Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Insolvenzrecht

Typische Rechtsfragen zu Zahlungen im Cash-Management-System

von RA Dr. Jochen Blöse, MBA, FA f. Handels- und Gesellschaftsrecht, Köln

| Cash-Management-Systeme sind bei vielen Unternehmensgruppen ein alltägliches Instrument der Liquiditätssteuerung, da mit solchen Systemen Finanzmittel in einer Unternehmensgruppe optimal verteilt werden können. Doch was ist, wenn ein Unternehmen, das an dem Cash-Management-System teilnimmt, von der Insolvenz betroffen ist? Hier stellt sich die Frage, wie Zahlungen innerhalb des Systems und auch an Dritte aus dem System heraus rechtlich zu beurteilen sind. Mit dieser Problemstellung hat sich der BGH kürzlich erneut auseinandergesetzt (BGH 12.9.19, IX ZR 16/18, Abruf-Nr. 211453 ). |

1. Allgemeines zu Cash-Management-Systemen

Die Idee des Cash-Management-Systems, häufig auch Cash-Pool-System genannt, besteht darin, innerhalb einer Unternehmensgruppe Finanzmittel dort verfügbar zu machen, wo sie jeweils benötigt werden.

 

  • Beispiel 1

Die A-GmbH hat die beiden Tochtergesellschaften B-GmbH und C-GmbH. Die B-GmbH ist ein Produktionsunternehmen mit festen, lang laufenden Lieferverträgen und ebenso stabilen Einkaufsbeziehungen. Die C-GmbH ist ein Beratungsunternehmen, dessen Geschäft projektbasiert ist, sodass Phasen hoher Auslastung mitunter wechseln mit Zeiträumen, in denen „Leerlauf“ herrscht.

 

Wegen der Unterschiedlichkeit der Geschäftsmodelle sind die Finanzmittelbestände bei der B-GmbH stabil und gut planbar, während bei der C-GmbH auf Perioden hoher Mittelzuflüsse im Rahmen der Bearbeitung eines Projektes Zeiträume geringer Mittelzuflüsse folgen. Wegen hoher Fixkosten, insbesondere Personalkosten, wird aber dennoch ständig Liquidität benötigt. Zum Zweck der Nivellierung des Finanzmittelbestandes in der Unternehmensgruppe wird ein Cash-Management-System eingeführt. Ab sofort werden die Banksalden der B- und der C-GmbH banktäglich durch Zahlungen an bzw. Zahlungen von der A-GmbH glattgestellt. Insbesondere bei der C-GmbH bedeutet dies, dass diese während und unmittelbar nach einem Projekt ihre hohen Liquiditätsüberschüsse an die A-GmbH abführt. In den Phasen zwischen zwei Projekten erhält sie im Gegenzug Zahlungen von der A-GmbH.

 

Grundsätzlich zu unterscheiden sind das echte oder auch physische Cash-Management und das unechte fiktive Cash-Management. Beim erstgenannten System finden tatsächliche Zahlungsflüsse statt, während beim unechten Cash-Management lediglich eine Verrechnung der Kontosalden erfolgt, ohne dass Zahlungen getätigt werden. Das unechte Cash-Management ist also ein Instrument, um die Zinsbelastung einer Unternehmensgruppe zu reduzieren (s. zum Thema insgesamt: Gabler, Wirtschaftslexikon, 19. Aufl., 2019, Stichwort: Cash Management).

 

Eine weitere Differenzierung ist notwendig hinsichtlich der Zahlungen an außenstehende Dritte. Beim typischen Cash-Management erfolgt die Bedienung der Verbindlichkeiten der am System teilnehmenden Unternehmen jeweils durch diese selbst. Dies bedeutet, dass das Cash-Management nur Zahlungsflüsse innerhalb der am System teilnehmenden Unternehmen regelt, während Zahlungen an Dritte außerhalb des Systems geschehen. Demgegenüber werden beim atypischen Cash-Management-System Zahlungen an Dritte vom „Cash-Pool-Führer“ vorgenommen.

