· Fachbeitrag · Insolvenzverwaltung
Wichtige Besonderheiten der Finanzbuchhaltung im Insolvenzplanverfahren
von StB Enrico-Karl Heim, Insolvenz- und Nachlassverwalter, Allersberg
| Das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung erfordert erhebliche Anpassungen in der Finanzbuchhaltung. Sie muss so beschaffen sein, dass sie den unterschiedlichen Zielgruppen ‒ wie Finanzpartnern, Gläubigerausschuss, dem (vorläufigen) Sachwalter und der Geschäftsführung ‒ die wirtschaftliche Entwicklung für jeden Verfahrensabschnitt vollständig und transparent darlegt. Nur so ist gewährleistet, dass die Verfahrensbeteiligten Entscheidungen zur Fortführung des Unternehmens sachgerecht treffen können. Als Steuerberater ist man jetzt besonders gefragt, seine Mandanten in dieser Krisensituation optimal zu begleiten und zugleich eigene Haftungsrisiken zu minimieren. |
1. Allgemeine Grundsätze
In der Finanzbuchhaltung gelten auch in der Insolvenz die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung. Allerdings muss zusätzlich den insolvenzspezifischen Besonderheiten Rechnung getragen werden. In einem Insolvenzverfahren müssen zunächst vier Perioden bzw. Stichtage voneinander getrennt betrachtet werden:
Übersicht / | |
A. | Zeitraum vor Antragstellung |
B. | Vorläufiges Verfahren (oder auch Insolvenzeröffnungsverfahren) |
C. | Eröffnetes Verfahren |
D. | Zeitraum nach Aufhebung des Verfahrens |
Für die Zuordnung von Geschäftsvorfällen in diese Zeiträume ist, wie außerhalb der Insolvenz, der Liefer- oder Leistungszeitpunkt entscheidend ‒ und nicht etwa das Rechnungsdatum. Daher ist es immer hilfreich, die Belege zu den Geschäftsvorfällen entsprechend den betroffenen Zeiträumen, beispielsweise mit einem Stempel (A, B C oder D) zu kennzeichnen und dies auch in Buchungstexten oder in anderer geeigneter Weise (z. B. Belegart, Buchungskreis) im Buchungssystem zu dokumentieren.

PRAXISTIPP | Auch die Belegablage sollte differenziert nach diesen Zeiträumen organisiert werden. Die angepasste Buchhaltung muss gewährleisten, dass auf Verbindlichkeiten, die vor Antragstellung entstanden sind, im Grundsatz keine Zahlungen mehr geleistet werden. In Ausnahmefällen können in Abstimmung mit dem vorläufigen Sachwalter auch Verbindlichkeiten aus dem Zeitraum vor Insolvenzantragstellung bedient werden. |
Um den umfassenden Berichtspflichten nachkommen zu können, muss des Weiteren sichergestellt werden, dass über die jeweiligen Zeiträume bzw. zu den jeweiligen Stichtagen Auswertungen möglich sind (z. B. GuV, OPOS-Liste, Entwicklung der Forderungen aus dem Zeitraum A während des vorläufigen Verfahrens u. a.).
Beachten Sie | Im Hinblick auf steuerliche Aspekte sowie die Bildung von (mehreren) Rumpfwirtschaftsjahren sollten frühzeitig die Mehrmandantenfähigkeit der Software geprüft und ggf. mit einem Dienstleister notwendige Anpassungen vorab organisiert werden.
2. Stichtag Antragstellung
Der Zeitpunkt, in dem der Insolvenzantrag gestellt wird, ist ein erster, wesentlicher Stichtag, für den in der Finanzbuchhaltung die Prozesse angepasst und Handlungen vorbereitet werden müssen. Hier gilt es, den Status quo bezüglich der Vermögens- und Schuldenpositionen zu diesem Stichtag (also Ende des Zeitraums A) festzuhalten. Insofern sind Tätigkeiten wie bei einem Jahresabschluss erforderlich, um den Grundsatz der Vollständigkeit zu gewährleisten (§ 239 Abs. 2 HGB, § 246 Abs. 1 HGB). So muss eine Inventur durchgeführt werden, bei der neben Fertig- und Halbfertigerzeugnissen auch die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie die sonstigen Vermögenswerte aufzunehmen sind. Sofern (einfache) Eigentumsvorbehalte bei Vorräten bestehen, sind diese zu dokumentieren. Sollten Dauerlieferverträge bestehen, für die im Unternehmen Verbrauchserfassungsgeräte im Einsatz sind, muss bei der Inventur der Verbrauch ermittelt und dokumentiert werden. Die betroffenen Lieferanten und Dienstleister sind über die Insolvenzantragstellung zu informieren und eine Zwischenabrechnung ist anzufordern.
