· Fachbeitrag · Human Resources
„Scheiden tut weh“: Behandlung ausscheidender Mitarbeiter
von Dr. Peter Hoberg, Worms
| Im Management des Human Capital klafft bei vielen Unternehmen eine große Lücke. Der Wert der Mitarbeiter wird erst erkannt, wenn sie gehen und niemand die Aufgaben übernehmen kann. So weit darf und muss es nicht kommen. Mit entsprechender Weitsicht und den richtigen Maßnahmen lassen sich z. T. hausgemachte Personalengpässe und der Verlust von Know-how vermeiden sowie die Mitarbeitermotivation erhalten. |
1. Zwischen Personalmangel und Einstellungsstopp
Die Personalabteilungen sind häufig überfordert, weil sie es kaum schaffen, qualifizierte Bewerber im Markt zu finden. Verstärkt wird der Mangel an guten Mitarbeitern dadurch, dass in schwierigen Situationen schnell ein genereller Einstellungsstopp (oder vornehmer: Hiring Freeze) verkündet wird, der sich auch auf die Neubesetzung dringend benötigter Stellen bezieht. Dies bringt nur sehr kurzfristig eine Verbesserung.
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In einem konkreten Fall konnte eine Einstellungssperre für technische Mitarbeiter zwar in der laufenden Periode die Personalkosten senken, gleichzeitig wurde aber die Ausbildung der dringend notwendigen technischen Mitarbeiter unterbrochen. Dabei gibt es einen mehrjährigen Vorlauf, bis ein Mitarbeiter eine Aufgabe vollständig übernehmen kann. Dies führte dazu, dass die kompliziert zu wartenden Maschinen nicht mehr die übliche Leistung erbrachten. Die Efficiency (produzierte Stückzahl/maximal mögliche Stückzahl) fiel immer weiter, sodass nach zwei Jahren die Kundenaufträge nicht mehr vollständig ausgeführt werden konnten. In seiner Not musste das Management sogar weitere Maschinen kaufen ‒ bei gleicher Nachfrage ‒, um die alten Absatzmengen zu schaffen. Für die zusätzlichen Maschinen reichte das erfahrene Personal erst recht nicht mehr. Parallel stiegen die Wartungskosten und der Ausschuss massiv an, sodass eine Explosion der Stückkosten die Folge war.
Durch die Einstellungssperre ‒ verbunden mit einem Stopp der Lohnerhöhungen ‒ stieg die Frustration bei den verbleibenden Mitarbeitern. Einige jüngere Mitarbeiter kündigten. Ältere Mitarbeiter, die sich kritisch über die „Managementkunst“ geäußert hatten, erhielten teure Aufhebungsverträge, die sie mit Freude annahmen. Wieder andere nutzten die Möglichkeit der Rente mit 63. Und immer noch wurde das Läuten der Alarmglocken vom Management nicht beachtet. Somit wurde das Chaos noch größer. Teilweise mussten die stehenden Anlagen zwei Schichten warten, bis schließlich in der dritten Schicht der einzige Mitarbeiter kam, der noch bestimmte Reparaturen ausführen konnte. Die Kunden warteten inzwischen auf ihre Ware. |
2. Bedeutung von Zeitkonten
Auch weil die Einstellung neuer Mitarbeiter viel Zeit und Geld kostet, ist als Erstes dafür zu sorgen, dass (gute) vorhandene Mitarbeiter nicht von Bord gehen bzw. im Falle der Erreichung der Altersgrenze nicht vollständig aufhören. Ein probates Mittel zur Bindung von Mitarbeitern sind Zeitkonten. Diese sollten über die Jahresgrenze hinaus ermöglicht werden, damit die Mitarbeiter für ihre Einsatzbereitschaft belohnt werden. Fast jeder Mitarbeiter möchte ein Zeitguthaben aufbauen, um bei unvorhergesehenen Ereignissen flexibel zu sein. Auch sollte das Unternehmen vorgearbeitete Zeit in maßvollem Umfang auszahlen. Die Angst vor zu hohen Personalkosten ist oft unangemessen. Im konkreten Beispiel schuf eine Maschine einen Wert von ca. 1.000 EUR/h, was mehr als das 20-Fache der Mitarbeiterkosten bedeutete.
