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· Fachbeitrag · Grenzüberschreitende Rentenbesteuerung

Renteneinkünfte im Inbound- und Outbound-Fall (Teil 1): Praxisfälle ohne DBA-Anwendung

von Diplom-Finanzwirt Jörg Holthaus, Unna

| In Zeiten der Globalisierung werden auch Rentner immer mobiler. Teilweise kehren passend zum Ruhestand ehemals in Deutschland tätige Arbeitnehmer in ihre alte Heimat zurück oder aus Deutschland Stammende möchten ihren Lebensabend im sonnigen Süden verbringen. Steuerrechtlich muss bei all diesen Inbound- und Outbound-Konstellationen bedacht werden, dass regelmäßig zwei Fisci eine Besteuerung durchführen wollen. Im ersten Teil des Beitrages werden die Fälle ohne DBA-Anwendung analysiert und die Gesetzesänderung durch das JStG 2020 zum angeordneten Steuerabzug bei beschränkt steuerpflichtigen Rentnern kritisch erläutert. |

1. Beschränkt Steuerpflichtiger aus Nicht-DBA-Staat mit Renteneinkünften aus Deutschland

Ist ein Empfänger einer aus Deutschland stammenden Rente in einem Nicht-DBA-Staat ansässig (bzw. erhält ein in Deutschland ansässiger Rentner eine Rente aus einem Nicht-DBA-Staat), besteuert der Quellenstaat regelmäßig unbegrenzt nach seinem Recht. Zur Vermeidung einer doppelten Besteuerung in seinem Wohnsitzstaat ist der Steuerpflichtige auf rein nationale Regelungen angewiesen.

 

Zunächst ist zu prüfen, ob die Rente aus Deutschland dem Grund nach in eine der Einkunftsarten des EStG gehört und ob der besondere Inlandsbezug des § 49 Abs. 1 Nr. 7 oder Nr. 10 EStG gegeben ist. Hierzu zählen Renten/Leistungen aus

  • der deutschen Sozialversicherung,
  • der inländischen landwirtschaftlichen Alterskasse,
  • den inländischen berufsständischen Versorgungseinrichtungen,
  • aus inländischen Versicherungsunternehmen oder
  • sonstigen inländischen Zahlstellen, wenn die Beiträge, die den Leistungen zugrunde liegen, nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG (z. B. sogenannte Rürup-Verträge) ganz oder teilweise in der Vergangenheit als Sonderausgabe berücksichtigt wurden.

 

Beachten Sie | Mit dem EU-Umsetzungsgesetz (Art. 1 Nr. 6 Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften 8.4.10, BGBl I 10, 386) wurde seit 2010 der Umfang der inländischen Renteneinkünfte um Leibrenten und andere Zahlungen ausländischer Zahlstellen erweitert, wenn die Beiträge zum Erwerb dieser Leistungsansprüche ganz oder teilweise bei der Ermittlung der Sonderausgaben berücksichtigt worden sind. Hierbei ist es unerheblich, ob sich der Sonderausgabenabzug steuerlich tatsächlich ausgewirkt hat (vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 17/506, 26). Diese Änderung erfolgte vor dem Hintergrund der Erweiterung der Begünstigung der Altersvorsorge bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern, die ins deutsche Sozialversicherungsnetz eingegliedert sind, z. B. Grenzgänger i. S. d. DBA Frankreich, Österreich und Schweiz, sowie erweitert unbeschränkt Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 2 EStG. Sie beruht daher indirekt auf der EuGH-Entscheidung vom 10.9.09 (C-269/07, Kommission/Deutschland, FR 09, 964; vgl. auch Myßen/Fischer, FR 10, 462 ff.).

 

Seit 2009 werden durch § 49 Abs. 1 Nr. 10 EStG zudem Leistungen aus Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen als inländische Einkünfte erfasst, soweit sie auf im Inland steuerfrei gestellten Beiträgen (z. B. nach § 3 Nr. 56, Nr. 63 und Nr. 66 EStG) oder Zuwendungen (z. B. Riester-Förderung nach § 10a EStG bzw. §§ 79 ff. EStG) beruhen.