Gleiches gilt für andere Dauerschuldverhältnisse wie Telekommunikations-, Wartungs-, Tankkartenverträge sowie Versicherungen, deren Abrechnungszeiträume aufzuteilen sind. Neben der Inventarisierung von Fertig- und Halbfertigerzeugnissen sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen ist zudem eine Inventarisierung und Bewertung des Anlagevermögens zum Stichtag der Antragstellung notwendig. Diese wird häufig durch einen unabhängigen Sachverständigen vorgenommen. Hierbei erfolgt in der Regel eine Bewertung des Anlagevermögens nach Liquidations- sowie Fortführungswerten.
Beachten Sie | Um den Stand der Forderungen und Verbindlichkeiten bei Antragstellung zu dokumentieren, sollte zudem, sobald die Geschäftsvorfälle bis zum Stichtag buchhalterisch erfasst wurden, ein Ausdruck der OPOS-Liste sowie der Summen- und Saldenlisten von Debitoren und Kreditoren erfolgen.
Zusätzlich zur herkömmlichen Finanzbuchhaltung muss ab Insolvenzantragstellung parallel auch eine Insolvenzbuchhaltung geführt werden. Diese Einnahmen- und Ausgabenrechnung wird in der Regel von externen Dienstleistern erstellt. Daher muss ein Datenaustausch zwischen dem Unternehmen und dem externen Dienstleister organisiert und eingerichtet werden. Auch die Belegablage muss an die Insolvenzbuchhaltung angepasst werden. Sowohl der originale Beleg (Ein- und Ausgangsrechnung) als auch der originale Kontoauszug muss für die Kassenprüfung in separaten Ordnern abgeheftet werden.
3. Zeitraum des vorläufigen Verfahrens
Im Zeitraum des vorläufigen Verfahrens werden im Regelfall bestimmte Zahlungen nicht mehr geleistet, so z. B. Löhne und Gehälter für die Dauer des Insolvenzgeldzeitraums. Unabhängig von der Zahlung sind diese Aufwände jedoch vollständig buchhalterisch zu erfassen. Die Lohn- und Gehaltsabrechnungen müssen in vollem Umfang gebucht werden. In dem Maße, in dem diese Verbindlichkeiten nicht beglichen werden, werden Insolvenzforderungen gegen das Unternehmen aufgebaut, die später als angemeldete Tabellenforderungen zu erwarten sind. So werden z. B. die über das Insolvenzgeld (vor-)finanzierten Löhne und Gehälter der Mitarbeiter später von der Bundesagentur für Arbeit als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet. Die Summe der Verbindlichkeiten aus Lohn und Gehalt entspricht also den Ansprüchen der Agentur für Arbeit sowie den eventuell bestehenden ‒ darüber hinausgehenden ‒ Arbeitnehmeransprüchen.
PRAXISTIPP | Um die Zahlungsströme selbst steuern zu können und dadurch die Masse zu sichern, empfiehlt es sich, sämtliche Einzugsermächtigungen zu widerrufen und auf Zahlung per Überweisung umzustellen. Auch Kredit- und Tankkarten sollten ab Beginn des vorläufigen Verfahrens nicht mehr genutzt werden. Sofern dadurch erhöhte Barauszahlungen aus der Kasse zu erwarten sind, ist im Gegenzug der Kassenbestand zu erhöhen. Falls im Unternehmen noch nicht etabliert, sind strenge Freigabeprozesse für Auszahlungen und Bestellungen einzurichten, deren Umfang und Ausgestaltung mit dem vorläufigen Sachwalter abgestimmt werden sollten. |
In Zusammenarbeit mit dem Controlling sollten zusätzliche Tools und Informationssysteme eingeführt werden, um die Vertretungsorgane des eigenverwaltenden Schuldners bei der Aufgabe der Massesicherung zu unterstützen. Dringend erforderlich sind in der Eigenverwaltung (Tages-)Reportings und eine rollierende Liquiditätsplanung ‒ mindestens auf Wochenbasis. Mit Insolvenzeröffnung beginnt sowohl ein neuer Verfahrensabschnitt als auch ein neues Wirtschaftsjahr. Vor Eröffnung müssen zudem sämtliche Masseverbindlichkeiten aus dem vorläufigen Verfahrenszeitraum bis zur Eröffnung beglichen werden, außer es wurden
- Einzelermächtigungen vom Gericht genehmigt oder
- Treuhandkonten für die offenen Masseverbindlichkeiten aus dem vorläufigen Verfahrensabschnitt eingerichtet. Das Guthaben auf einem solchen Treuhandkonto muss dabei ausreichen, um sämtliche offenen und potenziell noch entstehenden Verbindlichkeiten aus dem vorläufigen Verfahrenszeitraum zu begleichen.