MERKE | Bezahlte Überstunden sind fast immer günstiger als die Einstellung neuer Mitarbeiter, die man finden und einarbeiten müsste (vgl. zu den erstaunlich niedrigen Kosten der Überstunden Hoberg [2003], 12 ff.). Es liegt somit im Interesse der Unternehmen, vorgearbeitete Stunden auszuzahlen. Neben der finanziellen Vorteilhaftigkeit spricht auch die höhere zeitliche Flexibilität in den Folgejahren dafür. |
3. Ausscheiden der Mitarbeiter aufgrund von Kündigung
Wenn es trotzdem nicht gelingt, gute Mitarbeiter an Bord zu halten bzw. umzustimmen, darf nicht resigniert werden. Eine professionelle Analyse der Fluktuationen ist notwendig. Laut einer Analyse des Human Capital Clubs wird diese nur von 41 % der erfolgreichen und 19 % der weniger erfolgreichen Unternehmen durchgeführt. Ein professionelles Exit-Gespräch ist notwendig, um so viel wie möglich aus der unerfreulichen Kündigung zu lernen.
3.1 Phase vor dem Austritt
Die Unternehmen sind häufig noch auf die gehenden Mitarbeiter angewiesen, um die negativen Folgen des Know-how-Verlusts zu dämpfen. Insbesondere in kleinen und mittelständischen Unternehmen gibt es kaum Kollegen, die die Wissenslücke schnell schließen können. Das Know-how der Mitarbeiter (Humankapital) ist nicht hinreichend in Strukturkapital (Datenbanken, Ablaufbeschreibungen, Prozessmanagement, Handbücher etc.) überführt. Der Unterschied zwischen den Kapitalarten ist für das Unternehmen dramatisch. Das Humankapital geht mit den Mitarbeitern. Schon nach kurzer Zeit stellt das Unternehmen i. d. R. fest, dass die Übergabe ‒ falls sie überhaupt stattgefunden hat ‒ nicht vollständig war. Und das kann sie auch gar nicht sein, weil langjähriges Erfahrungswissen auch nur langjährig übergeben werden kann. Hier empfiehlt sich eine frühzeitige Vertreterregelung, sodass junge Mitarbeiter in den Jahren vor der Verrentung ein Team mit den älteren Mitarbeitern bilden.
PRAXISTIPP | Da es fast nie einen schnellen und adäquaten Ersatz gibt, sollte das Unternehmen versuchen, vor dem Ausscheiden noch so viel Arbeitszeit wie möglich von dem Mitarbeiter zu bekommen. Die Auszahlung von Resturlaub und Überstunden ist dabei nur ein erster Schritt. |
3.2 Phase nach dem Austritt
Noch wichtiger kann die Phase nach dem Ausscheiden sein ‒ insbesondere, wenn wertvolles Know-how verloren ging. Es ist sehr hilfreich, wenn sich der scheidende Mitarbeiter bereit erklärt, telefonisch zu helfen. Das sichert zum einen Wissen und zum anderen besteht vielleicht die Chance, den guten ehemaligen Mitarbeiter wiederzugewinnen, denn auch bei der neuen Stelle wird nicht alles optimal laufen.
Das Hauptproblem in diesem Prozess ist meistens das Management, das seine Fehler nicht zugeben will. Aber es gilt zu bedenken, dass der Wert eines gerade ausgeschiedenen guten Mitarbeiters häufig viele 100.000 EUR beträgt, da er im Gegensatz zu einem neuen Mitarbeiter nicht mehr gefunden und ausgebildet werden muss (vgl. zu den hohen Einarbeitungskosten Hoberg [2018], 17 ff.). Und ob der neue Mitarbeiter bleiben wird, ist ja auch nicht sicher.
4. Ausscheiden der Mitarbeiter aufgrund des Ruhestands
Auch wenn es komisch klingt, werden Unternehmen immer wieder davon überrascht, dass Leistungsträger ‒ insbesondere im technischen Bereich ‒ „plötzlich“ in den Ruhestand gehen. Dazu trägt der Umstand bei, dass die Leistungsträger dazu neigen, Überstunden und Urlaub vor sich herzuschieben, sodass sie noch früher aufhören können. Auch für diese Gruppe empfiehlt sich in vielen Fällen ein Auszahlen der Überstunden und des Resturlaubs, damit eine bessere Übergabe stattfinden kann.
4.1 Vorzeitiger Rentenbeginn
Als Alarmzeichen muss gewertet werden, dass wichtige Mitarbeiter die abschlagsfreie Rente mit 63 in Anspruch nehmen wollen. Leider sind die Anreize sehr hoch. Es erfolgt kein Rentenabschlag bei Erfüllung der Voraussetzungen. Diese bestehen insbesondere in 45 Beitragsjahren. Bei weniger Beitragsjahren (aber mindestens 35) fällt ein Abschlag von 0,3 % pro Monat an. Gerade diejenigen, die lange Zeit in die Rentenversicherung eingezahlt haben und damit die Voraussetzungen erfüllen, können mit einer guten Rente rechnen.