2. Rechtliche Problemstellungen im Cash-Management-System

Schon lange ist in der Diskussion, wie es insolvenzrechtlich zu behandeln ist, wenn ein am Cash-Management-System teilnehmendes Unternehmen insolvent wird. Während dies vor allem unter dem Gesichtspunkt des Eigenkapitalersatzes diskutiert wurde (s. dazu z. B. Blöse, Cash-Management als Problem des Eigenkapitalersatzes, GmbHR 02, 675), wird letztlich dieselbe Fragestellung nunmehr insbesondere unter dem Aspekt der Anfechtbarkeit der geleisteten Zahlungen behandelt.

 

2.1 Anfechtungsthemen im atypischen Cash-Management-System

Der eingangs genannten Entscheidung des BGH vom 12.9.19 lag folgender ‒ hier vereinfacht dargestellter ‒ Sachverhalt zugrunde:

 

Die B-GmbH war zunächst Obergesellschaft einer Unternehmensgruppe, zu der auch die P-AG gehörte. Aufgrund einer zwischen den verbundenen Unternehmen geschlossenen Vereinbarung führte die B-GmbH für die einzelnen Gesellschaften sog. Clearing-Konten, über die für diese Gesellschaften Zahlungen an Dritte abgewickelt wurden. Dies geschah unabhängig davon, ob auf den Clearing-Konten ein Guthaben für die jeweilige Gesellschaft ausgewiesen wurde oder nicht.

 

Nach einer Umstrukturierung in der Unternehmensgruppe war nun die P-AG die Muttergesellschaft der gruppenangehörigen Unternehmen, die vorgeschilderte Zahlungspraxis wurde allerdings nicht umgestellt. In der Folge schloss die P-AG mit einer Anwaltskanzlei einen Vertrag über arbeitsrechtliche Beratungsleistungen. Dabei wurde vereinbart, dass sämtliche Beratungen gegenüber der P-AG abzurechnen seien, unabhängig davon, auf welches der gruppenangehörigen Unternehmen sich die Beratung bezog. Die P-AG legte die auf sie ausgestellten Anwaltsrechnungen der B-GmbH vor, die diese sodann auch beglich. Im Zahlungszeitpunkt wies das für die P-AG geführte Clearing-Konto bei der B-GmbH kein Guthaben auf.

 

Nach Eröffnung von Insolvenzverfahren über die Vermögen sowohl der B-GmbH als auch der P-AG wurden die an die Anwaltskanzlei geleisteten Zahlungen angefochten.

 

Im vorliegenden Fall geht es um den Zahlungsverkehr mit einem außenstehenden Dritten, also um ein atypisches Cash-Management-System, bei dem die B-GmbH „Cash-Pool-Führer“ ist.

 

Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung besteht nach § 131 InsO im Fall der sog. inkongruenten Deckung unter folgenden Voraussetzungen:

 

  • 1. Einem Insolvenzgläubiger ist eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht worden,
  • 2. diese hätte er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu dieser Zeit beanspruchen können,
  • 3. die anzufechtende Rechtshandlung wurde in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen,
  • 4. der Schuldner war zu diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig und
  • 5. der Zahlungsempfänger wusste, dass die Zahlung die übrigen Insolvenzgläubiger benachteiligen würde.

 

Beachten Sie | Ist die Zahlung im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden, besteht Anfechtbarkeit auch dann, wenn die unter den Punkten 4. und 5. genannten Voraussetzungen nicht vorliegen.

 

Nach der Rechtsprechung des BGH sind Direktzahlungen, die ein Dritter auf Anweisung des Schuldners erbringt, inkongruent in diesem Sinne (s. z. B. BGH 17.12.15, IX ZR 287/14, BGHZ 208, 243, 247). Eine solche inkongruente Direktzahlung hat die Rechtsprechung z. B. dann bejaht, wenn ein Auftraggeber an den Subunternehmer oder Lieferanten seines Auftragnehmers leistet oder wenn ein Endmieter Mietzahlungen an den Vermieter des Zwischenmieters erbringt.

 

Im vorliegenden Fall verneint der BGH jedoch die Inkongruenz der von der B-GmbH erbrachten Zahlung. Zwar erfolgt hier ‒ wie in den vorgenannten Beispielsfällen ‒ eine Zahlung zur Erfüllung der Verbindlichkeit eines anderen Unternehmens, der P-AG. Diese Drittzahlung weicht jedoch nur so geringfügig von der vertraglich vereinbarten Leistung ‒ im Verhältnis der P-AG zu der Anwaltskanzlei ‒ ab, dass keine inkongruente Deckung angenommen werden könne. Entscheidend war für den BGH, dass das in der Unternehmensgruppe über Jahre hinweg praktizierte Cash-Management-System eine solche lediglich geringfügige Abweichung darstelle.

