komplexe, auch interdisziplinäre Angebote ‒ in jeder Apotheke möglich, aber nicht verpflichtend. Dienstleistungen der dritten Kategorie sind z. B.
- komplexes, auch interdisziplinäres Medikationsmanagement,
- zertifizierte Präventions- und Beratungsangebote, die Spezialkenntnisse erfordern, oder auch
- Modellprojekte im Zusammenhang mit innovativer Leistungserbringung wie das Impfen in der Apotheke.
MERKE | Je mehr zeitliche, sachliche und personelle Ressourcen die Apotheke für eine Dienstleistung aufbringen muss, desto mehr Geld erhält sie dafür aus dem Fonds. |
Einordnung und Handlungsempfehlungen
Ohne eine geeignete Personalstruktur, die aufgrund des derzeitigen Fachkräftemangels oft nicht vorhanden ist, fehlen meist die Freiräume, um hier tatkräftig einzusteigen. Es ist aber sicherlich sinnvoll, erst einmal überhaupt zu starten. Der „normale“ Apotheker, der im Alltag steht und versucht, ohnehin schon anstehende Aufgaben zu bewältigen, hat zunächst kein Interesse an neuen Aufgaben. Hier hilft der niederschwellige Einstiegslevel. Auf dieser Stufe können Apotheken Erfahrungen gewinnen, zeigen, was sie alles leisten können und damit Argumente für den späteren Ausbau der honorierten Dienste liefern. Das Ass im Ärmel der Vor-Ort-Apotheken ist und bleibt die Empathie bei der persönlichen Beratung.
Dem künftigen Anspruch der Versicherten steht ein sehr begrenzter Honorartopf gegenüber. Die anstehende Reform ist auf absehbare Zeit der einzige realistische Einstieg in die eigenständige Honorierung pharmazeutischer Dienstleistungen. Es bleibt eine Vielzahl potenzieller Probleme zu klären. Die Gefahr, nach der Erbringung von Dienstleistungen retaxiert zu werden, muss vor allem durch eine klare Definition von Strukturen und Bedarf verringert werden: Wer kann eine Dienstleistung, an der die Apotheke verdient, auslösen ‒
- nur der Patient auf Nachfrage,
- der Arzt über die Verordnung oder
- darf der Apotheker diese Leistungen aktiv bewerben?
Wenn zu viele Patienten die Leistungen nachfragen und die Finanzmittel nicht ausreichen, könnten die Apotheken gezwungen sein, die Leistungen nicht kostendeckend anzubieten. Die Ansprüche müssen daher durch die Verhandlungen zwischen den Krankenkassen und den Apotheken so reguliert werden, dass die Patienten zu ihrem Recht kommen, ohne die Apotheken in den Ruin zu treiben.
MERKE | Nur wenn der Berufsstand selbst davon überzeugt ist, dass und welche Leistungen er zu welchen Konditionen anbieten kann, kann er Politik und Patienten erklären, dass sie Geld wert sind. |