· Fachbeitrag · Haftpflichtschaden
Aktuelles zur Vorschaden-Rechtsprechung
von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen
| Aus ihrem Hinweis- und Informationssystem (HIS) kennen Versicherer inzwischen wohl jeden abgerechneten Vorschaden. Das hat den Druck auf Anspruchsteller und ihre Anwälte wie auch auf die Schadensgutachter enorm erhöht. Wegen eines Vorschadens null Ersatz, trotz zweier Vorschäden voller Ersatz ‒ in dichter Folge entscheiden die Obergerichte mal so, mal so. VA sorgt für den nötigen Durchblick. |
1. Grundsätzliche Aussagen
Die wichtigsten Basisinformationen sind hier zusammengefasst.
Übersicht / Basisinformationen |
1. Mehrfachrelevanz In Haftpflichtsachen ist ein Vor-/Altschaden unter folgenden Blinkwinkeln relevant:
2. Was sagt der BGH? An der in VA 13, 96 dargestellten Rspr. des BGH hat sich seither nichts geändert. Die ihm in der KG-Sache VA 15, 183 eröffnete Möglichkeit, seine bisherigen Grundsätze zu bestätigen bzw. zu korrigieren hat der VI. ZS leider nicht genutzt. Die NZB des Klägers wurde sang- und klanglos zurückgewiesen (5.4.16, VI ZR 521/15). Von den Instanzgerichten oft übersehen werden folgende nach wie vor gültige Grundsätze des BGH:
3. Im Verhältnis Geschädigter/SV gilt grundsätzlich:
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2. Fallgruppen beim Fahrzeugschadenersatz
Ohne Fallgruppen zu bilden geht hier nichts, so die Erkenntnis aus jahrzehntelanger Praxis. Folgende Fallgruppen sind zu unterscheiden:
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Beispiel: unreparierter Schaden am rechten Vorderkotflügel, Neuschaden durch Auffahrunfall hinten links.
Probleme und Lösung: Der unstreitig vorhandene unreparierte Vorschaden ‒ auch „Altschaden“ genannt ‒ ist unter dem Gesichtspunkt der haftungsbegründenden Kausalität (§ 286 ZPO) unproblematisch. Es ist auszuschließen, dass der jetzt geltend gemachte Heckschaden mitverursacht wurde, als der Kotflügelschaden vorne rechts verursacht wurde.
Relevanz für die Bemessung des Heckschadens? In einem eindeutigen Reparaturschadensfall (Stufe 1: kalkulierte Reparaturkosten < WBA) ist ein unreparierter Vorschaden außerhalb des Neuschadenbereichs (also keine Überlagerung) ohne Einfluss auf die Höhe der Reparaturkosten des Nachschadens. In Bezug auf einen merkantilen Minderwert kann er indes relevant sein. Wiederbeschaffungswert (WBW) und Restwert (RW) sind hier häufig kein Thema, weder für den SV noch für das Gericht. Aber Achtung! Seit BGH NJW 05, 2541 ermitteln die SV den WBW und RW selbst in Schadensfällen der Stufe 1. Gegenstand der Schadensermittlung sind sie jedenfalls in Fällen der Stufen 2 bis 4. Für die Ermittlung sämtlicher drei Werte kann somit von Bedeutung sein, ob der unreparierte Vorschaden außerhalb der Neuschadenzone richtig eingeschätzt und quantifiziert wird. Das wirkt sich auf die Informationspflicht des Geschädigten gegenüber dem SV und auf seine Vortragslast im Prozess aus (s. Fallgruppe 3). |
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Beispiel: unreparierter Vorschaden vorne links wird vom Geschädigten offenbart und ist im aktuellen Gutachten erwähnt und durch Vorschaden-Gutachten (mit Fotos) belegt; Neuschaden gleichfalls vorne links (wie LG Saarbrücken VA 14, 165 = NJW 14, 2661 m. Anm. Figgener).
Probleme: Erstes Problem kann die Unfallkausalität sein. Der VR bestreitet den Neuschadensfall, indem er eine Berührung leugnet und/oder den geltend gemachten Zweitschaden ganz oder überwiegend dem früheren Schadensereignis zuordnet. Hilfsweise wendet er ein, dem Anspruchsteller sei wirtschaftlich betrachtet gar kein Schaden entstanden, der vorgeschädigte Frontbereich habe ohnehin repariert werden müssen, eine messbare Schadensvertiefung liege nicht vor. Der Geschädigte erwidert, der Erstschaden sei vergleichsweise harmlos gewesen, eine Instandsetzung entbehrlich („nur Optik“).