 

Beachten Sie | In der Gesetzesfassung seit 2010 werden auch ausdrücklich Leistungen ausländischer Zahlstellen erfasst, da diese durch die Änderungen in § 10a EStG und in Abschnitt XI EStG durch das EU-Umsetzungsgesetz unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen der deutschen Altersvorsorge begünstigt sind. Da in- und ausländische Anbieter von zertifizierten Altersvorsorgeverträgen verpflichtet sind, eine Rentenbezugsmitteilung nach § 22a EStG abzugeben, dürfte die Besteuerung der beschränkt steuerpflichtigen Riester-Rentner grundsätzlich sichergestellt sein (BMF 30.1.08, IV C 8 - S 2222/07/0003, IV C 5 - S 2345/08/0001, BStBl I 08, 390 ‒ u. a. Rz. 162).

 

Eine besondere Brisanz steckt allerdings in § 95 Abs. 1 EStG. Hier wird z. B. für alle Verträge in der Auszahlungsphase eine Rückforderung der Zulagen und Steuervorteile (durch den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG) festgelegt, wenn der (ehemalige) Zulagenberechtigte seinen Wohnsitz in einen Staat außerhalb der EU oder des EWR verlegt.

 

MERKE | Diese Rückzahlungsverpflichtung wurde durch den Brexit für alle in Großbritannien ansässigen Steuerpflichtigen mit Wirkung auf den 1.1.21 ausgelöst. Allerdings ist im Brexit-Steuerbegleitgesetz ein Bestandsschutz für Riester-Verträge enthalten. Gemäß dem angepassten § 95 Abs. 1 S. 2 EStG tritt eine Rückzahlungsverpflichtung nicht ein, sofern sich der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Zulageberechtigten bereits seit dem 22.6.16 ununterbrochen in Großbritannien und Nordirland befindet und der Vertrag vor dem 23.6.16 (Tag des Brexit-Referendums) abgeschlossen worden ist (s. auch Kudert, PIStB 18, 336).

 

Da Deutschland mit allen EU- und EWR-Staaten ein DBA abgeschlossen hat, löst ein Wegzug in einen Nicht-DBA-Staat in der Auszahlungsphase immer die Rückforderung der Zulagen und Steuervorteile nach § 95 Abs. 1 EStG aus. Insoweit läuft § 49 Abs. 1 Nr. 10 EStG in Nicht-DBA-Fällen leer, da durch die Rückzahlung der Begünstigung keine Einkünfte mehr i. S. v. § 49 Abs. Nr. 10 EStG i. V. m. § 22 Nr. 5 EStG vorliegen.

 

Die Einkünfte auch eines beschränkt Steuerpflichtigen nach § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a) Doppelbuchst. aa) EStG aus der deutschen Rentenversicherung, der inländischen landwirtschaftlichen Alterskasse und den inländischen berufsständischen Versorgungseinrichtungen ermitteln sich wie bei unbeschränkt Steuerpflichtigen nach dem Schema:

 

Einnahmen des aktuellen Jahres

Rentenfreibetrag (festgelegt im Jahr, das dem Rentenbeginn folgt)

Werbungskosten bzw. Werbungskostenpauschbetrag nach § 9a Nr. 3 EStG

 
  • Beispiel 1

C war bis 2019 als Zahnarzt in Düsseldorf tätig. Während seiner aktiven Tätigkeit hat er in das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Nordrhein eingezahlt. Ende 2019 wandert er nach Chile aus. Seit 1.1.20 erhält er eine monatliche Rente aus dem Versorgungswerk von 3.000 EUR. C ist in 2020 mangels Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland beschränkt steuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 4 EStG, da er durch die Rente inländische Einkünfte i. S. v. § 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG erzielt. Die Einkünfte ermitteln sich nach § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a) Doppelbuchst. aa) EStG wie folgt:

Einnahmen:

12 × 3.000 EUR

=

36.000 EUR

davon steuerpflichtig nach S. 3

80 %

28.800 EUR

Werbungskostenpauschbetrag

102 EUR

steuerpflichtige Einkünfte

28.698 EUR

 

Seine zu zahlende Einkommensteuer bemisst sich nach dem Grundtarif unter vorheriger Hinzurechnung des Grundfreibetrages (§ 50 Abs. 1 S. 2 EStG) und beträgt: 7.802 EUR zuzüglich 429,11 EUR Solidaritätszuschlag.