Für die Betriebe kann es schlimme Folgen haben, wenn sich Know-how-Träger vorzeitig verabschieden. Die Unternehmen sollten mit maßgeschneiderten Angeboten versuchen, die guten Mitarbeiter zumindest teilweise zu halten. Die Voraussetzung ist, dass insbesondere die letzten Monate richtig gemanagt werden. Da der Mitarbeiter durch die Regierungsinitiative kaum einen finanziellen Anreiz zum Bleiben hat, müssen ggf. zusätzliche Anreize gesetzt werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Wertschätzung seiner Arbeit. Auch Erfolgsprämien können manchmal hilfreich sein. In einigen Fällen bieten sich 450 EUR-Jobs an. Wenn der Betrag überschritten wird, gibt es allerdings Abschläge bei der Rente mit 63.
Ausgeschiedene Mitarbeiter gönnen sich nach dem Berufsleben gerne einmal eine schöne Reise. Nach der Rückkehr gibt es aber bei einigen die Erkenntnis, dass das Rentnerdasein langweilig sein kann. Hier liegt die Chance für die Unternehmen, die Mitarbeiter nochmals anzusprechen, ob sie nicht für eine begrenzte Tätigkeit zurückkommen wollen. Der Nutzen kann sehr hoch sein, wenn exklusives Wissen vorliegt. Teilweise reicht schon das Erfahrungswissen, welcher Lieferant fähig und seriös ist. Noch wichtiger kann der Input bei der Fehlersuche sein. Wenn Produkte z. B. in der Endkontrolle bestimmte Fehler aufweisen, ist es nicht immer offensichtlich, in welcher Produktionsstufe das Problem erzeugt wurde. Der erfahrene Mitarbeiter wird sich ggf. daran erinnern, dass das Problem früher schon einmal aufgetaucht ist und wie es gelöst wurde.
4.2 Nicht vorzeitiger Ruhestand
Im Falle eines nicht vorzeitigen Ruhestands gelten die meisten Argumente aus dem vorigen Abschnitt weiterhin. Allerdings ist der Mitarbeiter nun älter, sodass es keine Abschläge bei der Rente gibt, wenn weitergearbeitet wird. Z. B. kann der Jahrgang 1956 mit 65 Jahren und 10 Monaten in Rente gehen. Die früh im Jahr 1956 Geborenen hören dann Ende des Jahres 2021 auf zu arbeiten. Wenn wieder Überstunden und Resturlaube angenommen werden, kann es bereits Mitte des Jahres so weit sein. Ein Vorteil des nicht vorzeitigen Ruhestands besteht darin, dass höhere Summen dazuverdient werden dürfen, ohne dass die Rente gekürzt wird. Versteuert werden müssen die Beträge aber, wenn sie monatlich 450 EUR überschreiten.
MERKE | Mit den individuellen Präferenzen des Mitarbeiters lassen sich Pakete schnüren, die ihm gefallen und dem Unternehmen großen Nutzen bringen. |
5. Interim-Manager
Einige Unternehmen glauben, sich ein oberflächliches Management der demnächst ausscheidenden Mitarbeiter erlauben zu können, weil man ja bei „plötzlichen“ Problemen auf Zeitarbeiter zurückgreifen kann. Zeitarbeiter gibt es nicht nur für einfache, sondern inzwischen auch für hoch qualifizierte Tätigkeiten. Dies sollte aber eine Notlösung bleiben, weil i. d. R. die Nachteile überwiegen. Wie für einen unbefristet eingestellten Mitarbeiter muss eine Einarbeitung erfolgen, die aufgrund der kurzen Betriebszugehörigkeit die tatsächlichen Arbeitskosten wesentlich in die Höhe treibt (die dramatischen Kostensteigerungen lassen sich bei Hoberg [2018], 17 ff. nachlesen). Zudem geht das teuer erworbene Know-how für das Unternehmen verloren. Ggf. kann der Interim-Manager mit dem neuen Know-how bei seinem nächsten Arbeitgeber punkten. Und ob jeder Interim-Manager langfristig orientiert arbeitet, darf bezweifelt werden.
Weiterführende Hinweise
- Hoberg, P. (2018): Das unterschätzte Problem: Personalkosten in der Einarbeitung, in: BBP 18, 17
- Hoberg, P. (2003): Warum Überstunden so billig sind, in: Controller-Magazin 1/2003, 12 ‒ 19
- Human Capital Club: Human Asset Rating anhand des HPI, in: humancapitalclub.de/files/human-asset-rating.pdf
- Warkentin, N.: Exit-Gespräch: Zum Abschied alles Gute, in: karrierebibel.de/exit-gespraech