Lösung: Ob ein Kontakt mit dem Fahrzeug der Gegenseite stattgefunden hat, lässt sich selbst ohne Knallzeugen relativ problemlos klären, wenn das gegnerische Fahrzeug noch zur Besichtigung und Gegenüberstellung zur Verfügung steht. |
Hauptproblem ist die Schadensfeststellung und -berechnung. Voraussetzung für den Ersatz des Zweitschadens ist zunächst, dass die bei dem Zweitunfall verursachten Schäden sich hinreichend genau von den zum Unfallzeitpunkt bereits vorhandenen Beschädigungen abgrenzen lassen (OLG Düsseldorf 15.1.13, I-1 U 153/11, Abruf-Nr. 131516; LG Saarbrücken a.a.O.).
Hilfreich ist eine Dokumentation des Erstschadens (Gutachten, Fotos, Kostenvoranschlag). Ohne beweiskräftige Belege für Art und Umfang des Vorschadens (häufiger Fall) kann es für den angeblichen (Neu-)Geschädigten eng werden. Helfen kann ein Kompatibilitätsgutachten. Was inkompatibel ist, geht auf das Konto Vorschaden (evtl. auch Nachschaden). Beweismaß ist grds. § 287 ZPO, bei vorsätzlichem Verschweigen wechseln manche Richter zu § 286 ZPO. Bevor die Gerichte einen Gutachter beauftragen, verlangen sie eine möglichst genaue Beschreibung des ‒ unreparierten ‒ Vorschadens.
Lassen sich Vor- und Neuschaden abgrenzen, ist nach der Differenzhypothese vorzugehen. Dazu und zu weiteren Fragen der Schadensermittlung, auch zum Bereicherungsverbot, s. LG Saarbrücken a.a.O. mit ausführlichem Praxishinweis in VA 14, 166.
Lassen sich die Schäden nicht abgrenzen, gibt es grundsätzlich keinen Ersatz; siehe aber auch BGH DAR 90, 224 = zfs 90, 258: bei Abgrenzungsunsicherheit ggf. angemessener Abschlag; hilfreich auch BGH NJW 10, 3434 Rn. 19 (keine Unfallsache).
Weitere Rechtsprechung zur Fallgruppe 2 (typischerweise zwei Heckschäden): AG Sonthofen DAR 09, 211 m. Anm. Nettesheim (Vorschaden Heck rechts, Zweitschaden Heck links; Kosten für Beseitigung des Zweitschadens anerkannt); AG Gelsenkirchen 6.10.15, 200 C 166/14, juris (Heckschaden I nicht ordnungsgemäß beseitigt, keine Offenlegung gegenüber dem SV; null Ersatz); AG Essen 8.10.14, 17 C 194/13, juris (angeblicher Auffahrunfall, Kontakt str.; Heckvorschaden erst im Prozess festgestellt, Kontakt unterstellt, jedenfalls kein messbarer Neuschaden, null Ersatz); OLG Frankfurt VA 16, 1 (Streifschaden rechts, Vorbeschädigungen im Schadensbereich, keine Offenlegung, gleichwohl Ersatz, da Abgrenzbarkeit). Zur Konstellation „offener Front-Vorschaden wird nach Front-Zweitschaden beseitigt und vom Kasko-VR reguliert“ s. BGH VA 09, 111. |
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Beispiel: Nach der Behauptung des Mandanten ist die Beschädigung des vorderen rechten Kotflügels sach- und fachgerecht beseitigt gewesen, als es zum jetzigen Auffahrunfall mit Heckschaden kam. Der VR bestreitet jegliche Instandsetzung und wendet hilfsweise ein, eine etwaige Reparatur sei nicht fachgerecht und vollständig erfolgt. WBW, RW und merkantiler MW seien infolgedessen fehlerhaft ermittelt, das Schadensgutachten daher unbrauchbar.