 

Leistungen aus zulagenbegünstigten Verträgen werden nach § 22 Nr. 5 EStG grundsätzlich mit den vollen Einnahmen nur abzüglich des Werbungskostenpauschbetrages von 102 EUR nach § 9a Nr. 3 EStG bzw. der tatsächlichen Werbungskosten i. S. v. § 9 EStG besteuert. Da die Einkünfte keinem unmittelbaren Steuerabzug unterliegen, sind sie erklärungspflichtig. Der Grundfreibetrag, Sonderausgaben (außer Spenden) und außergewöhnliche Belastungen werden nicht abgezogen (§ 50 Abs. 1 S. 3 EStG).

 

MERKE | Selbst wenn beide Ehegatten inländische Einkünfte haben, ist keine Ehegattenbesteuerung bei beschränkter Steuerpflicht möglich, da eine der Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 EStG die unbeschränkte Steuerpflicht beider Ehegatten ist. Daher ist bei beschränkt steuerpflichtigen Veranlagungen niemals der Splittingtarif nach § 32a Abs. 5 EStG möglich.

 

Es ist ein klassischer Wesenszug der beschränkten Steuerpflicht, dass persönliche Verhältnisse nahezu unberücksichtigt bleiben. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die persönlichen Verhältnisse ‒ insbesondere die Freistellung des Existenzminimums ‒ vom jeweiligen Wohnsitzstaat berücksichtigt werden.

 

1.1 Die unbeschränkte Steuerpflicht auf Antrag

Unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG ist im Einzelfall eine Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht auf Antrag möglich, die dann zur Berücksichtigung von Grundfreibetrag, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen führen kann. Beschränkt Steuerpflichtige können unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und Ansässigkeit auf Antrag mit all ihren inländischen Einkünften wie unbeschränkt Steuerpflichtige veranlagt werden, wenn

  • sie inländische Einkünfte (i. S. v. § 49 EStG) erzielen und
  • die nicht der deutschen Steuer unterliegenden Einkünfte bis 10 % der Gesamteinkünfte oder bis maximal den Grundfreibetrag betragen und
  • diese Einkünfte vom Ansässigkeitsstaat bescheinigt sind.

 

Beachten Sie | Zu den nicht der deutschen Steuer unterliegenden Einkünften gehören auch nach einem DBA nur begrenzt in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte wie Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren.

 

Die absolute Grenze in Höhe des aktuellen Grundfreibetrages ist entsprechend der Ländergruppeneinteilung (vgl. ab 1.1.21: BMF 11.11.20, IV C 8 - S 2285/19/100001 :002, BStBl I 20, 1212) zu kürzen auf (Stand seit 1.1.21):

 

  • 3/4 für z. B.: Aruba, Chile, Curacao, Oman, Panama, Saudi-Arabien

 

  • 1/2 für z. B.: Botsuana, Brasilien, Grenada, Irak, Kolumbien, Kuba, Libanon, Paraguay, Peru, Suriname

 

  • 1/4 für z. B.: Afghanistan, Angola, Äthiopien, Belize, Benin, Bhutan, Eritrea, Gambia, Guatemala, Haiti, Honduras, Jemen, Jordanien, Kambodscha, Kamerun, Madagaskar, Mauretanien, Nepal, Niger, Nigeria, Papua-Neuguinea, Senegal, Tansania, Togo, Tschad, Uganda.