 

Allerdings gilt dies nicht für jegliche Art von Cash-Management-Systemen. Wäre es so gewesen, dass fällige Verbindlichkeiten jeweils von dem am Cash-Management-System teilnehmenden Unternehmen beglichen wurden, das gerade über die erforderliche Liquidität verfügt, wäre der Sachverhalt anders zu beurteilen gewesen. Denn eine solche Zahlung nach Kassenlage durch einen Dritten belegt gerade die fehlende Liquidität des Vertragsschuldners (BGH 12.9.19, a. a. O., Rz. 27). Im vorliegenden Fall führte die B-GmbH die Zahlungen stets unabhängig von einem Guthaben auf den jeweiligen Clearing-Konten aus und das praktizierte System war bereits lange vor Auftreten einer Krise eingerichtet und ohne Beanstandungen durchgeführt worden.

 

2.2 Anfechtungsthemen im typischen Cash-Management-System

Im Verhältnis der am Cash Pool beteiligten Unternehmen stellt sich die anfechtungsrechtliche Problematik unter dem Gesichtspunkt des § 135 InsO.

 

  • Beispiel 2 (Ausgangssituation wie in Beispiel 1)

Die C-GmbH leidet seit einiger Zeit an einem Mangel an Beratungsaufträgen. Sie hat daher auf dem Verrechnungskonto mit der A-GmbH einen hohen Negativsaldo aufgebaut. Nachdem es gelungen ist, einen Auftrag zu akquirieren, wird dieser Negativsaldo teilweise zurückgeführt. Da weitere Aufträge ausbleiben, wird nach rund sechs Monaten ein Insolvenzeröffnungsantrag über das Vermögen der C-GmbH gestellt und das Insolvenzverfahren auch eröffnet. Der Insolvenzverwalter ficht die Zahlung an die A-GmbH nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO an.

 

Auch wenn es nicht ganz einheitlich beurteilt wird, ob ein Negativsaldo auf dem Verrechnungskonto mit dem den Cash Pool führenden Unternehmen ein Darlehen darstellt, wird aber im Verhältnis der A-GmbH zur C-GmbH sicherlich eine gleichgestellte Forderung i. S. d. § 135 Abs. 1 InsO vorliegen. In Höhe der Reduzierung des Negativsaldos liegt eine Befriedigung der Forderung der A-GmbH vor, sodass von einer Anfechtbarkeit auszugehen ist.

 

Während dies in diesem vereinfacht dargestellten Fall, in dem nur eine Tilgungsleistung erfolgte, hinsichtlich der Höhe des Anfechtungsanspruchs relativ einfach ist, stellt sich die Situation in der Praxis, wenn eine Vielzahl einzelner Zahlungen in die eine und die andere Richtung zu berücksichtigen ist, deutlich schwieriger dar (s. zum Meinungsstand: Lutter/Hommelhoff-Bayer, GmbHG, § 19 Rz. 135).

 

2.3 Cash-Management-Systeme und Kapitalerhaltung

Das Cash-Management kann auch unter dem Gesichtspunkt der Kapitalerhaltung nach § 30 GmbHG zu einem Problem werden.

 

  • Beispiel 3 (Ausgangssituation wie in Beispiel 1)

Die B-GmbH hat aufgrund des in der Vergangenheit dauerhaft erfolgreichen Geschäftsverlaufs einen hohen Positivsaldo auf dem Verrechnungskonto mit der A-GmbH. Seit einiger Zeit hat sich die wirtschaftliche Lage der B-GmbH jedoch eingetrübt und die Gesellschaft erwirtschaftet Verluste. Gleichwohl werden positive Tagessalden, die vereinzelt noch auf den Konten der Gesellschaft ausgewiesen werden, entsprechend der Vereinbarung im Cash-Management-System an die A-GmbH abgeführt.