Alternativ können vor der Eröffnung auch Vorkassen für potenzielle Ansprüche aus dem vorläufigen Verfahrenszeitraum an die Lieferanten überwiesen werden, sodass nach Eröffnung keine „Verbindlichkeitenp“ vom Unternehmen beglichen werden müssen. Es ist daher wichtig, dass die Belegführung eine klare Abgrenzung der einzelnen Ansprüche ermöglicht.
4. Zeitraum ab Eröffnung des Verfahrens
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Zeitraum C) beginnt ein neues Wirtschaftsjahr, das bis zum Tag der Aufhebung des Verfahrens andauert. Somit muss kurz vor Verfahrenseröffnung eine weitere Inventur durchgeführt sowie im Anschluss ein weiterer Jahresabschluss erstellt werden (Rumpf-Wirtschaftsjahr). Umfang des Jahresabschlusses und ggf. bestehende Testatpflichten sollten mit dem Sachwalter abgestimmt werden.
Beachten Sie | Der Jahresabschluss muss die zu erwartenden Forderungen der Mitarbeiter enthalten, die als Tabellenforderungen angemeldet werden können (z. B. Urlaubsanspruch, Sonderzahlungen, Differenz zwischen regulärem Gehalt und Beitragsbemessungsgrenze, Überstunden, sonstige tarifliche Ansprüche). Sofern diese Ansprüche nicht laufend gebucht werden, sind sie separat auf diesen Stichtag zu erfassen.
Gleichzeitig wird eine neue Steuernummer für das Unternehmen benötigt, die beim zuständigen Finanzamt zu beantragen ist. Die USt-IdNr. ändert sich nicht. Unter der bisherigen, alten Steuernummer werden die potenziellen Umsatzsteuerkorrekturen erfasst. Darüber hinaus sind auch eine neue Betriebsnummer bei der Arbeitsagentur sowie eine neue Mitgliedsnummer bei der Berufsgenossenschaft erforderlich.
Beachten Sie | Nach Erhalt der neuen Betriebsnummer sind die Mitarbeiter nach Verfahrenseröffnung bei den Sozialversicherungsträgern abzumelden und umgehend unter der neuen Betriebsnummer anzumelden. Jahresentgeltmeldungen müssen für das abgeschlossene Wirtschaftsjahr erstellt und an das Finanzamt übermittelt werden.
5. Zeitraum ab Aufhebung des Verfahrens
Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens (Zeitraum D) beginnt ein weiteres, neues Wirtschaftsjahr. Daher ist auch für diesen Stichtag ein weiterer Jahresabschluss zu erstellen und die entsprechenden Jahresabschlussarbeiten sind erneut durchzuführen. Dabei ist besonders zu beachten, dass durch die Verzichte der ungesicherten Gläubiger ein Sanierungsgewinn entsteht. Einhergehend mit der Ausbuchung der Verzichte in der Buchhaltung muss der Sanierungsgewinn als außerordentlicher Ertrag von der Buchhaltung erfasst werden. Die Befriedigung der verbleibenden Planverbindlichkeiten muss zu den jeweils im Insolvenzplan geregelten Fälligkeiten erfolgen.
Der vorliegende Beitrag kann nur erste Eindrücke zu den Besonderheiten der Finanzbuchhaltung in der Insolvenz vermitteln. Die tägliche Praxis zeigt, dass eine Vielzahl von Detailfragen aufkommen, die es zu klären gilt und auf die hier nur am Rande eingegangen werden konnte.