 

  • Beispiel 1 (Fortführung)

C (wie oben) hat in 2020 neben seiner Rente aus Deutschland in Chile lediglich Einkünfte aus gelegentlichen Vortragstätigkeiten von umgerechnet 7.000 EUR. In Chile zahlt er in eine Krankenbasisversicherung monatlich umgerechnet 200 EUR ein. Er beantragt eine Veranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG und weist seine chilenischen Einkünfte durch die „Bescheinigung außerhalb EU/EWR“ nach. Zwar betragen die ausländischen Einkünfte mehr als 10 % seiner gesamten Einkünfte, jedoch liegen sie unter ¾ des Grundfreibetrages (¾ × 9.408 EUR = 7.056 EUR).

 

C erfüllt daher die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG. Er kann nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 4 S. 4 EStG seine Basiskrankenversicherung von insgesamt 2.400 EUR als Sonderausgabe geltend machen. Zudem steht ihm der Sonderausgabenpauschbetrag von 36 EUR nach § 10c EStG zu. Sein zu versteuerndes Einkommen ermittelt sich wie folgt:

Summe der Einkünfte = Gesamtbetrag der Einkünfte § 2 Abs. 3 EStG:

28.698 EUR

(s. o.)

Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG

2.400 EUR

Sonderausgabenpauschbetrag § 10c EStG

36 EUR

Einkommen = zu versteuerndes Einkommen § 2 Abs. 4 und 5 EStG

26.262 EUR

 

Seine Renteneinkünfte werden nun nach dem Grundtarif versteuert, allerdings unterliegen die chilenischen Einkünfte von 7.000 EUR dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG. Seine Einkommensteuer beträgt 4.899 EUR zuzüglich 269,44 EUR Solidaritätszuschlag.

 

Der EuGH (18.6.15, C-9/14 ‒ Kieback, IStR 15, 293) hat klargestellt, dass die Einkunftsprüfung auch in Wegzugsfällen immer auf das gesamte Kalenderjahr bezogen erfolgt. Es reicht danach nicht aus, dass ein Steuerpflichtiger bis zum Wegzug aus einem Land 90 % seiner Einkünfte aus Deutschland bezog.

 

PRAXISTIPP | Die „Bescheinigung außerhalb EU/EWR“ ist regelmäßig Voraussetzung für die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG. Sie ist jeweils zweisprachig in den meisten gängigen Sprachen aufgelegt und kann im Internet unter www.formulare-bfinv.de geladen werden.

 

Der Umfang der Steuerpflicht wird durch den Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG nicht erweitert. Es werden nur die inländischen Einkünfte i. S. d. § 49 EStG erfasst. Allerdings wird die Abgeltungswirkung der Lohnsteuer und des Steuerabzugs nach § 50a EStG aufgehoben, da auch diese Einkünfte in die Veranlagung einbezogen werden. Die entsprechende Abzugsteuer (Lohnsteuer, Steuer nach § 50a EStG) wird angerechnet. Im Hinblick auf inländische Kapitaleinkünfte gilt nun § 43 Abs. 5 EStG (grds. Abgeltungswirkung). Die Antragsmöglichkeiten nach § 32d Abs. 4 und 6 EStG (Nachholung des Sparerpauschbetrages und Günstigerprüfung) sind anwendbar. Insoweit ist der beschränkt Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 3 EStG dem unbeschränkt Steuerpflichtigen gleichgestellt.

 

Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen können in voller Höhe geltend gemacht werden. Alle Pauschalen und Pauschbeträge werden in voller Höhe gewährt. Alle nicht der deutschen Steuer unterliegenden Einkünfte werden im Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG erfasst. Hierfür sind die Einkünfte grundsätzlich nach deutschem Recht zu ermitteln. Aus Vereinfachungsgründen wird aber regelmäßig der von den ausländischen Behörden als nicht der deutschen Steuer unterliegende Betrag der Einkünfte übernommen.

 

Das FA Neubrandenburg ist gemäß § 19 Abs. 6 AO i. V. m. § 1 EStZustV zentral zuständig für beschränkt steuerpflichtige oder auf Antrag unbeschränkt steuerpflichtige Personen, die ausschließlich Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG oder nach § 49 Abs. 1 Nr. 10 EStG beziehen.