 

Solche Zahlungen können unzulässig i. S. v. § 30 Abs. 1 GmbHG sein. Dies setzt allerdings voraus, dass der Gegenleistungs- bzw. Rückgewähranspruch der B-GmbH gegen die A-GmbH nicht vollwertig ist. Im Sinne des § 30 GmbHG setzt die Vollwertigkeit nicht nur voraus, dass ein durchsetzbarer Anspruch der in das System einzahlenden Gesellschaft besteht. Es wird auch verlangt, dass ein Informations-, Frühwarn- und Reaktionssystem eingerichtet ist (s. zu den Anforderungen an die Vollwertigkeit Lutter/Hommelhoff-Hommelhoff, § 30 Rz. 39 ff.).

 

Liegen die Voraussetzungen einer unzulässigen Zahlung vor, entsteht daraus ein Erstattungsanspruch der B-GmbH gegen die A-GmbH gemäß § 31 Abs. 1 GmbHG. Dieser richtet sich zunächst gegen die die Zahlung empfangende Gesellschaft, also das den Cash Pool führende Unternehmen. Liegt allerdings eine Mehr-Mütter-Konstruktion vor und kann der Anspruch nicht gegenüber dem Cash-Pool-Führer realisiert werden, so kommt auch eine Ausfallhaftung der übrigen Gesellschafter nach § 31 Abs. 3 GmbHG in Betracht.

 

2.4 Cash-Management-Systeme und Geschäftsführerhaftung

Eine rechtliche Problematik bei Cash-Management-Systemen kann zudem auch für die Geschäftsführer bestehen. Zahlungen aufgrund des Systems sind als Zahlungen i. S. d. § 64 S. 3 GmbHG zu betrachten (Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, § 64 Rz. 125). Ist eine an dem System teilnehmende GmbH insolvent und werden von ihren Konten trotzdem noch Einzahlungen in den Cash Pool vorgenommen, kann dies zur Geschäftsführerhaftung führen.

 

  • Beispiel 4 (Ausgangssituation wie in Beispiel 1 und 3)

Mittlerweile hat sich die wirtschaftliche Situation der B-GmbH soweit verschlechtert, dass eine Zahlungsunfähigkeit i. S. v. § 17 InsO vorliegt. Gleichwohl ist auf dem ein oder anderen Konto der Gesellschaft an einzelnen Tagen ein Guthaben vorhanden, das sodann an die A-GmbH abgeführt wird.

 

Diese Zahlungen fallen unter § 64 S. 3 GmbHG, sodass ein Erstattungsanspruch gegenüber dem oder den Geschäftsführern besteht. Da gerade wegen der Teilnahme an einem Cash-Management-System die Insolvenzreife einer Gesellschaft mitunter nicht unmittelbar offenkundig wird und somit ein längerer Zeitraum zwischen Eintritt der Insolvenzreife und einem Eröffnungsantrag vergehen kann, können erhebliche Beträge auflaufen, zu deren Erstattung der oder die Geschäftsführer verpflichtet sein können.

 

Ein Schadenersatzanspruch gegen die Geschäftsführer besteht nach § 43 Abs. 3 GmbHG dann, wenn eine Einzahlung in den Cash Pool unzulässig i. S. d. § 30 Abs. 1 GmbHG war.

3. Zusammenfassung

  • a) Cash-Management-Systeme können, insbesondere in der Insolvenz eines teilnehmenden Unternehmens zu unterschiedlichen rechtlichen Problemstellungen führen.
  • b) Handelt es sich um ein atypisches Cash-Management-System, ist dies vor allem die Frage der Anfechtung wegen inkongruenter Deckung.
  • c) Beim typischen Cash-Management-System kann eine Anfechtungslage nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO bestehen.
  • d) Ist das den Cash Pool führende Unternehmen Gesellschafter der in das System einzahlenden Teilnehmer, ist die Kapitalerhaltungsvorschrift des § 30 Abs. 1 GmbHG zu beachten.
  • e) Für die Geschäftsführer kommt eine Haftung nach § 64 S. 3 GmbHG und eine Schadenersatzverpflichtung nach § 43 Abs. 3 GmbHG in Betracht.

 

Weiterführende Hinweise

  • Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, Aktuelle Finanzrechtsprechung zum konzerninternen Cash Pooling, FR 19, 990
  • Annette Linau/Gabriele Kirchhof, Saldierung von Zinsaufwendungen und -erträgen bei Cash-Pooling für Zwecke der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung, StEW 19, Heft III, 15
  • Jan Lieder, Zehn Jahre Kapitalschutz nach dem MoMiG, GmbHR 18, 1116
Quelle: Seite 220 | ID 46417047