Probleme: Wie bei der Fallgruppe 1 ist die haftungsbegründende Kausalität unproblematisch. Probleme macht die Schadensbemessung, speziell bei einer Totalschadensabrechnung. Doch auch bei der Abrechnung auf Reparaturkostenbasis kann ein angeblich reparierter Vorschaden an anderer Stelle des Fahrzeugs zum Thema werden. Dann nämlich, wenn der WBW ins Spiel kommt. Instruktiv OLG Hamm 27.2.14, 6 U 147/13, juris (reparierter Streifschaden links als Vorschaden, Beschädigungen rechts als Neuschaden).
Lösung: Was der Kläger in einem solchen Fall vorzutragen und unter Beweis zu stellen hat, und was von ihm (entgegen LG Bochum als Vorinstanz) nicht verlangt werden kann, wird vom OLG Hamm sauber herausgearbeitet. Ebenso lesenswert: OLG Düsseldorf 24.5.16, 1 U 118/15, NJOZ 16, 1405 (Abrechnung eines Heckschadens auf TS-Basis nach massivem Frontschaden), OLG Celle 8.2.17, 14 U 119/16, juris (zwei „massive“ Vorschäden, keine Offenlegung gegenüber dem SV, kein Nachweis einer fachgerechten Reparatur, WBW nicht feststellbar). In Bezug auf die Anforderungen an die Darlegungslast unterscheidet das OLG Celle nicht zwischen einem Überlagerungsfall (Fallgruppe 4) und einer Konstellation der Fallgruppe 3. |
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Beispiel: Nach der Behauptung des Mandanten ist die Beschädigung am Heck sach- und fachgerecht beseitigt gewesen, als es jetzt zum Auffahrunfall mit erneutem Heckschaden kam. Der VR bestreitet die Unfallkausalität des jetzt zur Abrechnung gestellten Schadens, leugnet eine Instandsetzung der Vorbeschädigungen und hält die behauptete Reparatur hilfsweise für „Pfuscharbeit“.
Probleme: Konstellationen der Fallgruppe 4 weisen den höchsten Schwierigkeitsgrad auf, technisch wie rechtlich. Gekennzeichnet sind sie einerseits durch eine Vollüberdeckung (selten) oder Teilüberdeckung, andererseits durch die Behauptung, der Vorschaden sei im Zweitunfallzeitpunkt fachgerecht und vollständig beseitigt gewesen.
Lösung: Egal, ob der Geschädigte auf Reparaturkosten- oder auf Totalschadensbasis abrechnet, für beide Varianten verlangt die Rechtsprechung konkreten Sachvortrag zu Art und Umfang des Vorschadens und zur fachgerechten und vollständigen Beseitigung (OLG Düsseldorf 7.3.17, 1 U 31/16, juris ‒ fiktive Reparaturkosten; OLG Düsseldorf 13.7.15, 1 U 164/14, juris ‒ TS-Abrechnung; OLG Düsseldorf 10.2.15, 1 U 32/14, juris ‒ fiktive Reparaturkosten; KG 27.8.15, 22 U 152/14, VA 15, 183 ‒ TS-Abrechnung; OLG Hamm 8.4.16, 9 U 79/15, juris ‒ TS-Abrechnung; OLG Hamm 4.3.14, 9 U 181/13, juris ‒ fiktive Reparaturkosten). Hintergrund sind im Wesentlichen drei Fragen: (1) Wie war der Fahrzeugzustand vor dem geltend gemachten Neuschaden (Kausalitätsaspekt)? (2) Lassen sich Neuschaden/Vorschaden abgrenzen (Kausalität und Schadensfeststellung)? (3) Einfluss des Vorschadens auf die Höhe der Reparaturkosten für den Neuschaden, einen merkantilen MW, den WBW und den RW? Insoweit Doppelrelevanz: Vergleichskontrollrechnung und Bemessung (Höhefragen).
Nicht gehört wird der Geschädigte mit dem Argument, von dem reparierten Vorschaden keine Kenntnis gehabt zu haben, weil er in die Vorbesitzerzeit falle und er darüber beim Ankauf nicht aufgeklärt worden sei, schon deshalb könne er auch keine Reparaturrechnung oder einen sonstigen Beleg vorlegen (KG a.a.O.). Argumente: Beim Verkäufer/Vorbesitzer nachfragen; Unmöglichkeit oder Erfolglosigkeit = eigenes Risiko. |
Arbeitshilfe / So müssen Sie als Anwalt des Geschädigten vorgehen |
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