 

Beachten Sie | Ist die steuerpflichtige Person erst im Laufe eines Veranlagungszeitraums ins Ausland verzogen, ist diese Person für das Jahr des Wegzugs noch teilweise unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Zuständig für diesen Veranlagungszeitraum ist weiter das ursprüngliche Wohnsitz-Finanzamt (weitere Hinweise s. unter www.finanzamt-rente-im-ausland.de).

 

1.2 Abzugsanordnungen nach § 50a Abs. 7 EStG

Insbesondere bei Rentnern, die in Nicht-DBA-Staaten ansässig sind, ist aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung die Realisierung des deutschen Steueranspruchs offensichtlich schwierig. Regelmäßig gibt es weder Zustellungs- noch Vollstreckungsabkommen mit diesen Staaten. Daher hat allen voran das zentral zuständige Finanzamt Neubrandenburg in der Vergangenheit regen Gebrauch von der Anordnung des Steuerabzugs bei Vergütungen an beschränkt Steuerpflichtige nach § 50a Abs. 7 EStG gemacht.

 

Dies ist an sich schon kritisch zu sehen, weil der Steuerabzug nur der Sicherung des deutschen Steueranspruchs dienen soll. Da die Renteneinkünfte regelmäßig (monatlich) aus Deutschland fließen, könnte per Drittschuldnererklärung gegenüber der die Rente auszahlenden Stelle die Steuer realisiert werden, sollte der Auslandsrentner seiner Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung und zur Zahlung der ggf. geschätzten Einkommensteuer nicht nachkommen. Man könnte also bei Nichtzahlung der Steuerschulden schlicht die Rentenansprüche pfänden.

 

MERKE | § 50a Abs. 7 EStG ist eine Kannvorschrift zur Sicherung des Steueranspruchs. Der Steuerabzug beträgt seit VZ 2008 15 % für alle beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften und ansonsten 25 %, wenn der beschränkt Steuerpflichtige dem Finanzamt nicht glaubhaft macht, dass die voraussichtlich geschuldete Steuer niedriger ist. Bei Abzugsanordnungen, die nach dem 31.12.14 erlassen werden, darf das Finanzamt auch einen höheren Steuerabzug anordnen, wenn die voraussichtliche Steuer entsprechend hoch sein wird.

 

Die Verpflichtung zum Steuerabzug entsteht durch die Steuerabzugsanordnung des Finanzamtes. Die Anordnung hat Vorauszahlungscharakter, da nach § 50a Abs. 7 S. 4 EStG die Abgeltungswirkung nach § 50 Abs. 2 S. 1 EStG nicht greift. Die Abzugsverpflichtung kann dem Zahlungsschuldner nicht mehr auferlegt werden, wenn die Zahlung bereits geleistet ist. Lag im Zeitpunkt der Zahlung aber eine Abzugsanordnung vor, haftet der Vergütungsschuldner für die entsprechende Steuer. Der Steuerabzug ist bei dem Finanzamt anzumelden und abzuführen, das den Steuerabzug angeordnet hat.

 

Für Anordnungen, die nach dem 31.12.14 erlassen werden, kann das Finanzamt nach § 50a Abs. 7 EStG anordnen, dass die innerhalb eines Monats einbehaltenen Steuern jeweils zum Zehnten des Folgemonats anzumelden und abzuführen sind. Von dieser monatlichen Verpflichtung macht insbesondere das Zentralfinanzamt Neubrandenburg gegenüber den Rentenversicherungsträgern regelmäßig Gebrauch.

 

Beachten Sie | Beim Erlass der Abzugsanordnungen müssen allerdings die Begrenzungen durch DBA beachtet werden (hierzu ausführlich mehr in Teil 2 in der nächsten Ausgabe).

 

Mit dem JStG 2020 wurden Änderungen in § 22a EStG (mit Wirkung ab dem 1.1.22) und in § 50a Abs. 7 EStG (mit Wirkung ab 1.1.21) auf den Weg gebracht. Danach soll offensichtlich die Abzugsanordnung nach § 50a Abs. 7 EStG als Regelverfahren bei der Erhebung von Steuern von beschränkt steuerpflichtigen Rentnern etabliert werden.

 

Insbesondere die Meldepflicht von vorgenommenen Steuerabzügen nach § 50a Abs. 7 EStG in den Rentenbezugsmitteilungen verdeutlicht, dass hier ein Massenverfahren durch die Hintertür verankert wurde. M. E. stellt sich da die Frage, ob der Gesetzgeber nicht besser eine konkrete Abzugsverpflichtung für Auslandsrentner in § 50a Abs. 1 EStG neben dem besonderen Steuerabzug für Darbietungseinkünfte und Rechteüberlassungen verankert hätte. Denn die Sicherung des Steuerabzugs nach § 50a Abs. 7 EStG ist dem Grunde nach eine individuelle Ermessensentscheidung im Einzelfall. Die aktuellen Änderungen machen aber deutlich, dass der Gesetzgeber von einem Massenverfahren ausgeht.

 

In der Gesetzesbegründung wird sogar ausgeführt, dass durch die Gesetzesänderung die Rentenversicherer in die Lage versetzt werden, die Individualisierung der einbehaltenen Abzugsbeträge nicht in den Anmeldungen an das anordnende Finanzamt, sondern erst in den Rentenbezugsmitteilungen vorzunehmen. Dies ist mit der Zielrichtung des Gesetzes einer ermessensgerechten individuellen Abzugsanordnung zur Sicherung des Steueraufkommens m. E. nicht mehr vereinbar.

 

Vor allem haben die Auslandsrentner zunächst den Liquiditätsnachteil hinzunehmen, da ihnen der Steuerabzug vom Bruttobetrag der Rente unmittelbar abgezogen wird. Der steuerpflichtige Teil der Rente ist prozentual aber umso kleiner, je länger die Rente bereits läuft. Ob das Zentralfinanzamt diese individuellen Begebenheiten in seinen Abzugsanordnungen beachtet, sei dahingestellt.

 

Eine konkrete Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn der Auslandsrentner neben der Rente aus Deutschland weitere zu veranlagende inländische Einkünfte erzielt und daher nicht beim Zentralfinanzamt, sondern bei dem Finanzamt, wo die weitere Einkunftsquelle liegt, veranlagt wird. Da die Abzugsanordnung nur vom für den beschränkt Steuerpflichtigen zuständigen Finanzamt erlassen werden darf, kann davon ausgegangen werden, dass in diesen Fällen keine Abzugsanordnung auf die Renteneinkünfte erfolgt. Regelmäßig wäre eine Abzugsanordnung in diesen Fällen auch ermessensfehlerhaft, da durch die weitere Einkunftsquelle (z. B. vermietetes Haus oder Beteiligung an einer inländischen Personengesellschaft) ausreichend vollstreckbares Vermögen im Inland vorhanden ist.

 

PRAXISTIPP | Die korrekte Ermessensausübung bei der Anordnung des Steuerabzugs kann gerichtlich überprüft werden. Einspruch- und klageberechtigt ist auch der Auslandsrentner als Vergütungsgläubiger. Nach herrschender Meinung des BFH kann nicht nur der Adressat des Verwaltungsakts, sondern unter Umständen auch ein vom Verwaltungsakt materiell beschwerter Dritter Rechtsbehelfe geltend machen. Das gilt insbesondere in den Fällen der Abzugsanordnung nach § 50a Abs. 7 EStG.

 

2. Unbeschränkt Steuerpflichtige mit Renteneinkünften aus Nicht-DBA-Staaten

Bezieht ein unbeschränkt Steuerpflichtiger (§ 1 Abs. 1 S. 1 EStG) eine Rente aus einem Nicht-DBA-Staat, wird das deutsche Besteuerungsrecht nicht beschränkt. Soweit eine ausländische Rente unter § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a) Doppelbuchst. aa) EStG zu subsumieren ist, ist sie in Deutschland zu versteuern. Waren die Beiträge in das auszahlende ausländische Versicherungsunternehmen durch Zulagen oder einen Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG begünstigt, liegen Einkünfte i. S. v. § 22 Nr. 5 EStG vor.

 

Unterliegt die Rente aus dem Ausland im Quellenstaat einer der deutschen Einkommensteuer vergleichbaren Steuer, verhindert Deutschland eine doppelte Besteuerung durch die Möglichkeiten des § 34c EStG.

 

Nach § 34c Abs. 1 EStG wird die ausländische Steuer auf die deutsche Einkommensteuer aber nur insoweit angerechnet, wie durch die ausländischen Einkünfte eine deutsche Steuer ausgelöst wird. Hierzu ist nach H 34c Abs. 3 „Ermittlung des Höchstbetrags für die Steueranrechnung“ EStH 2019 auf den durchschnittlichen Steuersatz im VZ abzustellen. Der Höchstbetrag ermittelt sich dann nach der Formel:

 

  • Ausländische Einkünfte (ermittelt nach deutschem Recht)
  • × durchschnittlicher deutscher Steuersatz (tarifliche ESt/zvE)
  • = Anrechnungshöchstbetrag

 

  • Beispiel 2

D (62 Jahre, ledig) mit Wohnsitz in Dortmund war bis zum Jahr 2019 als Journalist in Chile tätig. Er erhält seit dem Jahr 2017 eine Rente aus der chilenischen Rentenversicherung. In 2017 und bis zum 30.6.18 betrug die Rente monatlich umgerechnet 700 EUR. Ab 1.7.18 betrug sie 720 EUR, ab 1.7.20 730 EUR. In Chile wurde jeweils ein Steuerabzug von 15 % der Bruttorente vorgenommen. Im Jahr 2020 erzielt D neben der chilenischen Rente noch freiberufliche Einkünfte in Deutschland i. H. v. 15.000 EUR. Er zahlt monatlich in eine Basiskrankenversicherung 200 EUR.

 

D ist im Jahr 2020 nach § 1 Abs. 1 S. 1 EStG aufgrund seines Wohnsitzes im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Da Deutschland kein DBA mit Chile abgeschlossen hat, ist nach dem Welteinkommensprinzip auch die Rente aus Chile in Deutschland zu versteuern. Die Einkünfte ermitteln sich gemäß § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a) Doppelbuchst. aa) EStG wie folgt:

Einnahmen (Rente) 2020: 6 × 720 EUR + 6 × 730 EUR = 8.700 EUR

8.700 EUR

davon ab Rentenfreibetrag (festgeschrieben im Jahr, das dem Rentenbeginn folgt, also 2018):

  • Einnahmen 2018: 6 × 700 EUR + 6 × 720 EUR

= 8.520 EUR

  • davon in 2018 steuerpflichtig (76 %)

6.475 EUR

  • Steuerfreier Anteil der Rente in 2018 (Rentenfreibetrag)

2.045 EUR

2.045 EUR

Werbungskostenpauschbetrag § 9a Nr. 3 EStG

102 EUR

Renteneinkünfte 2020

6.553 EUR

6.553 EUR

Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit

15.000 EUR

Summe der Einkünfte = Gesamtbetrag der Einkünfte

21.553 EUR

Basiskrankenversicherung § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG

2.400 EUR

Sonderausgabenpauschbetrag § 10c EStG

36 EUR

Einkommen = zu versteuerndes Einkommen

19.117 EUR

Die tarifliche Einkommensteuer beträgt zunächst nach § 32a Abs. 1 EStG

2.116 EUR

Durchschnittlicher Steuersatz: 2.116 EUR × 100 ÷ 19.117 EUR = 11,0686 %

Chilenische Impuesta a la renta 15 % von 8.700 EUR = 1.305 EUR

Anrechnung nach § 34c EStG: chilenische Einkünfte 6.553 EUR × 11,0686 %

725 EUR

Festzusetzende deutsche Einkommensteuer

1.391 EUR

 

Da nur ein Teil der chilenischen Steuer gemäß § 34c EStG angerechnet werden kann, beträgt die effektive Steuerlast mehr als der deutsche durchschnittliche Steuersatz für das zu versteuernde Einkommen.

Steuerlast: 1.391 EUR + 1.305 EUR = 2.696 EUR

 

Wie das Beispiel zeigt, ist die steuerliche Belastung im Fall von im Quellenstaat besteuerten Renteneinkünften höher, als wenn alle Einkünfte aus Deutschland stammen würden. Das gilt immer dann, wenn die ausländische Quellensteuer höher ist als die darauf entfallende durchschnittliche deutsche Einkommensteuer. Insoweit hat der Rentner mit einer ausländischen Rente steuerlich regelmäßig das Nachsehen.

 

§ 34c EStG ist zudem eine reine Tarifvorschrift. Zur Vermeidung einer doppelten Besteuerung wird lediglich eine Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer durch die (teilweise) Anrechnung einer ausländischen Quellensteuer gewährt. Daher kann es auch nie zu einer Erstattung ausländischer Quellensteuer z. B. bei einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte kommen.

 

Als „schwacher Trost“ kann nach § 34c Abs. 2 EStG zumindest der Antrag auf Abzug der ausländischen Steuern gestellt werden.

 

  • Beispiel 2 (Abwandlung)

D hat neben den obigen Renteneinkünften aus Chile einen Verlust aus freiberuflicher Tätigkeit im Jahr 2020 von 10.000 EUR. Seine Summe der Einkünfte und sein Gesamtbetrag der Einkünfte betragen somit 6.553 EUR ‒ 10.000 EUR = ‒ 3.447 EUR. Seine Einkommensteuer in 2020 beträgt 0 EUR. Nach § 34c EStG ist keine Anrechnung einer ausländischen Steuer möglich. Nach § 34c Abs. 2 EStG kann auf Antrag aber die chilenische Steuer wie Werbungskosten berücksichtigt werden. Die Einkünfte nach § 22 Nr. 1 EStG ermitteln sich dann wie folgt:

Einnahmen (Rente) in 2020

8.700 EUR

Rentenfreibetrag

2.045 EUR

chilenische Steuer

1.305 EUR

Renteneinkünfte

5.350 EUR

 

Der Gesamtbetrag der Einkünfte beträgt nun (5.350 EUR - 10.000 EUR=) ‒ 4.650 EUR. Faktisch hat sich durch den Antrag nach § 34c Abs. 2 EStG der mögliche Verlustvortrag um 1.203 EUR erhöht.

 

Beachten Sie | Ausführlich zur Anrechnung und zum Abzug ausländischer Steuern nach § 34c EStG, s. Weiss, PIStB 21, 84 und 98.

 

PRAXISTIPP | Die Anrechnung der ausländischen Steuern und der Antrag auf Abzug nach § 34c Abs. 2 EStG erfolgt über die Kennziffern im Sachbereich 19 (Anlage AUS). Die Versteuerung der ausländischen Einkünfte wird über die Kennziffern der „normalen“ Anlage R berücksichtigt.

 

Weiterführender Hinweis

  • In den folgenden Ausgaben wird die Besteuerung von grenzüberschreitenden Renteneinkünften in Inbound- und Outbound-Fällen bei der Anwendung von DBA in der Praxis vorgestellt.

 

Zum Autor | Dipl. Finanzwirt Jörg Holthaus ist als Dozent an der Hochschule für Finanzen des Landes NRW in Nordkirchen und als Gastdozent der Bundesfinanzakademie Berlin mit dem Schwerpunkt Internationales Steuerrecht tätig. Sein Beitrag ist nicht in dienstlicher Funktion verfasst und gibt seine persönliche Meinung wieder.

Quelle: Seite 105 | ID 47187052